Die juristische Presseschau vom 16. Mai 2024: LG Itzehoe zu töd­li­chem Mes­ser­an­griff im Zug / Keine Abt­ren­nung im Wire­card-Ver­fahren / LAG Hamm zu Min­dest­lohn im Yoga-Zen­trum

16.05.2024

Ibrahim A. hatte im Zug bei Brokstedt zwei Menschen getötet und wurde jetzt wegen Mordes verurteilt. Das BayObLG lehnte eine Aufspaltung des Wirecard-Anleger-Verfahrens ab. Ein religiöses Yoga-Zentrum muss Mindestlohn zahlen.

Thema des Tages

LG Itzehoe – Messerangriff im Zug: Das Landgericht Itzehoe hat Ibrahim A., der im Januar 2023 in einem Regionalzug bei Brokstedt mehrere Menschen mit einem Messer angriff, wegen zweifachen Mordes und vierfachen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Angeklagte hatte keinerlei Reue gezeugt. Das Gericht konnte kein Motiv feststellen. Die Schuldfähigkeit des Angeklagten hat es, wie bereits der Sachverständige, bejaht. Die Verteidigung hatte dagegen für die Unterbringung ihres Mandanten in der forensischen Psychiatrie plädiert. Es berichten u.a. SZ (Jana Stegemann) und Welt (Philipp Woldin).

Alexander Haneke (FAZ) kritisiert, dass die Gründe, die die Bluttat möglich machten, ungehindert fortbestünden. Im deutschen Verwaltungsaufbau seien weiter zahllose Behörden für einen Asylbewerber zuständig – allzu oft kommunizierten die Stellen kaum und teilten Informationen nicht. Kämen Gerichte, Staatsanwaltschaften und JVA mit ins Spiel, wisse die eine Hand oft nicht, was die andere tue.

Rechtspolitik

Kinderehen: Rechtsprofessorin Bettina Heiderhoff kritisiert im Verfassungsblog den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Schutz Minderjähriger bei Auslandsehen. Sie kritisiert, dass die Frauen trotz des nun eingeführten Unterhaltsanspruchs weiterhin nicht ausreichend vor den Folgen der Unwirksamkeit der Ehe geschützt werden. Alternativ schlägt Heiderhoff vor, die Unwirksamkeit auf die Person zu beschränken, zu deren Gunsten sie eigentlich auch gemeint ist, nämlich auf die bei Eheschließung unter 16-Jährige. 

Justiz

BayObLG – Wirecard-Anleger:innen: Im Wirecard-Musterklageverfahren ehemaliger Aktionär:innen des Konzerns gegen den früheren Vorstandschef Markus Braun und zehn weitere Beklagte hat laut zeit.de und LTO das Bayerische Oberste Landesgericht die geforderte Aufspaltung in zwei Verfahren abgelehnt. Die Klägeranwälte wollten unter anderem erreichen, dass das Verfahren insbesondere gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY abgetrennt wird. Dann käme es aber, so das BayObLG, zu zwei parallelen Musterverfahren mit teilweise identischen Feststellungszielen. Außerdem scheiterte, wie die FAZ (Mark Fehr/Marcus Jung) zudem berichtet, der Versuch, die gesellschaftsrechtliche Umwandlung der ursprünglichen Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in eine GmbH & Co. KG zu verhindern. Anlegeranwälte befürchteten, dass dadurch Haftungsmasse für die Wirecard-Geschädigten verloren gehen könnte.

LAG Hamm zu Mindestlohn im Yoga-Zentrum: Weil es eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft nicht erkennen konnte, hat das Landesarbeitsgericht ein Yoga-Zentrum verpflichtet, seinen Mitarbeiter:innen den Mindestlohn zu zahlen. Das beklagte Zentrum versteht sich selbst als religiöse Gemeinschaft und ist als gemeinnütziger Verein organisiert. Der Zweck ist nach eigener Darstellung die Verbreitung von Yoga-Lehren. Eine der Kläger:innen – selbst Volljuristin – war für die Planung von Unterricht und Seminaren und Seminaren und den Bereich Social Media/Online-Marketing zuständig, bekam dafür allerdings nur ein Taschengeld zwischen 360 und 430 Euro. Das LAG sprach ihr nun eine Nachzahlung von 42.000 Euro zu. SZ und LTO (Tanja Podolski) berichten.

BGH zu Funkzellenabfrage: Der BGH hat im Januar entschieden, dass Daten aus einer fälschlicherweise angeordneten Funkzellenabfrage in Gerichtsprozessen nicht als Beweise genutzt werden dürfen. Das LG hatte den Angeklagten unter anderem wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dieser Tatvorwurf berechtige aber nicht zu einer Funkzellenabfrage. beck-aktuell berichtet.

BayObLG zu Söder-Karrikatur: Im Verfahren um ein Graffito, das Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einer Art SS-Uniform zeigen soll, ist der angeklagte Künstler vom Bayerischen Obersten Landesgericht freigesprochen worden. Das BayObLG berief sich auf die Kunstfreiheit; ob das Graffito wirklich Söder zeige oder nur allgemein eine Autoritätsperson, könne offen bleiben. Das Amtsgericht Nürnberg hatte den Künstler noch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt und war darin vom Landgericht bestätigt worden. Die FAZ berichtet.

LG Halle zu Björn Höcke: FAZ (Markus Wehner) und SZ (Jan Heidtmann/Wolfgang Janisch) fassen noch einmal die Entscheidung des Landgerichtes Halle gegen Björn Höcke zusammen. Wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen wurde der Thüringer AfD-Vorsitzende zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 130 Euro verurteilt. In der Revision beim BGH müsse die Tatsachenfeststellung des LG zugrunde gelegt werden. Dort könne also nicht neu entschieden werden, ob Höcke bei seiner Äußerung "Alles für Deutschland" im Mai 2021 wusste, dass es sich um eine SA-Losung handelte.

Die SZ (Wolfgang Janisch) erläutert das System der Tagessätze. LTO (Christian Rath) erläutert die Norm des § 86a StGB. Bei NS-Organisationen müsse letztlich die Justiz feststellen, welche Kennzeichen und Parolen strafbar seien. 

Höcke habe sich mit seinem Verhalten selbst gerichtet, meint Reinhard Müller (FAZ). Der vormalige Geschichtslehrer spiele mit Hingabe mit (abgewandelten) Parolen und halte so sein Publikum bei Laune. Christian Rath (taz) erinnert an die rechtsstaatliche Maxime "im Zweifel für den Angeklagten". Da Höcke nicht nachgewiesen werden konnte, dass er den Hintergrund der Parole kannte, hätte ein Freispruch eher nahegelegen als eine Verurteilung. Für Thomas Schmid (Welt) ist Höcke zwar zu Recht verurteilt worden, letztlich aber wegen einer Petitesse.

LG Braunschweig – Christian B.: Im Prozess gegen Christian B. sagte die irische Zeugin Hazel B. aus, die 2004 in ihrer portugiesischen Ferienwohnung von einem maskierten Einbrecher stundenlang vergewaltigt worden war. Der Mann habe mit deutschem Akzent gesprochen und die Taten gefilmt. Im Gerichtssaal identifizierte sie den Angeklagten an seinen Augen als den damaligen Täter. spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet. 

LG Mühlhausen zu Anwaltsgebühr: Rät ein Anwalt seinem Mandanten, keine Angaben zur Sache zu machen, bestellt sich aber erst nach Eingang des Strafbefehls, erhält er nach einer Entscheidung des LG Mühlhausen, über die beck-aktuell berichtet, trotzdem die Vorverfahrensgebühr.

VGH Bayern zu Pro-Palästina-Camp: Die Stadt München ist vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit dem Versuch gescheitert, ein geplantes Pro-Palästinensisches-Camp verlegen und Übernachtungen verbieten zu lassen. Die Versammlung sollte als Dauermahnwache vor dem Haupteingang der Universität ausgestaltet sein und drei Tage dauern. Die Versammlungsbeschränkungen seien rechtswidrig, so der VGH. Die Stadt habe die nach Art. 15 BayVersG erforderliche Gefahrenprognose nicht auf ausreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte gestützt. LTO (Charlotte Hoppen) berichtet.

AGH NRW zu Zulassungswiderruf: Auch ohne eine Eintragung ins Schuldnerverzeichnis kann einem Rechtsanwalt, der wiederholt Fremdgelder nicht an seine Mandanten weitergeleitet hatte, die Zulassung entzogen werden. Das hat laut beck-aktuell der Anwaltsgerichtshof NRW entschieden. Allein schon die unterbliebene Weiterleitung von Fremdgeld wegen der Kontopfändung durch das Finanzamt zeige die ungeordneten finanziellen Verhältnisse des Anwalts an, so das Gericht.

VG Potsdam zu Schengen-Einreiseverbot: Das Einreiseverbot, das die Bundespolizei gegen den palästinensisch-britischen Arzt Ghassan Abu-Sittah verhängte, der am 14. April am "Palästina-Kongress" in Berlin teilnehmen wollte, war rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht Potsdam im Eilverfahren entschieden. Der von der Bundespolizei geltend gemachte Anfangsverdacht für Propagandadelikte reiche nicht aus, um ein Schengen-Einreiseverbot zu rechtfertigen, dies seien keine ausreichend "schweren Straftaten". Die SZ (Ronen Steinke) berichtet

VG Berlin zu Auskunftsanspruch/Liebesbeziehung im Senat: Die Berliner Senatskanzlei muss mitteilen, wann der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Chefin des Presse- und Informationsamtes Christine Richter erstmals über seine private Beziehung zur Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) informierte. Das hat in einer Eilentscheidung, über die tagesspiegel.de (Jost Müller-Neuhof) berichtet, das Verwaltungsgericht Berlin entschieden. Der Tagesspiegel hatte einen presserechtlichen Auskunftsanspruch geltend gemacht.

FG Düsseldorf zu Strafverteidigerkosten: Strafverteidigungskosten eines ehemaligen Syndikusanwalts können bei Vorliegen eines beruflichen Veranlassungszusammenhangs als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit steuerlich berücksichtigt werden. Das hat das FG Düsseldorf entschieden. beck-aktuell berichtet.

Recht in der Welt

Panama – Jürgen Mossack: Die SZ (Mauritius Much) porträtiert den 76-jährigen deutschen Rechtsanwalt Jürgen Mossack, der sich in einem Prozess in Panama-Stadt wegen Geldwäsche verantworten muss. Die Ermittlungen gegen Mossack beruhten im Wesentlichen auf den so genannten Panama-Papers, die infolge eines Datenlecks 2016 an die Öffentlichkeit gelangten und die belegten, wie Prominente, Politiker, Autokraten und Kriminelle Briefkastenfirmen nutzten, um Geldflüsse oder sonstige Geschäfte zu verschleiern.

Schweiz – gambischer Exminister: Der frühere Innenminister von Gambia Ousman Sonko ist in der Schweiz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen worden. Laut SZ verhängte das Bundesstrafgericht am Mittwoch in Bellinzona die Höchststrafe von 20 Jahren. Es legte Sonko unter anderem vorsätzliche Tötungen, Folterungen und Freiheitsberaubungen zur Last, die er teils mit anderen Führungsmitgliedern begangen habe. Sonko lebte als Flüchtling in der Schweiz.

Sonstiges

75 Jahre Grundgesetz – Buschmann zu Paternalismus: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) beleuchtet in der FAZ die Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes, die im Wesentlichen auf der Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte beruhe. Er warnt daher davor, subjektive Abwehrrechte über Gebühr als auch objektive Eingriffsrechte zu verstehen. Hüten sollte sich der politische Diskurs und die Gesetzgebung auch vor Verkürzungen wie dem Slogan "Folgt der Wissenschaft". Aus den vielfältigen wissenschaftlichen Beschreibungen des Seins ein für alle geltendes Sollen abzuleiten sei immer ein politischer Abwägungsprozess.

75 Jahre Grundgesetz – Limbach zu Patriotismus. Warum wir uns dem Phänomen Patriotismus öffnen sollten, gerade auch auf der Grundlage des Grundgesetzes, erläutert NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) in der FAZ. Für ihn sei das Grundgesetz ein Wesensmerkmal eines aufgeklärten, nämlich demokratischen und auf rechtsstaatlichen Regeln basierenden Deutschlands. Dieser Verfassungspatriotismus ebenso wie unsere Erinnerungskultur seien die zwei wesentlichen Eckpfeiler für das Verständnis eines positiven, modernen Patriotismus.

75 Jahre Grundgesetz – Helene Wessel: Die Welt (Sven Felix Kellerhoff) erinnert an Helene Wessel, eine der vier weiblichen von insgesamt 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz verfasst hatte.

Ex-Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer befasst sich auf LTO kritisch mit der Staatsanwältin Anne Brorhilker, die bald für den Verein Finanzwende tätig sein wird. In der Abteilung Brorhilkers sei bislang weniger als ein Prozent der eingeleiteten Cum-Ex-Strafverfahren gegen 1.700 Beschuldigte einem Ergebnis zugeführt worden. Ihre Vorwürfe gegen "die Politik" seien spekulativ. "Denen da oben ist alles möglich, und je mehr das eigene Bemühen misslingt, desto gewaltiger muss wohl die Kraft des Bösen sein", schreibt Fischer.

Rechtsprofessor Kilian Wegner teilt im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) die Einschätzung von Brorhilker, "dass die Strafverfolger hierzulande mit Blick auf Finanzkriminalität jedenfalls dort nicht gut aufgestellt sind, wo die Täter professionell und grenzüberschreitend agieren und ihre Aktivitäten stark ins Digitale verlegt haben". Dabei wirke sich der Personalmangel stark negativ aus, aber auch die gesetzlichen Instrumente zur Einziehung von Vermögen verdächtiger Herkunft außerhalb des Strafverfahrens und die Regulierung von Krypto-Börsen und FinTechs könnten verbessert werden.

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LTO/pf/chr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Mai 2024: . In: Legal Tribune Online, 16.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54554 (abgerufen am: 30.10.2024 )

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