Ein so hartes Urteil hatte kaum jemand erwartet: Am Dienstagmorgen hat das BVerfG entscheidende Teile des ZDF-Staatsvertrags für verfassungswidrig erklärt. Volker Boehme-Neßler sieht die Entscheidung kritisch: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk befinde sich in einem Dilemma, das sich auch durch die Vorgaben aus Karlsruhe kaum lösen lasse. Außerdem hätten die Richter ihre Kompetenzen überschritten.
Die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Hamburg hatten 2010 einen Normenkontrollantrag gegen den ZDF-Staatsvertrag beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht. Ihr Ziel: Das Verfassungsgericht sollte überprüfen, ob die Regelungen zum ZDF-Fernsehrat und zum Verwaltungsrat mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Die Kläger bezweifeln dies; ihrer Ansicht nach gewährt das Vertragswerk der Politik zu viel Einfluss in den Aufsichtsgremien des Senders. Dadurch sei der Grundsatz der Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – und damit die Rundfunkfreiheit insgesamt – verletzt.
Das BVerfG hat beiden Landesregierungen heute sehr weitgehend Recht gegeben. Das Gericht hat die Regelungen über den ZDF-Fernsehrat in Art. 21 ZDF-Staatsvertrag und über den Verwaltungsrat in Art. 24 ZDF-Staatsvertrag zum größten Teil für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende Juni 2015 gesetzt, um neue, verfassungsmäßige Vorschriften über die beiden wichtigsten Gremien des ZDF in Kraft zu setzen. Auch bei anderen, öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wird man nun prüfen müssen, ob die eigenen Regeln mit den Vorgaben des BVerfG zu vereinbaren sind.
Feste Marschroute für den Gesetzgeber
Doch mit der bloßen Feststellung der Verfassungswidrigkeit ließen die Karlsruher Richter es nicht bewenden. Sie machen dem Gesetzgeber darüber hinaus konkrete Vorgaben, wie er die neuen Regelungen ausgestalten muss.
So legte das Gericht fest, dass höchstens ein Drittel aller Mitglieder von Fernsehrat und Verwaltungsrat aus dem staatlichen oder politischen Bereich stammen darf. Bisher sind es etwa 44 Prozent. Regierungsmitglieder und andere hochrangige Mitglieder der Exekutive dürfen überhaupt nicht mehr vertreten sein. Hier ist die aktuelle Praxis völlig anders; in beiden Gremien wimmelt es geradezu von Staatsministern, amtierenden Landesministern und Staatssekretären. Und noch eine weitere Vorgabe stellt das Gericht auf: Die Mitglieder von Fernseh- und Verwaltungsrat müssen vom Gesetzgeber weisungsfrei gestellt werden. Auch das ist bisher nicht ausdrücklich geregelt.
Mit dem Verfahren zur Besetzung der Gremien ist das BVerfG ebenfalls nicht einverstanden. Bislang machen Verbände Vorschläge, wer sie im Fernsehrat vertreten soll. Aus diesen Vorschlägen wählen die die Ministerpräsidenten die zukünftigen Fernsehratsmitglieder aus. Die letzte Entscheidung liegt also bei der Exekutive. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei wirklich unabhängige, staatsferne Persönlichkeiten ausgewählt werden, ist eher gering. Folgerichtig wurde die Regelung als verfassungswidrig verworfen.
Das Dilemma des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Im Hintergrund der Entscheidung steht das grundsätzliche und kaum auflösbare Dilemma des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er muss einerseits natürlich staatsfrei sein, das schreibt die Rundfunkfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) vor. Der Staat und seine Vertreter dürfen den Rundfunk nicht dominieren – weder direkt noch indirekt. Sonst kann er seine eminent wichtige demokratische Funktion nicht erfüllen, Staat und Politik objektiv und kritisch zu kontrollieren. Staatsrundfunk widerspricht dem Grundgesetz und seinen Vorstellungen von politischer Kommunikation in der Massendemokratie.
Auf der anderen Seite müssen auch die Rundfunkanstalten einer gewissen Kontrolle unterliegen, schließlich haben sie in der modernen Mediengesellschaft eine ungeheure Bedeutung – und eine große Macht. Medien beeinflussen nahezu jeden Bereich des gesellschaftlichen – nicht selten auch des privaten – Lebens. Das ist politisch und verfassungsrechtlich gewollt. Ohne freie Medien gibt es keine Demokratie. Aber auch die Macht der Medien kann nicht unbegrenzt sein. Wie jede Macht in der Demokratie müssen auch die Rundfunkanstalten kontrolliert werden. Wer aber soll das tun, wenn nicht der Staat und seine Vertreter? Immerhin sind sie von den Bürgern in demokratischen Wahlen gewählt worden und dem Allgemeinwohl verpflichtet. Hier beginnt das Dilemma des Rundfunks in der Demokratie: Wie soll der Staat einen Rundfunk kontrollieren, der gleichzeitig staatsfrei sein muss?
2/2: Der Fernsehrat: Quadratur des Kreises
Der ZDF-Staatsvertrag versucht diese Quadratur des Kreises durch die Zusammensetzung des Fernsehrates zu erreichen. Der Fernsehrat ist das wichtigste Gremium, in dem die grundlegenden Entscheidungen für das ZDF fallen - oder jedenfalls fallen sollen. Er entscheidet über die Programmrichtlinien und muss die inhaltliche Vielfalt des Rundfunkprogramms sichern. Er hat 77 Mitglieder, die möglichst repräsentativ aus allen relevanten Gruppen der deutschen Gesellschaft kommen sollen. Durch diese binnenpluralistische Zusammensetzung soll nicht der Staat, sondern die Zivilgesellschaft die Kontrolle über das ZDF ausüben.
In der Theorie klingt das auch sehr plausibel. Die konkrete Zusammensetzung des Fernsehrates regelt Art. 21 ZDF-Staatsvertrag. Danach sind nur 34 Mitglieder direkte Vertreter des Staates und seiner Organe. Das Problem sind aber andere Gruppen im Fernsehrat, die nur auf den ersten Blick vom Staat unabhängig sind. In vielen Verbänden, die eine gesellschaftliche Gruppe repräsentieren (sollen), sitzen ehemalige Bundesminister und noch aktive Parteipolitiker. Für das Rote Kreuz etwa sitzt der ehemalige und langjährige Bundesinnenminister Rudolf Seiters in dem Gremium. Die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach vertritt den Bund der Vertriebenen. Mit anderen Worten: Der Einfluss von Politik und Staat im Fernsehrat ist deutlich größer, als die vorgesehene Zusammensetzung es vermuten lässt.
Hier setzt das BVerfG an, indem es die Zahl der Staatsvertreter und der staatsnahen Personen auf ein Drittel beschränkt.
Nur ein Urteil – oder eine Machtprobe?
Das Urteil der Karlsruher Richter ist gut gemeint: Sie wollen die Rundfunkfreiheit sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen die Richter auf bewährte juristische Instrumente – Quotenregelungen, Verbote, Inkompatibilitätsregelungen und strikte Zugangsregelungen. Aber ob das effektiv ist? Medien und Politik sind zwei besonders dynamische Bereiche der Gesellschaft, die sich kaum mit solch einfachen und starren Regelungen ordnen und erfassen lassen.
Aber das Urteil ist noch aus einem anderen Grund hochproblematisch, denn das BVerfG überschreitet darin die eigenen Kompetenzen. Seine Aufgabe wäre es gewesen, die Verfassungswidrigkeit des ZDF-Staatsvertrags zu prüfen. Stattdessen macht es der Rundfunkpolitik konkrete Vorgaben, wie der nächste Staatsvertrag inhaltlich aussehen muss. Solche Entscheidungen treffen in der Demokratie aber die Parlamente, nicht die Gerichte. Eine gewisse justizielle Zurückhaltung ist eine wichtige Tugend, gerade für ein Verfassungsgericht. Sonst riskiert es seine Akzeptanz und langfristig auch seinen Einfluss.
Dennoch können die Rundfunkpolitiker das Urteil zum Anlass nehmen, eine überzeugendere Lösung für das ewige Dilemma des öffentlichen Rundfunks zu finden: Wie kann man öffentliche Rundfunkanstalten demokratisch kontrollieren, ohne sie dem Einfluss von Staat und Parteien auszuliefern?
Der Autor Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer. pol. Volker Boehme-Neßler lehrt unter anderem Staats- und Verfassungsrecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Volker Boehme-Neßler, Das Bundesverfassungsgericht und der Rundfunk: Machtprobe mit der Politik . In: Legal Tribune Online, 25.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11439/ (abgerufen am: 11.12.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag