Auch in Hamburg kam es zu Silvesterübergriffen. Ein erster Tatverdächtiger wurde nun freigesprochen. Außerdem in der Presseschau: schockierende Bilder auf Zigarettenschachteln und BGH legt EuGH Fragen zu Investitionsschutz vor.
Thema des Tages
LG Hamburg zu Silvesterübergriff: Nach vier Monaten Untersuchungshaft hat das Landgericht Hamburg einen wegen sexueller Nötigung und Beleidigung in der Silvesternacht angeklagten Afghanen freigesprochen. In der anberaumten Verhandlung hatten weder das Opfer noch andere Zeugen den Mann identifizieren können, schreibt die FAZ (Frank Pergande). Ihm war vorgeworfen wurde, die 18 Jahre Frau gepackt zu haben, damit sie von Anderen im Intimbereich berührt werden konnte. Nach dem Bericht von zeit.de (Elke Spanner) zur Verhandlung stellt sich auch die Frage, "ob ein Strafgericht überhaupt der Ort ist, an dem ein Ereignis wie die Silvesternacht aufgearbeitet werden kann." Der bereits nach wenigen Stunden beendete Prozess habe "eklatante Mängel in der Polizeiarbeit zutage" treten lassen. So seien von Zeugen geäußerte Zweifel an der Identität von Ermittlern nicht aktenkundig gemacht worden.
Rechtspolitik
Schockbilder: Am heutigen Freitag tritt das Gesetz zur Umsetzung der neuen EU-Tabakprodukterichtlinie in Kraft, als dessen sichtbarstes Ergebnis Schachteln künftig zu 65 Prozent mit abschreckenden Schockbildern verziert sein müssen. Über diese und weitere Beschränkungen informiert die SZ (Ruth Eisenreich). Nach dem Kommentar von Dietrich Creutzburg (FAZ) sind die Regelungen "ein besonders abschreckendes Beispiel einer Politik, die vor lauter missionarischem Eifer das Interesse an der Lebenswirklichkeit verliert". Auch gegen die Gefahr des Verlusts von Arbeitsplätzen in Betrieben, die ihre Produktionsanlagen nicht schnell genug umstellen könnten, würde einem "weltfremden Dirigismus" gefrönt, von dem man nur allzu berechtigt fürchten müsse, dass er bald auch "auf Süßwaren und andere Lebensmittel übergreift." Tanja Kewes (Hbl) findet die drastischen Warnhinweise dagegen "richtig und wichtig". Das "Hohelied des Liberalismus" brauche gegenüber den Bildern nicht zu verstummen, schließlich blieben Zigaretten frei zugänglich.
Mietrechtspaket II: Die FAZ (Christian Siedenbiedel) berichtet in ihrem Finanz-Teil zu Einzelheiten des ihr vorliegenden Referentenentwurfs zum sogenannten Mietrechtspaket II. Als dessen Bestandteil sollen Regelungen zur Wohnflächenbestimmung vereinfacht und vereinheitlicht werden. Der Eigentümerverband Haus & Grund bemängele dies als realitätsfremd, weil die exakte Bestimmung der Wohnfläche stark vom verwendeten Messverfahren abhänge.
Sichere Herkunftsstaaten: In der vergangenen Woche stimmte die Mehrheit des Bundestags für die Einordnung von Marokko, Tunesien und Algerien als asylrechtlich sichere Herkunftsstaaten. Jurastudent Jonas Freese setzt sich auf verfassungsblog.de mit den asylrechtlichen Rechtsfolgen auseinander und untersucht auch unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung, welche Folgen die Entscheidung für homosexuelle Flüchtlinge aus diesen Staaten, in denen homosexuelle Handlungen jeweils strafbewehrt sind, haben wird.
Justiz
BGH zu Investitionsschutzabkommen: Sind bilaterale Investitionsschutzverträge zwischen EU-Mitgliedsstaaten mit Bestimmungen des Vertrages über die Arbeitsweise der EU vereinbar? Fragen hierzu hat der Bundesgerichtshof in einem jüngst veröffentlichten Beschluss, über den Rechtsanwältin Alexandra Diehl auf lto.de schreibt, dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung vorgelegt. Der Beitrag stellt den zwischen einem niederländischen Versicherungsunternehmen und der Slowakei spielenden Fall vor und legt dar, dass die Problematik auch jenseits von TTIP hochaktuell ist. Seit dem letzten Jahr vertrete die EU-Kommission "unnachgiebig" und gegen mehrere Mitgliedsstaaten, unter ihnen Deutschland, die Position, dass derartige bilaterale Verträge beendet werden müssten.
LG Hamburg – Flüchtlingsstreit: Wegen versuchten Totschlags muss sich ein afghanischer Flüchtling vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Der Angeklagte soll im vergangenen Herbst in einer Flüchtlingsunterkunft einem Iraner "wuchtige Schläge" mit einem Teleskopstab versetzt haben, weil dieser zum Christentum konvertiert sei, berichtet die FAZ (Frank Pergande). Zum Prozessbeginn räumte der Angeklagte eine körperliche Auseinandersetzung ein, bestritt aber religiöse Motive.
LG Hamburg zu Böhmermann: Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält den Beschluss des Landgerichts Hamburg zum Schmähgedicht Jan Böhmermann vom vergangenen Dienstag für für den schlechtesten "von allen Witzen in dieser Sache". Fast sollte es scheinen, dass das Gericht seines Rufs als besonders persönlichkeitsrechtsfreundlich "überdrüssig" sei und sich daher um besondere Originalität bemüht habe. Die "erste Runde im juristischen Ring" ginge damit an den Satiriker.
LG Dortmund – KiK: In einem Bericht zur nun offenbar hergestellten Bereitschaft des Textildiscounters KiK, sich an Verhandlungen über Entschädigungen wegen des Großbrandes in einer pakistanischen Fabrik 2012 zu beteiligen, schreibt die taz (Hannes Koch) auch über einen beim Landgericht Dortmund anhängig gemachten Schadensersatzprozess gegen das Unternehmen. Die Kläger, vier bei dem Brand Verletzte, und ihre Vertreter werteten die Prüfung eines Prozesskostenantrags bereits als Erfolg.
LG Bielefeld – Tönnies-Streit: In der vor dem Landgericht Bielefeld geführten Auseinandersetzung der Unternehmer Clemens und Robert Tönnies haben sich die Parteien auf Gero Debusmann, den früheren Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm, als Mediator geeinigt. Dies meldet lto.de.
VG Berlin zu Bundestagsausweis: Der Streit des NPD-Funktionärs Uwe Meenen gegen die Verwaltung des Bundestags über die Erteilung eines Hausausweises für das Parlament ist vor dem Verwaltungsgericht Berlin nach Bericht des Tsp (Jost Müller-Neuhof) mit einem Vergleich beendet worden. Meenen erhalte nun als Mitarbeiter des EU-Parlamentariers Udo Voigt bis zum Ende dieser Legislaturperiode eine auf bestimmte Gebäudekomplexe beschränkte Zugangsberechtigung.
VG Trier zu MPU-Anordnung: lawblog.de (Udo Vetter) macht auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier aufmerksam, nach der die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auch dann rechtmäßig sein kann, wenn das beanstandete Verhalten direkten Bezug zum Straßenverkehr hat. Im Fall hatte der volltrunkene Betroffene als Fußgänger randaliert, für das Gericht habe dies einen ausreichenden Hinweis auf "Verlust der affektiven Steuerungsfähigkeit" dargestellt.
VG Bremen zu Offshoreterminal: Der Bau des Offshoreterminals Bremerhaven ist nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Bremen vorläufig gestoppt. Mit dem Erlass des entsprechenden Planfeststellungsbeschluss habe das Land Bremen seine Zuständigkeit überschritten, gibt die taz (Klaus Wolschner) den Beschluss wieder. Zudem drohten umweltpolitische Gefahren.
VG Schwerin – Landesrechnungshof: bild.de berichtet zu einem erfolgreich von einem ihrer Journalisten geführten Prozess vor dem Verwaltungsgericht Schwerin. Nach der Entscheidung müsse der beklagte Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern begehrte Auskünfte über durchgeführte Prüfverfahren erteilen.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: Die Auseinandersetzung zwischen der EU und Polen über die im Nachbarland beschlossenen Reformen des Verfassungsgerichts könnten in der kommenden Woche eine neue Eskalationsstufe erreichen. Nach einer Ankündigung der Europäischen Kommission wird am Montag das sogenannte Rechtsstaatsverfahren gegen Polen formal eingeleitet, schreibt die FAZ (Konrad Schuller). Dass es bis dahin wie von der Kommission gefordert, "signifikanten Fortschritt" bei der Lösung der gegenwärtigen "Dualität rechtlicher Systeme" gebe, werde nicht erwartet.
Frankreich – Google: Der Google-Konzern wehrt sich vor dem obersten Verwaltungsgericht gegen eine Anordnung der Datenschutzbehörde des Landes, nach der gelöschte Suchergebnisse nicht nur europa-, sondern weltweit verschwinden sollen. lto.de berichtet.
Schweiz – Diskriminierung: Eine Regelung der Schweizer Bundesbahnen, nach der Lohnerhöhungen nur dann gewährt werden, wenn die Betreffenden mindestens die Hälfte des Jahres gearbeitet haben, ist nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zwar indirekt diskriminierend gegenüber Frauen. Die Diskriminierung sei aber sachlich gerechtfertigt, so die SZ (Charlotte Theile), weil auch Frauen, die den mit 98 Tagen bemessenen Mutterschaftsurlaub in Anspruch nehmen, dennoch die erforderliche Mindestarbeitszeit erreichen könnten.
Großbritannien – Privatsphäre: Der britische Oberste Gerichtshof hat eine vom Popstar Elton John erwirkte einstweilige Verfügung aufrechterhalten, nach der Medien des Landes nicht namentlich über eine angebliche Affäre seines Ehemanns berichten dürfen. Nach der Kritik des unterlegenen Verlagshauses entstamme die Entscheidung "einem Denken aus dem 19. Jahrhundert in einer Medienwelt des 21. Jahrhunderts", schreibt die Welt (Stefanie Bolzen).
Sonstiges
Kreuze im Gerichtssaal: Der Präsident des Amtsgerichts Saarbrücken hatte Anfang März die in den Sitzungssälen des Gericht befindlichen Kreuze entfernen lassen. Auf einer Podiumsdiskussion in St. Wendel, über die focus.de schreibt, tauschten sich saarländische Politiker, aber auch der Bischof von Trier, über die Berechtigung christlicher Symbolik in Gerichtsräumen aus.
Das Letzte zum Schluss
Pöbeln für Deutschland: Der längst verblichene Herbert Wehner gilt gemeinhin als Meister der parlamentarischen Verbalinjurie. Einige Nummern kleiner verdiente sich der Thüringer Landtagsabgeordnete Stephan Brandner (AfD) am gestrigen Donnerstag seinen Saalverweis. Wie spiegel.de schreibt, bezeichnete er unter anderem Grüne Abgeordnete als "Kinderschänder" und "Koksnasen".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. Mai 2016: Freispruch zu Silvesterübergriff / Schockbilder auf Schachteln / Investitionsschutz vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 20.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19387/ (abgerufen am: 01.05.2024 )
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