Kontrovers diskutiert und nicht bei allen beliebt: Maßnahmen zur Frauenförderung sind in vielen Kanzleien Alltag. Doch bringen sie wirklich etwas? Petra Linsmeier (44) von Gleiss Lutz und Heuking-Partnerin Ute Jasper (52) sprechen mit LTO darüber, was sie von Hilfsangeboten für Frauen halten, vor welcher Herausforderung junge Väter heutzutage stehen und was es mit dem Anwalts-Gen auf sich hat.
LTO: Was halten Sie von Ratgebern oder Kursen, die Frauen mit Karriereambitionen Hilfe anbieten?
Dr. Ute Jasper: Ich bin keine Freundin von Quoten oder von einer Spezialförderung für Frauen. Natürlich muss man junge Menschen fördern und ihnen ein flexibles Arbeitsumfeld schaffen. Das gilt aber nicht nur für junge Frauen, sondern auch für junge Männer - und vor allem für junge Väter. Ich halte es für gefährlich, den Frauen stets eine Sonderrolle zuzuschreiben.
Sicherlich sind Frauen anders als Männer, aber ich sehe nicht, dass es da einen Nachteil gibt, der durch Sonderbehandlung ausgeglichen werden müsste. Ich würde eher die Frauen ermutigen und ihnen sagen: Ihr seid genauso gut, strengt euch an! Ihr könnt ja gern Kurse machen, aber ihr müsst wie die Männer eure Leistung erbringen!
Dr. Petra Linsmeier: Ich würde das nicht so verstehen, dass Frauen Hilfe benötigen, um nach oben zu kommen. Die generelle Frage danach, ob wir Frauenförderungsprogramme tatsächlich benötigen, muss differenzierter beantwortet werden. Denn einerseits gibt man manchen Frauen damit tatsächlich das Gefühl, dass sie Schwächen haben, die Männer nicht haben; auf der anderen Seite kann es sinnvoll sein, den Frauen während ihrer Entwicklung Coaches zur Seite zu stellen.
Es hängt sehr stark davon ab, wie man es macht. Alle Frauen durch ein spezielles Kanzleiprogramm laufen zu lassen, davon würde ich nichts halten. Deshalb tauchte die Frage, ob die Männer sich dadurch zurückgesetzt fühlen, bisher nicht auf.
LTO: Kann man schon absehen, ob und wie derartige Programme die Anwältinnen weiterbringen?
Linsmeier: Frauenförderung ist eine langfristige Maßnahme. Wichtig dabei ist, ist, dass sich die Anwältinnen wertgeschätzt fühlen. Wichtig ist außerdem, dass das Thema in den Köpfen ankommt. Man muss nicht jeden Tag Diversity rauf und runter deklinieren und sicherlich ist mancher Partner schon genervt davon, aber dennoch wird die Sensibilität erhöht. Das ist besonders wichtig in der Diskussion über die Neuaufnahme einer Partnerin. Hier sollten nicht die klassischen Stereotype hervorgeholt, sondern die tatsächlichen Stärken und Schwächen eines Partnerkandidaten objektiv analysiert werden.
"Männer haben größere Probleme, die Arbeitszeit zu reduzieren"
Jasper: Bei Heuking gibt es individuelle Fördermaßnahmen für junge Kollegen. Sie bestehen nicht nur in Schulungen und Kursen, sondern auch im Vertrauen der Partner, gezielter Förderung und vor allem in dem Schwerpunkt auf Flexibilität gepaart mit früher persönlicher Verantwortung der jungen Anwälte. Auch ich habe davon profitiert. Ich bin seit mehr als 20 Jahren Partnerin, habe vier Kinder und bin - denke ich - mit Projekten und Umsatz ein Beispiel dafür, was man erreichen kann. Denn dabei geht es rein um Erfolg und Qualität der Arbeit und nicht um Fragen nach dem Geschlecht oder nach Kindern.
Für mich lautet die wesentliche Frage: Wie können junge Kolleginnen und junge Kollegen ihre Lebensplanung mit dem Beruf vereinbaren? Work-Life-Balance bekommt sicherlich mehr Gewicht, das gilt aber für Männer und Frauen gleichermaßen. Balance muss aber nicht immer heißen weniger, sondern flexibler und effizienter zu arbeiten.
Linsmeier: Genau das ist der Grund, warum diese Diskussionen in den Medien und auch bei uns in der Kanzlei überhaupt stattfindet: Die veränderte Einstellung der jungen Berufseinsteiger zur Arbeit, und zwar bei beiden Geschlechtern. Männer betrifft es stärker, weil sie immer noch größere Probleme haben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Bei Gleiss Lutz sind generell viele Anwälte in Teilzeit, darunter sind aber deutlich weniger Männer.
Ich beobachte immer häufiger, dass die männlichen Anwälte, die ein Jahr Elternzeit genommen haben, zwar wiederkommen, aber nicht ihr gesamtes Berufsleben bei uns bleiben. Der Wunsch nach mehr Freizeit ist für sie in einer Kanzlei wohl nicht zu erfüllen. In dieser Hinsicht ist es für Frauen einfacher, weil es bei ihnen sozial akzeptiert ist, die Arbeitszeit zeitweise zurückzufahren.
Jasper: Da stimme ich zu. Wenn wir echte Frauenförderung wollen – und zwar nicht nur individuell sondern auf gesellschaftlicher Ebene –, dann müssen wir Männern die Flexibilität ermöglichen, ihre Arbeitszeit in Abstimmung mit ihrer Partnerin zu gestalten. Dafür braucht es allerdings nicht unbedingt ein Programm, das kann man in der täglichen Arbeit umsetzen.
2/3 Flexibilität statt Anwesenheitspflicht
LTO: Wie kann das Kanzlei-Management dazu beitragen, dass auch männliche Anwälte ihre Arbeitszeit zurückfahren?
Jasper: Das wäre denkbar mit flexiblen Vergütungssystemen: Wenn es nicht mehr darum geht, wie viele Stunden jemand arbeitet, sondern welchen Umsatz er macht, dann erledigt sich das Problem ganz von selbst. Das Management kann auch dazu beitragen, dass die Kultur der Gesichtspflege keine Rolle mehr spielt, also die reine Anwesenheit nicht mit der tatsächlichen Arbeit gleichgesetzt wird.
Linsmeier: Ich sehe da durchaus die Männer selbst in der Pflicht. Sie sollten selbst in der Lage sein, ihre Wünsche zu artikulieren. Mir fällt auf, dass vor allem die weiblichen Anwälte sagen, wie sie sich zukünftig ihre Arbeit vorstellen. Das wird aber von den Männern, auch von den jungen Vätern, nicht gleichermaßen kommuniziert.
In einer Kanzlei hängt außerdem prinzipiell vieles davon ab, für welchen Partner man arbeitet. Auch tut man sich mit der Arbeitseinteilung leichter, wenn man bereits Partner oder Partnerin ist, weil man dann seine Termine flexibler legen kann als ein Berufsanfänger.
Jasper: Natürlich, je mehr ich über meine Termine selbst bestimmen kann, desto freier bin ich in meinem Arbeitsalltag. Und das hängt im Wesentlichen davon ab, wie gut ich arbeite. Denn je besser die Qualität meiner Arbeit, desto selbstbewusster kann ich diese Flexibilität in der Kanzlei und gegenüber den Mandanten umsetzen.
LTO: Wenn das Weiterkommen maßgeblich von dem Vertrauen des verantwortlichen Partners abhängig ist, könnte ein Förderungsprogramm diese Abhängigkeit aufheben?
Jasper: Nein, das glaube ich nicht. Wenn Sie eng mit einem Partner zusammenarbeiten und die Chemie nicht stimmt, dann hilft auch kein Programm. Dann muss man zu einem anderen Partner wechseln. Denn in einer Kanzlei spielt das Management tatsächlich in diesem Zusammenhang nur eine geringe Rolle. Die persönlichen Beziehungen zum Mandanten, zu den Partnern und zu den anderen Mitarbeitern sind weitaus wichtiger.
Das Management sollte die Anwälte seiner Kanzlei ermutigen, Raum für persönliche Beziehungen entstehen zu lassen. Das geht auch über das Berufliche hinaus. Das ist eine Frage der Kanzleiphilosophie – aber es ist mehr wert, als jedes Programm.
Linsmeier: Genau das ist der große Vorteil einer Partnerschaftsgesellschaft. Man ist relativ frei, auch wenn das Management natürlich versuchen kann, da zu helfen. Gleichzeitig ist es für die Kanzlei von Nachteil, weil sie ihre Partner nicht wirklich steuern kann. Wichtig dabei ist, dass der Prozess der Partnerernennung transparent und objektiviert ist. Der sollte nicht nur vom Wohlwollen einzelner Partner abhängen und auch Frauenförderungsprogramme sind kein Ausgleich dafür. Wer mit mehreren Partnern zusammengearbeitet hat, bei dem entscheiden weniger die stereotypen Vorstellungen über Erfolg oder Misserfolg als das Niveau seiner Arbeit.
Das Anwalts-Gen ist wichtiger als Förderprogramme
LTO: Aber wenn die Karriere rein von der Leistung und Qualität der Arbeit abhängt, warum gibt es dann so wenige Frauen in den Partnerkreisen?
Jasper: Das ist die Frage, ob und wie sehr das Anwalts-Gen – das es zweifellos gibt – bei Männern und Frauen ausgeprägt ist. Anwalts-Gen bedeutet, dass jemand die Art der anspruchsvollen, schnellen, kämpferischen und im positiven Sinne aggressiven – also anpackenden – Arbeit gern macht. Und das sind dann doch mehr Männer als Frauen. Wenn es nicht mehr nur um das Prüfen von Rechtsfragen, sondern um Auseinandersetzungen und Akquisitionen geht, also um Wettbewerb, dann stellen viele Männer und Frauen, aber eben weniger Männer als Frauen fest, dass sie lieber Richter oder Unternehmensjurist sein wollen. Die Verantwortung für den Umsatz und die Akquise liegt den Männern mehr als den Frauen.
Linsmeier: Ich finde in diesem Zusammenhang die aktuelle Studie von Bain & Company erschreckend: Zu Beginn ihres Berufseinstiegs starten Männer und Frauen gleich ambitioniert und wollen Karriere machen. Doch nach fünf Jahren scheinen wesentlich mehr Frauen als Männer diese Ambitionen abgelegt zu haben. Die Frage ist, ob sie tatsächlich genetisch nicht geeignet sind, Partnerin zu werden, oder ob ihnen im Laufe der Zeit zu häufig gesagt wird, dass sie es nicht schaffen, obwohl sie durchaus das Potential dazu hätten.
Deshalb ist es wichtig, dass man von Anfang an mit jemandem zusammenarbeitet, der an einen glaubt. Bei mir war es so, dass der Kartellrechtspartner, bei dem ich angefangen habe, mich gefördert hat und dafür gesorgt hat, dass ich mich intern gut vernetze. Er hatte immer Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten.
3/3 "Erfolg lässt sich gut in Euro pro Jahr messen"
Jasper: Das persönliche Vertrauen kann man nicht hoch genug einschätzen. Es trägt einen auch dann, wenn es mal nicht so gut läuft. Auch das Schubsen und Loslassen im übertragenen Sinne, spielt eine sehr große Rolle im beruflichen Weiterkommen. Doch einigen Frauen fehlt das nonkonformistische Aufbegehren und sie sind harmoniebedürftiger.
LTO: Inwiefern hat sich der Prozess der Partnerernennung verändert?
Linsmeier: Hier zeigt die öffentliche Diskussion bereits Wirkung, denn Stereotype werden zunehmend kritisch hinterfragt. Außerdem ist es hilfreich, dass nicht mehr nur Männer über die Aufnahme entscheiden, sondern die Partnerschaft gemischter geworden ist.
Jasper: Auch in unserem Karriereprogramm sind die Stufen objektiviert worden und vor allem spielen die Zahlen eine zentrale Rolle. Letztlich ist es eine wirtschaftliche Frage, wer Partner wird – egal ob fleißiges Bienchen oder jemand mit übergroßem Selbstbewusstsein. Erfolg lässt sich sehr gut in Euro pro Jahr messen.
LTO: Aber was passiert, wenn das erste Kind kommt, man die Arbeitszeit verkürzt und somit weniger Umsätze einfährt? Das betrifft ja meistens die Frauen.
Jasper: Nun, jeder weiß, dass er weniger entnehmen kann, wenn er weniger umsetzt – egal ob Mann oder Frau. Deshalb benötigt man Vergütungsmodelle, um die Entnahme der Arbeitszeit anzupassen. Bei Heuking beispielsweise ist die Vergütung sehr erfolgsbezogen. Das hat mir in den letzten 20 Jahren sehr viel Spielraum gelassen. Ich musste nicht jedem meine Anwesenheit nachweisen. Wenn die Zahlen entscheiden, interessiert es niemanden, ob ich auf dem Spielplatz sitze oder Sonntags morgens um sechs, bevor die Kinder wach werden, von zuhause arbeite.
Linsmeier: In einem derartigen System ist es tatsächlich einfacher, jemanden zurückzustufen als etwa in einer reinen Lockstep-Kanzlei, weil die Höhe der Vergütung der Partner dort eben nicht vom persönlichen Umsatz abhängt. Dass es aber machbar ist, haben wir bei Gleiss Lutz bereits in den Neunziger Jahren unter Beweis gestellt – damals haben wir einer Equity Partnerin Teilzeit ermöglicht, weil wir sie unbedingt halten wollten. Heute arbeiten einige Equity Partner bei uns in Teilzeit, nicht nur Frauen.
"Ergreift den Beruf, den ihr wirklich wollt"
LTO: Ihr Appell an den Nachwuchs?
Linsmeier: Studenten, ergreift den Beruf, den ihr wirklich wollt und denkt nicht schon vor Studienbeginn darüber nach, ob und wann ihr Kinder haben wollt. Man sollte offen sein für alle Chancen, die einem das Jurastudium bietet und nicht nur die Justiz in Erwägung ziehen.
Jasper: Habt vor allem den Mut, euer Glück selbst in die Hand zu nehmen und wartet nicht auf Programme von außen. Gerade der Anwaltsberuf bietet Chancen in Hülle und Fülle, das geeignete System für sich zu finden, in dem man sein Leben mit Kindern, Familie und Arbeit frei gestalten kann. Man darf die Verantwortung für sein eigenes Leben nicht an andere abgeben, sondern muss es selbst in die Hand nehmen.
Dr. Petra Linsmeier ist seit 2007 Partnerin bei Gleiss Lutz im Bereich Kartellrecht. In der Kanzlei ist sie seit 2001, sie arbeitet im Münchner Büro.
Dr. Ute Jasper trat 1991 in die Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek ein. Drei Jahre später wurde sie Partnerin und ist seitdem am Düsseldorfer Standort der Sozietät im Vergaberecht tätig.
Désirée Balthasar, Frauenförderung in der Diskussion: "Gefährlich, den Frauen eine Sonderrolle zuzuschreiben" . In: Legal Tribune Online, 10.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14645/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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