Straftäter können auch dann verurteilt werden, wenn sie zuvor von verdeckten Ermittlern rechtsstaatswidrig angestiftet worden sind. Das hat das BVerfG entschieden. Außerdem in der Presseschau: EU-Parlament will nun doch die Fluggastdatenspeicherung, die Kündigung eines Betriebsrates wegen einer kritischen E-Mail war rechtswidrig, die Rechtmäßigkeit von Adblocker-Whitelists und warum NPD-Stadträte keinen Anspruch auf einen Handschlag haben.
Thema des Tages
BVerfG zur Verurteilung trotz Tatprovokation: Straftäter können auch dann verurteilt werden, wenn verdeckte Ermittler sie zuvor rechtsstaatswidrig angestiftet haben. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am gestrigen Mittwoch verkündeten Kammerbeschluss entschieden und damit mehrjährige Haftstrafen gegen einen Drogenhändler und seine Helfer gebilligt. Zwar sah das BVerfG das Recht auf ein faires Verfahren verletzt – die Ermittlungsbehörden sollen Straftaten "aufklären, nicht selbst herbeiführen". Die von den sogenannten agents provocateurs ausgehenden "rechtsstaatswidrigen Tatprovokationen" seien aber durch milde Strafen ausgeglichen worden. Nur extreme Ausnahmefälle führten zu einem Verfahrenshindernis, so das BVerfG. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof), die taz (Christian Rath) und lto.de.
In einem gesonderten Kommentar meint Wolfgang Janisch (SZ), das BVerfG habe nun die Gelegenheit verstreichen lassen, "solchen illegalen Polizeipraktiken einen wirksamen Riegel vorzuschieben". Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordere, bei Tatprovokationen mit Verfahrenshindernissen und Beweisverwertungsverboten zu reagieren. Und mit der "deutschen Ja, aber-Methode" (Strafe ja, aber nicht so hoch) koste der Bruch der Menschenrechte zwar, aber richtig teuer werde es nicht. Auch Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) äußert sich kritisch und gibt zu bedenken: "Beim NPD-Verbotsverfahren damals war das Bundesverfassungsgericht ein mächtiger Schrecken in die Glieder gefahren, als es merkte, in welchen Sumpf man geraten kann, wenn man vor lauter V-Leuten nicht mehr weiß, wer Räuber ist und wer Gendarm." Von diesem Schreck sei mit der BVerfG-Entscheidung nicht mehr allzu viel zu spüren.
Rechtspolitik
Fluggastdaten: Das EU-Parlament hat sich für die Fluggastdatenspeicherung ausgesprochen und damit seine bisherige Blockade aufgegeben. Das Gesetzgebungsverfahren soll Ende 2015 abgeschlossen sein, meldet die SZ (Javier Cacéres). spiegel.de listet außerdem die 42 Datenpunkte auf, die künftig gespeichert werden sollen.
Javier Cacéres (SZ) meint in einem gesonderten Kommentar: "Geopfert wird die grundrechtlich geschützte Privatheit, die man bislang zum viel beschworenen europäischen Grundwertekanon zählte." Gezahlt werde dieser Preis unter dem Eindruck des Charlie Hebdo-Attentats, der trotz umfangreicher Datensammlungen nicht habe verhindert werden können. Nikolas Busse (FAZ) hingegen kommentiert, dass sich endlich eine "unsinnige Blockade" löse, die die Arbeit der Sicherheitsbehörden seit Jahren behindere.
Volksbefragungen in Bayern: Der bayerische Landtag hat ein Gesetz beschlossen, wonach Bürger künftig im Rahmen von Volksbefragungen nach ihrer Meinung gefragt werden können – als erste in Deutschland, wie die SZ im Bayern-Teil (Klaus Ott) schreibt. Die Opposition wolle vor den Verfassungsgerichtshof ziehen, weil faktisch nur die CSU eine solche Befragung einleiten könne.
BAG-Präsidentin appelliert an Bundestag: Im Zusammenhang mit den zu erwartenden ersten Klagen wegen des neuen Mindestlohns am Bundesarbeitsgericht richtet der FAZ (Joachim Jahn) zufolge die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, einen Appell an den Bundestag: Der solle die deutschen Gesetze an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anpassen, damit Bürger "eine Chance haben, im Gesetz nachzulesen, was wirklich gelte".
Justiz
BGH zu Lebensversicherern: Der Bundesgerichtshof wies am gestrigen Mittwoch die Revision eines Rentners zurück, der sich gegen die Berechnung der Zinsen bei seiner Lebensversicherung gewehrt hatte. Die Einzelheiten erklären FAZ (Philipp Krohn) und das Handelsblatt (kurzer Onlinehinweis). Auch lto.de stellt das Urteil dar.
BAG zur Urlaubsabgeltung: Am Dienstag änderte das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Urlaubsabgeltung bei Kündigung und vorsorglicher Freistellung. Der Anwalt Jan Tibor Lelley erklärt auf lto.de, was künftig zu beachten ist.
LG Berlin zu Uber: Das Landgericht Berlin hat dem Fahrdienst Uber am Dienstag untersagt, übers Internet Fahrgäste an Fahrer mit Mietwagen zu vermitteln ("UberBlack"). Das meldet sueddeutsche.de. Der Rechtsstreit gegen die Vermittlung an private Fahrer ("UberPop") sei davon nicht berührt.
ArbG Magdeburg zu Kündigung wegen E-Mail: Die Entlassung eines Betriebsratsmitglieds des Windanlagenbauers Enercon wegen einer E-Mail an die Belegschaft war rechtswidrig. Dort hatte der Betriebsrat unbezahlte Weiterbildungen für Leiharbeiter am Wochenende kritisiert – aus Sicht des Betriebsratsmitglieds auf satirische, für Enercon in beleidigender Weise. Das Arbeitsgericht Magdeburg erklärte die Mail für von der Meinungsfreiheit gedeckt und die Kündigung für rechtswidrig. Die taz (Hannes Koch) und mdr.de schreiben über den Fall.
Ermittlungen zum Oktoberfestattentat: Nach der Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat vor 35 Jahren weigert sich nun die Regierung, Geheimdienstakten an den Bundestag herauszugeben. Als Grund führt die Bundesregierung den Schutz damaliger V-Männer an. Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet.
Recht in der Welt
Italien – Francesco Schettino: Der Kapitän des Anfang 2012 havarierten Schiffs Costa Concordia muss ins Gefängnis: Ein italienisches Gericht hat ihn zu 16 Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. spiegel.de berichtet.
Juristische Ausbildung
Jörg L. ist schuldfähig: Im Prozess gegen den wegen Verkaufs von Juraexamenslösungen angeklagten Richter Jörg L. vor dem Landgericht Lüneburg hat ein Sachverständiger diesen als schuldfähig eingestuft. Das meldet lto.de.
Sonstiges
Waffenlieferungen an die Ukraine: Die Bundesregierung schließt Waffenlieferungen an die Ukraine aus – völkerrechtlich möglich wären sie, zwingend aber nicht, erklärt Rechtswissenschaftler Robert Frau auf lto.de.
Adblocker-Whitelists: Darf der Anbieter der Werbeblocker-Software "Adblock Plus" eine Whitelist einrichten und sich dafür bezahlen lassen, dass bestimmte Anzeigen doch sichtbar sind? Mit dieser Frage setzt sich telemedicus.info (Oliver Schmidt) in einem ausführlichen Beitrag u.a. aus wettbewerbs- und kartellrechtlicher Sicht auseinander. Jedenfalls sei nicht davon auszugehen, dass sich Werbeblocker "wegklagen" ließen.
Das Letzte zum Schluss
NPD-Politiker haben keinen Rechtsanspruch auf den Handschlag: Ein Bürgermeister muss NPD-Mitgliedern nicht die Hand schütteln: Der Bürgermeister der Stadt Greiz (Thüringen) hatte nach der Kommunalwahl im letzten Jahr den beiden NPD-Stadträten bei der Inauguration die Hand nicht geschüttelt – obwohl die thüringische Kommunalordnung festlegt, Gemeinderatsmitglieder seien durch den Bürgermeister "auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten durch Handschlag zu verpflichten". Die NPD-Leute klagten, das Verwaltungsgericht Gera wies die Klage ab: kein Rechtsanspruch auf Handschlag, rein symbolischer Charakter. Darüber schreibt die SZ (Cornelius Pollmer).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Februar 2015: Verurteilung bei Tatprovokation – Kündigung wegen E-Mail – Fluggastdatenspeicherung kommt . In: Legal Tribune Online, 12.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14672/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag