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Religionsrecht: Mit Gott gegen den Wehr­di­enst

21.10.2018

Bundeswehr Uniform und Deutschland-Aufnäher

©  Jörg Hüttenhölscher-stock.adobe.com

Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 ist es nur Rechtsgeschichte: Indem Männer um den wehrrechtlichen Rang als Lama, Pionierprediger oder Scientology-Geistlicher stritten, klärten sie den Status von Religion in der offenen Gesellschaft.

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Wann immer man zu viele Menschen eines Geschlechts zu lange unter sich lässt, produzieren sie erfahrungsgemäß besonders reiche Statuskonflikte:

Als im Herbst 1918 die k.u.k. Doppelmonarchie Österreich-Ungarns zusammenbrach, nahmen nicht nur die schier endlosen Verfassungs- und Finanzkonflikte zwischen dem böhmischen und ungarischen Teil des Reichs und der Wiener Zentrale ein Ende. Es endete auch ein in seiner frühen Pluralität kurios anmutendes Phänomen in den imperialen Streitkräften: Neben Militärgeistlichen der wahren römisch-katholischen Lehre standen den Soldaten auch Seelsorger des evangelischen, des griechisch-orthodoxen und griechisch-katholischen Bekenntnisses zur Verfügung, zudem natürlich auch Feldrabbiner und Feldimame.

Namentlich die Geistlichen der kleineren Bekenntnisse hatten während der vier Kriegsjahre nicht allein damit zu tun gehabt, um hinreichende Beachtung religiöser Bedürfnisse ihrer Glaubensangehörigen zu kämpfen – so etwa mit Blick auf Feiertage und die Versorgung mit Nahrung, die zumindest gelegentlich koscher beziehungsweise halal sein sollte. Nein, auch der Rangstreit unter den Seelsorgern hatte es in sich. Wie verhielt sich etwa der Rang eines katholischen Feldkaplans mit Theologiestudium zu jenem eines eher im Selbststudium herangereiften jüdisch-orthodoxen Feldrabbiners aus dem ungarischen Reichsteil?

Buddhistische Bildung im Militär?

Nach dem mörderischen Verrat der deutschen Gesellschaft an ihren jüdischen Mitbürgerinnen und -mitbürgern im NS-Staat stellte sich die Aufgabe einer seelsorgerischen Betreuung von Soldaten eines nichtchristlichen Bekenntnisses zwar bis auf Weiteres nicht, doch entdeckt man einen schwachen Abglanz des alten konfessionellen Pluralismus selbst dort, wo man ihn weniger erwartet: im sozial relativ homogenen Kommiss der alten Bundesrepublik Deutschland vor 1989/90.

Ein hübsches, etwas kurioses Beispiel gibt zum Beispiel das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1988 (Az. 8 C 2.87), das sich der Frage annahm, ob ein in der Ausbildung zum "tibetanischen Lama" befindlicher Zivildienstpflichtiger vom Dienst zurückzustellen sei.

Nach § 11 Abs. 2 Zivildienstgesetz (ZDG) sind Zivildienstpflichtige auf Antrag vom Dienst zurückzustellen, "wenn sie sich auf das geistliche Amt vorbereiten".

Der 1957 geborene Lama-Lehrling war 1976 für wehrdiensttauglich gemustert und als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden. In Berlin (West) studierte er zunächst Völkerkunde (Ethnologie), dann in Bonn unter anderem Tibetologie und vergleichende Religionswissenschaften.

Das Bundesamt für den Zivildienst stellte den späteren Kläger 1982 für drei Jahre wegen des Tibetologie-Studiums vom Dienst zurück, beschied ihn aber nicht über sein weitergehendes Begehren, vom Zivildienst auch wegen der Ausbildung zum buddhistischen Geistlichen befreit zu werden.

Vom Wehrdienst wie vom Zivildienst befreit das Gesetz (wortgleiche §§ 10 Abs. 1 Nrn. 1–3 Wehrpflichtgesetz [WPflG] und Zivildienstgesetz) neben ordentlichen evangelischen und römisch-katholischen Geistlichen auch "3. hauptamtlich tätige Geistliche anderer Bekenntnisse, deren Amt dem eines ordinierten Geistlichen evangelischen oder eines Geistlichen römisch-katholischen Bekenntnisses, der die Diakonatsweihe empfangen hat, entspricht".

Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Blick auf seine ständige Rechtsprechung fest, dass die Anerkennung als "Geistlicher" für den jungen buddhistischen Gelehrten dann in Betracht komme, wenn sein Aufgabenbereich innerhalb seiner Glaubensgemeinschaft "vollinhaltlich" auf die Seelsorge fokussiert und damit "von der Führung und Betreuung der Angehörigen der Religionsgemeinschaft durch religiöse Unterweisung und religiösen Zuspruch sowie durch Vornahme religiöser Handlungen" geprägt sei.

Für tibetische Mönche hatte ein Gutachten des – in der Rettung der Jesiden übrigens hoch verdienten – Göttinger Religionshistorikers Gernot Wießner (1933–1999) hieran jedoch Zweifel bei den Bundesrichtern geweckt: In der tibetischen Kultur komme einem Mönch vom Rang eines Lamas eher der Status einer akademisch examinierten "Selbstbefreiung aus der Wiedergeburtskette" zu. Daher fehle es wohl am fürsorglichen Dienst für eine Gemeinde – genauer für den Einzelfall habe das aber noch das Verwaltungsgericht nach Zurückweisung der Sache zu klären.

Worauf es bei der Zurückstellung von Nachwuchstheologen aller Art oder der Befreiung der fertig ausgebildeten Geistlichen vom Wehr- und Zivildienst im Wesentlichen ankommt, verdeutlichte das Bundesverwaltungsgericht beispielsweise in der Sache eines sogenannten "Pionierpredigers" und Diakons der Zeugen Jehovas (Urt. v. 30.11.1984, Az. 8 C 110/82 ).

Weil er neben dem Predigtdienst und Krankenbesuchen (21 Wochenstunden) für seinen Lebensunterhalt in Pflegeheimen zu arbeiten hatte, fehlte seiner geistlichen Tätigkeit der "hauptamtliche" Charakter – als Seelsorger war er damit nicht von der Wehrpflicht auszunehmen.

Gerichte grundsätzlich sparsam in Weltanschauungsfragen

Selten hingegen zweifelten die Gerichte am Status der jeweiligen sozialen Gruppe, als deren Geistlicher sich ein um Zurückstellung oder Befreiung bemühender Mann verstand.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache eines Anhängers der Scientology-Kirche vom 14. November 1980 (Az. 8 C 12.79)  dokumentiert hier etwa einen recht eigenartigen Verlauf: Der 1955 geborene Mann hatte 1974, am Tag seiner Musterung, die Rückstellung vom Grundwehrdienst beantragt, "weil er sich auf das Amt eines 'Geistlichen' der 'Scientology Kirche Deutschland – Hubbard Scientology Organisation München e.V.'" vorbereitete und dies mit einer Studienbescheinigung eines "Colleges" seiner Organisation belegte.

Das Kreiswehrersatzamt stellte ihn daraufhin 1974 für vier Jahre zurück, lehnte aber 1978 eine weitere Rückstellung ab, weil "ein Geistlicher der Scientology-Kirche nicht mit einem Geistlichen der evangelischen oder der römisch-katholischen Kirche vergleichbar" und sein Training in scientologischer Psychologie nicht mit einem geistlich-theologischen Studium gleichzusetzen sei.

In diesem Fall stutzten die Richter dem scientologischen Wehrpflichtigen auch mit dem Argument des Bundesverfassungsgerichts die Flügel, das Grundgesetz habe "nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der Entwicklung herausgebildet" (BVerfG, Beschl. v. 8.11.1960, Az. 2 BvR 59/60).

Im Licht der Zweifel daran, ob es sich bei Scientology überhaupt um eine hinreichend religiös geprägte Veranstaltung – oder eine gefährliche Jugendsekte – handle, hatte das zuständige Verwaltungsgericht noch eingehend zu prüfen, ob die Seminare dieser "Kirche" zu einer hauptamtlichen geistlichen Tätigkeit führten.

Offenes Forum staatlicher Anerkennung gesperrt

Mit der Aussetzung der Wehrpflicht und ihrer Surrogate zum 1. Juli 2011 leisteten die Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (1971–) und Thomas de Maizière (1954–) der demokratischen Republik nicht nur insofern einen etwas zweifelhaften Dienst, als eine nachhaltige politische Diskussion darüber, zu welchem Zweck und in welchen Formen Deutschland überhaupt noch Streitkräfte unterhalten will, ausbleiben musste – den beiden Juristen, Rhetor der eine, Verwaltungspragmatiker der andere, scheint nicht wirklich bewusst gewesen zu sein, an welchen staatstheoretischen Tiefenstrukturen sie operierten.

Doch der Fingerzeig auf das Lama-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1988 und seine beiden vorangegangenen Entscheidungen belegt: Die Aussetzung der Wehrpflicht hat auch den – noch – nicht staatlich anerkannten religiösen Strömungen im Land einen Modus genommen, sich durch eine äußere Praxis – das Angebot der Seelsorge und der vorangehenden geistlichen Schulung – um einen gesicherten Status zu bewerben.

Ohne einen solchen Modus der Anerkennung – und nicht zu sagen: der Integration qua Rangstreit – sind nicht nur beispielsweise muslimische Konfessionen davon bedroht, beispielsweise von der theologischen Afterwissenschaft eines Thilo Sarrazin (1945–) zum bloßen Objekt (para-) eugenischer oder rassentheoretischer Überlegungen herabgewürdigt oder "Jugendreligionen" wie Scientology den Maßgaben von Religionsverbraucherschutzorganisationen ausgeliefert zu werden.

Selbst im Bildungsbürgertum krass beliebte Lehren wie der Buddhismus könnten ohne Weiteres auf ein derartiges Objektniveau gebracht werden: So hat etwa der amerikanische Buddhologe Brian Victoria (1939–), selbst ordinierter Zen-Priester, ausführlich die Gewalt befürwortenden Seiten von zentralen Spielarten des japanischen Buddhismus belegt – vor allem seiner in Deutschland stark rezipierten Formen. Im tibetischen Buddhismus des stets lächelnden Dalai Lama will beispielsweise der Münchener Psychologe Colin Goldner (1953–) sogar militant-apokalyptische Ausrottungsfantasien gegen die abrahamitischen Religionen – Christen, Juden und Muslime – entdeckt haben.

Es mag nur ein Kollateralschaden der Wehrdienstaussetzung sein. Aber der juristisch-prozedurale Streit über die Zulassung zur Kommissgeistlichkeit oder die Dienstbefreiung dank Seelsorgenachweis hatte doch den Vorteil, die Gesellschaft ein Stück weit vor offener Feindschaft gegenüber dem religiös Fremden zu bewahren. So sah ein Pluralismus aus, der Wertschätzung über die Bereitschaft verteilte, unangenehme Konsequenzen zu tragen.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

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Religionsrecht: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31619 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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