Der BGH hat Claudia Pechsteins Klage als unzulässig abgewiesen, die Einrede der Schiedsvereinbarung steht ihr entgegen. Eine bittere Niederlage. Aber eine richtige Entscheidung, kommentiert Jens Adolphsen.
Claudia Pechstein verlangte von der International Skating Union (ISU) Schadensersatz, weil sie aus ihrer Sicht zu Unrecht für zwei Jahre wegen Dopings gesperrt worden war. Bei den Weltmeisterschaften 2009 in Norwegen waren erhöhte Retikulozytenwerte nachgewiesen worden, die ISU verhängte allein auf dieser Grundlage gegen Pechstein eine zweijährige Sperre.
Pechstein rief daraufhin vorbehaltlos das internationale Sportschiedsgericht Court of Arbitration for Sport (CAS) an und scheiterte dort. Zwei Verfahren vor dem schweizerischen Bundesgericht blieben erfolglos, der Schiedsspruch war damit rechtskräftig.
Aber die 44-Jährige gab nicht auf. Sie erhob Klage zum Landgericht (LG) München I und verlangte Ersatz ihres materiellen Schadens und ein Schmerzensgeld. Das LG wies im Jahr 2014 die Klage ab.
Eine kleine Sensation vor dem OLG München
Das Oberlandesgericht (OLG) München aber sorgte im vergangenen Jahr für eine kleine Sensation: Es erließ in der Berufung ein Teilurteil und war der Ansicht, dass die Klage der Sportlerin zulässig sei: Die Schiedsvereinbarung verstoße gegen Kartellrecht und sei deshalb nichtig.
Schon das OLG betonte aber, dass das Verlangen einer Schiedsvereinbarung durch den Ausrichter von internationalen Sportwettkämpfen nicht per se einen Missbrauch von Marktmacht darstelle. So verhindere die Gewährleistung einheitlicher Zuständigkeit und Verfahrensgestaltung, dass in gleichen Fällen unterschiedliche Entscheidungen ergehen.
Mit dem Verlangen einer Schiedsvereinbarung konkret zugunsten des Court of Arbitration for Sport (CAS) habe die ISU aber ihre Marktmacht gegenüber der Klägerin missbräuchlich ausgenutzt. Denn den Sportverbänden komme durch die einseitige Ausgestaltung der Schiedsrichterbestellung ein strukturelles Übergewicht bei der Zusammensetzung des konkreten Schiedsgerichts zu.
Der Bundesgerichtshof (BGH) ist dem zu Recht nicht gefolgt. Der Kartellsenat konnte keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung erblicken, die Einrede der Schiedsvereinbarung steht damit der Zulässigkeit von Pechsteins Klage entgegen (BGH, Urt. v. 07.06.2016, Az. KZR 6/15).
BGH: Der CAS als echtes Schiedsgericht
"Der Internationale Sportgerichtshof CAS ist ein echtes Schiedsgericht", begründete die Vorsitzende Bettina Limperg am Dienstagmorgen in Karlsruhe die Entscheidung des Kartellsenats.
Vergleichbare Entscheidungen hatten schon schweizerische, aber u.a. auch australische Gerichte erlassen.
Trotzdem war in Deutschland gelegentlich das Gegenteil behauptet worden, z.T. aus prozesstaktischen Gründen, z.T. auch aus schlichter Unwissenheit. Diese Feststellung wird in der Zukunft wichtig werden, um vielen verunsicherten Athleten das Vertrauen in schiedsrichterliche Entscheidungszuständigkeit zurück zu geben.
Die ISU ist nach Ansicht des BGH zwar bei der Veranstaltung von internationalen Eisschnelllaufwettbewerben marktbeherrschend. Aber in ihrem Verlangen nach Abschluss einer Schiedsabrede, welche die ausschließliche Zuständigkeit des CAS vorsieht, erkennt der Kartellsenat kein missbräuchliches Verhalten des Verbands.
Trotz der Liste für die Schiedsrichter-Auswahl
Der Einordnung als echtem, unabhängigen Schiedsgericht steht nicht entgegen, dass Schiedsrichter vor dem CAS von einer dort geführten Liste ausgewählt werden müssen, die Beteiligten also ihren Schiedsrichter nicht frei wählen können. Aus dieser Liste wählen sowohl der jeweilige Sportverband, hier der ISU, als auch der betroffene Athlet je einen Schiedsrichter aus, den Vorsitzenden bestimmt der Präsident der Beschwerdekammer. Die Liste umfasst aktuell ca. 300 Personen und soll vor allem die Qualität der Schiedssprüche sichern.
Dem Kartellsenat reicht das – auch wenn eine so umfassende Liste dieses Ziel wohl kaum erreichen kann, weshalb in Deutschland das Deutsche Sportschiedsgericht gerade seine Verfahrensregeln geändert hat.D ie dortige Schiedsrichterliste ist seit dem 1. April 2016 ein reiner Vorschlag.
Auch die Zusammensetzung des Gremiums, das für die Aufstellung der Schiedsrichterliste verantwortlich ist, des International Council of Arbitration for Sport (ICAS), führt laut den BGH-Richtern nicht zu einer anderen Einschätzung. Die Sportverbände hätten gerade kein strukturelles Übergewicht bei der Besetzung des konkreten Schiedsgerichts.
2/2: Kein Übergewicht der Verbände im ICAS
Das OLG München hatte genau diese Zusammensetzung des ICAS beanstandet, obwohl der ICAS eben nicht unmittelbar für die Zusammensetzung des entscheidenden Panels zuständig ist, sondern nur für die Aufstellung der Schiedsrichterliste.
Einen derartigen Ansatz hatte es bis dahin in der deutschen Rechtsprechung zur Schiedsgerichtsbarkeit noch nicht gegeben. Das OLG München hatte hier, offenbar ohne das zu merken, komplett Neuland betreten. Bisher gab es die Diskussion immer um die paritätische Besetzung des Panels, aber nicht des Gremiums, das eine Liste aufstellt.
Ein verbleibendes Übergewicht der Verbände im ICAS werde, so die Karlsruher Richter, vor allem durch die Verfahrensordnung des CAS ausgeglichen, die eine hinreichende individuelle Unabhängigkeit und Neutralität der Schiedsrichter gewährleiste. Der CAS hat 2016 dieses Übergewicht der Sportverbände zudem reduziert, indem er jetzt für die Schiedsrichterliste auch Personen berücksichtigt, die von den Athletenvertretungen des IOC, der Nationalen Olympischen Komitees und der Internationalen Sportverbände vorgeschlagen werden.
Die Freiwilligkeit der Schiedsvereinbarung
Etwas überraschend betont der BGH, dass Pechstein die Schiedsvereinbarung freiwillig unterschrieben hat, obwohl sie ohne Unterzeichnung nicht an der WM hätte teilnehmen können. Dass sie insofern frembestimmt gehandelt habe, führe nicht zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung. Vielleicht hätte man einfach sachlich gerechtfertigten Zwang annehmen können.
Die nachfolgenden Ausführungen zur sachlichen Rechtfertigung sind dann aber das Herzstück der Entscheidung, deren schriftliche Gründe man mit Spannung erwarten darf: Der Justizgewährungsanspruch Pechsteins und ihr Recht auf freie Berufsausübung sei gegen die Verbandsautonomie der ISU abzuwägen. Pechstein habe die Möglichkeit gehabt (und genutzt), schweizerische Gerichte anzurufen. Ein Anspruch auf Zugang gerade zu deutschen Gerichten bestehe nicht.
Damit vermeidet der BGH eine Nationalisierung globaler Sachverhalte, welche die Einheitlichkeit der globalen Sportausübung beendet hätte. Im Grunde sagt der Kartellsenat, wenn jemand global Sport treibt, kann er auch im Ausland klagen und nicht vor Heimatgerichte ziehen. Das ist richtig, man male sich nur ein vergleichbares Verfahren vor russischen, jamaikanischen oder ähnlichen Gerichten aus.
Verbände und Sportler sitzen in einem Boot
Mindestens ebenso wichtig sind die Aussagen aus Karlsruhe zum Verhältnis von Sportlern und Verbänden: Diese stehen sich nicht als von grundsätzlich gegensätzlichen Interessen geleitete Lager gegenüber. Vielmehr entspricht die weltweite Bekämpfung des Dopings sowohl den Interessen der Verbände als auch denen der Athleten.
Das OLG war noch von einer Blockbildung ausgegangen, die auch von Pechstein und ihren Prozessvertretern besonders in den Vordergrund gestellt worden war.
Die simple Vorstellung von Verbänden auf der einen und Sportlern auf der anderen Seite mit jeweils in ihrer Rolle homogenen, aber im Verhältnis zueinander gegensätzlichen Interessen, ist unzutreffend. Die Interessenlagen sind zu vielschichtig, um sie mit der einfachen Vorstellung von Beherrschenden und Beherrschten zu erfassen.
Ein Sieg für die Sportgerichtsbarkeit
Ob Claudia Pechstein den Kampf vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte fortführt, wird die Zukunft zeigen.
Mit der Deutschen hat eine Athletin verloren, die wohl zu Unrecht gesperrt wurde. Gewonnen hat ein grundsätzlich notwendiges System der weltweiten, einheitlichen Sportschiedsgerichtsbarkeit, das sich aber auch eingestehen muss, dieses (wahrscheinliche) Fehlurteil des CAS hervorgebracht zu haben.
Im Verfahren vor deutschen Gerichten sind auch strukturelle Mängel der Sportschiedsgerichtsbarkeit aufgedeckt worden, die zum Teil schon abgestellt wurden, zum anderen Teil aber noch abgeschafft werden müssen. Der Reformwille, einen Ausgleich zwischen den Interessen von Athleten und Verbänden zu finden, darf nicht einfach mit der Rechtskraft dieses Urteils enden.
Der Autor Prof. Dr. Jens Adolphsen ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Nationales und Internationales Zivilverfahrensrecht und Sportrecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Prof. Dr. Jens Adolphsen, Pechsteins Klage: Ganz einfach: unzulässig wegen Schiedseinrede . In: Legal Tribune Online, 07.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19575/ (abgerufen am: 28.09.2023 )
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