Die Trümmerfrau (m/w) hat etwas vom "Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand". Sie ist eine Forrest-Gump-Figur auch der juristischen Fachliteratur, die durch einige Jahrzehnte wild bewegter staats-, straf- und sozialrechtlicher Zeiten führen könnte, würde sie nicht langsam aus der Wahrnehmung verschwinden. Eine Fährtenlese von Martin Rath.
Die Pro-Kopf-Menge an Trümmern wurde in Deutschland erst seit 1947 seriös, also von Amts wegen geschätzt, einfach, weil es so viel davon gab und man auch Besseres zu tun hatte. In Berlin, wo schon damals gern mit absoluten statt mit aussagekräftigen Zahlen gewuchert wurde, sollen insgesamt 55 Millionen Kubikmeter Schutt existiert haben, was auf eine Kubikmetermenge von 12,7 pro Einwohner umgelegt wurde – nichts gegen Dresden mit 39,7 oder Frankfurt am Main mit 21,1 Kubikmetern Schutt pro Kopf. Dies war die Hinterlassenschaft des Bombenkriegs sowie der artilleristischen Bemühungen im Zuge der alliierten Landnahme 1944/45.
Weggeräumt haben diesen Schutt Frauen mit Kopftüchern, die damals nicht als religiöser Schutzzauber gegen die vom einschlägigen Kult befürchtete männliche Triebhaftigkeit verstanden wurden, sondern höchstens als Bekenntnis zum Glaubenssatz, dass mit weiblichem Fleiß aufgeräumt werden müsse, was männliches Kriegsspiel an Unordnung in der Landschaft hinterlassen hatte. Die "Trümmerfrau" wurde in den 1950er-Jahren in den Massenmedien groß. Ihre juristische Geburtsstunde erlebte sie – allerdings in männlicher Gestalt – aber schon früher, wahrscheinlich 1938. Als Figur juristischer und rechtspolitischer Rhetorik kam sie – nunmehr als Frau – seit den 1980er-Jahren wieder groß heraus.
Trümmerfrau, juristisch ein Mann
Wegen der "Schwere der Arbeit und wegen der damit verbundenen sittlich-sanitären Gefahren" sahen schon die sozialdemokratischen Gewerkschaften des Kaiserreichs Frauen ungern im Bereich von Baustellen. 1938 verbot der NS-Gesetzgeber ihre Beschäftigung im Baugewerbe ausdrücklich, was 1952 bekräftigt und noch 1990 von einer BSE-Gewerkschaftsfrauen-Konferenz für gut befunden wurde (BSE: Bau, Steine, Erden). Erst seit 1980 dürfen Frauen als Malerinnen oder Glaserinnen auf dem Bau arbeiten, das allgemeine Arbeitsverbot im Bauhauptgewerbe endete erst 1994. Ein Blick auf diese Rechtslage erhöht die Medienkenntnis: In der Regel waren es damals Männer, so früh wie möglich mit Maschineneinsatz, die Millionen Tonnen Schutt bewegten. Natürlich stürzten sich Foto-Journalisten auf das weniger reguläre Bild, das die Frauen mit dem Kopftuch abgaben.
Dass die Trümmerfrau statistisch betrachtet ganz überwiegend ein Mann mit Maschine war, zählt zu den Einsichten, welche Leonie Treber in ihrer Dissertation an der Universität Duisburg-Essen gesammelt hat. Die Schrift ist nun unter dem Titel "Mythos Trümmerfrau" einem weiteren Publikum zugänglich. Im juristischen Schrifttum geistert der Trümmermensch hingegen überwiegend in weiblicher Gestalt herum. Darauf wird noch zu kommen sein.
Trümmerfrau, juristische Forrest-Gump-Figur
Würde das juristische Wissen hierzulande mehr in erzählerischer, weniger in Form von Prüfungsschemata vermittelt, böte es sich wohl an, die Trümmerfrau (m/w) zum rechtswissenschaftlichen Gegenstück von Forrest Gump zu machen: eine Figur, die in den unmöglichsten Situationen auftaucht und dabei irgendetwas erklären kann. Beispielsweise das gesetzgeberische Durcheinander im NS-Staat, das der Jurist und Politikwissenschaftler Franz Neumann (1900-1954) in seinem Werk "Behemot" als Gesetzlosigkeit in normativen Formen beschrieb. Aus der Bauwirtschaft – und damit dem Enttrümmerungswesen – entfernt wurden Frauen noch durch eine geordnete, leicht auffindbare Norm: § 16 Abs. 2 der Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 schrieb vor: "Weibliche Gefolgschaftsmitglieder dürfen ferner nicht … mit der Beförderung von Roh- und Werkstoffen bei Bauten aller Art beschäftigt werden". Das Verbot ließ sich nach Absatz 3 auch auf alle weiteren Tätigkeiten der Bauwirtschaft ausdehnen (RGBl. I, S. 447-452).
Im Erlass kriegsbedingter Regelungen zum Trümmerräumen taten sich unterschiedliche Protagonisten des NS-Staats hervor. Fritz Todt, seit 1940 Reichsminister für Bewaffnung und Munition, erließ eine Anordnung zur Eingliederung des Bauwesens in den Luftschutz, inklusive Enttrümmerung. Damit waren Frauen aus der systematischen Trümmerbeseitigung ausgeschlossen. An der Normsetzung beteiligt waren – mit teils widersprüchlichen Vorschriften – die Minister Hermann Göring, Heinrich Himmler, Walther Funk sowie der sogenannte Reichshandwerksmeister, ein NS-Politiker namens Ferdinand Schramm. Zwangsarbeiterinnen und KZ-Sklavinnen wurden in den letzten Kriegsmonaten zur Blindgänger- und Trümmerbeseitigung genötigt. Gewöhnliche deutsche Frauen blieben, des normativen Ansatzes wegen, grundsätzlich außen vor.
2/2: Trümmerfrau, Parteigängerin oder Prostituierte
Für die Zeit unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen belegt Leonie Treber für Duisburg eigentümliche Akte der Amtsanmaßung. Vielleicht sollte man sich in der Berliner und Hamburger Justiz daran erinnern, wenn zum "revolutionären 1. Mai" wieder ganze Straßenzüge in Schutt gelegt werden: 1945 druckten antifaschistische Komitees falsche Behördenaushänge, in denen NSDAP-Mitgliedern in Duisburg 'amtlich' befohlen wurde, sich der Trümmerbeseitigung zu widmen. Die Besatzungsmächte forderten da und dort auch gern aus eigener Initiative politisch vorbelastete Personen auf, Trümmer zu räumen.
Das Amtsgericht im rheinländischen Provinzstädtchen Jülich (600.000 Kubikmeter Trümmer insgesamt in Folge 98-prozentiger Zerstörung) verurteilte am 1. August 1947 einen jungen Mann zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten. Sie wurde zur Bewährung ausgesetzt, allerdings unter der Auflage, dass er vier Wochen "Entschuttungsarbeiten" leiste, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils.
Explizit zu Zwecken der Strafrechtspflege wurden 1946 in Dresden rund 400 Frauen und 25 Männer durch das Gesundheitsamt erfasst, von denen 78 zum Arbeitseinsatz verpflichtet wurden – sie standen, vornehmlich wohl wegen "hwG" (häufig wechselnder Geschlechtspartner) unter Polizeiaufsicht. Auch in Essen wurden Frauen – der Verdacht der Armutsprostitution mit Besatzungssoldaten war damals ubiquitär – über die rechtlichen Handhaben der Polizeiaufsicht sowie der jugend-/sozialhilferechtlichen Fürsorgeaufsicht in entsprechende Arbeitseinsätze geschickt.
Inflation der virtuellen Trümmerfrau (w)
Trotz der mehrheitlich von Männern, bald auch mit speziellem Maschinenpark beseitigten Trümmermassen herrscht heute das Bild der Trümmerfrau vor. Neben den Foto-Journalisten der Nachkriegszeit, die sich mit verständlichem Interesse auf den Ausnahme- und nicht auf den Regelfall stürzten, hat die erdrückende Präsenz der Trümmerfrau auch in der rechtspolitischen Diskussion der 1980er-Jahre ihre Wurzeln. Das "Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz" (HEZG) von 1986 sah für Frauen ab dem Geburtsjahrgang 1921 eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten im höchst verschachtelten Rentenversicherungsrecht vor, war dabei aber nicht fair:
"Als problematisch sollte es sich erweisen, dass diese an sich insgesamt positiven Neuregelungen des HEZG nur für Versicherte ab Geburtsjahrgang 1921 galten. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die westdeutsche Medienwelt", kommentiert Christian Lindner diese Vorgänge, "dass bis 1920 geborene Frauen, die von den Kriegsfolgen besonders betroffen waren und deren Arbeit insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren, als viele Männer sich noch in Kriegsgefangenschaft befanden, für das Gelingen des Wiederaufbaus von größter Bedeutung war, für ihre Kindererziehung weiterhin leer ausgehen sollten. Der 'Trümmerfrauenskandal' war geboren." (Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2014, S. 686 ff.).
Als Vertreterin einer geschundenen Generation begegnet uns die Trümmerfrau überall im juristischen Schrifttum. Eine ehemalige DDR-Richterin, angeklagt der Rechtsbeugung, erfährt beispielsweise ein mildes Urteil, auch, weil sie vor ihrer Schnellrichterausbildung als Straßenbahnfahrerin und Trümmerfrau gearbeitet hatte – an ihrer mangelhaften juristischen Bildung scheiterte denn auch der Rechtsbeugungsvorsatz.
Besonders unerfreulich ist die juristische Phantasie, wenn es darum geht, anonymen Urteilen einen Spitznamen zu verpassen: Obwohl das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung vom 7. Juli 1992 die fehlende Anerkennung von wirtschaftlicher Belastung durch Elternschaft im staatlichen Transfersystem insgesamt kritisch würdigt, ist die Entscheidung allein als "Trümmerfrauenurteil" bekannt geworden (Az. 1 BvR 873/90 u.a.).
Um der Geschlechtergerechtigkeit willen sollte die BVerfG-Entscheidung wenigstens unter billig und gerecht denkenden Juristinnen und Juristen nur noch "Trümmerfrauenurteil (m/w)" heißen. Denn man möchte doch wohl nicht durch einseitigen Sprachgebrauch die Lebensleistung einer halben Generation ausblenden?
Hinweis: "Mythos Trümmerfrau. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes" von Leonie Treber ist erschienen im Klartext-Verlag, Essen 2014, eBook 28,99 Euro - Buch 29,95 Euro.
Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Mythen der Rechtspolitik: Die Trümmerfrau war ein Mann . In: Legal Tribune Online, 12.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13457/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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