Streit um Niqab an der Uni

Union und FDP wollen Vollver­sch­leie­rung im Hör­saal ver­bieten

von Maximilian AmosLesedauer: 5 Minuten

Eine einzelne Kieler Studentin hat einen bemerkenswerten Vorgang ins Rollen gebracht: Union und FDP in Schleswig-Holstein wollen ein gesetzliches Verbot der Vollverschleierung in Hörsälen, der grüne Koalitionspartner sträubt sich.

Im Norden Deutschlands sorgt der Fall einer Kieler Studentin für Streit und hat es inzwischen bis auf die Tagesordnung des schleswig-holsteinischen Landtags geschafft. Die junge Frau war mit einem Niqab - einer islamischen Vollverschleierung, die lediglich einen Sehschlitz freilässt - zur Vorlesung erschienen, woraufhin sich ein Dozent beschwerte. Die Universität Kiel untersagte daraufhin das Tragen einer Vollverschleierung bei Vorlesungen. Weil die Frau aber nicht nachgab und weiterhin mit Niqab im Hörsaal erschien, wandte sich die Hochschuldirektion an die Politik.

"Im schleswig-holsteinischen Hochschulgesetz fehlt bisher eine rechtliche Regelung, damit Universitäten eine Vollverschleierung in Veranstaltungen untersagen können" erklärte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt auf Anfrage von LTO. Die Uni Kiel habe "das Land um eine Klarstellung gebeten, um ein klares Verbot aussprechen zu können".

Nun soll ein Gesetz her, das Fälle wie den der Kieler Studentin regeln soll. Wie die dpa bereits am Wochenende berichtete, läuft derzeit eine schriftliche Anhörung in der Koalition dazu. Doch das Vorhaben ist zwischen den Partnern der regierenden "Jamaika-Koalition" heftig umstritten. Union und FDP sind dafür, doch die Grünen verweigern ihre Zustimmung.

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Ausschluss von Lehrveranstaltungen wäre möglich

Wie aber schafft es eine einzelne Studentin, die Politik derart in Bewegung zu versetzen? Weitere Fälle vollverschleierter Studentinnen sind nach Angaben von FDP und Grünen in Schleswig-Holstein bislang nicht bekannt. CDU-Landtagsabgeordneter Tobias Loose, Vorsitzender des Fraktionsarbeitskreises Bildung, konnte auf Nachfrage von LTO ebenfalls keinen Fall benennen, verwies aber auf den Fall einer Lehramtsreferendarin, der bekannt sei. Union und FDP merkten gleichwohl an, man rechne künftig mit mehr vollverschleierten Frauen auf dem Campus. Man werde im Übrigen ja kein Einzelfallgesetz schaffen, sondern "eine generelle Regelung, die auf andere Fälle anwendbar ist", so FDP-Fraktionsführer Vogt.

Die Hochschule in Kiel erhofft sich eine gesetzliche Klarstellung ihres eigenen Verschleierungsverbots, das bis heute in Kraft ist. Darin heißt es: "Da ein Gesichtsschleier diese offene Kommunikation behindert, darf dieser in Lehrveranstaltungen, Prüfungen und Gesprächen, die sich auf Studium, Lehre und Beratung im weitesten Sinne beziehen, nicht getragen werden." Gegenüber LTO teilte die Universität mit: "Das Präsidium hält eine offene Kommunikation für eine Grundvoraussetzung von freier Lehre und Forschung. 'Offen' bedeutet: unverhüllt."

Ob das Gesetz nach den Vorstellungen von Union und FDP der Kieler Regelung entsprechen soll und ob darin Sanktionsmöglichkeiten wie Bußgelder oder ggf. ein Ausschluss von Lehrveranstaltungen enthalten wären, ist derzeit noch unklar. "Die Frage eines Bußgeldes hat sich bisher nicht gestellt", sagt Vogt. Ebenso sei noch unklar, wie ein solches Gesetz im Detail aussehen könne. "Unserer Meinung nach brauchen wir klare und eindeutige Regelungen, damit die Hochschulen sowohl bei Lehrveranstaltungen als auch bei Prüfungen ein Niqab-Verbot aussprechen und durchsetzen können, sofern sie dies wollen", so Vogt. Im Rahmen der Hochschulautonomie wolle man die Entscheidung über Sanktionen "den Universitäten überlassen, denn sie wissen am besten, welche Maßnahme die geeignetste ist".

Auch der CDU-Abgeordnete Loose wollte sich nicht auf konkrete Sanktionen festlegen. Es gebe schließlich auch anderenorts Regeln, die nicht mit Sanktionen durchgesetzt würden. Gleichwohl sei vorstellbar, dass das Hochschulpräsidium mit einer abgestuften Vorgehensweise - Ermahnung, zeitweiser Ausschluss und schließlich längerer Ausschluss von Lehrveranstaltungen - gegen eine Vollverschleierung vorgehen könne.

Rechtliche Stütze unsicher

Warum aber braucht es überhaupt ein solches Gesetz? "Verfassungsrechtler gehen davon aus, dass das Tragen eines Niqab durch die Religionsfreiheit geschützt ist", führte Loose dazu aus. "Wenn der Staat darin eingreifen will, braucht er eine gesetzliche Grundlage." Den Eingriff in Art. 4 Grundgesetz hält der Kieler Unionsabgeordnete für notwendig und angemessen: "Zu einer freiheitlichen Gesellschaft gehört es, dass man sich gegenseitig ins Gesicht schauen kann. Es geht also um den gesellschaftlichen Umgang miteinander." Das gelte insbesondere an einer Hochschule, so Loose. "Ich bezweifle auch, dass das Tragen von Niqab oder Burka eine religiöse Notwendigkeit ist." Zudem betrachte man in seiner Fraktion diese Kleidung als Unterdrückung einer Frau, die der Staat nicht überall akzeptieren müsse.

Auch FDP-Mann Vogt betonte: "Gerade an Universitäten ist offene Kommunikation unerlässlich". Diese sieht man offenbar durch eine Vollverschleierung gehindert. "Universitäten sollen ein Ort der Toleranz und Gleichstellung sein. Für uns ist der Niqab ein Symbol der Unterdrückung der Frau und somit das Gegenteil von Toleranz und Gleichstellung", so Vogt.

Die Kieler Universität teilte zur Rechtfertigung ihres Verbotes mit, man stütze sich dabei auf "vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern sowie auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages". Inwiefern dieser ein solches Verbot aber tatsächlich stützt, ist fraglich. So hatte er zuletzt in einem Gutachten 2014 das Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum für verfassungswidrig gehalten, in Bezug auf ein Verbot in öffentlichen Gebäuden aber auf ein Gutachten aus 2010 verwiesen. Darin wiederum schloss er die Möglichkeit eines solchen Verbots nicht völlig aus, hielt aber fest: "Der Zugang mit einer Burka zu Gebäuden, deren Betreten Voraussetzung für die freie Berufswahlist, kann nur bei einer nachweisbaren oder höchstwahrscheinlichen schweren Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut verboten werden. Eine solche Gefahr ist nicht ersichtlich."

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen Eka von Kalben übte Kritik am Vorhaben der Koalitionspartner: "Der Gesetzgeber muss immer rechtfertigen, wenn er in Freiheiten eingreift. Da müssen diejenigen liefern, die ein Verbotsgesetz fordern. Ich wünsche mir, dass die Universitäten aus ihrem Bildungsauftrag heraus so wirken, dass niemand vollverschleiert zur Vorlesung gehen möchte. Aber ein Verbot, quasi eine Zwangsemanzipation und Zwangsintegration, ist aus grüner Sicht nicht der richtige Weg. Wir Grüne wollen einer Frau nicht vorschreiben, was sie zu tragen hat."

Große Anhörung geplant

Um den grünen Koalitionspartner zum Einlenken zu bewegen, haben sich Union und FDP viel vorgenommen. Eine sehr umfangreiche, vielleicht die größte Anhörung im Kieler Landtag überhaupt bisher werde zu dem Thema stattfinden, so Loose. Derzeit läuft das schriftliche Verfahren, nach der Sommerpause will man sich dann mit einer Runde aus Islamwissenschaftlern, Publizisten und weiteren Experten zusammensetzen, um über das Thema zu beraten. Ob dabei ein Kompromiss herauskommt, ist noch offen. Laut Loose könnte dieser darin bestehen, den Universitäten grundsätzlich die Einführung eines Verbots freizustellen.

Ob die Universitäten alle mit einem solchen Gesetz einverstanden wären, ist nicht gesagt. So wies die Grünen-Fraktionsvorsitzende von Kalben gegenüber LTO darauf hin, dass "die Uni Lübeck in ihrer Stellungnahme gerade erst darauf hingewiesen (hat), dass dort gar keine Fälle bekannt sind und dass sie ein Verbot nicht für den richtigen Weg hält".

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