Peter Müller darf über eine Wahlprüfungsbeschwerde zur Bundestagswahl urteilen, obwohl er Ministerpräsident des Saarlandes war, entschied das BVerfG. Schließlich hege er keine "feindliche Haltung" gegenüber Beschwerdeführer Herbert von Arnim
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einen Befangenheitsantrag gegen den Verfassungsrichter Peter Müller im Fall der Wahlprüfungsbeschwerde von Staatsrechtler und Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim als unbegründet abgewiesen. Am Freitag gab das Gericht bekannt, dass es keinen Anlass sieht, an Müllers Unvoreingenommenheit zu zweifeln (Beschl. v. 19.07.2016, Az. 2 BvC 46/14).
Von Arnim, der an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer lehrt, hatte eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag im September 2013 eingelegt. Die Beschwerde betrifft die Verfassungsmäßigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel und die nach Ansicht von Arnims "verschleierte staatliche Parteien- und Wahlkampffinanzierung der Bundestagsparteien bei der Bundestagswahl 2013". In diesem Zusammenhang greift von Arnim die Verwendung von Fraktionsgeldern zur Öffentlichkeitsarbeit ebenso an wie den angeblichen Einsatz von Abgeordnetenmitarbeitern zu Wahlkampfzwecken und die Zuteilung von Geldern.
Verfassungsrichter Peter Müller, Mitglied des als Staatsgerichtshof konzipierten und damit sachlich zuständigen Zweiten Senats des BVerfG, wollte von Arnim in dem Verfahren nicht sehen. Er beantragte, diesen wegen Befangenheit auszuschließen. Müller habe als damaliger Ministerpräsident des Saarlandes im Vorfeld der Landtagswahlen 2009 durch die Anzeigenserie "Der Ministerpräsident informiert", durch einen den Gehaltsabrechnungen der Landesbeschäftigten beigefügten Brief sowie durch die Publikation der Broschüre "Saarland - aber sicher" des saarländischen Innenministeriums verfassungswidrige "Regierungspropaganda" vorgenommen und damit verfassungswidrige "verschleierte" staatliche Parteienfinanzierung zugunsten seiner Partei, der CDU, betrieben. Die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahmen habe der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) des Saarlandes im Jahr 2010 festgestellt.
Feindselige Haltung?
Außerdem stützte von Arnim sein Ablehnungsgesuch auf die Mitwirkung Müllers am Haushaltsentwurf der Regierung des Saarlandes für das Jahr 2010 und am Saarländischen Fraktionsrechtsstellungsgesetz vom 13. November 1996. Der Haushaltsentwurf habe z.B. in offensichtlich rechtswidriger Weise eine 49-prozentige Erhöhung der Fraktionszuschüsse vorgesehen. Insgesamt zeige sich, so von Arnim, dass Müller "die rechtlichen Grenzen der staatlichen Politikfinanzierung grob zu missachten pflege".
Aber auch auf der persönlichen Ebene kann Müller nach Auffassung des Staatsrechtlers kein geeigneter Richter für seine Beschwerde sein. Der 60-Jährige nehme ihm gegenüber eine, über bloße Antipathie hinausgehende, "feindselige Haltung" ein, die bei einer Podiumsdiskussion im rheinland-pfälzischen Landtag im Jahr 2000 zum Ausdruck gekommen sei. Auf seine kritischen Äußerungen zur parteipolitischen Ämterpatronage hin habe Richter Müller ihm unterstellt, er suggeriere, "dass Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes faktisch außer Kraft gesetzt ist und nur noch auf der Basis eines Parteibuchs Ämter vergeben werden" und bestritten, "dass Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr funktioniert". Diese Erwiderung auf die Kritik von Arnims sei maßlos übertrieben und zeige den Ärger eines hohen Parteifunktionärs gegenüber dem Parteienkritiker.
Außerdem habe von Arnim auf die Äußerung des Richters, die Verbeamtung der Parlamente beruhe darauf, dass der öffentlich Bedienstete "jederzeit in seinen früheren Beruf" zurückkehren könne, wie folgt erwidert: "Wir haben nicht nur eine Verbeamtung der Parlamente, sondern auch eine Verbeamtung der Parteien. Die können Sie nicht mit dem Rückkehranspruch begründen. Die hängt damit zusammen, dass viele öffentliche Bedienstete, um vorwärts zu kommen, in eine Partei eintreten. Das ist doch ein offenes Geheimnis, Herr Müller". Darauf habe Müller geantwortet: "Das ist offener Unsinn".
Beide Äußerungen des Richters zeigten, so von Arnim zur Begründung seines Befangenheitsantrags, dass dieser bestrebt sei, Probleme und verfassungswidrige Auswüchse des Parteienstaates klein zu reden. Es sei Müller nicht um eine sachliche Diskussion gegangen, sondern um Polemik und Herabsetzung von von Arnim als Person. Außerdem habe der im Zusammenhang mit Müllers Ernennung zum Verfassungsrichter "drastische Kritik" geübt, die dessen unbefangene Entscheidung ausschließe.
2/2 Saarland-Affäre hat mit Bundestagswahl nichts zu tun
Der Antrag auf Ablehnung von Richter Müller ist aber unbegründet, befand der Zweite Senat, der u.a. für Wahlbeschwerden zuständig ist. An der Entscheidung über seine Ablehnung wegen Befangenheit durfte Peter Müller nicht mitwirken (§ 19 Bundesverfassungsgerichtsgesetz). Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Entscheidend ist dabei allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Gemessen an diesem Maßstab sei nicht von einer Besorgnis der Befangenheit von Müller auszugehen, so der Senat, dem der ehemalige Politiker angehört.
Ein hinreichender Bezug der von von Arnim dargestellten Sachverhalte zum Verfahrensgegenstand der Wahlprüfungsbeschwerde sei nicht erkennbar. Das angeführte Urteil des Saarländischen VGH betreffe die Frage, ob durch die Maßnahmen der Landesregierung im Vorfeld der Wahl des Landtages die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit überschritten worden sind.
Von Arnim aber wende sich mit seiner Beschwerde gegen die Bundestagswahl. Die dabei von ihm geltend gemachten Wahlfehler beträfen auch inhaltlich nichts, womit sich die saarländischen Richter in ihrer Entscheidung befasst hätten.
Kritik an Richtern macht diese nicht befangen
Auch die anderen von von Arnim zur Grundlage gemachten Vorgänge ergäben keine Befangenheit. Sowohl die Vorgänge betreffend die Öffentlichkeitsarbeit der saarländischen Landesregierung als auch die Mitwirkung an Landesgesetzen seien dem politischen Wirken Müllers vor seiner Ernennung zum Richter zuzuordnen. Zu den von ihm bekleideten Ämtern gehörten naturgemäß die Mitwirkung an möglicherweise umstrittenen Gesetzen und die Initiierung von Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung. Daraus könne aber nicht gefolgert werden, dass bei Müller nun in seinem Amt als Verfassungsrichter gegenüber den geltend gemachten Verfahrensgegenständen eine Besorgnis der Befangenheit angenommen werden muss.
Bei der Podiumsdiskussion zwischen Müller und von Arnim habe der Richter keine "feindselige Einstellung" erkennen lassen, so das Gericht. Seine pointierte Aussage ("Das ist offener Unsinn"), die zudem durch die Vorrede von Arnims ("Das ist doch ein offenes Geheimnis, Herr Müller") veranlasst war, ändere daran nichts. Es sei nicht erkennbar, dass dieses 16 Jahre zurückliegende Ereignis zu einer Besorgnis der Befangenheit des Richters führen könnte.
Auch die von von Arnim geäußerte "drastische Kritik" an seiner Wahl zum Richter am BVerfG könne keine Besorgnis der Befangenheit begründen. Ansonsten könnte schließlich jeder Beteiligte eines Verfahrens die Befangenheit eines ihm unliebsamen Richters herbeiführen, indem er "drastische" Kritik an diesem äußert, so die Karlsruher Richter.
acr/pl/LTO-Redaktion
Ex-Ministerpräsident nicht befangen: Peter Müller entscheidet über von Arnims Wahlprüfungsbeschwerde . In: Legal Tribune Online, 05.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20217/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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