Das NPD-Verbotsverfahren scheitert nicht an V-Leuten. Der Partei gelingt es auch nicht, in Karlsruhe eine staatliche Überwachung glaubhaft zu machen. Aber ist sie so verfassungsfeindlich, dass sie verfassungswidrig ist?
Das NPD-Verbotsverfahren ist einen wichtigen Schritt weiter: Es scheitert diesmal nicht von vornherein an Informanten des Verfassungsschutzes in der rechtsextremen Partei. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sehe in diesem Punkt nach gründlicher Prüfung keine Verfahrenshindernisse, gab Gerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle zum Auftakt des zweiten Verhandlungstags am Mittwoch in Karlsruhe bekannt (Az. 2 BvB 1/13).
Damit war der Weg frei, um im zweiten Schritt unter die Lupe zu nehmen, ob die rund 5.200 Mitglieder starke Partei in ihren Inhalten und ihrem Auftreten verfassungswidrig ist. Dafür müsste sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden (Art. 21 Abs. 2 S. 1 Grdungesetz, GG). Nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG genügt dazu alleine die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen nicht; hinzu kommen muss eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung, auf deren Abschaffung die Partei abzielt.
In der Verhandlung wurde schnell deutlich, dass hier die eigentlichen Schwierigkeiten warten. Die acht Richter des zuständigen Zweiten Senats hinterfragten kritisch, ob ein Verbot wirklich gerechtfertigt wäre. So warf etwa der Berichterstatter für das NPD-Verfahren, Peter Müller, ein, dass es dafür "schon ziemlich dick kommen muss".
Parteiverbote: Wann sind Zumutungen verfassungswidrig?
Für den Bundesrat, der den Verbotsantrag gestellt hat, führte der Verfahrensbevollmächtigte Christoph Möllers etwa ins Feld, dass die NPD politische Gegner gezielt einschüchtere, indem sie vor deren Häusern aufmarschiere. Aber komme dort nicht einfach der Staat seinen Schutzpflichten nicht ausreichend nach?, hakte Richter Herbert Landau ein. Voßkuhle warf die Frage auf, ob man nicht manche Zumutungen ertragen müsse, "weil sie das Salz in der Suppe der Demokratie sind".
Es wurde Staatsrecht auf hohem Niveau diskutiert. Es ging um die Natur des Parteiverbots, seinen Charakter als absolute Ausnahme in einer Demokratie, die auf der Abkehr vom NS-System beruht und die Frage, wie gefährlich eine Partei eigentlich sein müsste, um verboten zu werden. Eine bloße Gesinnung reiche nicht aus, aber weshalb sollte dann die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus eine Partei verfassungswidrig machen? Wie konkret müsste eine Gefährdung sein, wie groß das Risiko, das sich realisieren könnte? Müsste die freiheitliche demokratische Grundordnung sogar schon beeinträchtigt sein?
Gleich mehrfach rekurrierten Parteivertreter und die Richter des Zweiten Senats strafrechtliche Dogmatik, der Vertreter der NPD beharrte gar auf seinem schon am ersten Prozesstag getätigten Vergleich mit der "Todesstrafe für eine Partei". Aber auch Parallelen zur Rechtsprechung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts zum Vereinsverbot wurden gezogen, Gemeinsamkeiten erörtert und Unterschiede diskutiert.
Trotz der komplexen Fragen will das Gericht nach Voßkuhles Worten die Verhandlung mit dem dritten Tag an diesem Donnerstag zum Abschluss bringen. Der Senat räumte der NPD aber sechs Wochen Zeit ein, um neue Aspekte vorzubringen. NPD-Anwalt Peter Richter machte das umgehend: Er stellte dem Gericht und dem Vertreter der Bundesländer je einen dicken Aktenordner zur Verfügung. Voßkuhle kommentierte: "Im Protokoll wird jetzt vermerkt: allgemeine Heiterkeit."
2/2: Experten uneins: "politisch ein Zwerg"?
Weniger heiter ging es weiter zu einer der wichtigsten Fragen des Verfahrens: Wie gefährlich ist die NPD? Wie mächtig, wie bedeutsam ist die Partei, die es auf Bundesebene gerade einmal auf 1,3 Prozent bringt? Ist sie überhaupt strukturell, organisatorisch und strategisch in der Lage, verfassungsfeindliche Ziele umzusetzen? Gleich mehrere Sachverständige Parteien- und Extremismusforscher kamen zu Wort, welche die NPD und ihre Gefährlichkeit unterschiedlich beurteilten. "Die NPD ist politisch ein Zwerg", sagte Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Prof. Dr. Eckhard Jesse, dessen Methoden jedoch nicht nur der Vertreter des Bundesrats, Prof. Dr. Christoph Möllers von der HU Berlin, anzweifelte.
Auch Steffen Kailitz, selbst ein Schüler Jesses, sprach sich für ein Verbot der Partei aus. Die NPD wende sich gegen alle, die nicht ethnisch deutsch sind, ihr Ziel sei ein völkischer Wohlfahrtsstaat. Sie schaffe vor Ort auch ein Klima der Gewalt. Auf Fragen nach der Reichweite der NPD in der Gesellschaft, ihrer Bedeutung und der Chancen auf Realisierung ihres Aktionsprogramms antwortete er, die Entwicklung sei schwer vorauszusehen.
Differenziert äußerte sich der Dortmunder Politologe Prof. Dr. Dierk Borstel. Man verstehe die Partei nicht ohne ihren sozialen Kontext vor allem in Ostdeutschland, es gebe vor Ort eine Krise der Demokratie. Ein Verbot ersetze nicht die Demokratiestärkung, "die kommunale Verankerung des Rechtsextremismus bleibt - mit oder ohne Verbot". Es gebe Radikalisierung, "aber das Potenzial zum Feldzug" sehe er nicht. Der vom Bundesrat beauftragte Sachverständige plädierte für einen Mix aus Prävention und Repression. Man brauche Prozesse der Demokratieentwicklung und der Intervention. "Das Parteiverbot ist eine mögliche Maßnahme".
Und was würde der EGMR sagen?
Bis zu einem Urteil des BVerfG dürften noch Monate vergehen. Ein eventuelles Verbot müsste inzwischen auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand haben. Nach dessen Rechtsprechung muss ein Parteiverbot zum Schutz der demokratischen Ordnung auch wirklich notwendig sein - und setzt, wohl noch mehr als das deutsche Recht, auch die faktische Möglichkeit der Partei voraus, verfassungsfeindliche Tendenzen auch umzusetzen.
Bundesregierung und Bundestag haben sich dem Verbotsantrag nicht angeschlossen. Ein erster Anlauf war 2003 in einem Fiasko für die Politik geendet, weil im Verfahren ans Licht kam, dass die Partei bis in die Spitze hinein mit sogenannten V-Leuten durchsetzt war.
Diesmal hatten die Bundesländer vorgesorgt und im vergangenen Jahr auf Bitten des Gerichts noch einmal umfangreich dokumentiert, dass alle V-Leute rechtzeitig vor Beginn des Verfahrens "abgeschaltet" waren. NPD-Anwalt Peter Richter hatte am Dienstag versucht,
Überwachungs- und Anwerbeversuche jüngeren Datums nachzuweisen. Das Gericht sieht die vorgetragenen Fälle aber nicht als relevant an.
Mit Materialien von dpa
Pia Lorenz, Zweiter Prozesstag: BVerfG diskutiert NPD-Verbot: Wann sind Zumutungen verfassungswidrig? . In: Legal Tribune Online, 02.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18659/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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