Die Selbstanzeige: Die Kunst, in die Legalität zurückzukehren

von Michael Olfen

25.04.2013

Uli Hoeneß macht es möglich: Nur Wenige Monate nach dem gescheiterten Steuerabkommen mit der Schweiz fordern nun alle die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige. Zur Kunst sei diese geworden, zur juristischen Artistik, konstatierte Heribert Prantl in der Süddeutschen. Völlig richtig, meint Michael Olfen. Abschaffen aber muss man sie deshalb nicht. Ein Kommentar.

Selbstanzeigen im Steuerrecht haben Fallstricke. Wer sich ausschließlich auf die Bankunterlagen verlässt, der ist verlassen. Beispiele hierzu sind vielfältig und vielschichtig. So hat sich in den letzten dreizehn Jahren zum Beispiel die Besteuerung von Kapitalerträgen und sogenannten Spekulationsgewinnen (privaten Veräußerungsgeschäften) gleich mehrfach steuersystematisch geändert.

Die Selbstanzeige folgt aber dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung, das in den jeweiligen vergangenen Veranlagungsjahren geltende Steuerrecht bleibt also weiterhin anwendbar. Wer will da schon das Risiko eingehen, diese Selbstanzeige für einen Dritten abzugeben und zu verantworten, dass sie scheitert und dem Betroffenen eine Gefängnisstrafe droht. Im Fall Hoeneß könnte der Steuerberater genau daran gescheitert sein. Bei prominenten Fällen ist der finanzielle Schaden dabei noch das geringste Problem.

Rückkehr in die Ehrlichkeit – auch dem allgemeinen Strafrecht nicht fremd

Nicht nur Heribert Prantl zog am Mittwoch in der Süddeutschen aus dem Dilemma, dass die Strafbarkeit eines Beschuldigten nicht allein von der Kunst dessen abhängen darf, der ihm die Selbstanzeige schreibt, die Schlussfolgerung, dass die strafbefreiende Selbstanzeige, die es nur im Steuerstrafrecht gibt, abgeschafft gehört. Diese Konsequenz ist weder erforderlich noch tragfähig.

Die Selbstanzeige im Steuerrecht ist auch, anders als Prantl meint, "kein heilloses Instrument, das heillosen Regeln gehorcht". Sie bietet vielmehr die Möglichkeit, im Rahmen einer enormen Wiedergutmachungsleistung in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Und zwar mit Zinsen und Strafzuschlag oben drauf. Wer diese Entscheidung trifft und umsetzt, verdient Respekt, seine Bemühungen sind auch in der Strafzumessung zu honorieren.

Ein Gedanke, der auch dem allgemeinen Strafrecht durchaus nicht fremd ist. Zwar trifft es, wie derzeit überall kolportiert, durchaus zu, dass es nur für den Bereich des Steuerrechts die Möglichkeit gibt, sich mit der Konsequenz der Straffreiheit selbst anzuzeigen. Allerdings regelt § 24 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) sehr wohl, dass der Versuchstäter nicht bestraft wird, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert.

Wiedergutmachung und mehr

Durch die Selbstanzeige wird die Tat zwar nicht verhindert, sondern sie setzt vielmehr sogar deren Vollendung voraus. Aber der Täter macht die Folgen der Tat wieder gut, in dem er vollständig freiwillig nacherklärt und dann auch die sich hieraus ergebenen Steuerschäden zuzüglich Zinsen finanziell ausgleicht. Der prominente Strafrechtler Rolf Dietrich Herzberg formulierte schon im Jahr 1987: "Der Rechtsgrundsatz, dass sich staatliche Zwangsandrohung mit einer dem Täter als seine Leistung zurechenbaren Wiedergutmachung erledigt, ist viel zu vernünftig und mächtig, als dass er nicht durch alle Ritzen auch ins Strafrecht eindränge."

Inzwischen wird Straffreiheit dem Steuersünder zudem ab einem Steuerschaden von 50.000 Euro auch nur noch gewährt, wenn der Hinterziehungstäter nach § 398a Abgabenordnung (AO) einen Zuschlag von fünf Prozent der verkürzten Steuern zusätzlich zahlt.

Der ihm dadurch entstehende zusätzliche finanzielle Schaden ist durchaus vergleichbar mit dem auch in der Vorschrift des § 153a Strafprozessordnung  zum Ausdruck kommenden Gedanken, dass durch die Zahlung einer Geldauflage das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung gänzlich beseitigt und das Verfahren deshalb endgültig eingestellt werden kann.

Delikte der Allgemeinheit und der Fehler im System

Nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch der Bundesgerichtshof (BGH) haben die Anforderungen an die strafbefreiende Selbstanzeige inzwischen weiter verschärft, ein Taktieren gibt es nicht mehr. Die Hürden zur Erreichung der Straflosigkeit sind in der Tat sehr hoch. Dies trägt  aber nach Auffassung des BGH  dem Ausnahmecharakter der gewährten Straffreiheit gerade Rechnung tragen.

Wer die Abschaffung der Steuerselbstanzeige fordert, übersieht zudem, dass die Steuerhinterziehung kein Delikt der Wenigen ist, sondern ein solches der Allgemeinheit. In der Praxis eines Steueranwalts zeigt sich, dass sämtliche Bevölkerungs- und Berufsschichten einer Steuerverkürzung nicht abgeneigt sind. Auch die besonders hochgeachtete Berufssparte der Berufsbeamten ist davor nicht gefeit.

Wenn es also quer durch alle Schichten massenweise am nötigen Unrechtsbewusstsein fehlt und die Warn- und Vorbeugefunktion der Strafnorm zur Steuerhinterziehung nach §§ 369, 370 ff. AO offenkundig völlig ihren Zweck verfehlt, wo liegt dann der Fehler im System?

Strafzwecktheorien und ihr Fehlschlagen im Steuerrecht

Strafe verfolgt keinen Selbstzweck. Vorherrschend wird in Rechtsprechung und Lehre die so genannte Vereinigungstheorie vertreten. Die zweckfreie philosophisch-idealistische Straftheorie der Gerechtigkeit vereint sich dort mit den beiden zweckgerichteten Theorien, dass Strafe generalpräventiv oder individualpräventiv wirken soll. Soll eine Strafe in diesem Sinne gleichzeitig der Gerechtigkeit Genüge tun und general- und individualpräventiv wirken, muss man konstatieren, dass die Strafnormen der §§ 369, 370 ff. AO diesem Zweck bisher kaum gerecht werden konnten, wenn massenweise und massiv Steuern verkürzt werden.

Der Fehler kann deshalb nicht nur bei den jeweiligen Delinquenten, sondern zumindest auch in der im höchsten Maße als ungerecht empfundenen Steuerlast und dem höchst kompliziertem Steuersystem zu suchen sein. Der Gesetzgeber hätte längst ein transparentes und für jeden verständliches Besteuerungssystem schaffen können.

Es ist zu vermuten, dass ein als gerecht empfundenes System und eine ebensolche Steuerlast das beste individual- und generalpräventive Mittel gewesen wären, um Steuerflüchtlinge zum Umdenken zu bringen. Vielleicht wäre es gar zu einer Steuerflucht nicht gekommen. Die Gier einiger weniger wäre damit zwar nicht beizukommen, aber vielleicht dem Phänomen der Massenhinterziehung.

Nicht die Selbstanzeige ist das Problem

Wer die vorherrschende Steuergesetzgebung, die Unternehmen wie Amazon, Apple & Co. in diesem Land mit zig Milliarden Gewinnen weltweit ertragsteuerfrei stellt, aber den einfachen Rentner, Sparer, Angestellten, Beamten und das mittelständische Unternehmertum als Rückgrat der Gesellschaft hart in die Pflicht nimmt, der darf sich am Ende nicht wundern, dass die Bürger als "Notwehrmittel" Schweizer Konten als Steuerschlupflöcher für sich nutzen. 

Die Selbstanzeige abschaffen zu wollen, weil es eines Künstlers zu ihrer Wirksamkeit bedarf, verfängt auch aus einem anderen Grund nicht. Schon die Abgabe der eigenen Steuererklärung macht aufgrund der Komplexität des deutschen Steuerrechts jedes Jahr strenggenommen einen solchen Künstler nötig, um alles ordnungsgemäß und vollständig erklären zu können. Deshalb aber die Steuererklärung gänzlich abschaffen zu wollen, wäre aber sicherlich ein abwegiger Gedanke.

Nicht zuletzt die durch eine Selbstanzeige eingesparten notwendigen internationalen Ermittlungsmaßnahmen von Steuerfahndern und Staatsanwälten erfordern angesichts leerer Staatskassen weiterhin das Instrument der Selbstanzeige.

Der Autor Michael Olfen ist Fachanwalt für Steuerrecht in Hamburg. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf dem Gebiet des Steuerstrafrechts.

Zitiervorschlag

Michael Olfen, Die Selbstanzeige: . In: Legal Tribune Online, 25.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8602 (abgerufen am: 31.10.2024 )

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