Die Vorratsdatenspeicherung wird vorerst nicht ausgeweitet, aber vor Gericht angefochten. Außerdem in der Presseschau: Bei Dublin-Abschiebungen gilt das Folterverbot absolut und nach dem Germanwings-Unglück fürchten Angehörige um Ansprüche.
Thema des Tages
Vorratsdatenspeicherung für WhatsApp & Co: Die Vorratsdatenspeicherung wird in dieser Legislaturperiode des Bundestags nicht mehr auf Internet-Dienste wie Skype, WhatsApp, Facebook-Messenger oder Threema ausgeweitet. Das erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Dirk Wiese (SPD), gegenüber dem Montags-Hbl (Dana Heide). Damit scheitert Bundesinnenminister Thomas de Maizière vorerst mit seiner Forderung, die auch von den Innenministern der Länder und vom Bundesrat unterstützt wird.
OVG NRW – Vorratsdatenspeicherung: Der Mainzer Rechtsprofessor Matthias Bäcker geht im Namen des Providers SpaceNet AG gerichtlich gegen die Vorratsdatenspeicherung vor. Nachdem das Verwaltungsgericht Köln seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt hat, ruft Bäcker das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen an. Dabei stützt er sich auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Dezember 2016, in der die Vorratsdatenspeicherung in Schweden und Großbritannien als Verstoß gegen EU-Recht beanstandet wurde. Den Rechtsstreit erläutert die Montags-taz (Christian Rath).
Rechtspolitik
Abschiebungen: Die Bundesregierung will zukünftig Zugriff auf die Handys von Asylbewerbern bekommen, um deren Identität feststellen zu können. Die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sollen dafür mit speziellen Geräten ausgestattet werden, mit denen bis zu 2.400 Handys pro Tag ausgelesen werden können. Das geht aus dem Referentenentwurf für ein "Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" hervor, der der Montags-SZ (Lena Kampf/Hans Leyendecker) vorliegt. Laut bild.de will die Union dem Gesetzentwurf eine weitere Änderung anhängen: Das Asylverfahren von verurteilten Sozialbetrügern soll leichter beendet werden können.
Dozent Carsten Hörich und Habilitand Johannes Eichenhofer kommentieren auf verfassungsblog.de einige Elemente des Referentenentwurfs. Der Kurs der Bundesregierung erweise sich "letztlich als bloßer Aktionismus, der in verfassungs- und europarechtlich problematischer Weise auf dem Rücken der Geduldeten ausgetragen wird". Reinhard Müller (Montags-FAZ) spricht sich für konsequente Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber aus: "Der Verzicht auf die mögliche Durchsetzung einer Abschiebung schadet den wahrhaft Verfolgten."
GWB-Reform: Die Koalition hat sich auf eine Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen geeinigt. Das Bundeskartellamt soll demnach doch nicht mit Verbraucherschutzaufgaben im Internet betraut werden, aber Marktstudien durchführen. Die Ministererlaubnis soll zeitlich gestrafft werden, so die Montags-FAZ (Hendrik Wieduwilt).
PKW-Maut: Die Pläne von Verkehrsminister Alexander Dobrindt stoßen auf Widerstand im Bundesrat. Das Saarland und Rheinland-Pfalz wollen einen Antrag in den Verkehrsausschuss einbringen, in dem sie fordern, das Gesetz abzulehnen. Da es sich um ein Einspruchsgesetz handelt, kann der Bundesrat das Gesetz nicht verhindern, das Verfahren aber möglicherweise bis zur Bundestagswahl hinauszögern. Das meldet der Spiegel (Sven Böll, erweiterte spiegel.de-Fassung).
Über das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das zu dem Ergebnis kommt, dass die Maut-Pläne unionsrechtswidrig sind, berichten jetzt auch die Samstags-SZ (Cerstin Gammelin) und spiegel.de (Gerald Traufetter).
Managergehälter: Im Bundestag wurde ein Gesetzentwurf der Grünen zur Eindämmung von exorbitanten Managergehältern diskutiert. Danach sollen Gehälter ab 500.000 Euro nicht steuerlich absetzbar sein. Widerstand kommt vor allem aus der Union, in der einige Politiker aber auch Verständnis äußern, wie die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt/Dietrich Creutzburg) schreibt.
Insolvenzrecht: Der Bundestag hat eine Änderung des Insolvenzrechts beschlossen. Die Anfechtungsfrist beträgt zukünftig vier statt zehn Jahre. Anwälte reagieren laut Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) verhalten und verweisen auf unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Klärung noch ausstehe.
Störerhaftung: netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) weist auf einen Bericht der Bundesregierung zu den Schlussfolgerungen aus der EuGH-Entscheidung zur Störerhaftung vom September 2016 hin. Danach befindet sich ein Gesetzentwurf des Wirtschaftsministeriums bereits seit Oktober in der Ressortabstimmung.
Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen: Der Reserveoffizier Simon Gauseweg befasst sich auf lto.de mit der ursprünglich geplanten Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, die nun von der Union bis auf Weiteres gestoppt wurde. Der Entwurf hätte den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr in "verfassungsrechtlich bestenfalls bedenklicher" Weise eingeschränkt.
Komitologie: Auf verfassungsblog.de beschäftigt sich Marian Weimer (in englischer Sprache) mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Komitologie-Verordnung, die die Beteiligung von Ausschüssen beim Erlass von Durchführungsbestimmungen regelt. Die vorgeschlagene Änderung könne helfen, Entscheidungen zu verhindern, die auf der nationalen Ebene nicht umgesetzt werden. Der wissenschaftliche Assistent Merijn Chamon kritisiert auf verfassungsblog.de (ebenfalls in englischer Sprache), dass die vorgesehene Beteiligung des Rates die primärrechtlichen Prämissen der Art. 290 und 291 AEUV ignoriert. Nicht der Rat sondern die Mitgliedstaaten seien danach für die Kontrolle der Kommission beim Erlass von Durchführungsbestimmungen zuständig.
Gesichtsverhüllung im öffentlichen Dienst: lawblog.de (Udo Vetter) kritisiert den Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem Gesichtsverhüllung im öffentlichen Dienst verhindert werden soll. Es sei fraglich, ob ein unverhülltes Gesicht wirklich für eine vertrauensvolle Kommunikation erforderlich sei. Zudem gebe es viele Tätigkeiten, bei denen sich die "Vertrauensfrage" gar nicht stellen würde. Letztlich sei der Entwurf der "Versuch, vor der Bundestagswahl dem Populismus mit Populismus zu begegnen".
Justiz
EuGH zu Dublin-Abschiebungen: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass bei Dublin-Abschiebungen immer das Folterverbot zu beachten und dabei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu berücksichtigen ist. Im konkreten Fall ging es um eine Asylbewerberin, die geltend machte, dass ihr Gesundheitszustand der Abschiebung entgegenstehe. Auf verfassungsblog.de ordnet Constantin Hruschka von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe die Entscheidungen ein.
BVerfG – Motorradklubs: Die Motorradklubs Hells Angels, Bandidos, Gremium und Outlaws planen nach Informationen von spiegel.de (Jörg Diehl) eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde gegen die Änderung des Vereinsgesetzes, mit der verhindert werden soll, dass Kennzeichen eines verbotenen Vereins in nahezu gleicher Form von einem anderen Verein weitergenutzt werden. Die Rocker sehen sich in ihrer Vereinigungsfreiheit verletzt.
BVerfG – AfD: Die Alternative für Deutschland hat laut FAS (Justus Bender) nicht nur vor dem Verfassungsschutz, sondern auch vor dem Bundesverfassungsgericht Angst. Das erkläre die Zurückhaltung, mit der die Partei Entscheidungen des Gerichts kommentiere. Der Parteivorsitzende Jörg Meuthen glaube sogar, dass eine Passage im NPD-Urteil zum Ausschluss von der Parteienfinanzierung nur für die AfD geschrieben worden sei.
VG Berlin zu Hintergrundgesprächen: Das Kanzleramt muss nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin der Presse Auskunft über Hintergrundgespräche mit Journalisten erteilen. Der Anspruch umfasst Informationen über Termine, Themen, Teilnehmer und Orte der Treffen, nicht jedoch die genauen Inhalte. Die Entscheidung und deren Hintergründe stellt der Journalist und Kläger im genannten Verfahren, Jost Müller-Neuhof, im Montags-Tsp vor.
OLG München – NSU-Prozess: Die Samstags-SZ (Rainer Stadler/Annette Ramelsberger) geht der Frage nach, warum Beate Zschäpe sich vom Psychotherapeuten Joachim Bauer begutachten lassen will. Der Bestseller-Autor sei bisher nicht für seine Expertise bei der Begutachtung von Straftätern bekannt.
LG Bonn – Tod von Niklas P.: Die FAS (Michaela Schwinn) berichtet von den ersten Verhandlungstagen im Prozess um den gewaltsamen Tod von Niklas P., der im Mai 2016 von Jugendlichen angegriffen wurde. Drei Zeugen haben bisher ausgesagt, die beiden Angeklagten wiederzuerkennen.
LG Frankfurt/Main – Exorzisten-Prozess: Im sogenannten Exorzisten-Prozess vor dem Frankfurter Landgericht wurden die Plädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft forderte für die Hauptangeklagte acht Jahre Haft. Ihr wird vorgeworfen, eine 41 Jahre alte Koreanerin bei einer "Teufelsaustreibung" festgehalten und zu Tode malträtiert zu haben. Die Samstags-SZ (Susanne Höll) berichtet.
LG Nürnberg – Bayerisches LKA: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat Anklage gegen sechs Beamte des Bayerischen Landeskriminalamtes erhoben. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, bei einem Prozess gegen einen V-Mann des LKA falsch ausgesagt zu haben. Zudem sollen sie in den Diebstahl von Baumaschinen in Dänemark verwickelt sein. Die Samstags-FAZ (Albert Schäffer) schildert den Fall.
AG Detmold – Holocaustleugnung: Die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck ist erneut vom Amtsgericht Detmold verurteilt worden. Wegen Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener soll die 88-Jährige für zehn Monate ins Gefängnis. Sie hatte nach ihrer letzten Verurteilung Schriften an Journalisten, die Richterin und den Staatsanwalt verteilt, in denen sie den Holocaust leugnet. Da sie gegen alle Urteile in Berufung geht, muss sie ihre Haftstrafen noch nicht antreten, schreibt spiegel.de (Julian Feldmann).
AG Köln – Blitzer-Panne: Im Gespräch mit spiegel.de (Caroline Schiemann) erklärt Rechtsanwalt Sven Hufnagel, wie er für seinen Mandanten gegen ein Fahrverbot und Punkte im Flensburg vorgeht, die aufgrund eines Fehlers beim Blitzen auf der A3 in Köln verhängt wurden. Neben einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens habe er einen Vollstreckungsschutzantrag gestellt, damit der Mandant möglichst schnell seinen Führerschein zurückbekomme.
GBA/StA Duisburg – Türkischer Premier: Der Grünen-Politiker Volker Beck hat die Bundesanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft Duisburg aufgefordert, gegen den türkischen Premier Binali Yıldırım zu ermitteln und ihn während seiner Deutschland-Reise zu vernehmen. Es bestehe der Verdacht, dass Yıldırım in die Spionage-Tätigkeiten türkischer Imame verwickelt sei, heißt es in einem Schreiben, das spiegel.de vorliegt. Heribert Prantl (Montags-SZ) bezeichnet es als "ärgerlich, mit welchem Fatalismus die deutschen Staatsgewalten den Auftritt des türkischen Premiers Yıldırım in Oberhausen über sich haben ergehen lassen". Deutschland dürfe es nicht dulden, dass es zum "Stützpunkt des türkischen Regimes" wird.
Recht in der Welt
Vereinigtes Königreich – Rechte von EU-Bürgern: In einem (englischsprachigen) Beitrag auf verfassungsblog.de schildert Jura-Dozent Ruvi Ziegler die Unsicherheit, die hinsichtlich der Rechte von ausländischen EU-Bürgern nach dem Brexit besteht. Initiativen, diese vor Beginn der Austrittsverhandlungen zu sichern, seien bisher gescheitert. So würden ausländische EU-Bürger zur Verhandlungsmasse gemacht.
Spanien – Korruptionsprozess: Die spanische Infantin Cristina ist vom Vorwurf der Beihilfe zum Steuerbetrug freigesprochen worden. Ihr Ehemann muss jedoch für sechs Jahre ins Gefängnis. Es war das erste Mal, dass ein Mitglied der Königsfamilie vor Gericht stand. Über den Prozess berichten Samstags-SZ (Thomas Urban) und Samstags-FAZ (Hans-Christian Rößler).
Sonstiges
Schadensersatz nach Germanwings-Unfall: Angehörige der Opfer des Gemanwings-Unglücks von 2015 befürchten, dass Schadensersatzansprüche gegen die Lufthansa verjähren, und drohen ihren Anwälten mit einer Klage. Die von ihnen beauftragte New Yorker Kanzlei wurde umfassend bevollmächtigt, hat jedoch nicht die Zulassung für Klagen in Deutschland. Unklar sei, ob der ebenfalls beauftragte Mönchengladbacher "Opferanwalt" Christof Wellens Klage erheben kann und was mit den gegebenenfalls erstrittenen Geldern geschieht, so der Spiegel (Gerald Traufetter, spiegel.de-Zusammenfassung).
Pulse of Europe: lto.de (Isabelle Beaucamp/Pia Lorenz) stellt die Bewegung "Pulse of Europe" vor, die durch wöchentliche Versammlungen in mehreren Städten den befürchteten Zerfall der Europäischen Union verhindern will. Ins Leben gerufen wurde die Bewegung von Juristen.
Krankmeldungen: Die Rechtsanwältin Doris-Maria Schuster erklärt in der Samstags-FAZ, dass Krankmeldungen von Arbeitnehmern auch per WhatsApp, E-Mail oder SMS zulässig sind, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Wichtig sei nur, dass die Meldung unverzüglich erfolge und die zuständige Person erreiche.
Abhör-Puppe: Die Bundesnetzagentur hat Verkaufsstellen aufgefordert, die Puppe Cayla aus dem Angebot zu nehmen. Die Puppe, die über ein Mikrofon verfügt und mit Smartphones verbunden werden kann, sei eine verbotene "versteckte, sendefähige Anlage". Die Samstags-SZ (Jannis Brühl) und zeit.de (Eike Kühl) berichten. Die Samstags-taz (Dinah Riese) sprach mit dem Jurastudenten Stefan Hessel, der mit einem Rechtsgutachten den Stein ins Rollen gebracht hatte.
"131er-Gesetz": lto.de (Martin Rath) befasst sich mit dem Umgang mit ehemaligen NS-Beamten in der jungen Bundesrepublik. Den Fall eines ehemaligen Gestapo-Beamten, der sich verfassungswidrig vom "131er-Gesetz" ausgeschlossen sah, nahm das Bundesverfassungsgericht 1957 zum Anlass, der Idee eines überzeitlichen Beamtentums nochmals eine Absage zu erteilen.
Juristenprozess vor 70 Jahren: deutschlandfunk.de (Bernd Ulrich) erinnert an den Juristenprozess, der vor 70 Jahren in Nürnberg begann. 16 Richter, Staatsanwälte und höhere Justizbeamte des NS-Regimes waren vor einem amerikanischen Militärgericht angeklagt.
Das Letzte zum Schluss
AG St. Georg – Sex in Sauna: Vor dem Amtgericht Hamburg-St. Georg müssen sich vier Senioren verantworten, denen vorgeworfen wird, in der Sauna der Alsterschwimmhalle "unbekleidet aneinander sexuelle Handlungen vorgenommen" zu haben. Das meldet bild.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. bis 20. Februar 2017: Streit um Vorratsdatenspeicherung / EuGH zu Dublin / Germanwings-Unglück mit Nachspiel . In: Legal Tribune Online, 20.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22143/ (abgerufen am: 01.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag