Am vergangenen Freitag scheiterte im Kieler Landtag der Versuch, die Präambel der Landesverfassung um einen Gottesbezug zu ergänzen. Eine gute Entscheidung, hält sie doch den Weg frei zur einzig richtigen Lösung, findet Martin Rath.
Es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn Schleswig-Holstein einmal ein verfassungsrechtliches Problem in Eigenregie gelöst hätte. Denn damit tat sich das Land zwischen Nord- und Ostsee bekanntlich in der Vergangenheit des Öfteren recht schwer.
Wir erinnern uns: Schon am Beginn der neueren Verfassungsgeschichte kam das Volk im hohem Norden Deutschlands nicht ohne fremde Hilfe in konstitutionellen Dingen vorwärts.
Nach dem Wiener Kongress von 1815 lag das Herzogtum Schleswig als dänisches Lehensgebiet außerhalb des Deutschen Bundes, die benachbarten südlichen Herzogtümer Holstein und Lauenburg waren hingegen Teil dieses deutschen Staatenverbundes. Der König von Dänemark herrschte in Personalunion über diese Territorien.
Bemühungen des Königs, für verfassungsrechtlich geordnete, also dänische Verhältnisse zu sorgen, endeten im Krieg zwischen Deutschland und Dänemark von 1864, in dessen Verlauf die Herzogtümer von preußischen und österreichischen Truppen besetzt wurden. 1867 annektierte Preußen das Gebiet, das im Wesentlichen dem heutigen Schleswig-Holstein entspricht.
Schleswig-Holstein schafft es nicht allein
Für Juristen, die in der Bundesrepublik sozialisiert wurden, sind diese historischen Daten mehr als eine uralte Geschichte aus feudalen Zeiten. Denn sie wissen, dass das Volk von Schleswig-Holstein seine verfassungsrechtlichen Anliegen bis ins 21. Jahrhundert nicht selbst geregelt bekam.
Bis zum 1. Mai 2008 verfügte Schleswig-Holstein als einziges Land der Bundesrepublik Deutschland über kein eigenes Verfassungsgericht, sodass schleswig-holsteinische Verfassungsstreitigkeiten nach Artikel 99 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Artikel 44 der Landesverfassung in die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts fielen.
Anderen Ländern war es peinlich, auf dieses zentrale Element der föderalen Eigenstaatlichkeit zu verzichten, aber Schleswig-Holstein war ja nun einmal durch fremde Hilfe – aus Österreich und Preußen – überhaupt erst entstanden. Und für junge Juristen war es deutschlandweit lästig, derlei fürs Examen wissen zu sollen.
Streit um den Gottesbezug
Auf Initiative von Bürgern des Landes hatte nun der Landtag von Schleswig-Holstein am 22. Juli 2016 darüber zu befinden, ob die Präambel der Landesverfassung um einen sogenannten Gottesbezug ergänzt werden sollte.
Anlass gab gewiss, dass ihr Text stilistisch wenig elegant ausgefallen ist. De lege lata hat die Präambel eine Anmutung von träumerischer Behördenprosa (Besoldungsstufe 11) in Verbindung mit schlechten Marketingphrasen ("auf Dauer zu sichern und weiter zu stärken"). Ästhetisch sensible Leser mögen daher den folgenden Absatz einfach überspringen:
"Der Landtag hat in Vertretung der schleswig-holsteinischen Bürgerinnen und Bürger auf der Grundlage der unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Fundament jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit, in dem Willen, Demokratie, Freiheit, Toleranz und Solidarität auf Dauer zu sichern und weiter zu stärken, im Bewusstsein der eigenen Geschichte, bestrebt, durch nachhaltiges Handeln die Interessen gegenwärtiger wie künftiger Generationen zu schützen, in dem Willen, die kulturelle und sprachliche Vielfalt in unserem Land zu bewahren, und in dem Bestreben, die Zusammenarbeit der norddeutschen Länder sowie die grenzüberschreitende Partnerschaft der Regionen an Nord- und Ostsee und im vereinten Europa zu vertiefen, diese Verfassung beschlossen[.]"
Gottesbezug anderswo: Schön, aber unmöglich
Unter den drei Entwürfen – zwei mit, einer ohne Anrufung Gottes – fand nun keiner die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit im Landtag. Das ist erfreulich, denn auch keine der Neuregelungen fiel durch sprachliche Eleganz auf. Zudem bleibt damit der Weg offen für eine bessere Gottesklausel, die der modernen Staatsentwicklung in Zeiten des religiösen Pluralismus gerecht wird.
An die sprachliche Eleganz entschlossener Gottesbezüge kommt natürlich keine Neuregelung heran. Das poetisch besonders begabte Volk Irlands, soweit es sich der Fremdherrschaft durch die britische Krone entledigt hat, stellt seine Verfassung beispielsweise wie folgt unter die Fügung Gottes und der irischen Geschichte, unter die göttliche Dreifaltigkeit, Jesus Christus und die nationalen Freiheitskämpfer:
"In the Name of the Most Holy Trinity, from Whom is all authority and to Whom, as our final end, all actions both of men and States must be referred / We, the people of Éire / Humbly acknowledging all our obligations to our Divine Lord, Jesus Christ, Who sustained our fathers through centuries of trial / Gratefully remembering their heroic and unremitting struggle to regain the rightful independence of our Nation […]"
Kein Wunder, wenn man in Schleswig-Holstein daran nicht heranreicht, schließlich kamen die Freiheitskämpfer gegen die dänische Krone hier einst ausleihhalber aus Preußen und Österreich – man selbst mimte dabei noch nicht einmal Rebellentum, wie es unlängst auf der Krim geschah.
2/2: Eine viel bessere Gottesbezugsklausel
Dem Landtag von Schleswig-Holstein ist anzuraten, es mit einer modernen Gottesbezug-Konfiguration zu versuchen. Der Versuch kann ja nicht schaden
Von einer Adaption der Präambel des GG ist natürlich abzusehen. Das Grundgesetz selbst hat sprachlich schon zu sehr unter Bürokraten-Prosa gelitten, vergleiche dazu Art. 13, 16a GG, als dass man es in die Hände schleswig-holsteinischer Staatsziel- und Staatsbegründungspoeten legen wollte.
Nun möchte man selbst nicht untätig bleiben. Ein Vorschlag für den Gottesbezug, der zugleich der Entschlussfreude deutscher Politiker als auch dem zumeist bestenfalls nur sporadischen konfessionellen Selbstbekundungsinteresse ihres Volkes entspräche, könnte wie folgt aussehen:
Das Volk von Schleswig-Holstein, einig in seinen Stämmen, hat sich bei der Ausrufung dieser Verfassung vom Vorliegen oder Fehlen seiner religiösen oder nicht religiösen Gefühlen für die nachfolgende höhere Macht leiten lassen:
"___________________________________________"
(Bitte nur nach Maßgabe einer moralisch zuträglichen Auswahlliste ergänzen.)
Formulare, die von Bürger auszufüllen sind, gehören bekanntlich zu den wichtigsten Stilmitteln deutscher Staatskunst. Der leere Strich läuft, dank seiner Nutzung im bürokratischen Nahkampf, nicht Gefahr, selbst als religiöses Symbol missverstanden zu werden.
Individuelle Auswahlhilfe für die Bezugsklausel
Den Bürgerinnen und Bürgern von Schleswig-Holstein nun allerdings völlig freie Hand darin zu geben, welche höhere Macht sie (nicht) anrufen möchten, um die Wirkungsmacht ihrer Verfassung zu erhöhen (vergleiche dazu Art. 31 GG), könnte zu anstößigen Ergebnissen führen.
Kulte beispielsweise, die im begründeten Verdacht stehen, einem hemmungslosen Egoismus zu frönen, etwa die "Church of Satan" oder die Firma Scientology, dürften nicht hinreichend philosophisch geschulten Juristen dogmatische Schwierigkeiten bereiten. Die Idee, dass ein Staat auch für ein Volk von Teufeln funktionieren muss, erfordert eine gedankliche Schärfe, die nicht leicht zu erreichen ist.
Die naheliegende Lösung, sich an Kulten zu orientieren, die den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten haben, dürfte zu eng sein. Denn die Anerkennung als "religio licita", als staatskirchenrechtlich privilegierte Konfession, ist für viele inländische Kulte zu anspruchsvoll.
Orientierung bietet hier naturgemäß ein Staat, dem es gelingt, einem nachgerade überdreht wirkenden religiösen Pluralismus Herr zu werden: 44 Prozent der US-Amerikaner wechseln mindestens einmal im Leben ihre Glaubensrichtung. Religionswissenschaftler sprechen gar von einem "Supermarkt der Konfessionen".
Vorbildlich in der Marktregulierung ist hier das United States Department of the Army in seiner Eigenschaft als Eigentümer des Nationalfriedhofs in Arlington. Zur Meidung konfessioneller Konflikte stützt sich die Behörde auf eine Liste der für Grabsteine zulässigen Symbole des Veteranenamts. An den hiermit von Staats wegen anerkannten Kulten könnte sich auch eine Ausfüllhilfe für die Leerstelle in einer neuen schleswig-holsteinischen Verfassungspräambel orientieren.
Haben wir denn keine anderen Probleme?
Natürlich haben wir andere Probleme, und Zweifel sind erlaubt, ob der Landtag von Schleswig-Holstein sich dem in Bayern erfundenen Wettbewerbsföderalismus thematisch besonders klug gewidmet hat. Allerdings hat die Diskussion um den Gottesbezug in der Präambel zur Landesverfassung Schleswig-Holsteins den Weg zu ganz neuen Fragen geöffnet.
Sollte nicht beispielsweise der Bundestag dringend darüber diskutieren, das Amt des Bundeskanzlers mit einem Alternativlosigkeitsdogma zu versehen, analog zur Unfehlbarkeit des Papstes in Lehrfragen?
Muss nicht in die nächste Novelle des Rundfunkstaatsvertrages zwingend eine Anrufung göttlicher Instanzen aufgenommen werden? Vorschlag: "Herr, wirf Hirn vom Himmel!" Mit Blick auf die Leistungen des Nachrichten- und Unterhaltungsprogramms ist dies doch schon längt eine interkonfessionell vorgetragene Beschwörung.
Und auch jener Bereich, der wegen der Nähe zur elsässischen Gastronomie dem juristischen Himmelreich am nächsten kommt, sollte nicht ausgespart bleiben. Bekanntlich benötigen die Richter des Bundesverfassungsgerichts zum Anlegen ihrer komplizierten roten Roben kompetente Fachkräfte. Diese helfenden Hände könnten verpflichtet werden, beim Einkleiden zu flüstern: "Bedenke, oh Richter, dass du sterblich bist."
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Schleswig-Holstein: Debatte über Gottesbezug in Landesverfassung: Haben wir keine anderen Probleme? . In: Legal Tribune Online, 24.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20088/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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