Nach der FRoSTA-Entscheidung des BGH haben sich etwa 50 Unternehmen preiswert ihrer Minderheitsaktionäre entledigt. Ein Gesetzentwurf der Koalition soll nun für mehr Anlegerschutz sorgen. Mitnichten, finden Tim Drygala und Robert Peres.
Das Prinzip von Angebot und Nachfrage ist das Fundament der Aktienanlage. Sobald der Markt weiß, dass in wenigen Monaten eine Aktie nicht mehr an der Börse gehandelt wird, verschwindet die Nachfrage und sie verliert massiv an Wert. Nach der FRoSTA-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 08.10.2013, Az. II ZB 26/12) wurden bei der Ankündigung von Delistings Kursrückgänge bis zu 40 Prozent, in einem Extremfall bis zu 80 Prozent festgestellt.
Mit dem Beschluss hat der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat es Unternehmen gestattet, sich von der Börse zu verabschieden, ohne einen Beschluss der Hauptversammlung herbeizuführen und den Aktionären eine Barabfindung anzubieten. Nach dieser Abkehr von der bisherigen BGH-Rechtsprechung bekommt der Anleger oft gar nicht mehr mit, dass seine im Depot liegenden Aktien nicht mehr handelbar sind.
Das Papier der großen Koalition, das am heutigen Montag Gegenstand einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses ist, stellt dazu fest, dass im Nachgang der BGH-Entscheidung die Zahl der Emittenten, die einen Widerruf der Zulassung ihrer Aktien zum Handel im regulierten Markt beantragt und den Rückzug vollzogen haben, stark angestiegen sei. Dies beeinträchtige die Handelbarkeit der Aktie. So weit, so gut.
Minderheitenschutz sieht anders aus
Die Position von Anlegern verbessert der Vorschlag nicht, eher im Gegenteil. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) spricht sogar von einem "Dolchstoß für den treuen langfristigen Anleger". Unrecht hat sie damit nicht.
Die vorgelegte Lösung von CDU und SPD beinhaltet immer noch keine Verpflichtung zum Hauptversammlungs-Beschluss. Sie überlässt die Entscheidung über den Rückzug von der Börse vielmehr weiter der Unternehmensleitung.
Minderheitsaktionären soll künftig zwar bei einem Delisting eine Gegenleistung geboten werden, diese soll sich aber am Durchschnittskurs der letzten drei Monate orientieren. Nicht vorgesehen sind dagegen ein am realen Unternehmenswert zu bestimmender Verkehrswert oder die Möglichkeit eines Spruchverfahrens zur gerichtlichen Überprüfung dieses Unternehmenswerts.
Im Fall eines vorherigen Übernahmeangebots würden Minderheitsgesellschafter sogar schlechter gestellt als nach der aktuellen Rechtslage. Der Entwurf verweist sie mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg, der jedoch keine Allgemeinwirkung entfaltet.
Entwurf ignoriert Einflussnahme des Mehrheitsaktionärs
Der schwarz-rote Gesetzgebungsvorschlag folgt einer kapitalmarktrechtlichen Lösung und verweist auf das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG). Einen Anspruch auf eine Gegenleistung sollen die Minderheitsaktionäre zudem nicht haben, wenn innerhalb der letzten 6 Monate ein Übernahme- oder Pflichtangebot abgewickelt wurde. Der Anspruch entfällt nach dem Entwurf ebenfalls, wenn die Aktie auch nach dem Delisting noch an einem regulierten inländischen bzw. organisierten Markt in der EU oder dem Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen ist, soweit dort ein vergleichbares Schutzniveau herrscht.
Dieser Vorschlag übersieht, dass anders als in traditionellen Übernahmesituationen der Angebotsaussteller in aller Regel bereits Mehrheitsaktionär der Zielgesellschaft ist. Er kann insoweit faktisch Einfluss auf das Management des Zielunternehmens ausüben kann. Seine Unabhängigkeit ist nicht mehr gewährleistet und die Neutralitätspflicht des Vorstands gefährdet.
Dies kann insbesondere dazu führen, dass der Mehrheitsaktionär die Informationspolitik der Gesellschaft beeinflusst. Er kann so den Kurs des Unternehmens über Monate künstlich drücken kann, um sich – auf Kosten der Kleinaktionäre einen guten Preis für ein Delisting zu verschaffen.
2/2: Einladung zur Ausbeutung von Minderheitsaktionären
Dazu kommt, dass institutionelle Anleger wie beispielsweise Publikums-Investmentfonds aufgrund ihrer Regulierung beim Delisting gezwungen werden, ihre Aktien zu verkaufen, was einem kalten Squeeze-Out ohne Rechtsschutz gleichkommt.
Der Ausschluss jeglicher Angebotspflicht bei vorhergehenden Übernahmeangeboten wird dazu führen, daß die Kurse dieser Gesellschaften nach dem Vollzug eines Übernahmeangebots drastisch sinken werden. Denn jeder potentielle Kaufinteressent muss mit der unmittelbar bevorstehenden Möglichkeit eines kompensationslosen Delistings rechnen.
In der Folge wird der Aktionär ein Übernahmeangebot nicht mehr mit der gebotenen Gelassenheit auf dessen Angemessenheit überprüfen können. Der Druck zur Annahme des Angebots steigt.
Der Rechtszustand für Kleinaktionäre verschlechtert sich durch den Entwurf sogar drastisch, da in solchen Situationen die derzeit geltenden Mindestfristen entfallen würden, innerhalb derer eine Notierung noch aufrechtzuerhalten ist (an der Frankfurter Wertpapierbörse beispielsweise in der Regel 6 Monate). Der Entwurf lädt internationale Großkonzerne geradezu ein, über diesen Weg die Minderheitsaktionäre inländischer Zielgesellschaften auszubeuten.
Mitentscheidungsrechte "nicht geboten"?
Mitentscheidungsrechte der Aktionäre bei der Frage der Börsennotierung hält der Gesetzgeber für "nicht geboten". Diese seien hinreichend dadurch geschützt, dass ein Erwerbsangebot in Höhe des durchschnittlichen Börsenkurses vorgelegt werden muss.
Dabei übersieht die Koalition, dass Börsenkurse durch Managemententscheidungen und gezielte Informationspolitik im Interesse des Mehrheitsgesellschafters manipuliert werden können.
Oft fehlt dem Markt auch schlicht noch die Kenntnis von wertbildenden Faktoren, und der Großaktionär kann sich einen günstigen Moment für die Maßnahme aussuchen. Sehr oft reflektiert der Börsenkurs daher in keiner Weise den wahren Unternehmenswert. Der Aktionär sollte in die Lage versetzt werden, eine unabhängige Prüfung vornehmen zu lassen.
Ein Entwurf, der nicht nur den Anlegern schaden würde
Wie sollte die Reform stattdessen aussehen? Börsennotierte und nicht börsennotierte AG sind strukturell so verschieden, dass es sinnvoll wäre, einen Börsenrückzug wie einen Formwechsel nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) zu behandeln.
Die Initiatoren des Änderungsvorschlags sehen aber in der Börsennotierung lediglich einen Verwaltungsvorgang, auf den die tatsächlichen Eigentümer keinen Einfluss haben sollen.
Dies ist eine falsche Sicht, da die Entscheidung, sich des Kapitalmarktes zu bedienen, systematisch eine ganz neue Art Gesellschaft erzeugt. Später von den neuen Miteigentümern ohne Mitspracherecht und ausreichende Entschädigung deren Anteile wieder einzusammeln, schadet nicht nur den Anlegern selbst, sondern in erheblichem Maße auch der deutschen Aktienkultur.
Stattdessen: Rechtsschutz wie beim Formwechsel nach dem UmwG
Zumindest sollte der Gesetzgeber in der endgültigen Beschlussfassung die angemessene Gegenleistung nicht am Börsenpreis festmachen, der volatil und beeinflussbar ist, sondern ergänzend auch am Ertragswert des Unternehmens.
Diese Gegenleistung sollte dann auch zwingend durch ein Spruchverfahren überprüfbar gemacht werden. Dessen Entscheidung müsste für alle Aktionäre wirken – auch für solche, die sich nicht aktiv an dem Spruchverfahren beteiligt haben.
Schließlich darf die Gegenleistung nicht bei vorgehenden Übernahme- oder Pflichtangeboten ausgeschlossen werden. Diese Regelung lädt geradezu zum Missbrauch ein.
Beide Seiten, also Unternehmen und Aktionäre, verdienen eine bessere Lösung als die von der Koalition nun vorgelegte. Der Gesetzgeber sollte den Gedanken an eine kapitalmarktrechtliche Lösung insgesamt aufgeben und denselben Rechtsschutz vorsehen, der bei einem Formwechsel nach dem Umwandlungsgesetz gegeben ist. Das ist ein bewährter Standard, für dessen Unterschreitung kein Grund ersichtlich ist.
Prof. Dr. Tim Drygala ist Inhaber des Lehrstuhls für Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Leipzig.
Robert Peres ist Rechtsanwalt und Kanzleiberater in Wiesbaden.
Robert Peres, Gesetzgeber will Börsenrückzug neu regeln: Einladung zur Ausbeutung von Minderheitsaktionären . In: Legal Tribune Online, 07.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16817/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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