Nach dem Methadon-Tod der elfjährigen Chantal D. aus Hamburg im Jahr 2012 wird das LG heute das Urteil gegen die angeklagten Pflegeeltern verkünden. Außerdem in der Presseschau: Der Blasphemie-Paragraf unter der Lupe, das VG Hamburg stoppt den Bau einer Flüchtlingsunterkunft, die Kanzlei Bird & Bird wird verklagt und warum ein Mann bei der Festnahme am Bremer Bahnhof ganz schön erschrocken ist.
Thema des Tages
LG Hamburg – Entscheidung im Fall Chantal D.: Für den heutigen Montag wird die Entscheidung des Landgerichts Hamburg im Fall der 2012 an einer Methadon-Vergiftung verstorbenen Chantal D. erwartet. Angeklagt sind die Pflegeeltern des Mädchens, die seit Langem mit Methadon substituiert werden, wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen sowie Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflichten. Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer Freiheitsstrafen – für den Pflegevater zweieinhalb Jahren, für die Pflegemutter ein Jahr und drei Monate, auszusetzen zur Bewährung. Wie der Spiegel (Julia Jüttner) ausführlich berichtet, sind hinsichtlich des Vorwurfs der Anklage zur Fürsorge- bzw. Erziehungspflichtverletzung im Verfahren keine Feststellungen getroffen wurden; insbesondere wichtige Zeugen seien nicht gehört worden seien. Die Staatsanwaltschaft habe bereits Rechtsmittel angekündigt.
Rechtspolitik
Blasphemie-Paragraf: "Was Gläubige dulden müssen" – unter diesem Titel plädiert in der Samstags-SZ der Staatsrechtslehrer Hans Michael Heining für die Abschaffung des "Blasphemie-Paragrafen" (§ 166 Strafgesetzbuch): "Gotteslästerung mag geschmacklos sein – aus rechtlicher Sicht ist auch sie Grundrechtsausübung." Auch Juraprofessor Christian Hillgruber befasst sich in einem Essay in der Montags-FAZ mit den rechtlichen Grenzen zulässiger Religionskritik: Im Namen der kommunikativen Freiheitsrechte kenne sie praktisch keine Grenzen; allein die Beschimpfung von Religion störe den öffentlichen Frieden.
TTIP – Klagerechte: Die im Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP vorgesehenen Sonderrechte für Investoren vor internationalen Schiedsgerichten stoßen nicht nur in den EU-Mitgliedsstaaten auf Kritik – sondern anscheinend auch bei der Mehrheit im EU-Parlament. Ein gemeinsamer öffentlicher Gerichtshof für EU und USA könnte den Investorenschutz aus der "Schmuddelecke" holen, findet der Spiegel (Christoph Pauly) und befasst sich mit den Erfahrungen mit Sonderrechten aus anderen Freihandelsabkommen.
Verbot von Suizidhilfe: Ist ein Verbot von Suizidhilfevereinen sinnvoll? Der Fokus muss eher auf Suizidprävention gelegt werden, meint die Vorsitzende des Ethikrates Christiane Woopen im Interview mit der Montags-Welt (Matthias Kamann). Außerdem kritisiere der Ethikrat, dass ein mögliches Verbot die "organisierte" und "geschäftsmäßige" Suizidhilfe als Tatbestände nennt: Dies könne schon Wiederholungshandlungen von Einzelpersonen betreffen, "die gar keine Suizidhilfeangebote offerieren", sondern lediglich mehrmals bei Gewissensentscheidungen zum Suizid helfen.
Kinderrechte ins GG: Gestützt auf ihren Kinderreport 2015 fordert das Deutsche Kinderhilfswerk die Aufnahme von "Kinderrechten" in die Verfassung. Wie spiegel.de meldet, fordern dies laut Report knapp drei Viertel der 10- bis 17-Jährigen. Auch die SPD wünsche sich eine solche Änderung, die Union lehne dies indes als "Symbolpolitik" ab.
Promillegrenze für Radfahrer: Der Verkehrsgerichtstag berät in dieser Woche darüber, ob eine Änderung des § 24a im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten dahingehend sinnvoll ist, eine 0,5-Promille-Grenze auch für Radfahrer einzuführen. Bislang liegt der Grenzwert bei 1,6 Promille. Jost Müller-Neuhof (Samstags-Tagesspiegel) kommentiert: Das Argument gegen eine Herabsenkung, Radler gefährdeten nur sich selbst, genüge ihm nicht, für verhältnismäßig halte er eine 1,1-Promille-Grenze.
Justiz
VG Hamburg zu Flüchtlingsunterkunft: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat den Umbau des früheren Kreiswehrersatzamts im Hamburger Nobelviertel Harvestehude in ein Flüchtlingsheim gestoppt. Das VG hat damit einem Eilantrag von Anwohnern stattgegeben. Die Anwohner können sich nach Ansicht des Gerichts auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen; bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen handele es sich nicht um Wohnungsnutzung. Es berichten lto.de und die Montags-FAZ (Frank Pergande).
LG Hamburg – Bird & Bird verklagt: Die internationale Wirtschaftskanzlei Bird & Bird sowie drei ihrer Anwälte, darunter der frühere Hamburger Sozius Frank Moerchen, werden vor dem Landgericht Hamburg auf Schadenersatz in Höhe von 130 Millionen Euro verklagt. Die Samstags-FAZ (cmu/Joachim Jahn), das Handelsblatt (Gertrud Hussla, längere Onlinefassung) und lto.de informieren. Geklagt habe die Paribus Fondsdienstleistung für mehrere Fondsgesellschaften der Wölbern-Invest. Grundlage der Klage sei vertragliches und deliktisches Fehlverhalten von Kanzlei bzw. Anwälten, die als "Ideengeber der mutmaßlichen Veruntreuung von Anlagegeldern" (lto.de) fungierten. Nach der Insolvenz des Fondshauses Wölbern muss sich der ehemalige Invest-Inhabers und Unternehmensgründers, Heinrich Maria Schulte, vor dem Landgericht Hamburg wegen gewerbsmäßiger Untreue in 360 Fällen verantworten.
VG Köln – BMZ verklagt: Das Bundesentwicklungshilfeministerium (BMZ) wird vor dem Verwaltungsgericht Köln von einer Beamtin aus dem Haus verklagt, die angibt, eine Abteilungsleiterin sei gedrängt worden, ihr rückwirkend ein schlechteres Zeugnis auszustellen. Gedrängt habe BMZ-Staatssekretär Friedrich Kitschel, so der Spiegel (Horand Knaup/Ralf Neukirch, Zusammenfassung), damit Gunther Beger, ein Partei-Freund und langjähriger Mitarbeiter des zuständigen Bundesentwicklungsministers Gerd Müller (CSU), aufrücken könne. Die Abteilungsleiterin habe abgelehnt, den Minister informiert und sei dann nach Washington (USA) versetzt worden. Beger hingegen sei befördert worden.
LG Dortmund – Geständnis Gerd Niebaum: Der Jurist und ehemalige Präsident des Fussballerstligisten Borussia Dortmund muss sich derzeit wegen Betrugs- und Untreuevorwürfen vor dem Dortmunder Landgericht verantworten. Die angeklagten 14 Fälle stammten, so spiegel.de, aus seiner Zeit als Rechtsanwalt – die Zulassung sei ihm 2011 von der Rechtsanwaltskammer Hamm aberkannt worden. In der vergangenen Woche habe der Angeklagte die Vorwürfe teilweise eingeräumt.
Bodo Ramelow – Immunität aufgehoben: Der Justizausschuss des Thüringer Landtags hat die Immunität des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) aufgehoben. Ramelow sei derzeit noch Abgeordneter im Land und genieße die entsprechende Immunität, um deren Aufhebung er selbst gebeten habe. In der Sache gehe es um ein Strafverfahren wegen der Beteiligung Ramelows an der Blockade eines Neonazi-Aufmarsches in Dresden in 2010. Ob das Verfahren vor dem Amtsgericht Dresden, welches zwischenzeitlich eingestellt war, weitergeht, müsse nun das AG entscheiden. Es berichten u.a. die Samstags-Welt, die Samstagsausgabe der Berliner Zeitung (Markus Decker) sowie lto.de.
Christian Bommarius (Samstagsaugabe Berliner Zeitung) bezeichnet die Vorgänge um die Aufklärung der Gegendemonstration als Farce: "Wenn aus der sächsischen Strafjustiz noch einmal Klagen wegen Arbeitsüberlastung kommen sollten, empfiehlt sich Hohngelächter als adäquate Antwort."
Fall Edathy – Strafanzeige nach Bild-Bericht: Wie u.a. lto.de meldet, hat der Präsident des niedersächsischen Landeskriminalamtes, Uwe Kolmey, am vergangenen Freitag wegen der Verletzung des Dienstgeheimnisses Strafanzeige gegen Unbekannt bei der Staatsanwaltschaft Hannover erstattet. In einem Bericht der Bild-Zeitung vom Donnerstag war ganz konkret auf Inhalte der Ermittlungsakte im Strafverfahren gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy Bezug genommen worden.
Jugendrichterin als Ersatzerzieherin: Für eine Reportage in der FAS ist Andreas Nefzger der Frankfurter Jugendrichterin Sigrid Christ – "Ersatzerzieherin" bzw. "staatliche Anschissbevollmächtigte" – einige Wochen "durch die dunklen Flure eines Amtsgerichts" gefolgt und bilanziert: "(…) am Ende erzählen ihre Geschichten doch von immer dem gleichen Elend. Eltern, die getrennt sind, saufen, prügeln, mit sich selbst nicht zurechtkommen. Kinder, die sich selbst überlassen sind, saufen, prügeln, von einer Schule auf die nächste geschickt werden." Christ selbst sei darüber aber weder zynisch geworden, noch resigniere sie; vielmehr glaube sie, auch wenn Schulen und Kindergärtner statt der Strafjustiz handeln sollten, dass die Jugendlichen noch eine Chance haben und meist Opfer äußerer Umstände geworden seien.
GBA – türkische Agenten: Generalbundesanwalt Range ermittelt gegen drei türkische Männer, die in Deutschland für die Türkei spioniert haben sollen. Die Männer sitzen "wegen des dringenden Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit" mittlerweile in Untersuchungshaft; einer von ihnen soll früher Berater des türkischen Staatschefs Erdogan gewesen sein, wie spiegel.de berichtet.
EU-Kommission – Vertragsverletzung durch Mindestlohn: Auch ausländische Transportunternehmen, deren Lkw im Transit durch Deutschland fahren, müssen ihren Fahrern für die Dauer der Durchreise den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Wie der Spiegel knapp meldet, prüft die EU-Kommission, konkret EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Die Regelung verstoße möglicherweise gegen die Waren- und Dienstleistungsfreiheit.
Recht in der Welt
Frankreich – Terrorist verliert Staatsangehörigkeit: Die Samstags-FAZ (Michaela Wiegel) berichtet über eine Entscheidung des französischen Verfassungsgerichts vom vergangenen Freitag, wonach eine Vorschrift aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, die ermöglicht, verurteilten Terroristen die französische Staatsbürgerschaft zu entziehen, nicht gegen den Grundsatz der Gleichheit verstoße. Voraussetzung sei aber, dass die Person nicht staatenlos werde. Um diese Lücke zu schließen, werde eine Wiedereinführung des Tatbestandes der "nationalen Unwürdigkeit" diskutiert: Danach könnten bürgerliche und politische Rechte aberkannt werden. Dazu berichtet auch zeit.de.
USA – Supreme Court prüft Giftspritze: Zurückgehend auf einen Antrag von vier Todestrakt-Insassen prüft das höchste Gericht der USA, der Supreme Court, die Vereinbarkeit der im Bundestaat Oklahoma verwendeten Giftspritzen-Mischung mit dem in der Verfassung enthaltenen Verbot grausamer Bestrafung. Eine 43 Minuten andauernde Hinrichtung im Frühjahr 2014 hatte auch weltweit für Aufsehen gesorgt. spiegel.de berichtet.
USA – Silk Road-Betreiber: Über den Prozess gegen den als Betreiber der ehemaligen Drogenplattform Silk Road angeklagten Ross Ulbricht schreibt das Handelsblatt (Frank Wiebe). Ein ehemaliger College-Freund habe ihn in einer Zeugenaussage nun schwer belastet.
Sonstiges
Selbstanzeige – Hoch-Zeiten vorbei: Nachdem 2014 eine Rekordzahl an Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung brachte, sei die Hoch-Zeit der Selbstanzeigen vorbei, stellt die Montags-FAZ (Manfred Schäfers) in Aussicht. Grund sei die seit 1. Januar dieses Jahres verschärfte Neuregelung der Selbstanzeige.
Wartefrist für Aktionäre: Unternehmen könnten Verstöße früherer Vorstände viel schneller öffentlich aufarbeiten, meint Rechtsanwalt und Aktienrechtler Kilian K. Eßwein in der Montags-SZ. Doch das Aktienrecht verhindere dies: Nachdem Pflichtverstöße früherer Vorstände mit dem Aufsichtsrat abgewickelt werden, dürfen Aktionäre erst drei Jahre später über das Gelingen der Einigung befinden. Diese Frist sei realitätsfern und solle abgeschafft werden.
Widerspruch bei Lebensversicherungen: Lebensversicherungen rückgängig zu machen, kann sich für Verbraucher lohnen, schreibt die Montags-Welt. Der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, dass viele Verbraucher per Widerspruch auch Jahre nach Vertragsschluss noch einen größeren Teil der Prämien zurückbekommen – sofern sie falsch über ihr Widerspruchsrecht aufgeklärt wurden. Das Stück setzt sich auch damit auseinander, wie die deutsche Rechtsprechung das Urteil umsetzt und was Verbraucher nun beachten müssen.
WG-Verträge: Einen Überblick über verschiedene Mietvertragstypen für Wohngemeinschaften und deren Vor- und Nachteile gibt spiegel.de.
Arbeitnehmerrechte: "So schicken Sie Ihren Chef ins Gefängnis" – einen Überblick über Arbeitnehmerrechte bei Überstunden bietet spiegel.de (Volker Kitz).
Das Letzte zum Schluss
245 Jahre Knast: Ganz schön verschreckt haben zwei Bundespolizisten einen Mann, den sie am Bremer Hauptbahnhof verhafteten: Gegen ihn lägen zwei Haftbefehle in Höhe von 245 Jahren vor, eröffneten sie ihm. Der Mann sei fassungslos gewesen – auch noch, nachdem sich der Irrtum aufklärte: Es wurden 347 Tage, wie welt.de meldet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. bis 26. Januar 2015: Methadon-Tod der Chantal D. – Blasphemie-Paragraf – Flüchtlingsunterkunft in Hamburg . In: Legal Tribune Online, 26.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14477/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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