"Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren" – den Titel kennt auch, wem die Operette eher fremd bleibt. Geschrieben hat dieses und andere populäre Lieder ein promovierter Jurist, Fritz Löhner-Beda. Obwohl Juristen künstlerisch beschlagene Zunftgenossen gerne rühmen, ist der Librettist Löhner-Beda weitgehend vergessen – vielleicht, weil er vor 70 Jahren ermordet wurde. Ein Erinnerungsstück von Martin Rath.
Gut möglich, dass er als Jurist keine große Leuchte war. 1908 wurde Fritz Löhner-Beda in Wien promoviert, damals als kulturelles Zentrum gleichsam das New York Mitteleuropas, Hauptstadt der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn. Wer juristische Doktorarbeiten aus dieser Zeit kennt, weiß, dass heutige Masterarbeiten oft an Umfang stärker, nicht selten auch an Qualität reicher sind. Ein akademischer Leistungsvergleich lässt sich im Fall von Dr. iur. Fritz Löhner-Beda nicht anstellen, ist seine Promotionsschrift doch offenbar verloren gegangen.
Bekannt wurde Fritz Löhner-Beda, geboren am 24. Juni 1883 als Bedrich (also: Friedrich) Löwy, als ein Held des österreichischen Fußballs – berühmt jedoch als Librettist, dessen Texte von heute noch bekannten Komponisten wie dem berühmten und eigentlich doch eher berüchtigten Franz Lehár (1870-1948) vertont wurden.
Wann wurde je ein promovierter Juristen-Weltstar so vergessen?
In den 1910er- und 1920er-Jahren war die Operette so populär wie die Erzeugnisse der Musical- und Pop-Industrie heute zusammengenommen. Die Stars der Bühne, prominente Komponisten und Texter wurden jedoch nicht in London oder New York gemacht, sondern in Wien und Berlin. Populäre Stücke überquerten den Atlantik noch in Ost-West-Richtung, nicht umgekehrt.
Fritz Löhner-Beda wurde, nach kurzem Intermezzo in einer Wiener Rechtsanwaltskanzlei zu einem der bekanntesten und bestverdienenden Texter dieser "goldenen Operetten-Epoche". Als Mittelfeldspieler und späteres Vorstandsmitglied des erstklassigen jüdischen Sportvereins Hakoah Wien, dem es 1923 als erstem kontinentaleuropäischen Fußballverein gelang, ein englisches Profi-Team zu bezwingen (mit einem 5:0 gegen West Ham United) war Löhner-Beda auch unter Musikverächtern bekannt.
1928 bedrängen Löhner-Beda und Ludwig Herzer den Komponisten Franz Lehár ihr Libretto für eine Goethe-Operette zu vertonen. Letzterer sträubt sich zunächst, später entsteht jedoch "Friederike", die das Liebesleid des Straßburger Jurastudenten Johann Wolfgang Goethe aufgreift. Ein semifiktionaler Stoff, von dem einerseits zwar die Berliner Presse schwärmt, man wisse gar nicht, wo Goethe aufhört und Löhner-Beda anfängt, andererseits protestieren deutschnationale und antisemitische Kulturwächter, weil ihr vergötterter Goethe zur liebesweinerlichen Figur einer Operette entwürdigt werde. Dass die Tränen des verliebten Jurastudenten aus Goethes autobiografischen Aufzeichnungen stammten, war ihnen entgangen.
Das titelgebende Lied des seit 1927 aufgeführten Singspiels "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren", Libretto von Löhner-Beda und Ernst Neubach, brachte es 1925 bereits zum populären Schlager.
Ein zunächst erfolgloses Stück wurde in der Bearbeitung von Löhner-Beda und Ludwig Herzer, Musik von Franz Lehár, 1929 ungemein populär: "Das Land des Lächelns", die Arie "Dein ist mein ganzes Herz" ist bis heute ein Gassenhauer der Operettenmusik geblieben.
Künstlerische Gleichschaltung mit dem Reichskulturkammergesetz
Dass von den Andrew Lloyd-Webbers der 1920er-Jahre heute bestenfalls Franz Lehár noch einen Namen hat, während Löhner-Beda weitgehend vergessen wurde, hat seine Gründe in der deutschen Gesetzgebung der 1930er-Jahre sowie dem Kunstgeschmack eines Wiener Postkartenmalers, den ein verantwortungsloses Staatsoberhaupt 1933 zum Regierungschef des Deutschen Reichs ernannte.
Mit dem Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 (Reichsgesetzblatt I, 661) erließ die Reichsregierung auf Grundlage des berüchtigten Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 (RGBl. I, 141) eine beinah groteske Blankettnorm, die über ihren ersten Paragrafen hinaus kaum konkreter wurde: "Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda wird beauftragt und ermächtigt, die Angehörigen der Tätigkeitszweige, die seinen Aufgabenkreis betreffen, in Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammenzufassen."
Damit wurden nicht nur Schriftsteller und Journalisten "gleichgeschaltet" (§ 2 Nrn. 1 und 2 "Reichsschrifttumskammer" und "Reichspressekammer"), auch die Künstler aller Sparten wurden zwangsverkammert (u.a. Nr. 5 "Reichsmusikkammer"). Jüdischen Publizisten und Künstlern wurde damit, wenn nicht die künstlerische Arbeit in der Öffentlichkeit überhaupt, so doch die Möglichkeit abgeschnitten, von ihrer Kunst zu leben.
Die populäre Operettenmusik war bis dahin so weitgehend von jüdischen Künstlern bestritten worden, dass sich der politisch verantwortliche Propagandaminister Joseph Goebbels in kleinem Kreis über den Regulierungseifer der Juristen seiner Kammern mokierte – würden sie so weitermachen, bliebe bald nur noch germanische Runenmalerei. Den Willen seines Herrn exekutierte er daher gerne, als es darum ging Franz Lehár die weitere künstlerische und wirtschaftliche Existenz zu garantieren. Der Komponist war mit einer Jüdin verheiratet, doch war die "Lustige Witwe", die von Lehar nach dem Libretto der jüdischen Autoren Victor Léon und Leo Stein 1905 vertonte Operette, Hitlers Lieblingswerk.
Die Werke Fritz Löhner-Bedas erhielten diese allerhöchste Protektion im "neuen Deutschland" zwar nicht, waren aber auch in Großbritannien und den USA bestens bekannt. Bis zum Anschluss Österreichs im Frühjahr 1938 blieb der Librettist ein freier Mann.
2/2: Einer der ersten Inhaftierten
Nach der so genannten "Wiedervereinigung" Österreichs mit dem Deutschen Reich brach über die jüdischen Bürger insbesondere der Hauptstadt ein regelrechtes Inferno herein. Es brauchte an die 50 Jahre, bis sich das Land – nach eigenem Bekunden "das erste Opfer der Nationalsozialisten" – zaghaft daran erinnern ließ, dass es Wiener Mitbürger waren, die den Oberrabbiner zwangen, mit der Zahnbürste Anti-Nazi-Graffitis vom Bürgersteig herunterzukratzen, geschlagen und getreten wie viele andere ältere Menschen.
Ernst-Wolfgang Böckenförde bezeichnete diese Schande 1997 "Bürgerverrat". Der berühmte Ex-Verfassungsrichter und Staatsrechtslehrer erkannte in ihr das üblere Gegenstück zum Hochverrat.
Fritz Löhner-Beda zählte zu den ersten Inhaftierten, am 13. März 1938 gegen vier Uhr früh, am Tag nach dem Einmarsch deutscher Truppen und "Sicherheitskräfte" holte ihn die Polizei aus seiner Wohnung. Vom frühzeitigen Exil hatten ihn und seine Frau Helene die beiden schulpflichtigen Kinder, die zehn- und achtjährigen Mädchen Lieselotte und Eva abgehalten, so Günther Schwarberg in seiner 2000 erschienen Löhner-Beda-Biografie ("Dein ist mein ganzes Herz").
Am 1. April 1938 wurden 150 prominente Wiener Bürger der SS übergeben, die Mannschaften des KZ Dachau quälten und folterten die teils älteren Männer auf der zehnstündigen Fahrt ins Lager. Neben Löhner-Beda zählten zu ihnen sozialdemokratische Politiker, Künstler, Gewerkschafter, Juristen – darunter auch der rechtskonservative Vizepräsident des Landesgerichts Wien, Alois Osio, ebenso wie sein sozialistischer Widersacher, der Strafverteidiger von Bruno Kreisky, Heinrich Steinitz. Dem frechen Kabarettisten Fritz Grünbaum, der sich für wenige Tage verstecken konnte, traktieren die SS-Leute beim Transport solange die herausgezwungene Zunge, bis sie zum blutigen Klumpen wird. In Dachau pflegte ihn Löhner-Beda.
Bürgerverrat des noch heute gerühmten Komponisten
Löhner-Bedas Biograf Günther Schwarberg setzt die Leidensgeschichte des Juristen in Kontrast zu der parallel verlaufenden Erfolgsstory des Komponisten Franz Lehár: Besuch vom "Führer" zum 70. Geburtstag in Wien, Lehár dirigiert für den Ehrengast "Das Land des Lächelns", die Namen der beiden Librettisten bleiben natürlich unerwähnt. Zu diesem Zeitpunkt ist Löhner-Beda im KZ Buchenwald bei Weimar inhaftiert. Für seine jüdischen Freunde und Kollegen rührt Lehár, soweit bekannt, keinen Finger.
Das Finanzamt Wien fordert Helene Löhner derweil auf, ein Vermögensverzeichnis aufzustellen. In Bad Ischl besaß die Familie die "Villa Felicitas", ein Haus, in dem die Geliebte des vorletzten Kaisers Franz Joseph den Monarchen empfangen hatte. Die Immobilie wird mit 42.286,67 Reichsmark taxiert, das Finanzamt gibt Helene Löhner auf, sie zum Preis von 8.000 Reichsmark an die örtliche NSDAP zu verkaufen. Als der Behörde bekannt wird, dass die Frau sich um ein Visum für die Niederlande bemüht, erhält sie den sofort vollstreckbaren Bescheid, 36.000 Reichsmark "Sicherheit" wegen möglicher "Reichsfluchtsteuer" zu leisten.
Die Bemühungen um ein Visum für die Niederlande bleiben erfolglos. Am 31. August 1942 erhalten Helene Löhner und ihre Töchter den Deportationsbescheid der Wiener Polizei, auf einem Formblatt muss sie ihr noch verbliebenes Eigentum dokumentieren und bestätigen, dass die Familie die deutsche Staatsangehörigkeit verliert. Einige Tage später werden sie in Minsk ermordet.
Fritz Löhner-Beda wird am 17. Oktober 1942 vom KZ Buchenwald ins Lager Auschwitz-Monowitz transportiert, wo die IG Farben AG von Zwangsarbeitern ein Werk für synthetischen Kautschuk errichten lässt.
Mord auf Befehl eines "Spitzenmanagers"?
Für den 4. Dezember 1942 ist ein Besuch von hochrangigen Managern der IG Farben AG in ihrem entstehenden Chemiewerk dokumentiert. Es sind die Direktoren Dr. Otto Ambros, Professor Carl Krauch, Fritz ter Meer, Heinrich Bütefisch, Dr. Walter Dürrfeld. Im Verlauf ihrer Besichtigung begegnen ihnen zwei jüdische Zwangsarbeiter, Raymond van der Straaten und Löhner-Beda. Unstrittig ist, dass einer der Direktoren auf letzteren zeigt und sagt: "Der Jude dort könnte auch etwas rascher arbeiten."
Am Abend des 4. Dezember 1942 schlägt, was von seinen Richtern später freilich nicht als Inbegriff der Wahrheit festgestellt wird, der kriminelle Häftling Josef Windeck Löhner-Beda tot.
Windeck (1903-1977) wird nach der Flucht aus einem Zwangsarbeiterlager zur Wehrmacht eingezogen, kommt 1955 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft und lebt bis 1963 unbehelligt. 1966 wird er im dritten Frankfurter Auschwitz-Prozess wegen Mordes in 117 Fällen angeklagt, 1968 wegen Mordes in zwei Fällen sowie versuchten Mordes in drei Fällen zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Im Juni 1969 ist er wieder auf freiem Fuß, der Gesundheit wegen, und stirbt acht Jahre später.
Das Frankfurter Gericht sah ihn nicht der Tötung Löhner-Bedas für überführt. Günther Schwarberg dokumentiert die Würdigung der Zeugenaussagen ehemaliger KZ-Häftlinge eindringlich, kritisiert das Frankfurter Gericht heftig: Dass Windeck Löhner-Beda erschlagen habe, daran erinnerten sich verschiedene Zeugen in einigen Aspekten des Kerngeschehens. In den Details gab es, über 20 Jahre nach der möglichen Tat und angesichts der unvorstellbar traumatischen Erlebnisse, natürlich Abweichungen. Nur ein Zeuge will Löhner-Beda, wie es die Todesurkunde Nr. 43259/1942 des Standesamtes Auschwitz dokumentiert, im Krankenbau des Lagers sterben sehen haben: an "Altersschwäche" infolge der – selbstredend undokumentierten – mörderischen Zwangsarbeit.
Welcher der fünf Direktoren der IG Farben AG auf die mangelhafte Leistung ihres Sklavenarbeiters Löhner-Beda hingewiesen hatte, ist unbekannt geblieben. Staatsanwaltschaft und Gericht sind dem, soweit bekannt, auch nie nachgegangen.
Man darf die "in dubio"- Würdigung der unvollständigen Zeugenaussagen im Tötungsfall Löhner-Beda wohl als Ausdruck jener Rechtsstaatlichkeit verstehen, die das NS-Regime seinen Opfern verweigerte.
Unbekannterweise unsterblich
Ein übler Beigeschmack bleibt jedoch. Ein großer Chemiekonzern in Leverkusen, Rechtsvorgängerin und -nachfolgerin der IG Farben AG, förderte bis in die jüngere Zeit Chemiestudenten mit Stipendien einer Fritz-ter-Meer-Stiftung, benannt nach einem der fünf Direktoren.
Die juristische Fakultät der Universität zu Köln verlieh 1966 dem ehemaligen Rechtsanwalt und nunmehrigen Bayer-Vorstand Friedrich Silcher, dem Verteidiger des IG-Farben-Syndikus August von Knieriem im Prozess der USA gegen IG-Farben-Manager 1947/48, einen Ehrendoktor. Nicht ehrenrührig vermutlich, wurde von Knieriem doch freigesprochen.
Bemerkenswert wird derlei nur, wenn man erstaunt feststellt, dass die Kölner Doktorin der Rechte, Liselotte Kuznitzky, die 1944 als Widerstandskämpferin in Plötzensee hingerichtet wurde, von ihrer Fakultät kein erkennbares Andenken erfährt.
Man kann solche Geschichten ruhen lassen. Die Musik, die Löhner-Beda unbekannterweise ein wenig unsterblich machte, trifft vermutlich kaum mehr den Geschmack der Mehrheit. Den des Verfassers jedenfalls nicht.
Und doch schliefe mancher ruhiger, hielten diese Geschichten mehr am Recht interessierte Menschen wach.
Anm. d. Red.: Aus der Überschrift wurde noch am Tag der Veröffentlichung des Beitrags ein grammatikalischer Fehler entfernt.
Martin Rath, Rechtsgeschichten: Mord an einem Librettisten . In: Legal Tribune Online, 30.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7873/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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