Gina-Lisa Lohfink ist wegen falscher Verdächtigung angeklagt. Wird dabei auch über die Sexualstrafrechtsreform verhandelt? Außerdem in der Presseschau: Probleme des Brexits, Referendarin mit Kopftuch und AG Bremen erfindet neues Delikt.
Thema des Tages
AG Berlin-Tiergarten – Gina-Lisa Lohfink: Vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten wurde unter regem Publikumsinteresse und einer Demonstration vor dem Gericht das Verfahren gegen Gina-Lisa Lohfink wegen falscher Verdächtigung fortgesetzt. SZ (Verena Mayer) und FAZ (Denise Peikert) berichten zur Vernehmung von eines der beiden mutmaßlich Geschädigten. Der Mann beharrte darauf, dass der Sex zwischen ihm und Lohfink "immer einvernehmlich" gewesen sei. Für die taz (Laura Ewert) spitzte sich der Verhandlungstag auf Fragen zur Entstehung des hierbei angefertigten Videos zu. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) sieht dagegen vor allem eine "überforderte Angeklagte". Bei der durch ihren Fall befeuerten Debatte über eine Reform des Sexualstrafrechts gehe "es nicht um die Härte", vielmehr "um Schärfe". Während seiner Amtszeit habe sich der Bundesjustizminister vom Rat des "gelernten Richters Montesquieu" entfernt, der sagte: "Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, ist es unbedingt notwendig, ein Gesetz nicht zu erlassen". Fragen zu Fall und Verfahren fasst taz.de (Christian Rath) zusammen.
Für Hannelore Crolly (Welt) ist der Fall Lohfink wie andere mit prominenten Beteiligten ein "Beispiel dafür, wie der Coitus im Kampf der Geschlechter als Waffe eingesetzt wird". Die Justiz stünde bei Beurteilung der Frage, ob "Sex nun einverständlich war oder nicht", "hilflos" da und scheitere häufig. Auch ein im Sinne von "Nein heißt Nein" reformiertes Sexualstrafrecht würde hier nicht weiterhelfen. Notwendig sei vielmehr, "von vornherein vernünftiger zu sein".
Rechtspolitik
BND-Reform: Die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke) berichtet zu einer ihr vorliegenden Kabinettsvorlage zur Reform der Bundesnachrichtendienstkontrolle. Dessen Auslandsaufklärung solle künftig durch ein neu zu schaffendes Unabhängiges Gremium, bestehend aus einem Bundesanwalt und zwei Bundesrichtern, gewährleistet werden. Weil die Ernennung der Mitglieder durch die Bundesregierung erfolge, müsse deren Unabhängigkeit bezweifelt werden.
Familienrecht/Wechselmodell: Im Oktober 2015 verabschiedete die parlamentarische Versammlung des Europarats eine familienrechtliche Resolution. Nach dieser erhalten Mitgliedsstaaten den Auftrag, die Betreuung von Kindern getrennter Eltern im Wege des sogenannten Wechselmodells auszugestalten. Rechtsanwältin Susanne Delerue untersucht auf lto.de zu erwartende Auswirkungen auf das deutsche Familienrecht, in dem in dieser Frage bislang das gegensätzliche Residenzmodell vorherrsche.
Volksabstimmungen: Torsten Rieke (Hbl) spricht sich im Leitartikel der Zeitung gegen Volksabstimmungen aus. Im digitalen Zeitalter laufe der politische Diskurs Gefahr, "zu einem Wettstreit von populistischen Sprücheklopfern" zu verkommen und gefährde so die repräsentative Demokratie. Diese biete die Chance, "komplexe Probleme durch den Wettstreit von Argumenten und nicht Parolen" zu lösen, bedürfe aber gleichzeitig Vertrauen der Bürger in ihre Volksvertreter.
Bundesteilhabegesetz: Die taz berichtet zu dem am heutigen Dienstag von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im Kabinett vorgestellten Entwurf des Bundesteilhabegesetzes. Gegenüber dem Referentenentwurf blieben Partnereinkommen und -vermögen nunmehr anrechnungsfrei. Kritiker bemängelten aber, dass hiervon nur wenige Betroffene profitierten. Die Welt (Sabine Menkens) interviewt die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, zu ihrer Kritik am Entwurf.
Elektronisches Anwaltspostfach: Die vom Bundesjustizministerium angekündigte Verordnung zur Einführung der besonderen elektronischen Anwaltspostfächer soll der Bundesrechtsanwaltskammer ermöglichen, den Starttermin am 29. September nun doch einzuhalten. Dies meldet lto.de.
Privacy Shield: Nach Darstellung von zeit.de (Patrick Beuth) haben sich EU-Kommission und US-Regierung über Inhalte der Datenschutzvereinbarung Privacy Shield als Nachfolgeregelung der Safe-Harbor-Verständigung geeinigt. Unter anderem habe die US-Regierung zugesagt, großangelegte Datensammlungen nur bei Erfüllung spezifischer Bedingungen durchzuführen.
Justiz
BGH-Richter: lto.de stellt zwei neuernannte Richter am Bundesgerichtshof vor. Birgit Borris war bislang Vorsitzende Richterin am LG Zwickau, Carsten Paul Vizepräsident des LG Marburg.
BGH zu Manager-Haftpflicht: Das Hbl (Jakob Blume) berichtet zu zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshof aus dem April, durch die eine seit Jahren bestehende Rechtsunsicherheit bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen nach sogenannten Manager-Haftpflichtverträgen beseitigt worden sei. Der BGH habe klargestellt, dass Ansprüche aus derartigen Directors-and-Officers(D&O)-Policen nach allgemeinen versicherungsrechtlichen Grundsätzen abgetreten werden können. In einem einzigen Verfahren sei dann zu klären, ob ein Fehler des Managers zu einem Schaden geführt habe und die Versicherung hierfür einstehen müsse. Dies begünstige Lösungen in Fällen, in denen das geschädigte Unternehmen mit dem Betreffenden weiterarbeiten wolle.
BAG zu Diskriminierung: In einem Gastbeitrag für das Hbl behauptet Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer, dass die Rechtsprechung "zu schnell zur Hand" sei, wenn "Arbeitnehmer hinreichende Indizien für eine Benachteiligung" darlegten. Anlass für diese Annahme ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Dezember. Nach diesem wurde eine Entschädigungsklage nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz zur Neuverhandlung zurückverwiesen. Dass das BAG die in Streit stehende Reaktion eines Abteilungsleiters auf das äußere Erscheinungsbild einer transsexuellen Bewerberin als denkbares Indiz für eine verbotene Benachteiligung auffasste, hält der Autor für "lebensfremd".
LG Potsdam – Silvio S.: Über die Fortsetzung des Verfahrens gegen Silvio S. am Landgericht Potsdam berichtet unter anderem die SZ (Thorsten Schmitz). In ihrer Vernehmung beschrieb die Mutter des getöteten Mohamed die Folgen der Tat für sie und ihre Familie.
GBA – Erdogan: Zwei Rechtsanwältinnen haben nach einer Meldung der taz den türkischen Präsidenten Recep Erdogan wegen Kriegsverbrechen in kurdischen Gebieten angezeigt. Angestrebt werde eine Verurteilung nach dem Völkerstrafgesetzbuch.
Reichsbürger: Das baden-württembergische Justizministerium arbeitet nach dem Bericht der FAZ (Rüdiger Soldt) gegenwärtig an einem Praxisleitfaden für Justizangestellte, in dem "typische Fallkonstruktionen" im Umgang mit sogenannten Reichsbürgern dargelegt werden sollen. Der Artikel nennt auch besonders krasse Fälle in letzter Zeit gehäuft auftretender Störungen von Gerichtsverhandlungen durch derartige Gruppen.
Recht in der Welt
Großbritannien/EU – Brexit: Rechtsprofessor Ingolf Pernice untersucht auf verfassungsblog.de sich aus der Brexit-Abstimmung im Vereinigten Königreich ergebende Fragen. Angesichts des in Großbritannien geltenden Prinzips der Parlamentshoheit sei bereits fraglich, ob ein Referendum für Parlament und Regierung eine Bindungskraft entfalten könnten. Daneben sei aber auch beachtlich, dass der Austritt des Landes die Grundfreiheiten von "Unionsbürgern insgesamt" betreffe und daher fraglich, ob dies nicht eine qualifizierte Mehrheit erfordere. In jedem Fall habe das Referendum nichts entschieden und nichts dem "Nach-Denken" entzogen. Nach Darstellung der SZ (Alexander Menden) widerspricht die von der Ersten Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, geäußerte Absicht, notfalls einen vom Londoner Parlament betriebenen Austritt blockieren zu wollen, den Bestimmungen über die legislativen Kompetenzen Schottlands.
Patrick Bernau (FAZ) stellt in einem Kommentar das Demokratieverständnis Jener in Frage, die nun ein zweites Referendum fordern. Auch wenn für die Forderung "scheinbar rationale Argumente" vorgetragen würden, belegten sie doch "vor allem eines: Wie tief das Unverständnis zwischen den städtischen Eliten und dem Rest des Landes ist".
USA – Abtreibung: Im Jahr 2013 verabschiedete Gesetze des US-Staates Texas, die Abtreibungskliniken strengen Auflagen unterwarfen, sind nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts des Landes als verfassungswidrig aufzuheben. Die Beschränkungen trügen "wenig bis nichts zur Gesundheit einer Frau bei", zitiert sz.de (Johannes Kuhn) das Urteil, eines der wichtigsten zu Schwangerschaftsabbrüchen in den vergangenen Jahren.
USA – VW: Das Hbl (Stefan Menzel/Astrid Dörner) berichtet zu der am heutigen Dienstag ablaufenden gerichtlich gesetzten Frist für VW, sich in den USA vergleichsweise zu Entschädigungen an Autofahrern, aber auch zu Zahlungen an Behörden wie das Justizministerium zu einigen. Grundzüge seien bereits im April erzielt worden, der Autobauer müsse nun Details vorlegen, die dann vom mit der Sache befassten Richter geprüft würden. Mit einer endgültigen Entscheidung sei im Oktober zu rechnen. Nach wie vor nicht vom Tisch seien strafrechtliche Ermittlungen in den USA sowie Ansprüche von Anlegern weltweit.
Neuseeland – Deutscher Austauschschüler: Nach einer Entscheidung des neuseeländischen High Courts muss eine Schule des Landes den Eltern eines deutschen Austauschschülers geleistetes Schulgeld zurückerstatten. Der Schüler war wegen Kiffens von der Schule verwiesen worden, schreibt spiegel.de. Nach Ansicht des Gerichts stellte dies jedoch kein erforderliches grobes Fehlverhalten dar.
Juristische Ausbildung
Kopftuch im Referendariat: Die SZ (Dunja Ramadan) porträtiert die bayerische Referendarin Aqilah Sandhu. Weil die Muslimin ein Kopftuch trägt, konnte sie ihren Vorbereitungsdienst nur unter der Auflage leisten, keine richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Aufgaben zu erfüllen. Am kommenden Donnerstag wird vor dem Verwaltungsgericht Augsburg über die Rechtmäßigkeit der wegen des nahenden Abschlusses des Referendariats mittlerweile aufgehobenen Auflage verhandelt.
Sonstiges
Parteien-Überwachung: Immer wiederkehrende Forderungen nach Überwachung bestimmter Parteien oder Abgeordneter durch den Verfassungsschutz nimmt Hochschullehrer Florian Albrecht auf lto.de zum Anlass, einen Überblick zu den Voraussetzungen einer solchen Maßnahme zu geben.
Das Letzte zum Schluss
Angriffsdiebstahl: Wikipedia bezeichnet Suchmaschinenoptimierung als Maßnahmen, die dazu dienten, dass Webseiten im organischen Suchmaschinenranking in unbezahlten Suchergebnissen auf höheren Plätzen erscheinen. Ob die Pressestelle des Amtsgerichts Bremen Derartiges beabsichtigte, als sie in ihrer Vorschau einen Prozess zu einem "Angriffsdiebstahl" ankündigte? Aufmerksam geworden ist jedenfalls lawblog.de (Udo Vetter).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2016: Verdächtigung, Vergewaltigung, Vernunft / Brexit-Fragen / Kopftuch im Referendariat . In: Legal Tribune Online, 28.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19808/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
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