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2092

BVerfG zur Beratungshilfe: Amtsgerichte schießen quer, Karlsruhe schießt zurück

von Martin W. Huff

06.12.2010

justizia_blind

© Werner Schwehm - Fotolia.com

Wer nicht über die Mittel zur Beauftragung eines Rechtsanwalts verfügt, hat nach dem Beratungshilfegesetz einen Anspruch auf so genannte staatliche Beratungshilfe. Solche Anträge lehnen die Amtsgerichte jedoch oft mit fadenscheinigen Argumenten ab. Das Bundesverfassungsgericht hat für diese Praxis jetzt deutliche Worte gefunden. Zu Recht, meint Martin W. Huff.

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Die Gewährung von Beratungshilfe im Vorfeld eines Prozesses ist für viele Bürger sehr wichtig, um überhaupt anwaltlichen Rat in Anspruch nehmen zu können. Mit dem so genannten Beratungshilfeschein können sie dann einen Rechtsanwalt damit beauftragen, ihre Interessen zu vertreten.

Auch wenn die Gebühren gering sind, sehen viele Rechtsanwälte diese Beratung als Pflicht an, auch weil Anwälte "Organe der Rechtspflege" sind. Die Amtsgerichte (AG), die für die Gewährung der Beratungshilfe zuständig sind, versuchen allerdings immer wieder, Antragstellern ihren Anspruch aus zum Teil sehr dubiosen Gründen zu verweigern.

Schon mehrmals hat hier das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingegriffen. Auch jetzt sahen sich die Richter wieder genötigt, in einer Entscheidung sehr deutliche Worte zu finden (Beschl. v. 9.11.2010, Az. 1 BvR 787/10). Sie werfen dem AG Meldorf unverhohlen eine "unvertretbare Auslegung" des Beratungshilfegesetzes vor.

Bürger sollte Schreiben selbst verfassen

Was war geschehen? Der betroffene Bürger erhielt Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 635 Euro monatlich auf sein Girokonto überwiesen. Im November 2009 teilte die Bank mit, dass Gläubiger des Mannes das Konto gepfändet hätten und ihm deshalb in diesem Monat kein Geld ausgezahlt werde. Dabei übersah sie allerdings, dass Sozialleistungen pfändungsfrei sind, diese Gelder also immer ausgezahlt werden müssen.

Der Mann ging daraufhin persönlich zu der Bank und wollte den Sachverhalt klären. Dort wurde ihm – aus welchen Gründen auch immer – erklärt, dass es den gesetzlichen Pfändungsschutz nicht mehr gebe und man daher das Geld nicht an den Betroffenen, sondern an den Gläubiger auszahlen werde.

Darauf schaltete der Mann noch am gleichen Tag einen Anwalt ein und beantragte Beratungshilfe, um die Kosten der Rechtsberatung abzudecken. Nach den gesetzlichen Vorschriften eigentlich ein klarer Fall für die Bewilligung von Beratungshilfe. Doch es kam anders. Das AG wies den Antrag zurück - Begründung: Der Bürger hätte sich mit seinen Fragen zur Zwangsvollstreckung an das AG wenden können, die Einschaltung eines Anwalts sei nicht notwendig gewesen. Vielmehr sei sie sogar als mutwillig zu werten. Denn ein einfaches Schreiben hätte der Mann selbst verfassen können.

BVerfG: Auffassung des Gerichts "nicht mehr vertretbar"

Gegen die nicht mehr anfechtbare Entscheidung legte der Mann Verfassungsbeschwerde ein. Er sei durch die Entscheidung des AG in seiner so genannten Rechtswahrnehmungsgleichheit gegenüber demjenigen verletzt, der sich einen Anwalt leisten könne.

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG nahm die Beschwerde des Mannes an und gab ihr – was sehr selten geschieht - durch einstimmigen Beschluss der drei Richter statt: Die Entscheidung des AG verletzte den Bürger in seinen Grundrechten und sei daher verfassungswidrig.

In der Begründung fanden die Verfassungsrichter deutliche Worte: Beratungshilfe sei dann zu gewähren, wenn nicht erwartet werden kann, dass der Bürger den Sachverhalt selbst regeln kann. Genau das sei hier aber nicht der Fall gewesen: "Die Auffassung des Amtsgerichts, auch ein verständiger Bemittelter hätte ... in einer vergleichbaren Situation auf die Inanspruchnahme anwaltlichen Rats und Beistands verzichtet, ist nicht nachvollziehbar und mithin nicht mehr vertretbar."

Sodann zerpflückte der Senat die Argumente des AG. Es sei hier nicht um Fragen der Zwangsvollstreckung gegangen, sondern um einen Auszahlungsanspruch gegen die Bank. "Die bloße Beratung durch das Amtsgericht hätte bei lebensnaher Betrachtung nicht dazu geführt, dass die kontoführende Bank ihre Verweigerungshaltung aufgibt". Auch sei dem Mann nicht zumutbar gewesen, noch einmal an die Bank zu schreiben, da bereits die kontoführende Filiale der Bank "mit unhaltbarer Begründung" die Auszahlung verweigert habe.

Die rasche Beauftragung eines Anwalts sei auch notwendig gewesen, denn es ging um die Auszahlung des Existenzminimums. Wer außer einem Anwalt hätte bei der starrköpfigen Haltung der Bank noch helfen sollen?

Argument der hohen Kosten zieht nicht

Den Verfassungsrichtern ist die Verärgerung über das Verhalten des AG deutlich anzumerken. Und es ist gut, dass sie dem Gericht die verfassungsrechtlichen Grenzen noch einmal aufgezeigt haben.

Leider ist das Verhalten des AG Meldorf kein Einzelfall, wie viele Anwälte berichten. Immer wieder werden Beratungshilfeanträge mit fadenscheinigen Begründungen – wie: Man könne sich ja selbst vertreten oder durch eine Internetrecherche selbst kundig machen – abgewiesen. Wiederholt hat das BVerfG dieser Ansicht eine deutliche Abfuhr erteilt. Nur leider scheint dies – oft angeblich aus Sparzwängen – bei den Gerichten nicht anzukommen. Dabei sind entgegen des gerne vermittelten Eindrucks die vom Staat aufgewendeten Kosten für die Beratungshilfe insgesamt eher rückläufig.

Beratungshilfe ist und bleibt zusammen mit der Prozesskostenhilfe eine richtige und wichtige Sozialleistung. Der betroffene Bürger hat einen Anspruch darauf und so ist es richtig und gut, dass die Anwälte auch im Fall des AG Meldorf das BVerfG eingeschaltet haben.

Der Autor Martin W. Huff ist Wirtschaftsjurist und Rechtsanwalt in Leverkusen. Er hat bereits zahlreiche Veröffentlichungen zu berufsrechtlichen Themen verfasst.

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Martin W. Huff, BVerfG zur Beratungshilfe: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2092 (abgerufen am: 14.06.2025 )

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