Seit heute früh bestreikt die Lokführergewerkschaft GDL den Personenverkehr – nicht um Löhne, sondern um Macht soll es gehen. Außerdem in der Presseschau: Der Goldhandel der AfD soll unterbunden werden, BFH hält steuerrechtliche Norm zur Erstausbildung für verfassungswidrig, Gauck durfte sich äußern und warum die "Ice Bucket Challenge" im OP-Saal gar nicht gut kommt.
Thema des Tages
Rechtmäßigkeit des GDL-Streiks: Seit Mittwochnachmittag wird der Güterverkehr bestreikt, seit Donnerstagfrüh der Personenverkehr. Doch bei dem Streik der Lokführergewerkschaft GDL geht es nicht um bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne. Vielmehr will die GDL die Bahn dazu zwingen, mit der Gewerkschaft erstmals nicht nur über Lokführer, sondern auch über Zugbegleiter, Lokrangierführer oder Bordkellner zu verhandeln.
Heribert Prantl äußert in der SZ Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Streiks. Es handele sich um einen "Meta-Streik" mit dem Ziel, "der Konkurrenzgewerkschaft Mitglieder abzuwerben durch die Demonstration der eigenen Macht und des eigenen Machtwillens". Dieses Ziel sei im Streikrecht nicht vorgesehen. Prantl zitiert ein Urteil des Reichsarbeitsgericht aus dem Jahr 1930, nach dem ein Streik sittenwidrig sein könne, wenn er "allein der Geltendmachung des Machtwillens der Gewerkschaft dient". Da der Streik "ohne jeden Willen zum Kompromiss geführt" werde, stürze er in die Rechtswidrigkeit. Der Arbeitsrechtler Manfred Löwisch hält im taz-Interview (Wolfgang Mulke) den Streik hingegen für "gerade eben noch verhältnismäßig", weil die Mindestversorgung der Allgemeinheit mit öffentlichen Gütern noch gesichert sei.
Laut Handelsblatt (Frank Specht) hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die Bahn aufgefordert, angesichts der von ihm monierten Unverhältnismäßigkeit des Streiks "alle Rechtsmittel auszuschöpfen". Die Bahn habe erklärt, ein Vorgehen zu prüfen, schätze die Erfolgsaussichten aber als gering ein. Dieter Fockenbrock (Handelsblatt) kritisiert die Einmischung der Politik: Arbeitgeber und Gewerkschaften handelten Löhne und Konditionen aus, nicht die Regierenden. Dies sei schließlich gesetzlich so verankert.
Rechtspolitik
Goldhandel der AfD: Seit Kurzem steht die AfD wegen ihres Handels mit Gold in den Schlagzeilen. Jetzt wollen Politiker aus Koalition und Opposition per Gesetz den Goldhandel unterbinden, heißt es im Handelsblatt (Dietmar Neuerer). Zunächst werde aber geprüft, inwieweit das Vorgehen der AfD überhaupt zulässig ist. Kritisiert werde unter anderem, dass die AfD mit dem Goldgeschäft ihre Bilanz künstlich nach oben treibe, um parteienrechtlich verbriefte Staatszuschüsse zu erhöhen.
Steuertricks in der EU: Konzerne in der EU sollen ihre Gewinne künftig nicht mehr vor dem Fiskus verstecken können, indem sie diese an Konzerntöchter in Drittstaaten überweisen. So soll laut Handelsblatt (Ruth Berschens/Donata Riedel) eine Missbrauchsklausel in die sogenannte Mutter-Tochter-Richtlinie eingefügt werden. Die EU-Richtlinie soll gewährleisten, dass es nicht zur Doppelbesteuerung von Unternehmen kommt – lasse derzeit aber Raum zur Steuerumgehung. Zum Thema Steuertricks hat die SZ (Bastian Brinkmann u.a. – Kurzfassung) im Rahmen mehrerer Beiträge bislang geheime Unterlagen ausgewertet, denen zufolge sich zahlreiche Großkonzerne mit Hilfe der Luxemburgischen Regierung um Steuerzahlungen drücken.
Pkw-Maut und Datenschutz: Die aktuelle Diskussion um den Datenschutz in Sachen Pkw-Maut greift nun auch die Zeit (Christoph Drössner) auf. Für den Autor macht allein der vorgesehene Erstattungsanspruch die Datenspeicherung erforderlich. Und der sei unvermeidlich, weil die Maut aufgrund des EU-Rechts als allgemeine Gebühr ausgestaltet sein muss, die bei der Nutzung der Autobahnen anfällt.
Mehr Verantwortung der Konzerne: Die juristische Menschenrechtsorganisation ECCHR fordert laut taz (Hannes Koch) die Aufnahme von Sorgfaltspflichten von Firmen ins deutsche Zivilrecht. Es gehe darum, hiesigen Unternehmen mehr Verantwortung für ausländische Tochterfirmen und Zulieferbetriebe aufzuerlegen. Schadensersatzklagen wegen schlechter Produktionsbedingungen im Ausland hätten derzeit schlechte Aussichten – allein schon, weil Kläger keine Einsicht in Unterlagen der hiesigen Firmenzentralen haben.
Verschärfung der Antiterrorgesetze: Martin Klingst (Zeit) geht der Frage nach, ob angesichts 7.000 in Deutschland lebender radikalisierter Islamisten die Antiterrorgesetze verschärft werden müssen. Kritisch sieht Klingst den Entzug von Pässen oder der Staatsbürgerschaft sowie Konzepte, nach denen die Strafbarkeit "in bloße Ideen- und Planungsphasen" vorverlagert werden. Vielmehr sollten Ermittlungsbehörden besser ausgerüstet werden.
Selbstanzeige nach künftiger Verschärfung: Zur Möglichkeit der Selbstanzeige von Steuersündern befragt die taz (Christian Rath) den Steueranwalt Markus Füllsack. Füllsack verneint die Frage, ob angesichts geplanter Verschärfungen und höherer Strafzuschläge die Selbstanzeige künftig unattraktiver würde: Es gebe auch weiterhin viele Anlässe zur Selbstanzeige – etwa die Tatsache, dass Schweizer Banken deutschen Kunden ohne Steuernachweis das Konto kündigen. Doch je länger man warte, mit desto weniger Milde müsse man rechnen.
Grüne wollen Whistleblower-Schutz: Die Grünen haben einen Gesetzentwurf vorgestellt, nach dem Whistleblower Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung und arbeitsrechtlichen Sanktionen genießen sollen. Das meldet die SZ (jkr). Man hoffe angesichts des hohen öffentlichen Drucks, die Regierung zum Einlenken bewegen zu können.
Interview zum Völkerrecht: Angesichts neuer Krisen und Konflikte in der Welt äußert sich der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon zur Lage des Völkerrechts in einem ausführlichen Interview in der Zeit (Heinrich Wefing). Wer sich nicht an das Völkerrecht halte, könne in seinem Namen auch keine Kriege führen – so das Resümee.
Justiz
EGMR zu italienischem Asylsystem: Nun schreibt auch die Welt (Manuel Bewarder/Christoph B. Schiltz) über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Dienstag zum italienischen Asylsystem. Danach dürfen Asylbewerber nur dann nach Italien zurückgeschickt werden, wenn eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung der Migranten garantiert werden kann. Mit der EGMR-Entscheidung und seinen rechtlichen Konsequenzen für Deutschland befasst sich lto.de (Anne-Christine Herr); die taz (Michael Braun) nennt Urteile deutscher Verwaltungsgerichte mit ähnlichem Ausgang.
EuG zu syrischem Zentralbanker: Die Entscheidung des europäischen Rates, dem Gouverneur der syrischen Zentralbank Adib Mayaleh die Einreise in EU-Hoheitsgebiet zu verwehren, war rechtmäßig. Das hat das Gericht der Europäischen Union am gestrigen Mittwoch laut lto.de entschieden. Der Rat hatte Mayaleh 2012 in eine Liste von Personen aus dem syrischen Regime aufgenommen, gegen die restriktive Maßnahmen verhängt werden sollten. Mayalehs Aufnahme war damit begründet worden, dass er "im Rahmen seiner Tätigkeit als Gouverneur der Zentralbank Syriens verantwortlich für wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung des syrischen Regimes" sei – zu Recht, wie das EuG nun entschied. Frankreich könne die Einreise aber erlauben, da Mayaleh auch eine französische Staatsbürgerschaft besitzt.
BVerfG zur Luftverkehrsteuer: Die Luftverkehrsteuer ist verfassungsgemäß. Das hat das Bundesverfassungsgericht am gestrigen Mittwoch entschieden, wie lto.de, die taz (Christian Rath) und die FAZ (Joachim Jahn) berichten. Die Luftverkehrsteuer wird seit 2011 beim Abflug eines Fluggastes von einem inländischen Startort erhoben – jedoch nur auf gewerbliche Passagier-, nicht auf Privat- und Frachtflüge. Darin sah das BVerfG keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Denn der Bund habe einen weiten, demokratisch legitimierten Spielraum bei der Wahl von Steuergegenständen. Den Eingriff in die Berufsfreiheit der Fluglinien habe das Gericht mit dem Staatsziel Umweltschutz gerechtfertigt. Das Land Rheinland-Pfalz hatte einen Normenkontrollantrag gegen die Steuer gestellt.
BFH zu Kindergeld bei dualem Studium: Eltern haben auch dann noch einen Anspruch auf die Zahlung von Kindergeld, wenn das Kind den praktischen Teil seines Studiums abgeschlossen hat und bereits über zwanzig Stunden pro Woche neben dem Studium arbeitet (duales Studium). Das hat der Bundesfinanzhof bereits im Juli dieses Jahres entschieden, wie lto.de berichtet. Ausschlaggebend sei nach Ansicht des BFH, ob das Studium "im Rahmen eines dualen Studiums als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu werten" sei.
BFH legt Steuergesetz vor: Nach der Auffassung des Bundesfinanzhofes muss der Staat sich an den Kosten einer Erstausbildung beteiligen. Gesetzlich sind diese allerdings von den Werbungskosten ausgeschlossen. Der BFH hält die Regelung im Einkommenssteuergesetz laut lto.de daher für verfassungswidrig – und hat sie dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Auch das Handelsblatt (Axel Schrinner) und die FAZ (Joachim Jahn) schreiben darüber. In einem gesonderten Kommentar gibt Joachim Jahn (FAZ) zu bedenken, Ausbildung werde hierzulande "vorrangig auf anderem Wege gefördert: durch Familienleistungen, Bafög" und dem weitgehenden Verzicht auf Studiengebühren.
OVG Rheinland-Pfalz zur Verwirkung des Widerspruchsrechts: Der Widerspruch gegen eine bauliche Anlage kann schon vor Ablauf der Widerspruchsfrist unzulässig sein – und zwar dann, wenn die Anlage schon fast vollständig errichtet ist. Das hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz am vergangenen Montag in einem Beschluss entschieden, wie lto.de meldet. Ein Naturschutzverein begehrte Eilrechtsschutz gegen die Errichtung der Anlage. Nach Ansicht des OVG hatte der Naturschutzverein sein Widerspruchsrecht aber verwirkt: Die beteiligten Behörden und Firmen durften sich nach örtlicher Bekanntgabe des Baubeginns darauf einrichten, dass der Antragsteller keine Einwände mehr habe.
OLG Stuttgart – mutmaßliche IS-Kämpfer: Die SZ (Josef Kelnberger) und die FAZ (Rüdiger Soldt) berichten über den Prozessauftakt gegen drei mutmaßliche IS-Kämpfer und die Aussage des Angeklagten Ismail I., der laut Anklage in Syrien vom August 2013 an für die IS-Terrormiliz gekämpft haben soll.
LAG Düsseldorf zur Kündigung von Telearbeit: Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die sowohl Arbeit im Betrieb als auch von zu Hause aus (Telearbeit) vorsieht, darf nicht ohne Weiteres gekündigt werden – selbst wenn ein solches Kündigungsrecht im Vertrag geregelt ist. Das hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschieden. Das Gericht sah im Kündigungsrecht der Telearbeit eine AGB-rechtlich unangemessene Benachteiligung. lawblog.de (Udo Vetter) weist auf die Entscheidung hin.
StA Oldenburg – Ex-Krankenpfleger: Ein ehemaliger Krankenpfleger aus Delmenhorst könnte in mehr als hundert Todesfälle verwickelt sein. Er soll ältere wie jüngere, schwer kranke, aber auch auf dem Weg der Besserung befindliche Patienten getötet haben. Schon jetzt steht er wegen dreifachen Mordes vor Gericht – ebenfalls an Patienten. Wie es auf spiegel.de heißt, hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg weitere Entwicklungen eingeleitet.
Recht in der Welt
Frankreich – Entlassung eines Designers: Die Entlassung eines britischen Modedesigners bei Dior war rechtens. Das hat ein französisches Arbeitsgericht entschieden. Der Designer hatte im Jahr 2011 mit antisemitischen Äußerungen ("I love Hitler") einen Skandal verursacht. Die FAZ (Christian Schubert) fasst den kuriosen Fall zusammen.
Juristische Ausbildung
Spezialisierung aufs Steuerrecht: Einige Unis bieten LL.M.-Abschlüsse oder Schwerpunktausbildungen im Steuerrecht für Juraabsolventen an. Die SZ-Beilage "Lernen" (Maria Fiedler) berichtet über die Vorzüge und vielseitigen Perspektiven einer Spezialisierung auf das vermeintlich trockene Rechtsgebiet.
Sonstiges
Äußerungsrechte des Bundespräsidenten: Mit der Frage, ob Bundespräsident Gauck seine Skepsis gegenüber einer möglichen rot-rot-grünen Regierungsbildung in Thüringen äußern durfte, befasst sich jetzt auch Sebastian Roßner auf lto.de. Roßner weist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus diesem Jahr hin, nach dem der Bundespräsident in seiner Themenwahl frei sei – und nicht an das Leitbild eines neutralen Präsidenten gebunden. Dieser Spielraum sei lediglich begrenzt durch das Verbot, willkürlich Partei zu ergreifen. Nach Roßners Ansicht bewegt sich Gaucks "maßvolle" und "nicht als unverrückbares Verdikt" erscheinende Äußerung in diesem Rahmen.
Springer und das Leistungsschutzrecht: Muss Google für das Anzeigen kleiner Textbausteine (Snippets) in Suchergebnissen zahlen? Nach dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage besteht zumindest ein gesetzlicher Anspruch darauf. Doch bereits vor zwei Wochen hatten die in der Verwertungsgesellschaft Media zur Geltendmachung dieses Anspruchs organisierten Verlage der Suchmaschine Google widerrufliche Gratislizenzen eingeräumt – darunter auch der Verlag Axel Springer, der bislang aber vier seiner Titel von der Lizenz ausnahm, unter anderem welt.de. Wie die taz (Jürn Kruse), das Handelsblatt (Kai-Hinrich Renner), die FAZ (Henning Peitsmeier) und die SZ (Caspar Busse/Claudia Tieschky) melden, umfasst diese Gratislizenz jetzt auch die restlichen Springer-Titel. Springer-Chef Döpfner bewertet diesen Schritt als "Folge der Diskriminierung von Googles Marktmacht".
Das Letzte zum Schluss
Kündigung nach Ice Bucket Challange: Auf einer Welle von Internethypes mitzureiten, ist regelmäßig eine Frage des Geschmacks. Doch darf deshalb auch mal gekündigt werden? Eine OP-Leiterin hatte sich laut justillon.de zu Spendenzwecken vor laufender Kamera einen Eimer Eiswasser über den Kopf gießen lassen und das entstandene Video bei Facebook geteilt ("Ice Bucket Challange"). Verstoß gegen Hygienevorschriften, nicht tragbar – Kündigung, hieß es vom Arbeitgeber. Der Fall landete vor dem Arbeitsgericht Lübeck, wo man sich dann doch gütlich einigte.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. November 2014: GDL darf vielleicht – AfD soll nicht dürfen – Gauck durfte . In: Legal Tribune Online, 06.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13723/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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