Gesetzentwurf zum autonomen Fahren: Drum prüfe, was der Hersteller findet

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Wie autonom darf ein Kraftfahrzeug agieren? Der deutsche Gesetzentwurf bürdet Fahrer und Hersteller Haftung auf, und gibt beiden allenfalls Leitplanken mit, erklärt Malte Grützmacher.
Der erste bekannt gewordene Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, der LTO vorliegt, soll das vollautonome Fahren in Deutschland noch gar nicht ermöglichen. Gleichwohl stößt das nach LTO-Informationen noch nicht einmal innerhalb der Bundesregierung abgestimmte Papier, das Ende Dezember bekannt wurde, die Tür in Richtung autonomes Fahren auf. Es schafft einen wirtschafts- und rechtspolitisch interessanten, aber im Zweifel auch nicht unumstrittenen Kompromiss. Der Entwurf wagt einen ersten Schritt in Richtung Autonomie und modelliert dafür neue Haftungskonzepte.
Allerdings dürfte auf dieser Basis allenfalls ein halbautonomes Fahren erlaubt sein, was dem derzeitigen Stand der Technik entsprechen mag. Weder Hersteller noch Fahrer können sich aber darauf verlassen, auf Basis des Entwurfes nicht in eine weitgehende Haftung zu geraten, wenn sie sich auf den jeweils anderen verlassen. So würde es, würde der Entwurf so Gesetz, absehbar eines Tages einer weiteren Gesetzesänderung bedürfen, um ein autonomes Fahren wirklich möglich zu machen.
Autonome Fahrsysteme: zwar zulässig, aber nur begrenzt
So enthält der Gesetzesentwurf zwei wesentliche Beschränkungen für die Zulässigkeit des autonomen Fahrens: Zum einen soll das autonome Fahren nur in dem Rahmen zulässig sein, wie es der Fahrzeughersteller vorgesehen hat.
Der Entwurf nimmt Bezug auf die "bestimmungsgemäße Verwendung" der hoch- beziehungsweise vollautomatisierten Fahrfunktionen. Diese Ausrichtung der Pflichten, die eine mögliche Haftung begründen können, an der Einsatzbeschreibung des Herstellers ist aus anderen Regelungsmaterien bekannt. Auch das Produktsicherheits- und das Produkthaftungsrecht unterstellen, dass Produkte beziehungsweise Geräte nur bestimmungsgemäß benutzt werden - wenn nicht, kann sich der Hersteller mitunter exkulpieren. Insoweit hätte es nach dem aktuellen Entwurf der Fahrzeughersteller bis zu einem gewissen Grad in der Hand, über den Umfang des autonomen Fahrens privatautonom zu entscheiden.
Das ergibt Sinn, weil er am ehesten wissen kann, inwieweit "seine" Technologie wirklich autark entscheiden sollte oder kann. Andererseits wird dadurch das Risiko seiner möglichen Haftung verstärkt – nämlich namentlich dann, wenn er eine zu weitgehende autonome Nutzung zulässt, die dann etwa zu Unfallsituationen führt.
Der Fahrzeughersteller als Ersatzgesetzgeber?
Mit Blick auf die Anknüpfung an die bestimmungsgemäße Verwendung ist der Entwurf zwar einerseits komplementär zum Haftungskonzept des Produktsicherheits- und das Produkthaftungsrechts. Andererseits wird der Fahrzeughersteller – und das ist eine Besonderheit – aber zu einer Art Ersatzgesetzgeber für den Straßenverkehr. Er ist es, der festlegt, welche Funktionen (noch) bestimmungsgemäß verwendet werden. Doch wie weit dürfen sich Fahrzeughersteller auf dieser Basis in Richtung eines wirklich vollautonomen Fahrens vortasten?
Was genau ist noch eine hoch- oder vollautomatisierte Fahrfunktion, was hingegen das autonome Fahren, das das Ministerium mit dem Entwurf offenbar noch nicht „freigeben" will? Der Hersteller wird, um weiteren Haftungsrisiken entgegenzuwirken, außerdem gehalten sein, eine möglichst präzise Dokumentation der bestimmungsgemäßen Verwendung für jedes seiner Fahrzeuge zu liefern.
Dann wird sich auch zeigen, was dem Verbraucher einerseits zuzumuten ist und was er andererseits de facto überhaupt liest und ab wann der Hersteller wegen einer unzureichenden Dokumentation in die Haftung geraten kann. Der Verbraucher wird sich darauf einstellen müssen, dass die bestimmungsgemäße Verwendung von einem Fahrzeug zum anderen unterschiedlich sein kann, eben je nach der Beschreibung des Herstellers.
2/2: Der Fahrer soll jederzeit wieder übernehmen können
So oder so ist der Fahrer nicht von der Pflicht insbesondere zur Überwachung entbunden. Er muss, anders als nach LTO-Informationen zuerst vorgesehen war, nach dem Entwurf die Fahrzeugführung wieder übernehmen – nämlich unverzüglich, sobald das hoch- oder vollautomatisierte System ihn dazu auffordert, wenn er technische oder sonstige Störungen des Systems erkennt oder erkennen müsste oder wenn er erkennt oder erkennen müsste. Und ebenso dann, wenn "die Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung […] nicht mehr vorliegen" beziehungsweise "die Übernahme der Fahrzeugführung zum Zweck der Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften erforderlich ist".
Kurzum: Der Fahrer wird, anders als im Vorentwurf, nicht aus der Verantwortung entlassen. Ihn trifft letztlich eine Art Überwachungspflicht vergleichbar mit der eines Fahrlehrers, wodurch das vollautomatisierte Fahren – ob zu Unrecht oder Recht – auch rechtlich auf halber Strecke stehen bleibt.
Zu erwarten ist, dass über diese Pflichten des Fahrers beziehungsweise Verstöße gegen diese trefflich gestritten werden kann. Denn nicht nur muss er ständig konzentriert sein, um das System jederzeit unaufgefordert wieder übernehmen zu können. Die sich stellenden Fragen liegen auf der Hand: Wann handelt er dann schuldhaft? Wie viele Sekunden darf er vergehen lassen, um selber zu übernehmen, und wie lässt sich der Verstoß nachweisen?
Was muss der Fahrer der Zukunft erkennen?
Es fragt sich auch, was er erkennen kann und muss. Und auch hier wird der Beweis schwierig. Dabei sind technische Störungen des Systems das eine, die Erkenntnis darüber, wann die Voraussetzungen für die bestimmungsgemäße Verwendung aber nicht mehr vorliegen beziehungsweise straßenverkehrsrechtliche Vorschriften vorgehen, das andere.
Letztlich darf der Fahrer also zwar die Hand vom Steuer nehmen. Ob er aber wirklich ein autonomes Fahren des Fahrzeuges zulassen darf und inwieweit, müssten auf Basis des vorliegenden Entwurfs letztlich die Gerichte entscheiden. Zumindest fahrerlose Parksysteme werden aber weitgehend erlaubt.
Befürchtet wird, dass ein vollautomatisiertes Fahren zu höheren Schäden führen kann, so dass die Haftungsbegrenzung für die Gefährdungshaftung des Halters um 100 Prozent erhöht wird. Das wird im Bereich der Kfz-Versicherung im Zweifel nicht ohne Folgen bleiben.
Kein vollautomatisiertes Fahren ohne Datenverarbeitung
Weiter sorgt der Entwurf dafür, dass beim hoch- und vollautomatisierten Fahren zahlreiche Daten anfallen und auch an Behörden übermittelt werden; nur so soll es möglich sein, den Fahrer nicht vorschnell aus der Haftung für Unfälle zu entlassen. Die Ausrede, das Fahrzeug sei gefahren, soll ihm abgeschnitten werden.
Dazu schafft der Entwurf spezifische datenschutzrechtliche Regelungen, die erst beweisen müssten, dass sie sich in das Konzept der deutschen Landes- und Bundesdatenschutzgesetze beziehungsweise ab 2018 in das europäische Datenschutzrecht (DSGVO) integrieren lassen.
Soweit beim (teil-)autonomen Fahren aufgezeichnete Daten in größerem Umfang auf deren Verlangen an die nach Landesrecht für die Überwachung des Straßenverkehrs zuständigen Behörden zu übermitteln sind, muss man zudem nach der Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht fragen. Es bleiben Fragen offen, auch wenn die zu übermittelnden Daten nur erfassen sollen, ob der Fahrzeugführer oder das System gefahren, der Fahrer zur Übernahme aufgefordert worden beziehungsweise diesem eine Störung gemeldet worden ist, und die Übermittlung nur erfolgen darf, soweit es für den Zweck der Feststellung im Zusammenhang mit der eingeleiteten Kontrolle durch die Behörden erforderlich ist.
Muss auch Datenschutz können: der Straßenverkehrsanwalt der Zukunft
Sofern mit Hilfe der übermittelten Daten Unfallsituationen aufgeklärt werden sollen, wird es nicht bei den im Entwurf ausdrücklich angesprochenen Daten bleiben können. Vielmehr wird es dann auch um Positionsdaten und Zeitangaben gehen.
Zudem sieht das Gesetz vor, dass die Daten gegebenenfalls sogar Dritten zur Geltendmachung, Befriedigung oder Abwehr von Rechtsansprüchen zugänglich gemacht werden dürfen, soweit dies im Zusammenhang mit einem in § 7 Abs. 1 StVG geregelten Ereignis erforderlich ist. Der Straßenverkehrsrechtsanwalt wird sich in Zukunft also auch mit Datenschutz befassen müssen.
Auch wenn es naheliegen mag, sich an der Verjährung deliktischer Ansprüche zu orientieren, erscheint es problematisch, dass die aufgezeichneten Daten bis zu drei Jahre vorgehalten werden sollen. In Zeiten der einschränkenden Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung und in Ansehung der Tatsache, dass die deutschen Datenschutzbehörden Bewegungsprofilen auf Basis von Fahrzeugdaten äußerst skeptisch gegenüberstehen, ist ein solcher Angang des Gesetzgebers zumindest mutig.
Der Autor Dr. Malte Grützmacher ist Rechtsanwalt und Partner bei CMS in Deutschland und Fachanwalt für IT-Recht. Einer seiner weiteren Tätigkeitsschwerpunkte liegt im Datenschutzrecht.