Introvertierte Juristen

Ruhe, bitte!

von Sabine OlschnerLesedauer: 4 Minuten
Anwälte müssen sich durchsetzen, ihren Standpunkt vor Gericht verteidigen und gekonnt mit Mandanten umgehen. Aber was ist, wenn es jemandem nicht liegt, immer an vorderster Front zu stehen? Können auch Introvertierte gute Juristen sein?

Nur weil ein Kollege schüchtern ist und am Anfang noch unsicher reagiert, ist er noch lange nicht introvertiert. Unsicherheit gibt sich meist mit der Zeit – Introvertiertheit hingegen ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das sich nicht wegzaubern lässt. "Soll es auch gar nicht, denn Introvertierte haben viele Stärken, die sie beruflich nutzen können", betont Coach und Vortragsrednerin Dr. Sylvia Löhken. Sie beschäftigt sich mit intro- und extrovertierten Menschen und erklärt, was Introvertierte ausmacht: "Sie sind mehr nach innen gewandt als Extrovertierte und brauchen Ruhe zum Arbeiten. Je ruhiger es ist, desto kreativer können sie sein." Sich in einem Einzelbüro stundenlang in Akten zu vertiefen, ist für introvertierte Juristen kein Problem. Weiterhin wirken sich zu viele Sinneseindrücke gleichzeitig für Introvertierte kontraproduktiv aus. Stürzen viele Informationen auf sie ein, werden sie eher gereizt und müde, während es Extrovertierten oft nicht trubelig genug sein kann – erst dann legen diese so richtig los. "Introvertierte denken hingegen ständig. Daher sind sie oft gute Analytiker und Problemlöser, was für Anwälte und andere Juristen sehr sinnvoll ist", sagt Löhken. Das dritte Wesensmerkmal von Introvertierten: Sie sind vorsichtiger als ihre extrovertierten Kollegen, die gern schnell mal etwas ausprobieren statt lange darüber nachzudenken. "Introvertierte weisen lieber einmal mehr auf Risiken hin und untersuchen eine Sache beharrlich von vielen Seiten, bevor sie sich entscheiden", so Löhken. Auch diese Eigenschaft sei für einen Juristen, vor allem für Richter, sehr hilfreich, ist sie überzeugt. Grundsätzlich gelte: Alle Menschen tragen Eigenschaften von Introvertiertheit und Extrovertiertheit in sich. "Jeder muss einfach herausfinden, was seine Stärken sind und in welchem Umfeld er am besten arbeiten kann."

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Kanzleien suchen gemischte Teams

"Wir brauchen beide: extrovertierte ebenso wie introvertierte Kollegen", betont Lorenz Kiefer, Personalleiter bei Noerr LLP. "Schließlich gibt es auch auf Mandantenseite Menschen, die lieber mit ruhigeren Zeitgenossen zusammenarbeiten." Im Bewerbungsgespräch achtet Kiefer neben dem Fachlichen natürlich auch auf das Persönliche. Das Wichtigste für ihn ist: Die Kandidaten müssen Energie ausstrahlen und Rückgrat zeigen - "und das können Introvertierte genauso gut". Die Aufgaben von Intro- und Extrovertierten müssen sich nach Kiefers Erfahrung nicht zwangsläufig unterscheiden, vielmehr müssen sie zur Person passen. "Ein Extrovertierter kann nicht per se besser verkaufen und vor Gericht streiten", sagt der Personalleiter. "Jeder hat nun mal seine Stärken, die er bestmöglich einsetzen sollte." Am Ende zählt nur, ob jemand seine Sache gut macht – egal, ob er auf lautem oder leisem Weg dorthin gelangt ist. Ähnlich sieht es Prof. Dr. Elisabeth Schütze von der Kanzlei FPS. Sie arbeitet dort als Anwältin, Wirtschaftsmediatorin und ausgebildeter Coach und gibt unter anderem Soft-Skill-Schulungen. "So wie ich bin, bin ich in Ordnung", ist ihr Credo. "Man tut sich selber keinen Gefallen, wenn man sich verbiegt." Je größer ein Team ist, umso eher finden auch Introvertierte ihren Platz, glaubt Schütze. Denn dann könne man sich gegenseitig ergänzen. Ein Beispiel wäre ein Pitch für ein neues Mandat: Während der extrovertierte Kollege die Präsentation hält, steht der introvertierte anschließend für die Detailfragen zur Verfügung. "Ich schätze an leisen Kollegen, dass sie oft eine gute Beobachtungsgabe haben und Dinge kritisch hinterfragen, während andere schon vorwegrennen", so Schütze. "Sie arbeiten zudem häufig sehr fokussiert und langfristig an einer Sache." Schwierig werde es, so die Anwältin, wenn Introvertiertheit und Eigenbrötlertum zusammenkommen. "Austausch mit den anderen ist schließlich für alle wichtig."

Scheu vorm Netzwerken darf nicht zu groß sein

Die fachliche Arbeit mit und für die Mandanten ist das eine – das andere sind die vielen außerfachlichen Veranstaltungen, auf denen sich Juristen aufhalten, etwa abendliche Treffen mit Kollegen oder Mandanten. "Auch wenn man lockere Gespräch mit Fremden scheut: Solchen Veranstaltungen immer fernzubleiben, ist keine Option", meint die Soft-Skill-Expertin. Stattdessen rät sie leiseren Menschen, sich bei solchen Treffen einfach auf bekannte Mandanten oder Kollegen zu konzentrieren. Auch wenn es viele tun: Introvertierte Juristen müssen nicht zwangsläufig als Anwälte arbeiten – mit einem Jurastudium stehen Absolventen ja noch viele andere Wege offen. "Behörden, Verbände oder Ministerien zum Beispiel suchen fachlich exzellente Juristen für Referententätigkeiten", weiß Dr. Christoph Wittekindt, Leiter von Legal People, einem Personalvermittler speziell für Juristen. "Auch solche Aufgaben im Hintergrund sind oft sehr anspruchsvoll, und es braucht dafür Leute, die sich gern wissenschaftlich tief in ein Thema einarbeiten." Ob eine Referententätigkeit, ein Anwaltsjob, die Arbeit als Richter oder Staatsanwalt besser oder schlechter für leise Menschen geeignet ist, ließe sich sowieso nicht pauschal sagen. Die Erfahrung von Wittekind zeigt: Viele Juristen müssen sich nach dem Zweiten Staatsexamen ohnehin erst finden und probieren zunächst eine Stelle aus. "Erst später merken sie, dass etwas anderes vielleicht doch besser für sie geeignet ist." Das Bewusstsein für seine Stärken und Vorlieben entwickelt sich meist erst im Laufe der Zeit. Da geht es extrovertierten Menschen nicht anders als introvertierten. "Wenn man die Unterschiede zwischen Extro- und Introvertieren kennt und sie akzeptiert", sagt Löhken, "ist schon viel gewonnen – für sich selbst und für die Zusammenarbeit mit anderen."

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