Nach dem Streik ist vor dem Streik. Weil das auf Dauer nicht nur ärgerlich, sondern auch teuer ist, veröffentlichen wir an dieser Stelle noch einmal die bereits vor einigen Wochen erschienene Übersicht zu Fahrgastrechten von Ernst Führich.
Die Basis einer jeden Bahnfahrt ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB): Mit dem Erwerb der Fahrkarte schließt der Reisende mit der Bahn schlicht einen Beförderungsvertrag im Sinne eines Werkvertrages nach §§ 631 ff. BGB ab.
Die Haftung der Bahn allerdings richtet sich bei Zugausfällen, Verspätungen und sonstigen Versäumnissen nach den spezielleren Regelungen der Fahrgastrechte-Verordnung VO (EG) Nr. 1371/2007 für den Fernverkehr und § 17 Eisenbahnverkehrsordnung (EVO) für den Nahverkehr.
Beide Regelungen sehen indes nur eine Fahrpreiserstattung und standardisierte Hilfeleistungen vor. Ergänzt werden diese Vorschriften durch die Tarife der konkreten Beförderungsbedingungen des jeweiligen Bahnunternehmens.
Nicht einschlägig ist naturgemäß die Fluggastrechte-Verordnung Nr. 261/2004, wobei die daraus folgenden unterschiedlichen Rechtsfolgen im Einzelfall zu einer nur schwer nachvollziehbaren Begünstigung der Bahn gegenüber Flugunternehmen führen.
Eine Selbstbefreiung von der Entschädigung bei Streik oder sonstiger höherer Gewalt, etwa durch die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen, ist entsprechend der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache ÖBB (v. 26.09.2013, Az. C-509/11) nicht denkbar. Vor diesem Urteil war die herrschende Meinung von einem Ausschluss der Haftung bei unvermeidbaren, außerhalb des Eisenbahnbetriebs liegenden Umständen, wie außergewöhnliche Wetterbedingungen wie Schnee, Naturkatastrophen, Kriegshandlungen, Terrorakte, Streiks, Verschulden des Fahrgasts oder unvermeidbares Verhalten eines Dritten (Suizide) ausgegangen. Diese Auffassung ist mit dem Urteil des EuGH allerdings überholt.
2/3: Entschädigung oder Erstattung – was ist mit den Ticketkosten?
Geld gibt es schon, wenn eine Verspätung sich klar abzeichnet – der Bahnkunde muss dann gar nicht erst losfahren. Ist eine Verspätung von mehr als 60 Minuten am Zielort absehbar, kann der Kunde die Fahrt abbrechen und eine Erstattung des Fahrpreises für den nicht geführten Teil der Reise verlangen. Oder er fährt zum Abfahrtsort zurück und erhält das Geld für die Fahrkarte zurück (Art. 16 lit. b und c VO).
Eine Entschädigung von mindestens 25 Prozent des Fahrpreises zahlt die Bahn bei einer Verspätung von 60 bis 119 Minuten, 50 Prozent des Fahrpreises gibt es ab einer Verspätung von 120 Minuten. Entscheidend für die Berechnung ist die Ankunft am Zielort. Der Aufpreis für den ICE-Sprinter wird bereits ab 30 Minuten Verspätung erstattet.
Die Nutzung anderer, auch teurerer Züge auf der Strecke ist ohne Zuschläge erlaubt, wenn der Reisende eine Verspätung von mindestens 20 Minuten zu erwarten hat. Das gilt auch für Reisende, die sich mit einem Sparpreis ursprünglich auf einen bestimmten Zug festgelegt hatten - allerdings nur dann, wenn damit eine geringere Verspätung zu erreichen ist. Nur regionale Angebote wie das Bayern-Ticket oder reservierungspflichtige Züge sind ausgenommen.
Sonderregelungen gibt es für Kunden mit Monats- oder Jahreskarten. Deren Entschädigung ist in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Eisenbahnunternehmen geregelt. Bei Zeitkarten im Nahverkehr gibt es in der zweiten Klasse 1,50 Euro Entschädigung. Im Fernverkehr werden pauschal fünf Euro gezahlt. Grundsätzlich werden bei Zeitkarten maximal 25 Prozent des Fahrkartenwerts erstattet. Allerdings zahlt die Bahn Entschädigungen erst ab einer Bagatellgrenze von vier Euro aus. Daher müssen Fahrgäste mit Zeitkarten im Nahverkehr mindestens drei Verspätungen von mindestens 60 Minuten im Gültigkeitszeitraum der Fahrkarte einreichen, um eine Entschädigung zu erhalten. Zuständig für die Erstattungen sind die DB Reisezentren, den DB Agenturen und bei online-Buchungen www.bahn.de mit dem Fahrgastrechte-Formular.
3/3: Essen, Trinken, Hotel, Taxi, Storno – wie sieht es mit Folgekosten aus?
Ab 60 Minuten Verspätung steht dem Reisenden darüber hinaus die Versorgung mit Essen und Trinken bzw. entsprechenden Gutscheinen zu, allerdings in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit.
Einen geringen Schadensersatz gibt es zudem nach der EU-VO, wenn die Fortsetzung der Reise nicht am selben Tag bis 24 Uhr möglich oder unzumutbar ist. Die Entschädigung umfasst nur die dem Reisenden im Zusammenhang mit der Übernachtung und mit der Benachrichtigung der ihn erwartenden Personen entstandenen angemessenen Kosten bis 80 Euro. Vorrang hat die Übernachtung, welche die Bahn organisiert.
Ob die Bahn bei Fällen von Streik bzw. höherer Gewalt auch auf solche Folgeschäden haftet, steht nicht zweifelsfrei fest. Die eingangs erwähnte Entscheidung des EuGH betraf lediglich die Rückerstattung von Fahrtkosten. Überwiegend werden die dort aufgestellten Grundsätze jedoch auch auf weitere Schadenspositionen angewendet.
Grundsätzlich kann der Reisende kein anderes Verkehrsmittel wie einen Fernbus, Mitfahrzentralen, Mietwagen, Taxi oder Flugzeug auf Kosten der Bahn benutzen. Eine Ausnahme besteht dann, wenn die planmäßige Ankunftszeit zwischen 0 und 5 Uhr liegen wird. Die Bahn erstattet auch dann aber maximal 80 Euro.
Keine Entschädigung gibt es, wenn Bahnkunden ihre Anschlussflüge verpassen oder ihre gebuchten Hotels nicht oder erst später nutzen können. Dieses Wegerisiko trägt der Reisende selbst; es gibt nach der EU-VO keine Entschädigung für Folgeschäden wie Stornokosten einer Pauschalreise oder eines Fluges.
Der Autor Prof. Dr. Ernst Führich beschäftigt sich seit über 25 Jahren im Schwerpunkt mit Reiserecht und ist Verfasser des Standardwerkes "Reiserecht", das im Frühjahr 2015 in 7. Auflage völlig überarbeitet neu erschienen ist. Er informiert über aktuelle Entwicklungen im Reiserecht unter www.reiserecht-fuehrich.de.
Prof. Dr. Ernst Führich, Fahrgastrechte beim Bahnstreik: Wartezeit ist Geld . In: Legal Tribune Online, 20.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15451/ (abgerufen am: 23.09.2023 )
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