Das Bundesverfassungsgericht gibt sich einen Verhaltenskodex. Außerdem in der Presseschau: Mutmaßlicher Rechtsextremist zahlt Zschäpe regelmäßiges Taschengeld und neue Erkenntnisse über Maas' Rolle in der Netzpolitik-Justizaffäre.
Thema des Tages
Verhaltenskodex für BVerfG: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, überraschte auf der Jahrespressekonferenz des Gerichts mit einer Ankündigung in eigener Sache. Das Bundesverfassungsgericht wolle sich einen Verhaltenskodex geben. Es sollen im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung bestimmte Regeln mit Blick auf Nebentätigkeiten oder das Verhalten nach dem Ausscheiden aus dem Richteramt aufgestellt werden. Thematisiert werden sollen beispielsweise der Umgang mit den Medien, Honorare für Vorträge oder die Frage, ob Richter unmittelbar nach ihrem Ausscheiden zu Interessenvertretern werden sollten. Mit der Ausformulierung eines solchen Regelwerkes sei bereits eine Arbeitsgruppe beschäftigt, die allerdings noch am Anfang stehe, das Ergebnis werde anschließend veröffentlicht. Für Fehlverhalten seien aber keine Sanktionen oder formelle Verfahren vorgesehen. Zuletzt hatte der Fall der ehemaligen Richterin Christine Hohmann-Dennhardt für Aufsehen gesorgt. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Reinhard Müller) und swr.de (Gigi Deppe).
Die Ankündigung eines solchen Ehren-Kodexes komme, so Wolfgang Janisch (SZ), zur richtigen Zeit. Das Bundesverfassungsgericht genieße Ansehen in der Bevölkerung, dieses müsse vor allem in Zeiten "gesellschaftlicher Unruhen" gewahrt werden. Reinhard Müller (FAZ) spricht von einem "Compliance-Trend", der nun auch das Bundesverfassungsgericht erfasst habe. Es sei zu begrüßen, über eigene moralische Grenzen nachzudenken, gerade in Zeiten, in denen Richter jung berufen werden und "mit Mitte fünfzig eine adäquate Anschlussverwendung brauchen".
Rechtspolitik
Asylpolitik: Das Bundeskabinett hat den "Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht" und damit eine weitere Verschärfung der Asylpolitik beschlossen. Der Entwurf sieht unter anderem eine schnellere Abschiebung von Asylbewerbern und die Möglichkeit des Auslesens von Handydaten Asylsuchender vor. Es berichten die Welt (Marcel Leubecher/Mareike Kürschner) und zeit.de. Einen Überblick über die Inhalte des Entwurfs gibt die SZ (Bernd Kastner). In einem Interview mit lto.de (Tanja Podolski) erklärt Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas, weshalb er die Neuregelung im Aufenthaltsgesetz, die eine Datenauswertung der Handys von Asylbewerbern vorsieht, für verfassungswidrig hält. netzpolitik.org (Markus Reuter) zeichnet die Kritik von Opposition und Datenschützern an der geplanten Handyauswertung nach.
Sicherheitspolitik: In einem Streitgespräch mit dem stellvertretenden Fraktionschef der Grünen im Bundestag Konstantin von Notz, dem Professor für Sicherheitsstudien Peter Neumann und dem Politikwissenschaftler Thomas Grunke über die Sicherheitspolitik thematisiert die taz (Sabine am Orde/Konrad Litschko) die seit dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt geplanten Gesetzänderungen, wie die Fluggastdatenspeicherung, den Einsatz von elektronischen Fußfesseln und die verschärfte Asylpolitik.
Bundesjustizminister Maas: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) porträtiert Bundesjustizminister Heiko Maas und gibt einen Überblick über seine bisherigen Gesetzesvorhaben.
"Korruptionsregister": Ein zentrales "Wettbewerbsregister" soll, wie nun auch die SZ (Michael Bauchmüller), die Welt (Nikolaus Doll) und spiegel.de berichten, betrügerische Unternehmen erfassen und somit einen Ausschluss dieser Firmen von der öffentlichen Auftragsvergabe ermöglichen.
Justiz
EuGH zu Dublin-Transfers: Die Rechtsprofessorin Anna Lübbe setzt sich auf verfassungsblog.de mit dem in der vergangenen Woche ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Menschenrechtskonformität von Dublin-Transfers auseinander. Bei der Debatte um dieses Urteil komme die wichtige Unterscheidung zwischen zielstaatsbezogenen und inlandsbezogenen Transferhindernissen zu kurz. Der Europäische Gerichtshof habe sich in seiner Entscheidung nur auf erstere bezogen.
BVerfG zu Dortmund-Fan: Der Bundeszentralregister-Eintrag eines Borussia-Dortmund-Fans, der unter zweifelhaften Umständen in Spanien wegen Gewalt und Nötigung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, muss nun erneut geprüft werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Die Vorinstanzen hätten das Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz verletzt, weil sie die geäußerten Vorwürfe gegen die spanische Justiz nicht überprüft hätten. Der Dortmund-Fan machte geltend, in Spanien nicht nach rechtsstaatlichen Mindeststandards verurteilt worden zu sein. Es berichtet die taz (Christian Rath).
BGH zu Bausparverträgen: In einem Bericht des Hbl (Reiner Reichel/Matthias Streit) kommt der Rechtsanwalt Alexander Heinrich zu Wort, der Bausparern, die bereits Klage eingereicht haben, zur Klagerücknahme rät. Auch Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg wird zitiert, der zu bedenken gibt, dass einige Verträge nicht die Vergabe von Baudarlehen, sondern eine Geldanlage zum Ziel gehabt hätten. Diese Verträge, so Nauhauser, dürften von der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht betroffen sein.
Ulrike Herrmann und Svenja Bergt (taz) diskutieren die Frage, ob es richtig sei, dass Bausparkassen alte Verträge kündigen dürfen. Ja, sagt Ulrike Herrmann, denn ein Recht auf Zinsen gebe es nicht. Zudem wären nur Altverträge betroffen, die längst zuteilungsreif seien. Nein, sagt Svenja Bergt, bei Bausparverträgen würden die Geldinstitute und die Kunden eine Art Wette abschließen und hoffen, einen guten Deal zu machen. Die besseren Karten habe dabei immer die Bank, nun werde aber mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs dem Kunden auch die letzte Möglichkeit auf einen guten Deal genommen, das Risiko der Wette liege nun allein bei ihm.
BFH zu häuslichem Arbeitszimmer: Der Bundesfinanzhof hat nach Meldung der FAZ (Hendrik Wieduwilt) und lto.de entschieden, dass die Höchstgrenze für Aufwendungen, die für das häusliche Arbeitszimmer geltend gemacht werden können, für jede das Zimmer nutzende Person gilt. Damit änderte er seine bisherige Rechtsprechung, nach der diese Grenze objektbezogen galt.
OLG München zu künstlicher Befruchtung: Eine 35-jährige Witwe hat keinen Anspruch auf das Sperma ihres verstorbenen Ehemannes, das in einer Befruchtungsklinik gelagert ist, wie die SZ und lto.de melden. Das Oberlandesgericht München wies die Revision ab und gab damit der Klinik Recht, die sich auf das Embryonenschutzgesetz berief. Dieses verbiete eine Post-mortem-Befruchtung.
Werner Bartens (SZ) zweifelt bereits daran, ob Juristen sich in derartige private Angelegenheiten einmischen sollten, begrüßt aber dennoch das Urteil. Die Richter hätten das "richtige Gespür bewiesen", die Umstände der Zeugung seien "zu befremdlich".
OVG NRW zu Gleichstellung: Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hält die Regelungen zur Frauenförderung im Landesbeamtengesetz von NRW für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, wie u.a. die SZ (Jan Bielicki) berichtet. Das Gesetz sah eine Bevorzugung von Frauen bei "im Wesentlichen gleicher" Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vor, was bereits dann der Fall sein sollte, wenn "die jeweils aktuelle Beurteilung einer Bewerberin und ihres Mitbewerbers ein gleichwertiges Gesamturteil aufweist". Die Nichtbeachtung vorheriger Noten oder Beurteilungen verstoße gegen Art. 33 Grundgesetz, so das Gericht.
Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Klarstellung des Gerichts, nach der eine Gleichberechtigung von Frauen auch nach dem Prinzip der Bestenauslese verwirklicht werden könne. Die Ausdifferenzierung der Beurteilungskriterien biete die Möglichkeit, andere Eignungsmerkmale von Frauen, die auf Grund von Familie Unterbrechungen im Berufsleben hatten, in den Vordergrund zu rücken, um Qualifikationsvorsprünge von Männern zu kompensieren.
BVerfG – Anwaltszulassung: Weil sie ihren Ausbilder im Referendariat beleidigt hatte und hierfür vom Amtsgericht Aachen verurteilt wurde, verweigert die Rechtsanwaltskammer Köln einer Assessorin die Anwaltszulassung. Sie habe ein Verhalten gezeigt, welches sie nach § 7 Nr. 5 Bundesrechtsanwaltsordnung für den Anwaltsberuf "unwürdig" erscheinen lasse. Der Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Bundesgerichtshof bestätigten die Ansicht der Kammer. Nun zieht die Juristin mit einer Verfassungsbeschwerde vor das Bundesverfassungsgericht, sie sehe sich in ihrer Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz verletzt, meldet lto.de.
BVerfG – Tarifeinheitsgesetz: In einem Interview mit der FR (Ursula Knapp) spricht der Arbeitsrechtler Manfred Löwisch über die Hintergründe des Tarifeinheitsgesetzes und dessen Folgen für kleinere Gewerkschaften. Nach Einschätzung von Löwisch haben die hierzu beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden Aussicht auf Erfolg.
OLG München – NSU-Prozess: Am gestrigen Verhandlungstag sagte die JVA-Vizechefin Monika Hauck vor dem Oberlandesgericht München im NSU-Prozess zu Beate Zschäpes Haftleben aus, das sich durch eine unauffällige Führung auszeichne. Zschäpe habe aber, so Hauck, von einem mutmaßlichen Rechtsextremisten namens Enrico K. finanzielle Unterstützung erhalten. Für die Nebenklage ist dies ein Hinweis darauf, dass Zschäpe sich nicht von der rechten Szene distanziert habe. Es berichten die SZ (Wiebke Ramm), die FAZ (Karin Truscheit), die Welt (Gisela Friedrichsen) und spiegel.de (Björn Hengst).
OLG München – "Old school society": Im Verfahren gegen die mutmaßliche terroristische Vereinigung "old school society" haben die Verteidiger der vier Angeklagten in ihren Plädoyers Freisprüche gefordert. Sie zweifelten an der Fähigkeit ihrer Mandanten, koordinierte Anschläge auf Asylbewerberheime durchzuführen, wie spiegel.de meldet.
StA Freiburg – Sexualmord: Hussein K., der verdächtigt wird, in Freiburg einen Sexualmord begangen zu haben, wird nach Erwachsenenstrafrecht angeklagt, so die FAZ und spiegel.de. Ein von der Staatsanwaltschaft Freiburg in Auftrag gegebenes Gutachten hatte festgestellt, dass Hussein K. zur Tatzeit 22 Jahre alt gewesen sei.
Justizaffäre: Interne Dokumente der Bundesanwaltschaft, die der Zeit (Sabine Rückert, Zeit-Vorabmeldung) vorliegen, lassen Zweifel an der bisher dargestellten Rolle von Bundesjustizminister Heiko Maas in der Affäre um die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen zwei Blogger von netzpolitik.org aufkommen. Diese hatten im Jahre 2015 vertrauliche Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlicht, woraufhin der damalige Generalbundesanwalt Harald Range Ermittlungen wegen Landesverrats aufnahm. Range erklärte öffentlich, Maas sabotiere die Ermittlungen, weil Strafverfolgung von Journalisten politisch nicht opportun sei und verlor daraufhin sein Amt. Das Bundesjustizministerium bestritt, eine solche Weisung erteilt zu haben. Die Dokumente der Bundesanwaltschaft lieferten allerdings ein anderes Bild, nach welchem Maas Druck auf Range zur Einstellung der Ermittlungen ausgeübt haben soll. In dem ausführlichen Bericht in der Zeit wird der damalige Entscheidungsprozess, wie er sich aus den Akten ergibt, detailliert nachgezeichnet.
GenSta-Nachfolge Berlin: Noch im März soll der neue Generalstaatsanwalt in Berlin präsentiert werden. Mehr wollte Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) aber zum Bewerbungsverfahren nicht preisgeben. Nach Spekulationen ist Vize-Polizeipräsidentin Margarete Koppers für den Posten vorgesehen. Die Opposition im Abgeordnetenhaus hatte eine Sondersitzung des Rechtsausschusses erzwungen, da sie "grünen Filz" und "Postengeschacher" vermutet, wie die taz-Berlin (Plutonia Plarre) und lto.de schreiben.
Recht in der Welt
Südafrika – IStGH: Wie der High Court in Pretoria, Südafrika, entschied, ist die Ankündigung der südafrikanischen Regierung, sich vom Internationalen Strafgerichtshof zurückziehen zu wollen "verfassungswidrig und ungültig". Es bedürfe zuvor einer Zustimmung des Parlaments, melden u.a. die taz und zeit.de.
China – Haft für Ex-Regierungschef: Donald Tsang, der Ex-Regierungschef der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong, wurde wegen Bestechung und Amtsvergehen zu einer 20-monatigen Haftstrafe verurteilt, berichtet spiegel.de (Vanessa Steinmetz). Das Urteil sei ein Signal an die Beamten Hongkongs, deren Weste "weißer als weiß" sein müsse, wie es in der Urteilsbegründung hieß.
Das Letzte zum Schluss
Einbruch eines Mähroboters: Ein verwirrter Mähroboter auf der Suche nach seiner Ladestation löste nach Meldung von justillon.de einen Polizeieinsatz aus. Der sich bewegende Lichtschein innerhalb eines Unternehmens in Tannenkirchen in Baden-Württemberg wurde für Taschenlampenlicht gehalten und die Polizei wegen eines vermeintlichen Einbruchs alarmiert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lz
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Februar 2017: Ethikregeln für Karlsruhe / Zschäpes Finanzen / Maas in der Netzpolitikaffäre . In: Legal Tribune Online, 23.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22191/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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