In der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober war einmal wieder an der Uhr zu drehen, die leidige Umstellung von der sogenannten Sommer- auf die Winterzeit. In Kriegs- und Krisenzeiten etabliert, erlebt diese Vergewaltigung des Zeitgefühls wenig Widerstand. Bei anderen Zeit-Reformen ging es einst dagegen erfreulich streitig zu – bis zum höchsten deutschen Gericht. Eine Glosse von Martin Rath.
Im schwäbischen Städtchen Kaufbeuren, heute eine jener süddeutschen Gemeinden, deren Ortsvorsteher trotz überschaubarer Einwohnerzahl den schmucken Titel Oberbürgermeister tragen dürfen, ging es zu wie im Wohnzimmer eines Ehepaares, das bei erklärter Scheidungsabsicht immer noch zusammenwohnt: Ein Teil der Bürgerschaft Kaufbeurens war im Zuge der Reformation seit 1520 evangelisch geworden, ein erklecklicher Teil blieb katholisch.
Weil ein protestantischer Kirchenbau erst 1614 errichtet wurde, nutzten beide Konfessionen die Kirche St. Martin gemeinsam, was spätestens zum Weihnachtsfest des Jahres 1583 zu verstärkten Reibereien führte: Katholiken und Protestanten feierten Weinachten getrennt – und um zehn Tage versetzt.
Kleiner Kalenderkrieg und lärmende Handwerker
Im rund 70 Kilometer entfernten Augsburg, ebenfalls eine Stadt, in der sich beide Konfessionen zum friedlichen Zusammenleben von Rechts wegen verpflichtet sahen, kam es 1583 zum sogenannten "Augsburger Kalenderstreit": Wirkte sich die im Vorjahr verordnete Kalenderreform – hin zum heute gültigen System – beim Osterfest noch nicht aus, so dass Katholiken und Evangelische noch zeitgleich feierten, fiel Weihnachten erstmals auf unterschiedliche Tage.
Zwar begingen beide Konfessionen den gleichen Feiertag, also den 25. Dezember als Fest der Geburt ihres Religionsstifters. Nur richteten sich die Katholiken nach dem Kalender, den ihr Papst Gregor XIII. 1582 vorgeschrieben hatte, während die Protestanten trotzig am julianischen Kalender festhielten, der auf den römischen Pontifex und Feldherrn Julius Cäsar zurückgeführt wird.
Man lebte evangelisch und katholisch getrennt auf engem Raum, aber in unterschiedlichem Takt: Am 5. Januar 1583 (alter Zeit) hatte der Rat der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Augsburg die Übernahme des Gregorianischen Kalenders beschlossen. Gegen diesen Beschluss, der dem Reichsgesetz vorgriff, beantragten die Ratsherren Johann Matthäus Stämmler, Adam Rehm, Johann Heinrich Haintzel und Ulrich Herwart einstweiligen Rechtsschutz beim Reichskammergericht, dem vorläufig höchsten Gericht des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. Der Antrag hatte zunächst Erfolg: Das seinerzeit in Speyer ansässige Gericht verbot dem Augsburger Rat die Einführung des neuen Kalenders bei Androhung einer Strafe von zehn Mark Gold.
Am 23. Mai (neuer Zeit) hob das Reichskammergericht dieses sogenannte Pönalmandat allerdings wieder auf, und beschwerte die vier Ratsherren mit den Gerichtskosten. Gleich dem Augsburger Rat, der den Ukas aus Speyer ignoriert hatte, versteiften sich die protestantischen Kirchenleute der Fuggerstadt trotz ihrer politischen und juristischen Niederlage darauf, die christlichen Feste nach julianischer Datierung zu feiern.
Zur Weihnachtszeit führte das zu Konflikten, weil die Handwerker ihrem bis heute nicht nachlassenden natürlichen Drang nachgaben: Sie machten Lärm. Und dies mit besonderer Heftigkeit, weil es 1583 neben der ewigen Hauptleistung des deutschen Handwerks, dem Krach, um eine edle Nebenleistung ging: der jeweils gegnerischen Konfession die Feiertage zu verleiden.
Moderner Kalender von unliebsamem Kirchenfürsten
Von Papst Gregor (bürgerlich Ugo Boncompagni, 1502-1585, im Amt ab 1572) von langer Hand vorbereitet, war die Kalenderreform 1582/83 in katholischen Ländern rasch akzeptiert worden. Auch für die Handelsstadt Augsburg war der Reformkalender von Interesse, weil die Kaufmannschaft mit dem konfessionell andersgearteten Ausland in Kontakt stand. Terminverwirrungen vermied man hier gerne.
Insgesamt zogen die evangelischen Reichsfürsten und -städte aber erst zum Jahr 1700 nach. Bis dahin blieb der vom römischen Bischof dekretierte Kalender, obwohl er dank verbesserter Schaltjahr-Regelung den anerkannten Standard setzte, ein politisches Problem – in etwa so, wie heute für manchen Parteifürsten alles, was aus "Brüssel" kommt, Teufelswerk ist.
Mancher brave Protestant kreidete überdies der gregorianischen Zeitordnung tatsächlich ihre teuflische Modernität an: Gerade weil er die zukünftige Zeit besser berechne, dieser von den besten Kalenderwissenschaftlern über Jahrzehnte entwickelte Kalender, gebe er ein Indiz dafür, dass seine Urheber und Nutzer nicht an das baldige Weltende glaubten. Jenes war damals eine Hoffnung und Verheißung in evangelischen Kreisen: Dass ein gut konzipierter Kalender für die Zukunft zeigte, dass es mit der Welt doch nicht ganz so schnell zu Ende gehen möge, davon wollte mancher Eiferer gar nichts wissen.
2/2: Eigentlich ganz vorbildliches Gezänk
Beim Reichskammergericht spielte der Kalenderstreit derweil noch in eigener Sache eine Rolle: Weil die Richterschaft in eine evangelische und eine katholische Fraktion geteilt war, so wie man das heute manchem Gerichtshof unter parteipolitischen Vorzeichen nachsagt, war zunächst die Terminierung der Gerichtsferien strittig.
Die Räte des Reichskammergerichts lösten dies auf jene pragmatische Weise, die man Juristen von jeher nachsagt: Sie nutzten das Beste der beiden unterschiedlichen Gerichtsferien-Zeiträume, indem sie einfach möglichst lange frei nahmen, um die Systeme in Deckung zu bringen.
Zum Pragmatismus deutscher Juristen mussten andere Völker von Ordnungsliebhabern anderer Güte geführt werden. Russland wechselte erst unter den Kommunisten vom julianischen zum gregorianischen Kalender, China – das übrigens keine Sommerzeit kennt – zog nach.
Kalendarischer Wettbewerbsföderalismus
Der Unordnung im Zeitgefüge lässt sich möglicherweise einiges abgewinnen: Im Appenzell, in der Schweiz, waren konfessionelle Kalenderfragen ein wesentlicher Streitgegenstand zwischen den größeren und den kleineren Dörfern des Landes.
Man würde den helvetischen Erfindern des Wettbewerbsföderalismus Unrecht tun, wollte man behaupten, ihre vorbildliche Staatsorganisation beruhte auf dem Umstand, dass die Einwohner des einen Alpentals das Schweizerdeutsch ihrer Nachbarn hinter dem nächsten Berg schon nicht mehr verstünden. Neben dem Sprachproblem zählte zu den Geburtshelfern des Schweizer Föderalismus – und wohl auch des deutschen – der Umstand, dass man teils jahrhundertelang nebeneinander und kalendarisch aneinander vorbeilebte.
Man stelle sich das einfach einmal heute am Gegenstand des aktuellen Zeit-Ärgernisses vor: Linke Lehrer, also gemeinhin sehr staatstreue Leute, befolgen die Sommer-/Winterzeit-Regelung, während die Schulkinder, also ein zumeist sehr konservatives kleines Volk, dem natürlichen Zeitgefühl folgt und die Uhrendreherei ignoriert.
Deklinieren wir das anhand aller denkbaren, juristischen Konflikte durch: Statt nur gelegentlich bei Lohnstreitigkeiten vor Gericht verhandelt zu werden, würde die Zahl der juristischen Konflikte um die Uhrzeit schier explodieren.
Besagte Lehrer kämpfen gegen Handwerker, weil letztere Lärm machen? Man könnte sich kaum über die Uhrzeiten verständigen, zu denen die Bohrmaschinenfetischisten, Steinschneider und Presslufthämmerer ihrem natürlichen Instinkt folgen dürfen – und der deutsche Lehrkörper ist schließlich rechtsschutzversichert.
Es bleibt eine schöne Phantasie am Tag der Uhrenumstellung. Ob sich anders als durch Anarchie das Brüsseler Teufelswerk der europäischen Sommerzeit aus der Welt schaffen ließe?
Mit Vernunft ist der Sommerzeit-/Winterzeit-Regelung ja leider nicht beizukommen.
Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Recht der Zeit: Kalenderkrieg statt Uhrendreherei . In: Legal Tribune Online, 27.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9905/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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