Vom Wirtschaftsanwalt zum Philosophen: "Justiz hat mit Gerech­tig­keit nichts zu tun"

von Désirée Balthasar

26.10.2016

Er arbeitet als Rechtsanwalt, ist Schiedsrichter, nennt sich Gerechtigkeitsforscher und berät Start-Ups. Das Lebensthema von Markus Schollmeyer ist die Gerechtigkeit. Und die sucht er im Sport wie im Beruf. Ein Portrait.

Sein oberbayerischer Zungenschlag verrät die Münchener Herkunft. Er klingt durch, wenn Markus Schollmeyer (47) von Gerechtigkeit und der Suche nach Wahrheit erzählt. Bei öffentlichen Auftritten trägt der Anwalt anthrazitfarbene Anzüge mit weißem Hemd, keine Krawatte. Spricht er vor Kameras, beherrscht er seine Gesichtszüge und gestikuliert sachte.
Seit mehr als 15 Jahren sucht Schollmeyer nach der 'wahren' Gerechtigkeit. Nicht nach der, die Parteien in ihre Wahlprogramme schreiben oder Unternehmen in ihrer Werbung propagieren. Nicht nach der, die viele Menschen mit dem egoistischen Streben nach persönlicher Bevorteilung verwechseln.  (c) Markus Schollmeyer
"Sondern nach dem unbewussten Gefühl, welches bei jedem Menschen tief im Bauch sitzt", erzählt der Anwalt. "Ähnlich dem Ekel, entsteht es spontan und ruft dasselbe Gefühl hervor: Etwas muss weg." Ein Mensch, eine Situation, egal was. Das, was das Gefühl auslöst, muss weg. Schollmeyer: "Die Gerechtigkeit gehört zu den unbewussten Gefühlen, auf die wir reagieren, ohne darüber nachzudenken."

Anwälte fordern Gesetzesfolgsamkeit 

Seit jeher setzen sich Menschen mit dem Gerechtigkeitsbegriff auseinander. Philosophen wie Platon, Aristoteles, Kant oder Habermas - und ganz normale Menschen mit der Liebe zum Nachdenken. Markus Schollmeyer ist einer von ihnen. Wie die berühmten Denker vor ihm hat er seine Definition in Büchern veröffentlicht und auf Vorträgen verbreitet. Und wie die berühmten Denker vor ihm hat er sich seine eigene Definition in langer Forschung erarbeitet. Doch sein Versuch, als Anwalt Gerechtigkeit herzustellen, scheiterte.
Dabei führte ihn genau dieser Wunsch in das Jurastudium. "Wie die meisten Jurastudenten stellte ich mir damals vor, dass Recht automatisch zu mehr Gerechtigkeit führen würde", erinnert er sich. "Heute würde ich meinem jüngeren Ich vehement widersprechen." Denn er sieht die Anwaltschaft nicht als Kämpfertum für Gerechtigkeit, sondern als Eintreiber von Gesetzesfolgsamkeit. 
Gesetze seien die Regeln, die der Staat festlege, um ein Land zu verwalten. "Insofern hat die Justiz nichts mit Gerechtigkeit zu tun", ist Schollmeyer überzeugt. "Sie ist lediglich dazu da, dass die Regeln eingehalten werden, die die Gesellschaft zusammenhalten."

Fußball und die Frage nach richtig oder falsch

Die Suche nach dem, was richtig und falsch ist, machte auch vor dem Hobby nicht halt. Schollmeyer ist sportbegeistert und spielte seit jeher Fußball. Von DFB und BFV als Fußball- und Futsalschiedsrichter zugelassen, pfiff er offizielle Ligaspiele,. Um die Regeln des Spiels fair auszulegen, wie er sagt. 
Sein starkes Vertrauen auf das eigene Bauchgefühl war es, was Schollmeyer hat zweifeln lassen. Noch weit vor seiner anwaltlichen Karriere - im Jurastudium - verspürte er erste Unstimmigkeiten zwischen den Worten, die in Gesetzestexten abgedruckt sind und dem Gefühl, das ihm erste Zweifel einpflanzte. 
Das Rechtswesen vereinnahmt die Symbolfigur Justitia als Wahrzeichen der Gerechtigkeit für sich. "Dieser Zusammenhang hat sich mir nie erschlossen", sagt der Anwalt. In ihm entstand ein Gefühl, das eine - also das Recht – habe mit dem anderen - nämlich der Gerechtigkeit - nur wenig zu tun.
Zitiervorschlag

Désirée Balthasar, Vom Wirtschaftsanwalt zum Philosophen: . In: Legal Tribune Online, 26.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20981 (abgerufen am: 30.10.2024 )

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