BVerfG beanstandet den Atomausstieg kaum. Außerdem in der Presseschau: Automatisiertes Fahren regt Fragen bei Verbraucherschützern, Fischer sinniert über Compliance, VerfGH BaWü bekommt AfD-Richterin und Erdogan mehr Macht.
Thema des Tages
BVerfG zum Atomausstieg: Der Atomausstieg von 2011 war im Wesentlichen verfassungskonform, entschied das Bundesverfassungsgericht. Es handele sich nicht um eine Enteignung, sondern um eine die Gleichbehandlung und Vertrauensschutz wahrende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums der Energiekonzerne Eon, RWE und Vattenfall. Kompensationsregeln fehlten nur in zwei Fällen. Dementsprechend haben die Kläger nur teilweise Ansprüche auf Ausgleich gegen den Bund. Entsprechende Ausgleichsregelungen müsse der Gesetzgeber nun bis Mitte 2018 schaffen. Das Gericht wies darauf hin, dass der Ausgleich auch anders als durch finanzielle Entschädigungen abgegolten werden könne – etwa durch eine verlängerte Laufzeit. Der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof, unterstrich, dass der Gesetzgeber wegen des Unglücks in Fukushima "auch ohne neue Gefährdungserkenntnisse" den Sofortausstieg veranlassen durfte – im Sinne der staatlichen Schutzpflicht für Leib, Leben und Gesundheit der Bürger. taz (Christian Rath), spiegel.de (Kristina Gnirke/Dietmar Hipp), Tsp (Jost Müller-Neuhof) und Hbl (Jürgen Flauger/F. Hubik u.a.) fassen das Urteil und die Argumentation des Gerichts zusammen. Die SZ (Varinia Bernau) hat die Reaktionen der Energiekonzerne im Fokus. Ein weiterer Beitrag der SZ (Wolfgang Janisch) weist insbesondere darauf hin, dass das Urteil für Unternehmen schmerzhafte "politische Kehrtwenden" möglich mache. Die taz (Malte Kreutzfeldt) stellt eine mögliche Berechnung der Entschädigungshöhe an und zitiert Reaktionen auf das Urteil.
Reinhard Müller (FAZ) moniert, der "Preis der Kehrtwende" werde Hunderte Millionen Euro umfassen, was mit mehr Bedacht beim Ausstieg zu verhindern gewesen wäre. Christian Rath (BadZ) erkennt einen Sieg des Rechtsstaats – die Entscheidung sei allerdings nicht überraschend. Michael Bauchmüller (SZ) sieht in dem Urteil auch einen "späten Ritterschlag" für die Leute, die sich gegen den Ausbau der Atomkraft eingesetzt haben. Es schaffe Frieden im Konflikt um die Nutzung der Atomkraft – in Sachen Endlagerung brauche es jedoch nochmals einen Kraftakt. Andreas Mihm (FAZ) meint, das Urteil sei Balsam für die "geschundene Seele der Atomkonzerne". Auch die Bundesregierung werde erleichtert sein. Malte Kreutzfeldt (taz) sieht wegen der wohl geringeren Entschädigungen eine "herbe Niederlage" für Atomkonzerne. Karlsruhe stärke damit die Rolle der Politik gegenüber der Wirtschaft.
verfassungsblog.de ( Maximilian Steinbeis) setzt sich mit der Frage auseinander, warum Vattenfall trotz seiner Eigenschaft als schwedischer Staatskonzern klagebefugt ist.
Rechtspolitik
Haftung für Autopiloten: Wer haftet für den Schaden, wenn ein Autopilot einen Unfall verursacht? Und was passiert generell mit den erhobenen Daten? Diese Fragen sind nach Auffassung von Verbraucherschützern noch diskussionsbedürftig. Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert unter anderem, dass mit der steigenden Automatisierung des Fahrens auch die Haftung der Hersteller steige, so ein Bericht der FAZ (bee.). Die taz (Friederike Meier) hat die datenschutzrechtlichen Probleme im Fokus.
Dublin-IV-Verordnung: Der Geschäftsleiter der schweizerischen Flüchtlingshilfe, Constantin Hruschka, erläutert auf juwiss.de, warum das Gesamtsystem der vorgeschlagenen Dublin-IV-Verordnung "zum Scheitern verurteilt" sei. Es sei rechtlich bedenklich und nehme "wenige der praktischen Probleme der Anwendung des Dublin-Systems überhaupt in den Blick". Hruschka fragt sich, ob die "mangelhafte Klarheit" der Zuweisung Asylsuchender in der EU politischer Wille ist.
DNA-Analyse: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) befürwortet, die Befugnisse der Polizei in Sachen DNA-Analyse auszuweiten. Er möchte auf der Justizministerkonferenz im Frühjahr darüber sprechen, ob die Beamten künftig auch ein mögliches Verwandtschaftsverhältnis zwischen Täter und Opfer aus der DNA auslesen dürfen. Wie die FAZ (Rüdiger Soldt) schreibt, hat auch der baden-württembergische Justizminister Wolf (CDU) eine erweiterte DNA-Analyse angeregt.
CDU-Parteitag: Die taz (Christoph Herwartz) fasst den Leitantrag des CDU-Parteitags zusammen. Dieser sieht vor allem vor, die Maßnahmen gegen abgelehnte Asylbewerber zu verschärfen. So solle etwa der Ausreisegewahrsam von vier Tagen auf vier Wochen ausgeweitet werden. Zudem schließt die CDU Steuererhöhungen aus – insbesondere entsprechende Änderungen der Erbschaftsteuer. Die FAZ (Johannes Leithäuser) weist auch darauf hin, dass die CDU "Vollverschleierung klare Grenzen setzen" wolle.
EU-Digitalcharta: "Diese Charta ist nicht geeignet, die Grundrechte im digitalen Zeitalter zu stärken und sollte daher nicht weiter verfolgt werden." Thomas Stadler (internet-law.de) und Gastautor Arnd-Christian Kulow, Rechtsanwalt, erläutern, warum sie das Vorhaben als solches nicht hilfreich finden. Die Debatte dieses Charta-Textes sei nicht zielführend.
Einheitlicher Presseausweis: Eine "Ständige Kommission", besetzt mit zwei Vertretern des Deutschen Presserats und zwei Innenministern, soll künftig den bundeseinheitlichen Presseausweis vergeben. Diese Kooperation soll die bisher bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken für alle Vergabekriterien ausräumen. Der Anwalt für Presserecht Jonas Kahl zeichnet für lto.de den Streit um die Vergabe des Ausweises nach.
Mehr Abgeordnete im Bundestag: In der Grafik des Tages zeigt das Hbl (Hans Christian Müller/André Schorn) den Bundestag 2017 in Zahlen – Hauptfokus liegt dabei auf dem zu erwartenden Zuwachs an Mandaten und den damit steigenden Kosten. Der Beitrag skizziert zudem das geltende Wahlrecht sowie dessen Hauptgefahren und bietet mögliche Lösungen an.
Justiz
BGH zu Unfall bei Reise: Wer bei der vom Veranstalter organisierten Anreise zu seinem Pauschalurlaub einen Unfall erleidet und daher den Urlaub abbrechen muss, hat Anspruch auf Rückzahlung seiner Reisekosten. Dies gilt auch, wenn der Veranstalter den Unfall nicht zu vertreten hat, entschied der Bundesgerichtshof, wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet.
EuGH – Mitbestimmung in Unternehmen: Verstößt die deutsche Mitbestimmung gegen EU-Recht? Darüber wird der Europäische Gerichtshof am 24. Januar 2017 verhandeln. Der Honorarprofessor für europäisches Gesellschaftsrecht Hans-Jürgen Hellwig legt in der FAZ die Problematik dar: In deutschen mitbestimmten Gesellschaften haben nur die Arbeitnehmer das Recht, zum Aufsichtsrat gewählt zu werden, die in inländischen Betrieben der Gesellschaft oder ihrer Töchter beschäftigt sind. Dass ausländische Betriebe hier ausgenommen sind, könnte unter anderem gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot verstoßen.
LG Essen – Anschlag auf Sikh-Tempel: Am heutigen Mittwoch beginnt vor dem Landgericht Essen der Strafprozess gegen drei Islamisten, die einen Essener Sikh-Tempel mit einer Bombe angegriffen haben sollen. Ihnen wird unter anderem versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung und das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion vorgeworfen. Da alle Angeklagten minderjährig sind, läuft die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die FAZ (Reiner Burger) und die taz (Annette Hauschild) schreiben über den Fall und die bekannt gewordenen Gesinnungen der Angeklagten.
VerfGH BaWü – AfD-Richterin: Der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof wird mit der Betriebswirtin Rosa-Maria Reiter erstmals ein AfD-Mitglied erhalten. Die BadZ (Roland Muschel) prognostiziert Konsequenzen dieser Besetzung.
"Malta-Masche" von Reichsbürgern: Reichsbürger haben seit Anfang 2014 vermehrt Steuer- und Bußgeldforderungen mit Gegenforderungen an Richter und Justizangestellte via maltesischem Mahnbescheid beantwortet. Die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke) schildert, wie die "Malta-Masche" funktioniert und warum die maltesische Strafjustiz künftig dagegen vorgeht.
LG Paderborn – Höxter: Die angeklagte Angelika W. hat im Strafverfahren vor dem Landgericht Paderborn detailliert geschildert, wie ein Opfer monatelang gelitten habe, meldet spiegel.de.
AG Prüm – Kindesmisshandlung: Vor dem Amtsgericht Prüm sind zwei Erzieherinnen einer Jugendhilfeeinrichtung wegen Nötigung angeklagt. Sie sollen ein zwölfjähriges Kind, um es zu bestrafen, mit dem Kopf in die Toilette gedrückt und gespült haben, meldet spiegel.de.
Recht in der Welt
Türkei – Präsidialsystem: Der türkische AKP-Chef Binali Yildirim hat angekündigt, dass Erdogan mit der Verfassungsreform Gesetzesdekrete erlassen dürfe. Die derzeit geltende Notstandsregelung solle damit zum Normalfall werden. Für welche Materien dies gelten solle, ergebe sich aus dem für diese Woche angekündigten Entwurf der Verfassungsänderung. Den Plan erläutert die taz (Jürgen Gottschlich). Ein Referendum erwarte Yildirim Anfang Sommer 2017.
IStGH – Dominic Ongwen: Vor dem Internationalen Strafgerichtshof läuft das Verfahren gegen den ehemaligen hochrangigen Kommandeur der ugandischen Lord's Resistence Army. Er soll sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in 70 Fällen verantworten. Die Verteidigung fordere Strafmilderung, da Ongwen selbst als Kindersoldat versklavt wurde. Die SZ (Tobias Zick) befasst sich mit dem Verfahren.
Polen – Auslieferung Polanskis: Polen darf Roman Polanski nicht an die USA ausliefern. Mit dieser Entscheidung hat das oberste polnische Gericht das Urteil eines Krakauer Gerichts bestätigt. Dieses hatte die Auslieferung für unzulässig erklärt, weil der Filmregisseur eine Einigung mit der US-Staatsanwaltschaft geschlossen und eingehalten habe, meldet unter anderem spiegel.de.
EU – Brexit: Braucht die britische Premierministerin Theresa May die Zustimmung des Parlaments, um den Austritt aus der EU zu erklären? Der britische Anwalt John Hammond stellt auf lto.de die Rechtslage, die Entscheidung des High Courts und die Argumentation der Regierung in dieser Frage dar. Es sei derzeit nicht zu erwarten, dass das Parlament einen Brexit blockieren würde.
EU-Integration: Wie steht es um die rechtliche und politische Integration in der EU? Diese Frage beantwortet der Professor für Europäisches Recht Daniel Augenstein auf verfassungsblog.de in einem englischsprachigen Beitrag.
USA – Bill Cosby: Ein Gericht in Pennsylvania hat entschieden, dass bei dem Prozess gegen Bill Cosby auch das Protokoll seiner Aussage im Zivilprozess seines mutmaßlichen Opfers Andrea Constand verlesen werden darf. Dort hatte der Entertainer zugegeben, mehrere Frauen vor sexuellem Kontakt betäubt zu haben, meldet die FAZ (Christiane Heil).
Sonstiges
Fischer über Compliance: Bundesrichter Thomas Fischer führt auf zeit.de in die Welt der Compliance ein. Er zeichnet den Wandel der Compliance in Unternehmen nach (Bestechung als Straftat oder als Betriebsausgabe) und konstatiert: "Eine Bank oder einen Maschinenhersteller wirklich 'compliant' zu halten, ist eine Sisyphos-Aufgabe."
Fotoausstellung zu NSU-Morden: Die taz (Brigitte Werneburg) hat die Ausstellung "Blutiger Boden"von Regina Schmeken im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden besucht. Schmeken hat die Tatorte der NSU-Morde dokumentiert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. Dezember 2016: BVerfG billigt Atomausstieg / Haftung für Autopiloten / AfD-Richterin am VerfGH BaWü . In: Legal Tribune Online, 07.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21365/ (abgerufen am: 01.05.2024 )
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