Der TÜV Rheinland haftet nicht für die fehlerhaften Silikonimplantate von PIP. Prüfinstitute müssen ihre internen Abläufe dennoch beleuchten, empfiehlt Kirsten Plaßmann. Bei Medizinprodukteherstellern würden unangekündigte Audits zur Regel.
Eine Frau, die sich in Deutschland Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) hat einsetzen lassen, hat mit ihrer Klage gegen den TÜV Rheinland auch in der Revisionsinstanz keinen Erfolg.
Nachdem im Jahr 2010 die zuständige französische Überwachungsbehörde festgestellt hatte, dass PIP minderwertiges Industriesilikon für die Herstellung der Brustimplantate verwendete, hatte sich die Frau zwei Jahre später ihre Brustimplantate entfernen lassen. Verklagt hatte sie nach zwischenzeitlicher Insolvenz von PIP daraufhin den TÜV Rheinland, der als sog. benannte Stelle für die Überwachung des französischen Implantate-Herstellers zuständig war.
Sie begehrte Schmerzensgeld von mindestens 40.000 Euro sowie die Feststellung, dass der TÜV Rheinland auch zum Ersatz künftig entstehender materieller Schäden verpflichtet ist. Es war ein langer Gang durch die Instanzen bis hin zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Nun hat der BGH entschieden. Der TÜV Rheinland war nicht verpflichtet, unangemeldete Inspektionen bei PIP durchzuführen, Produktprüfungen vorzunehmen und/oder Geschäftsunterlagen des Unternehmens zu sichten. Und so gab es keine Pflichtverletzung, aufgrund derer er für den Schaden der betroffenen Patientin hätte aufkommen müssen.
Von der Pfalz bis nach Brüssel
Das in erster Instanz zuständige Landgericht Frankenthal (Pfalz) hatte mit Urteil vom 14. März 2013 (Az. 6 O 304/12) die Klage der Frau abgewiesen. Auch ihre Berufung wies das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken zurück (Urt. v. 30.01.2014, Az. 4 U 66/13). Daraufhin legte sie Revision zum Bundesgerichtshof ein.
Ihren Anspruch begründete die Patientin insbesondere damit, dass der TÜV Rheinland als für die Überwachung des Brustimplantate-Herstellers zuständige benannte Stelle unangemeldete Inspektionen sowie eine Produktprüfung hätte durchführen müssen. Darüber hinaus hätte sich der TÜV die Geschäftsunterlagen ansehen müssen. Dann, so die Betroffene, wäre die Verwendung des schadhaften Industriesilikons bei der Herstellung der Brustimplantate aufgedeckt und so der Verkauf der minderwertigen Produkte verhindert worden.
Die Richter des 7. Zivilsenats legten daraufhin mit Beschluss vom 9. April 2015 (Az. VII ZR 36/14 ) dem EuGH die Frage vor, ob eine schuldhafte Pflichtverletzung der mit der Prüfung und Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III zur direkten Haftung der benannten Stelle gegenüber dem betroffenen Patienten führen kann.
2/2: EuGH: Benannte Stelle überwacht zum Schutz der Patienten
Die Luxemburger Richter bejahten das im Grundsatz (Urteil vom 16.02.2017, Az. C-219/15) im Grundsatz. Eine benannte Stelle werde im Rahmen ihrer Überwachungstätigkeiten unter dem Medizinprodukterecht zum Schutz der Patienten tätig. Unter welchen Voraussetzungen eine Haftung der benannten Stelle in Betracht kommt, sei jedoch im Einzelfall anhand des nationalen Rechts zu entscheiden.
Auch eine weitere Frage des BGH beantwortete der EuGH positiv: Aus den Vorgaben der Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG ergebe sich eine generelle oder aber zumindest anlassbezogene Prüfungspflicht der benannten Stelle, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete Inspektionen sowie eine Produktprüfung durchzuführen.
Aber hier machten die Luxemburger Richter – zustimmungswürdige – Einschränkungen: Eine benannte Stelle ist nach dem Grundsatzurteil nur dann zu einer konkreten Produktprüfung, Sichtung der Geschäftsunterlagen und Durchführung unangemeldeter Inspektionen verpflichtet, wenn sie konkrete Hinweise darauf hat, dass ein Medizinprodukt den Anforderungen der Richtlinie möglicherweise nicht entsprecht. (Erst) dann muss die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihrem Prüfauftrag nachkommen zu können.
BGH verneint Pflichtverletzung des TÜV
Mit seinem Urteil vom Mittwoch hat der 7. Zivilsenat des BGH die Revision der Betroffenen zurückgewiesen. Die Bundesrichter urteilten, dass die Feststellungen des OLG Zweibrücken nicht zu beanstanden sind. Danach war der TÜV Rheinland im Fall PIP nicht verpflichtet, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produktprüfungen vorzunehmen und/oder Geschäftsunterlagen des Unternehmens zu sichten.
Auch die Senatsrichter gingen davon aus, dass der TÜV keine Hinweise darauf hatte, dass PIP bei der Herstellung von Brustimplantaten möglicherweise entgegen den Vorgaben der Medizinprodukterichtlinie minderwertiges Silikon einsetzte.
Was das für benannte Stellen bedeutet
Auch wenn der TÜV Rheinland seinem Überwachungsauftrag nach Auffassung des BGH ordnungsgemäß nachgekommen ist: Das klare Urteil des EuGH bleibt. Benannte Stellen sollten ihre internen Abläufe und Prozesse genau unter die Lupe nehmen und sie erforderlichenfalls auf die vom EuGH aufgestellten Anforderungen umstellen.
Eine Anpassung der Prozesse ist auch mit Blick auf die am 25. Mai 2017 in Kraft getretene Europäische Medizinprodukteverordnung 745/2017/EU angezeigt. Danach müssen die derzeit noch existierenden 58 benannten Stellen eine Re-Akkreditierung beantragen. Im Zuge der Re-Akkreditierung werden die benannten Stellen auditiert. Eine erste Überprüfung von benannten Stellen ist sechs Monate nach Inkrafttreten der Medical Device Regulation (Verordnung (EU) Nr. 745/2017 – MDR), also ab dem 26. November 2017, vorgesehen. Es war der Brustimplantate-Skandal im Jahr 2013, den die Europäische Kommission zum Anlass für eine Empfehlung nahm (2013/473/EU vom 24. September 2013), die verbindlich vorsah, dass die benannten Stellen bei der Herstellung von Medizinprodukten mit CE-Kennzeichnung mindestens alle drei Jahre ein unangekündigtes Audit durchzuführen haben.
Unter der MDR sind die benannten Stellen nun verpflichtet, mindestens einmal in fünf Jahren ein unangekündigtes Audit durchzuführen. So sollen sie sicherstellen, dass der Hersteller seine Produkte weiterhin in Übereinstimmung mit den geltenden Regularien und seinem Qualitätsmanagementsystem herstellt. Die benannte Stelle hat im Rahmen eines solchen Audits ein geeignetes Prüfmuster aus der Produktion zu ziehen und dieses auf Übereinstimmung mit den Angaben in der technischen Dokumentation des Herstellers zu prüfen. Auf die unangekündigten Audits sollten sich nicht nur die benannten Stellen, sondern auch die Medizinproduktehersteller sowie andere Wirtschaftsakteure innerhalb der Lieferkette einstellen.
Die Autorin Dr. Kirsten Plaßmann ist Rechtsanwältin und Partner bei Kleiner Rechtsanwälte am Standort Stuttgart. Sie ist spezialisiert auf die Beratung von Mandanten zum Arzneimittel-, Medizinprodukte-, Lebensmittel- und Kosmetikrecht und vertritt Unternehmen in streitigen Verfahren, z. B. gegenüber Wettbewerbern und Behörden.
Dr. Kirsten Plaßmann, Kein Schmerzensgeld für fehlerhafte Silikonimplantate: BGH sieht keine Pflichtverletzung des TÜV Rheinland . In: Legal Tribune Online, 23.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23270/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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