Der BGH hat Mindestgebühren bei kurzfristiger Kontoüberziehung eine Absage erteilt. Außerdem in der Presseschau: Prozessbeginn im Fall Höxter, Anzeigepflicht für Steuersparer, neue Freier-Strafbarkeiten und eine Kriminal-Doku im Kino.
Tagesthema
BGH zu Mindestgebühren bei Kontoüberziehung: In zwei Verfahren hat der Bundesgerichtshof am gestrigen Dienstag entschieden, dass Klauseln über pauschale "Mindestentgelte", die Banken von Kunden für geduldete Überziehungen eines Disporahmens verlangten, nicht rechtmäßig seien. Geklagt hatten zwei Verbraucherschutzverbände gegen entsprechende Gebühren von Targo-Bank und Deutscher Bank; bei ersterer waren mindestens 2,90 Euro im Monat fällig, bei letzterer 6,90 Euro im Quartal, auch bei nur geringfügiger und kurzfristiger Überziehung. Der BGH befand, die Mindestgebühren benachteiligten die Kunden der Beklagten in unangemessener Weise.
Dazu berichten swr.de (Gigi Deppe), SZ (Wolfgang Janisch), Tagesspiegel (Ursula Knapp), FAZ (Ina Majewski/Christian Siedenbiedel), Hbl (Anke Rezmer) sowie spiegel.de.
Rechtspolitik
Arzneimittelgesetz-Novelle: In der FAZ-Rubrik Fremde Federn bittet Renate Künast (Grüne), Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, um einen "Aufschrei" wegen Änderungen der Koalition an der geplanten Arzneimittelgesetz-Novelle. Danach solle es künftig möglich sein, über Patientenverfügungen generell in die Teilnahme an künftigen klinischen Forschungen einzuwilligen, die dann im nicht einwilligungsfähigen Zustand und bei ausschließlichem Nutzen für die repräsentierte Bevölkerungsgruppe, zu der die betroffene Person gehört, durchgeführt würden. Es müsse aber, so Künast, das Prinzip beibehalten werden, dass die Forschung an nicht mehr Einwilligungsfähigen für die Betroffenen selbst einen Nutzen habe.
Freier-Strafbarkeit: Nach kurzer Befassung mit aktuellen Themen ("Terror" in der ARD, Caroline Emcke) geht es in der aktuellen Rechtskolumne von Bundesrichter Thomas Fischer (zeit.de) um die Regulierung und Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen: Konkret um die nunmehr geltenden neuen Regelungen im StGB zur Zwangsprostitution und die darin enthaltene Freier-Strafbarkeit. Sein Fazit: "Die neue Freier-Strafbarkeit ist eine Farce. (…) (T)atsächliche Probleme löst sie nicht ansatzweise."
Anzeigepflicht für Steuersparmodelle? Die Bundesregierung plane derzeit, eine Anzeigepflicht für den Einsatz sogenannter Steuersparmodelle bzw. Steuergestaltungen für Steuerpflichtige und/oder Steuerberater einzuführen. Für lto.de erläutert dies ausführlich Rechtsanwalt und Steuerberater Arne von Freeden.
Reform Insolvenzanfechtungsrecht: Mit den Plänen zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts befassen sich für die FAZ die Rechtsanwälte Stefan Sax und Artur M. Swierczok. Ziel der derzeit im Bundestag beratenen Reform sei eigentlich, mehr Rechtssicherheit und Transparenz für den Geschäftsverkehr sowie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen; die derzeitigen Vorschläge privilegierten jedoch staatliche Stellen, etwa Finanzämter.
Alterssicherungsbericht der BReg: Heribert Prantl (SZ) kommentiert den Alterssicherungsbericht der Bundesregierung: Wer nicht selbst zusätzlich fürs Alter vorsorge, dem werde es schlecht gehen; Schuld seien eine unzulängliche Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik.
Justiz
LG Paderborn – "Horrorpaar von Höxter": Am heutigen Mittwoch beginnt vor dem Landgericht Paderborn der Strafprozess gegen Angelika W. und Wilfried W., das – geschiedene – "Horrorpaar" aus Höxter. Die Anklage laute, so spiegel.de (Ansgar Siemens), auf Mord durch Unterlassen, Körperverletzung in zahlreichen Fällen und für Angelika W. auch auf versuchten Mord. Die Verhandlung, bei der 48 Zeugen gehörten werden sollen, werde voraussichtlich bis zum kommenden Frühjahr dauern.
EuGH – Kein Eintritt für Hotel-TV? Wie lto.de meldet, hat der zuständige EuGH-Generalanwalt Maciej Szpunar am gestrigen Dienstag seine Schlussanträge zur Vergütung für Rundfunkanbieter in Hotelzimmern vorgelegt: Dem aus Österreich stammenden Vorabentscheidungsverfahren liegt die Frage zugrunde, ob es sich beim Angebot von in Hotels aufgestellten TV-Geräten um eine öffentliche Wiedergabe von Sendungen an Orten handele, die der Öffentlichkeit gegen Zahlung eines Eintrittsgelds zugänglich sind – im Sinne der einschlägigen EU-Richtlinie. Szpunar habe dies verneint.
EuGH zu IP-Adressen: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mittwoch vergangener Woche zu dynamischen IP-Adressen erläutert Rechtsanwalt Ulrich Wuermeling für die FAZ. Er hält es für "fundiert". Der EuGH hatte auch dynamische IP-Adressen als personenbezogene Daten eingestuft und weiter die deutschen Regelungen im Telemediengesetz für die Verarbeitung als zu streng bewertet. Dem Vorabentscheidungsverfahren lag eine Klage des Datenschutzaktivisten Patrick Breyer zugrunde, der gegen die Protokollierung von Nutzer-Aktivitäten auf Webseiten der Bundesrepublik vorgehen wollte.
BGH zu Filesharing: Thomas Stadler (internet-law.de) stellt knapp mehrere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Filesharing-Fragen aus dem Mai 2016 vor, die nun im Volltext veröffentlicht wurden. Dabei geht es insbesondere um Hürden bei der sekundären Darlegungslast, Schadenersatzansprüche und Gegenstandswerte von Unterlassungsansprüchen.
Recht im Ausland
EU/Belgien – Ceta: Im SZ-Tagesthema erklärt Heribert Prantl, wie das Ceta-Abkommen "mit ein paar juristischen Kniffen" noch zu retten wäre. Dafür gebe es zwei Lösungen: entweder, den Vertrag ohne Belgien verabschieden (Belgien könnte aber später beitreten) oder das gemischte Abkommen werde "entmischt", so dass aus einem Verträgen zwei würden. Hier würde "Ceta 1" dann nur Regelungen zum Außenhandel treffen, für die die EU zuständig ist und könnte mit qualifizierter Mehrheit im Ministerrat verabschiedet werden; "Ceta 2" würde behandeln, was in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten fällt und bräuchte entsprechende einzelstaatliche Voten.
Helene Bubrowski (FAZ, Titel) kommentiert, Kritiker müssten ernst genommen werden, alles andere zeuge von einer Verachtung des demokratischen Diskurses; einen realen Hintergrund hätten die Sorgen aber nicht. Ein Weg aus dem Dilemma sei, künftig EU-Abkommen nur noch auf europäische Kernkompetenzen zu beschränken; aktuell könne über ein Ceta-Abkommen ohne belgische Beteiligung nachgedacht werden, wobei die Teile, die sich auf europäische Kompetenzen gründeten, dann trotzdem für Belgien gelten würden.
USA – Vergleich für VW gebilligt: Ein Vergleich über insgesamt ca. 16 Milliarden Dollar zwischen dem Autokonzern VW und Verbrauchern sowie US-Behörden ist am gestrigen Dienstag von dem zuständigen Gericht in San Francisco gebilligt worden. Dazu berichtet die FAZ (Roland Linder) und erläutert, der Vergleich erstrecke sich auf 480.000 Autos mit Zwei-Liter-Motor, die als manipuliert eingestuft wurden, nicht aber auf weitere 85.000 Drei-Liter-Motor-Autos. Auch drohten weiterhin strafrechtliche Ermittlungen in den USA.
Unter dem Titel "800 Seiten für einen Kompromiss" erläutert das Hbl (Thomas Jahn), doppelseitig, wie es zu dem "historischen" Vergleich gekommen ist.
Sonstiges
Keine Neuwahl in Sachsen trotz Demokratieverstoß der AfD? Für lto.de befasst sich Rechtswissenschaftler Sebastian Roßner mit der rechtswidrigen Streichung eines AfD-Kandidaten von der Liste für die sächsische Landtagswahl 2014. Roßner steckt den verfassungs- und einfachrechtlichen Rahmen der Kandidaten-Aufstellung ab und erläutert das Wahlprüfungsverfahren, bei dem zunächst der Landtag entscheide, bevor es ggf. in ein gerichtliches Verfahren gehe. Die Wahlprüfung müsse aber, so Roßner, wie in Berlin allein den Gerichten überlassen werden, die im Zweifel nicht zwischen politischer Opportunität und Rechtmäßigkeit wählen müssten.
Doku "Das Versprechen": zeit.de (Kaspar Heinrich) stellt einen in dieser Woche anlaufenden Dokumentar-Kinofilm vor, der den Fall des seit 30 Jahren in den USA inhaftierten Jens Söring behandelt. Der Film der SZ-Journalistin Karin Steinberger, die seit Jahren persönlichen Kontakt mit Söring hat, ziehe dessen Verurteilung wegen zweifachen Mordes an den Eltern seiner Freundin stark in Zweifel und lasse zahlreiche Prozessbeteiligte zu Wort kommen.
Erbschaftsteuerrecht: Im Finanz-Teil der FAZ befassen sich die Rechtsanwälte Frank Hannes und Christian von Oertzen mit dem neuen Erbschaftsteuerrecht für Unternehmen und damit einhergehenden Veränderungen, etwa dem sog. Verschonungssystem.
Wehren gegen "Grusel-Clowns": focus.de spricht mit dem Fachanwalt für Strafrecht Jesko Baumhöfener darüber, wie man sich in den Grenzen des Rechts gegen Attacken sog. "Grusel-Clowns" wehren darf.
Mit der Frage, ob sich Bürgerwehren, die sich gezielt verabreden, um Horrorclowns zu "klatschen", noch auf Notwehrrechte berufen könnten, befasst sich iurratio.de (Julie Tiltmann).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. Oktober 2016: BGH zu Kontoüberziehungsgebühr / Anzeigepflicht für Steuersparer / Ceta noch zu retten? . In: Legal Tribune Online, 26.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20968/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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