Vor 150 Jahren galt das besondere Interesse der USA den Vogelmist-Inseln. Martin Rath hat ein heute noch geltendes Gesetz entdeckt, das die wirtschaftliche Ausbeutung dieser Gebiete legitimiert. Doch warum schürften Kot-Sucher damals im Dreck?
Das beeindruckende Naturschauspiel, das den USA Anlass bot, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Bürger weltweit auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen, lässt sich hierzulande vielerorts beobachten. Insbesondere in den Bahnhöfen und unter Eisenbahnbrücken lockern zig Abertausende von Tauben täglich mehrfach den Schließmuskel, um alle zugänglichen und weniger gut zugänglichen Flächen mit einer dicken Schicht weißlicher Exkremente zu bedecken. Meist wird daraus sogar dann kein Rechtsproblem gemacht, wenn das menschliche Transportgut der Deutsche Bahn AG betroffen ist.
Vorbildliche Aufmerksamkeit für die Hinterlassenschaften von allerlei Federvieh findet sich allerdings an den Gestaden der Rechtsgeschichte: Mit dem "Guano Islands Act" vom 18. August 1856 bekundete der US-Gesetzgeber sein Interesse, dass Flächen, die hinreichend mit Vogelmist bedeckt sind, jedenfalls zeitweise ins Herrschaftsgebiet der USA aufgenommen werden.
Die USA als vorläufige Schutzmacht der Vogelmistschürfer
Die Vorschriften des "Guano Island Acts" von 1856 sind bis heute geltendes Recht der USA. Das rechtliche Interesse am gut abgebundenen Vogelkot äußerte der US-Gesetzgeber naturgemäß nicht ganz vorbehaltlos, gleichwohl großzügig: Wann immer ein Bürger der Vereinigen Staaten eine Ablagerung von Guano auf einer Insel fände – das Gesetz spricht mit der fürs Rechtsenglische typischen Redundanz von "any island, rock, or key" – solle das maritime Stück Land nach dem Ermessen des Präsidenten für die USA in Beschlag genommen werden, sofern es noch nicht unter der Herrschaft eines fremden Staates stehe beziehungsweise von Bürgern eines anderen Staates beansprucht werde.
Neben diesen Voraussetzungen zur Landnahme auf besagten Inseln sah das Gesetz einige Verfahrensvorschriften vor, die dem Geschäftsgebaren der Zielgruppe entsprachen:
US-amerikanische Walfänger fanden damals insbesondere im Pazifik immer wieder Inseln, deren Vogelmistablagerungen wirtschaftlich bemerkenswert erschienen. Den tapferen Seefahrern und Walabschlachtern wurde angeboten, ihr Interesse samt Lagebeschreibung und eidesstattlicher Versicherung zur Entdeckung und zu den mutmaßlichen Herrschafts- und Besitzverhältnissen beim US-Innen-/Außenministerium ("Department of State") anheischig zu machen. Das Gesetz erwähnt des Öfteren auch den Rechtsstatus von Walfängerwitwen. Mitunter schlug damals noch manche Flosse dazwischen, bevor der Seemann sich beim Ministerium melden konnte.
Guano ist nicht für alle da
Weitere Vorschriften des Gesetzes zielen darauf ab, dass der wertvolle Guano vorrangig in den USA feilzubieten sei. Die Preise wurden, gleichsam als Austausch für das staatliche Privileg, unter hoheitlichem Schutz im Vogelmist zu wühlen, zudem staatlich reguliert. Noch heute findet sich im Gesetz die verbindliche Preisempfehlung von acht US-Dollar je Tonne guten Guanos. Des Weiteren legte das Guano-Gesetz fest, dass die auf den Inseln arbeitenden Menschen dem US-Strafrecht analog zu Seeleuten auf Schiffen zu unterwerfen sind.
Rund 100 Inseln wurden nach dem Gesetz beansprucht, circa 50 gerieten zu US-Hoheitsgebiet, darunter beispielsweise der aus der Geschichte des Zweiten Weltkriegs bekannte Midway-Atoll. In einzelnen Fällen verzichtete man, wenn die wahrhaft überlegene Seemacht ihr Interesse bekundete. So ist beispielsweise eine der Vogelmist-Inseln zwar nach der berühmten US-Walfängerfamilie Starbuck benannt, wurde dann aber doch britisch.
Obwohl die Schlussvorschrift des "Guano Islands Act" vorgibt, dass die US-Herrschaft auch nach dem Ende des Guano-Abbaus nicht zwingend fortgelten müsse, das Gesetz eigentlich nicht in diesem Sinne verstanden werden solle, sind etliche der Inseln – oft menschenfeindliche Landflecken ohne Trinkwasser – bis heute Hoheitsgebiet der ehemals im Vogelexkrement schürfenden Nation geblieben.
2/2: Terra nullius – auf Guano-Inseln eher harmlos
Die Menschenfeindlichkeit dieser Landflecken im Ozean, auf denen unter tropischen Höchsttemperaturen Millionen Seevögel ihre Schließmuskeln lockern, machte die Besitzergreifung auch nach völkerrechtlichen Spielregeln zumeist zum eher harmlosen Geschäft: Nach der Theorie der "terra nullius" übernahm man die Herrschaft über tatsächlich herrenloses, menschenloses Land. Menschen, die man erst zu Angehörigen minderwertiger Rassen ohne christlichen Glauben degradieren musste, um sie nach anderen völkerrechtlichen Anspruchsgrundlagen der eigenen Herrschaft zu unterwerfen, fanden sich oft gar nicht zwischen all dem Gefieder.
Die Rechtsgrundlagen der Kolonialepoche sind heute bisweilen aktuell. Denn fast überall dort, wo die Großmächte des imperialen Zeitalters – die USA zogen hier wie das Deutsche Reich eher nach – die Menschenlosigkeit eines Gebiets kontrafaktisch nur behaupteten, sind in der jüngeren Vergangenheit politische und juristische Rückwärtsmaneuver in Gang gekommen. Besonders betroffen ist beispielsweise die Rechtsordnung Australiens, die bis in die 1990er Jahre von der rechtlichen Fiktion ausging, Großbritannien habe den Kontinent im 18. Jahrhundert als Niemandsland in Besitz genommen. Seit einer Entscheidung des High Court of Australia von 1992 sind die Nachkommen der sogenannten australischen Ureinwohner wieder in einige Rechte eingesetzt worden, die aufgrund der Fiktion verdrängt worden waren.
Vogelmist müsste wieder relevanter werden
Dass sich die Ausdehnung eines Herrschaftsgebiets und einer Jurisdiktion im 19. Jahrhundert auf das Bedürfnis stützte, festgebackene insulare Vogelkot-Sedimente abzubauen, mutet heute etwas kurios an. Doch war das wirtschaftliche Interesse seinerzeit unabweisbar: Die Umwandlung von Luftstickstoff in Ammoniak, der Grundlage insbesondere für die Sprengstoff- und Düngemittelherstellung, gelang nach dem Verfahren der deutschen Chemiker Fritz Haber und Carl Bosch erst seit den 1910er Jahren im industriellen Maßstab. Bis dahin waren die moderne Landwirtschaft und der sprengstoffbedürftige Teil der Gesellschaft, neben dem Militär vor allem der Berg-, Straßen- und Schienenbau, auf die Förderung von Salpeter sowie von Guano angewiesen.
Ein bisschen schade ist freilich, dass dieses US-amerikanische Gesetz vom 18. August 1856 in aller Nachdrücklichkeit der juristischen Ritualsprache wiederholt nur "any island, rock, or key" mit der Landnahme durch Geschäftsleute und Regierung der USA bedroht: Wäre es nicht schön, wenn sich beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft deutscher Internettrollinnen und -trolle e.V. der Tauben unter den Brücken und Bahnhofsdächern der Deutsche Bahn AG annehmen müsste, um der Gefahr böser US-amerikanischer Guanospekulaten vorzubauen?
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Guano-Gesetz von 1856: So ein Mist… . In: Legal Tribune Online, 16.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16615/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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