Die Deutsche Welle will mit gerichtlicher Hilfe die Herausgabe von Videomaterial erwirken. Außerdem in der Presseschau: Expertenanhörung zur BND-Reform, Prozess gegen Geheimagenten und verwechselt der Justizminister Moral mit Recht?
Thema des Tages
Türkei – Deutsche Welle: Am 5. September interviewte der Journalist Michel Friedman den türkischen Minister für Jugend und Sport, Akif Cagatay Kilic, für den ARD-Sender Deutsche Welle (DW). Im unmittelbaren Anschluss ließ der Befragte das Videomaterial konfiszieren, schreibt faz.net (Michael Hanfeld). Nachdem Aufforderungen zur Herausgabe trotz Fristsetzungen erfolglos blieben, hat der Sender nun bei einem Zivilgericht in Ankara eine Klage eingereicht. Die FAZ (Michael Hanfeld) befragt in ihrem Medien-Teil den Intendanten des Senders, Peter Limbourg, zu den Hintergründen dieses Schrittes, Versuchen, den Konflikt auf politischer Ebene zu lösen sowie Selbstverständnis und Zielen des von ihm geleiteten Senders auch gegenüber Regierungen, die nicht zögerten, "autokratische und diktatorische Mittel anzuwenden".
Rechtspolitik
BND-Reform: Vorrangiges Thema der Expertenanhörung des Bundestagsinnenausschusses zur gepanten BND-Reform war die Reichweite der verfassungsrechtlichen Bindung des Geheimdienstes gegenüber Persönlichkeitsrechten von Ausländern. Für die von der Bundesregierung präferierte Sichtweise einer im Vergleich zu Inländern geringeren Schutzdichte trat dabei Kurt Graulich, ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht, auf. Dass eine Regelung der sogenannten Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung geplant würde, sei für Graulich "epochal" großzügig, berichtet die SZ (Ronen Steinke). Die meisten anderen Sachverständigen hielten die Unterscheidung dagegen für verfassungswidrig. zeit.de (Kai Biermann) geht in seinem Sitzungsbericht auch auf die umstrittene Frage eines geplanten neuen, beim Bundesverwaltungsgericht einzurichtenden Kontrollgremiums ein. Auch hier habe Graulich als einziger der geladenen Experten eine positive Meinung vertreten.
Vermögensabschöpfung: Rechtsanwalt Jörg Habetha befasst sich auf lto.de ausführlich mit der nun vorgelegten "ambitionierten, umfassenden Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung." Der Fachanwalt für Strafrecht hält dabei die vorgesehene grundlegende Neugestaltung der Opferentschädigung für gelungen, die Erweiterung der Einziehung von Vermögen dagegen für verfehlt und an einigen Stellen sogar für verfassungswidrig. Wegen der ablaufenden Umsetzungsfrist einer europäischen Richtlinie müsse jedoch mit baldiger Gesetzwerdung der Reform gerechnet werden.
Sexismus: In einem Kommentar zu Sexismus-Vorwürfen innerhalb der Berliner CDU und der hierzu angestoßenen Debatte erinnert Reinhard Müller (FAZ) vor einer vom Justizminister betriebenen Verschärfung des Strafrechts daran, "dass es gerade bei Zoten (aber auch sonst eigentlich immer) auf den Zusammenhang ankommt." Innerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen sei "jedwede Anzüglichkeit tabu" und könne mit einer sofortigen Kündigung geahndet werden. Ansonsten sei es "mit Witzen so eine Sache".
Arbeit auf Abruf: Eine vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) erstellte Studie kritisiert die arbeitsmarktpraktische Anwendung der nach § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz zulässigen Abrufarbeit, weil diese wirtschaftliche Risiken einseitig auf Arbeitnehmer verteile. beck.blog.de (Markus Stoffels) begrüßt diesen Vorstoß. Die bislang zur Thematik ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung habe der Beschäftigungsform "keine nennenswerten Grenzen" gesetzt. Dabei seien Einschränkungen sinnvoller als ein Totalverbot.
Sparmodelle-Meldepflicht: Ein vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegebenes Gutachten des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen geht davon aus, dass eine an Steuerberater gerichtete Anzeigepflicht für Steuersparmodelle verfassungs- und europarechtlich zulässig wäre. Begründet würde dies mit der verfassungsrechtlich garantierten Besteuerungsgleichheit, schreibt die Welt (Nikolaus Doll).
Justiz
OLG Stuttgart zu FDLR-Führern: In Erinnerung an das vor einem Jahr verkündete Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgarts gegen zwei Führer der ruandischen Miliz FDLR kritisiert Simone Schlindwein (taz) in einem Kommentar den justiziellen Umgang mit Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Zwar fänden Ermittlungen "am Fließband". Die vom OLG Stuttgart bei der Urteilsverkündung geäußerte Kritik "an der Anwendbarkeit der deutschen Strafprozessordnung in Völkerstrafgesetzbuch-Verfahren im Massenbetrieb" sei jedoch unbeachtet verhallt. Weder habe die Entscheidung in Ruanda Beachtung gefunden noch finde eine Betreuung oder Nachsorge der oft traumatisierten Zeugen statt.
OLG Köln – Tagesschau-App: Am kommenden Freitag soll das Oberlandesgericht Köln sein Urteil zu der von mehreren Zeitungsverlagen angestrengten Klage gegen die Tagesschau-App von NDR und ARD verkünden. Dies schreibt die FAZ (Jan Hauser) in einem Bericht zum Auftritt Günther Oettingers (CDU) auf dem Kongress des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger. Der EU-Kommissar habe dort seine Pläne für ein europäisches Leistungsschutzrecht beworben.
LG München I zu Rolf Breuer: Die SZ (Klaus Ott) berichtet zur nun vorgelegten schriftlichen Begründung des Freispruchs von Rolf Breuer und weiteren Managern der Deutschen Bank vom Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs. Für die im Zivilverfahren zu Schadensersatzforderungen Leo Kirchs bzw. seiner Nachkommen verfolgte "These" des Oberlandesgerichts München, Breuer habe mit seinem TV-Interview im Februar 2002 den Medienunternehmer unter Druck setzen wollen, habe sich kein Beweis finden lassen. Dies gelte gleichermaßen für einen Übernahmeplan der Bank. Ob mit der jetzigen Veröffentlichung die juristische Aufarbeitung des Zusammenbruchs des vormaligen Kirch-Imperiums abgeschlossen ist, sei noch offen. Denn könne die Staatsanwaltschaft den Freispruch noch anfechten.
LG Bochum – Werner Mauss: Über den Auftakt im Verfahren gegen den Agenten Werner Mauss vor dem Landgericht Bochum berichten SZ (Ralf Wiegand), taz (Tobias Schulze) und FAZ (Reiner Burger). Dem wegen Steuerhinterziehung angeklagten Mauss seien drei Alias-Namen zugeordnet worden. Einlassungen zur Sache erfolgten nicht.
LG Hamburg – "Schmähkritik": Im Verfahren zum vom türkischen Präsidenten Recep Erdogan beantragten Verbot des Gedichts "Schmähkritik" von Jan Böhmermann hat das Landgericht Hamburg die mündliche Verhandlung in der Hauptsache auf den 2. November terminiert. Dies meldet lto.de.
Recht in der Welt
Saudi-Arabien – Vormundschaft: Eine zunächst über Twitter organisierte Petition in Saudi-Arabien fordert die Abschaffung des sogenannten Vormundschaftssystems, nach dem zahlreiche Aktivitäten von Frauen von der Erlaubnis des Ehemanns oder des nächststehenden männlichen Verwandten abhängen. Um sich dem Vorwurf zu entziehen, die Kampagne sei vom Ausland gesteuert, hätten hunderte Aktivisten die Forderung auch per Telegramm an den König übermittelt, schreibt die SZ (Moritz Baumstieger). Im Land müssten Absender bei diesem "eigentlich antiquierten Kommunikationsmittel" ihre Identität nachweisen, Adressaten den Empfang bestätigen.
Juristische Ausbildung
Examens-Pflichtstoff: Das Familienrecht soll nach Plänen der Justizministerkonferenz künftig allenfalls nur noch in Grundzügen Pflichtstoff des ersten juristischen Staatsexamens sein. Über die in der kommenden Ausgabe der "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht" veröffentlichten Kritik der wissenschaftlichen Vereinigung für Familienrecht berichtet die SZ (Heribert Prantl). Der beabsichtigten Vereinheitlichung des Examens-Pflichtstoffs solle zudem auch das Internationale Privatrecht zum Opfer fallen.
Sonstiges
Hass-Posts: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat bei der Eröffnung der Konferenz "Gemeinsam gegen Hasskriminalität" Fortschritte bei der Löschung sogenannter Hass-Posts in sozialen Netzwerken anerkannt, gleichzeitig aber kritisiert, dass Plattformen wie Facebook auf Beschwerden von privaten Nutzern nach wie vor zu langsam reagierten. Dies berichtet lto.de. Ein größerer Beitrag im Feuilleton der SZ (Johannes Boie) erinnert daran, dass "Hassreden" nach wie vor nicht straftatbestandlich definiert seien. Zum Teil privat organisierte Löschungsinitiativen würden so "zu einer Art Stresstest demokratischer Prinzipien", wenn sie zwar widerliche, aber eben nicht strafbare Äußerungen sanktionierten. Es irritiere, wenn "ausgerechnet im Justizministerium" Moral mit Recht verwechselt werde.
International Bar Association: Das Hbl (Torsten Riecke) berichtet über das Jahrestreffen der International Bar Association in Washington/USA. In der Eröffnungsrede habe IWF-Präsidentin Christine Lagarde die anwesenden 5.000 Juristen an die Verantwortung ihres Berufs erinnert. Weitere Tagungsthemen seien Korruption auch unter Juristen, die Folgen des Brexits sowie die Zukunft des Rechtsstaats in den USA gewesen.
Das Letzte zum Schluss
Britisches Island: Bei der Fußball-EM bescherte Island dem vermeintlichen Mutterland des Sports eine peinliche Niederlage. Auf anderem Gebiet hat der größere Inselstaat dem kleineren etwas voraus. Die SZ (Silke Bigalke) berichtet, dass es einem Tiefkühlkost-Händler mit Sitz in Wales und dem Namen "Iceland Foods" 2014 gelungen sei, das Recht für die Nutzung der Marke "Iceland" beim Amt der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) zu sichern. Nachdem nun mehreren isländischen Firmen die Nutzung des Namens untersagt wurde, erwägt die isländische Regierung eine Löschungsklage.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. September 2016: Deutsche Welle gegen Türkei / Prozess gegen Mauss / Maas gegen Hass-Posts . In: Legal Tribune Online, 27.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20665/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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