Druckversion
Dienstag, 20.05.2025, 03:28 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/bgh-vizr9521-medien-berichterstattung-gericht-strafverfahren-identifikation-persoenlichkeitsrecht
Fenster schließen
Artikel drucken
49116

BGH zur Berichterstattung über Strafverfahren: Klappe, die Dritte

von Martin W. Huff

21.07.2022

Die Kölner Innenstadt mit Groß St. Martin und dem Stapelhaus

Der angeklagte Zahnarzt sei in der "Kölner Innenstadt" ansässig – aber damit noch nicht zu leicht identifizierbar, so der BGH. Foto: Sina Ettmer/stock.adobe.com

Innerhalb kurzer Zeit stärkt der BGH zum dritten Mal die Rechte der Medien. Martin W. Huff analysiert ein aktuelles Karlsruher Urteil, in dem es um Anonymität und Stellungnahme des Angeklagten geht, wenn Medien über Strafverfahren berichten.

Anzeige

Es gehört zu den Kernaufgaben der Medien, über Strafverfahren zu berichten. Dies muss aber nicht grundsätzlich anonym erfolgen, sondern es gelten hier die Umstände des Einzelfalls, hat der BGH nun festgestellt. Und: Vor einer Berichterstattung aus dem Gerichtssaal muss der Angeklagte nicht noch über die dort verhandelten Tatsachen angehört werden. Dies ist das Ergebnis eines jetzt veröffentlichten Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) in einer Auseinandersetzung der Bild-Zeitung mit einem Kölner Zahnarzt (Urt. v. 31.05.2022, Az. VI ZR 95/21).

"Kölner Zahnarzt ein Millionenbetrüger?" So lautete die Überschrift eines Artikels auf bild.de vom 28. Februar 2018. Darin wurde über den ersten Tag der Hauptverhandlung gegen den Zahnarzt (und weitere Angeklagte) berichtet. Der Vorwurf der Anklage, die an diesem Tag verlesen wurde, lautete laut Online-Artikel, dass der Zahnarzt neben seiner eigentlichen Tätigkeit unter anderem zusammen mit seinem Vater eine GmbH gegründet hatte, über die teure Elektronikgeräte zwar eingekauft, aber nicht bezahlt und die dann weiterverkauft wurden. Hinzu kamen weitere Vorwürfe.

Dabei wurden in dem Artikel über den Angeklagten vier Daten mitgeteilt: vollständiger Vorname, abgekürzter Nachname (der erste Buchstabe des richtigen Nachnamens), Alter und die Lage der Zahnarztpraxis in der "Kölner Innenstadt". Die weiteren Angaben zum Verfahren waren zutreffend, es wurde auch deutlich, dass es sich zu diesem Zeitpunkt lediglich um einen Verdacht gehandelt hat und Anklage erhoben worden ist.

Später wurde der Zahnarzt wegen Betrugs, Nötigung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

War der Zahnarzt zu leicht identifizierbar?

Der Zahnarzt sah sich durch den Online-Beitrag in seinen Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt, der Fall landete letztlich vor Gericht. Sein Argument: Durch die veröffentlichten Daten sei unerlaubt identifizierbar gewesen, es hätte nur ihn als Zahnarzt mit diesen weiteren Angaben in der Kölner Innenstadt gegeben. Zudem sei er - wie nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung - vor der Veröffentlichung des Beitrags nicht um eine Stellungnahme gefragt worden. Schon dies mache die Berichterstattung rechtswidrig, sie sei zu unterlassen.

Doch als letzte Instanz folgte der BGH dieser Auffassung in allen Punkten nicht. Der zuständige VI. Zivilsenat stellt in seiner Entscheidung klar, dass die Berichterstattung über den Zahnarzt von Anfang an in Ordnung war. Es müsse eine Abwägung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen mit der Freiheit der Berichterstattung der Medien erfolgen - und diese Abwägung gehe hier zugunsten der Medien, also der Bild-Zeitung, aus. Dafür sprechen nach Ansicht des BGH mehrere Gründe:

Zunächst handele es sich bei dem Strafverfahren gegen den Zahnarzt um einen besonderen Fall, an dem eine Berichterstattungsinteresse bestehe. Der Verdacht gegen den Zahnarzt habe sich auch verdichtet, indem eine von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage von einem Gericht zugelassen worden ist. Zudem sei der Angeklagte nur für einen "beschränkten Kreis" erkennbar gewesen.

Offen lässt der BGH dabei die Frage, wann die Identifizierungsmöglichkeit einen "beschränkten Kreis" verlässt und ob die Bild-Zeitung wegen der Bedeutung des Verfahrens nicht sogar hätte mit vollem Namen berichten dürfen.

Auch ansonsten war der Artikel nach Auffassung des BGH rechtmäßig. Es sei darin deutlich geworden, dass es sich um eine Anklage gehandelt hat, über die noch zu entscheiden war, entsprechend habe keine Vorverurteilung stattgefunden. Zudem habe der Zahnarzt eine gesellschaftlich hervorgehobene Stellung, die eine Berichterstattung erlaube. Eine Stellungnahme des Angeklagten zu den Vorwürfen müsse dabei nicht eingeholt werden, weil im Fall der öffentlichen Gerichtsverhandlung kein Fall der Verdachtsberichterstattung mehr vorliege. Entsprechend durfte so deutlich über den Zahnarzt berichtet werden, schloss der BGH.

Die dritte Leitsatzentscheidung zugunsten der Medien in kurzer Zeit

Bei der Entscheidung des VI. Zivilsenats handelt es sich um die dritte wichtige Leitsatzentscheidung zur Verdachts- und Gerichtsberichterstattung innerhalb weniger Monate. Nach den Urteilen vom 16. November 2021 (Az. VI ZR 1241/20) und 22. Februar 2022 (Az. VI ZR 1175/20) und nun diesem Urteil wird die liberale Linie des BGH sehr deutlich.

Zu begrüßen sind dabei insbesondere die Ausführungen zur Identifizierbarkeit und dazu, dass eine Nachfrage beim Angeklagten nicht erforderlich ist. Die Tatsache, dass jemand vom Freundes- und Bekanntenkreis identifiziert werden kann, reicht damit nicht dafür aus, eine allgemeine (und damit womöglich rechtswidrige) Erkennbarkeit anzunehmen, wie der BGH zu Recht meint. Denn schon die Frage, was unter einer "Praxis in der Kölner Innenstadt" zu verstehen ist, ist nicht eindeutig (und nicht jeder kennt das Alter (s)eines Zahnarztes).

Nicht weniger wichtig stellt der BGH klar, dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht für die Gerichtsberichterstattung aus der laufenden Hauptverhandlung heraus gelten, solange sie sich auf die Wiedergabe der dort verhandelten Tatsachen und Umstände konzentriert. Denn es handelt sich dann um keine klassische Verdachtsberichterstattung mehr, sondern um eine Berichterstattung über ein öffentliches Ereignis, dass so stattgefunden hat.

Eine Anfrage an den Betroffenen - mit dann einzuräumender Frist für die Stellungnahme - würde eine nicht selten tagesaktuelle Gerichtsberichterstattung erheblich erschweren. Hier geht der BGH zu Recht davon aus, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit dem Persönlichkeitsrecht des Angeklagten vorgeht. Außerdem können Angeklagte bzw. Verteidiger jederzeit gegenüber den Medien Stellung zu den Vorwürfen nehmen, sodenn sie möchten.

Allein die Überlegungen des BGH dazu, dass es sich um einen Fall "leichterer Kriminalität" gehandelt hat, scheint bei der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von immerhin fünf Jahren doch eher zweifelhaft. Diese könnte man auch als erhebliche(re) Straftat sehen, die deutlich über einer Alltagskriminalität liegt – und damit der Berichterstattung der Medien in solchen Fällen noch weiter den Rücken stärken.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

BGH zur Berichterstattung über Strafverfahren: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49116 (abgerufen am: 20.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Urheber- und Medienrecht
    • Medien
    • Persönlichkeitsrecht
    • Pressefreiheit
    • Verdachtsberichterstattung
  • Gerichte
    • Bundesgerichtshof (BGH)
Das Bild zeigt einen Dokumentenausschnitt mit rechtlichen Hinweisen und der Überschrift „DIE RECHTSLAGE“ im Kontext einer Analyse. 19.05.2025
Podcast

Belege im AfD-Gutachten / Königreich Deutschland / Entführungsfall Block:

Warum das "Pass­deut­sche"-Gerede der AfD ver­fas­sungs­feind­lich ist

Verfassungsschutz-Bericht zur AfD wurde geleakt – wie überzeugend sind die Belege? “Königreich Deutschland”  verboten – wie entkräftet man Reichsbürger-"Argumente" Dies und mehr in Folge 32 von “Die Rechtslage”. 

Artikel lesen
Stefan Gelbhaar 16.05.2025
Politiker

LG Hamburg bestätigt einstweilige Verfügung:

Par­tei­kol­legin erweckte fal­schen Ein­druck über Kom­mu­ni­ka­tion mit Gelb­haar

Gegenüber dem RBB beschrieb Klara Schedlich die Kommunikation mit Stefan Gelbhaar als einseitig von diesem ausgehend, urteilte das LG Hamburg. Es untersagte ihr diese unzutreffende Darstellung ebenso wie Aussagen zu angeblichen Berührungen.

Artikel lesen
Hände halten ein Buch in die Höhe 15.05.2025
Medien

OLG Frankfurt am Main verneint Unterlassungsanspruch:

Name von Rich­terin darf im Buch "Rechte Richter" stehen

Gerichtsverhandlungen sind ohnehin öffentlich und welche Informationen die Presse verwertet, kann diese immer noch selbst entscheiden. Daher darf im Buch "Rechte Richter" der volle Name einer Richterin genannt werden, so das OLG Frankfurt.

Artikel lesen
Das Bild zeigt Polizisten, die einen Verdächtigen festnehmen, was das Thema der presserechtlichen Auskunft unterstreicht. 15.05.2025
Pressefreiheit

OVG Hamburg zur presserechtlichen Auskunft in Ermittlungsverfahren:

Behörde muss Namen von Straf­ver­tei­di­gern preis­geben

Ermittlungsverfahren sind nicht öffentlich. Doch auch in diesem Verfahrensstadium kann die Presse gegenüber der Staatsanwaltschaft einen Anspruch auf die Nennung der Namen der Verteidiger haben, so das OVG Hamburg.

Artikel lesen
Ursula von der Leyen 14.05.2025
EU-Kommission

EuG gibt der New York Times Recht:

Von der Leyen darf "Pfizer­gate"-SMS nicht ein­fach zurück­halten

Milliardenschwere Impfstoff-Deals, SMS mit einem Konzernchef: Im Prozess um die Herausgabe von Ursula von der Leyens Textnachrichten gibt es ein Urteil aus Luxemburg. Wenn es keine wichtigen SMS geben sollte, müsse das gut begründet werden.

Artikel lesen
Das AfD-Gutachten des BfV ist nun öffentlich 14.05.2025
AfD

AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes:

"Nur für den Dienst­ge­brauch"– und trotzdem auf jedem Bild­schirm

Einige Medien haben die gesamten 1.108 Seiten des AfD-Gutachtens veröffentlicht. Ist das erlaubt? Warum hat der Verfassungsschutz es nicht selbst veröffentlicht? Und warum darf der AfD-Anwalt das Dokument der AfD nur in seiner Kanzlei zeigen?

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für al­le Rechts­be­rei­che

FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG , Ham­burg

Logo von ARQIS
Prak­ti­kan­ten (m/​w/​d) AR­QIS Sum­mer School 2025

ARQIS , Düs­sel­dorf

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Cott­bus

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Neu­rup­pin

Logo von Deutsches Patent- und Markenamt
Voll­ju­ris­tin­nen und Voll­ju­ris­ten (w/m/div)

Deutsches Patent- und Markenamt , Mün­chen

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Deloitte Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Das EU-Geldwäscheprävention-Maßnahmenpaket

28.05.2025

Der Umgang mit Betriebsprüfern und Steuerfahndern

28.05.2025

Logo von Leuphana Universität Lüneburg
Triff Möhrle Happ Luther auf der FOR YOUR CAREER in Lüneburg

27.05.2025, Lüneburg

Krisenland. Finanzielle Restrukturierung durch StaRUG-Verfahren.

05.06.2025, Frankfurt am Main

Logo von Hagen Law School in der iuria GmbH
Fortbildung Sozialrecht im Selbststudium/ online

30.05.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH