Seit den "Panama Papers" hat Kritik an der geplanten europäischen "Societas Unius Personae" Konjunktur. Dabei handelt es sich um ein wenig bemerkenswertes Projekt, das die Gründung von Briefkastenfirmen nicht leichter macht, als sie ohnehin ist.
Briefkastenfirmen mit Segen der EU – so oder ähnlich fallen viele Kommentare zu den europäischen Plänen für eine "Societas Unius Personae" (SUP) aus. Deutschland, seit jeher Gegner des Vorhabens, sieht sich in seiner Kritik seit Veröffentlichung der "Panama Papers" bestärkt. Die einfache und anonyme Gründung von im Ausland registrierten Gesellschaften, mit denen sich fragwürdige Geschäfte verschleiern lassen, müsse bekämpft und nicht gefördert werden. Diesem Ziel würde die SUP diametral entgegenstehen.
Die Motivation zu ihrer Schaffung war indes eine andere. Ursprünglich, das heißt im Juni 2008, sollte eine "Societas Privata Europaea" (SPE) die bis heute kaum genutzte "Societas Europaea" (SE) komplementieren. Der entsprechende Verordnungsentwurf wurde nach langer und letztlicher fruchtloser Diskussion in Rat und Parlament jedoch 2014 wieder zurückgezogen – besonders Deutschland hatte die Pläne und sämtliche Kompromissvorschläge der Kommission als unzureichend kritisiert.
Die SUP als Sonderform nationaler Einpersonengesellschaften
Nach diesem vorläufigen Scheitern entschloss man sich zu einem anderen Weg: Statt die SUP als neue Rechtsform per Verordnung zu schaffen, sollten nur die nationalen Einpersonengesellschaften (also die deutsche UG (haftungsbeschränkt), die britische Limited, etc.) unter erheblichem Ausbau einer EU-Richtlinie aus den 1980er-Jahren einer stärkeren Harmonisierung unterworfen werden. Wenn sich der einzige Gesellschafter für diese vereinheitlichten Regeln entscheidet, soll die Gesellschaft (egal ob GmbH oder Limited) als "Societas Unius Personae" firmieren dürfen. In der Praxis würden davon vor allem große Konzerne profitieren, die ihre Tochtergesellschaften in verschiedenen europäischen Staaten identisch strukturieren und somit Verwaltungsaufwand und Beratungskosten sparen könnten. Es wird jedoch niemand zur SUP gezwungen: Die streng harmonisierten Regeln sollen nach dem Konzept der EU-Kommission nur auf Wunsch des Gründers eingreifen, dieser darf auch andere (insb. die traditionellen) Regeln der Mitgliedstaaten wählen, dann aber nicht als "SUP" auftreten.
Das europäische Gesetzgebungsverfahren wurde von umfangreicher Kritik aus Deutschland und Österreich begleitet und das zunächst recht weitreichende Grundkonzept der Kommission bereits an vielen Stellen aufgeweicht. Als inakzeptabel gelten jedoch weiterhin zwei Punkte: Erstens die Möglichkeit, den Satzungssitz in einem anderen Staat als dem Verwaltungssitz zu wählen (d.h. als Gesellschaft britischen Rechts ausschließlich in Deutschland tätig zu werden) und zweitens die vorgesehene Registrierung auf elektronischem Weg ohne die Pflicht, vor einer nationalen Stelle zu erscheinen. Diese beiden Punkte würden die Gründung sogenannter Briefkastenfirmen erheblich erleichtern, fürchten die Gegner des Vorhabens.
Auseinanderfallen von Verwaltungs- und Satzungssitz schon heute zulässig
Tatsächlich würde sich dadurch jedoch wenig am Status quo ändern. Denn die Neugründung einer Gesellschaft, die in einem anderen Land registriert ist als in demjenigen, in dem sie ihre Geschäfte betreibt, ist auch heute schon möglich. Der EuGH hat das Recht hierzu in der Entscheidungstrias Centros – Überseering – Inspire Art unmittelbar aus der Niederlassungsfreiheit hergeleitet. Ein Deutscher darf also schon jetzt eine britische Limited gründen, um Geschäfte in Frankreich zu treiben – und umgekehrt. Dasselbe würde auch für die britische SUP gelten, die nach den aktuellen Plänen nur eine besondere Form der Limited wäre (genauso, wie die deutsche SUP nur eine besondere GmbH wäre). Der deutsche Gesetzgeber erlaubte vor diesem Hintergrund 2008 auch für "seine" GmbH die Trennung von Satzungs- und Verwaltungssitz durch Aufhebung des früheren § 4a Abs. 2 GmbHG.
Dennoch ist die deutsche Sorge in den EU-Gremien nicht unbeachtet geblieben – der Rat hat die ausdrückliche Zulassung der Trennung von Satzungs- und Verwaltungssitz aus dem Entwurf der Richtlinie gestrichen, ohne allerdings (wie bei der Societas Europaea) eine Pflicht zur Vereinheitlichung von Verwaltungs- und Satzungssitz anzuordnen. Damit würde es auch für die SUP bei den vom EuGH aufgestellten, ungeregelten Grundsätzen und der damit einhergehenden (erwünschten) Rechtsunsicherheit bleiben.
2/2: Anonyme Gründung per Webformular und Bitcoin-Zahlung steht nicht zur Debatte
Noch größere Sorgen macht den Deutschen freilich das Neuland Internet: Immerhin wissen wir ja schon seit den 1990ern "On the Internet, nobody knows you‘re a dog". Allen Bemühungen des nationalen Gesetzgebers um qualifizierte elektronische Signaturen, elektronische Personalausweise oder die DE-Mail zum Trotz sieht man derzeit keinen Weg, die Identität von Personen im Internet rechtssicher festzustellen. Für die Gründung einer Kapitalgesellschaft braucht es daher zwingend einen Notar. Grund der Sorgen ist freilich weniger der sehr offen formulierte Text der Richtlinie, als vielmehr der Blick auf die derzeitige Handhabung in Großbritannien, wo eine Identitätsprüfung vor Eintragung praktisch nicht erfolgt. Ohne eine solche ist aber nicht nur die Publizitätswirkung des Handelsregisters zweifelhaft, sondern auch eine staatliche Kontrolle unmöglich.
Auch der Rat hat sich diesen Problemen nicht verschlossen: Der nun diskutierte Kompromissvorschlag sieht in Art. 14b vor, dass die Mitgliedstaaten ein nationales digitales Identifizierungsverfahren nutzen sollen und außerdem Verfahren nach der entsprechende EU-Verordnung zu akzeptieren haben. Ausdrücklich heißt es: "Member States may decide to refuse the on-line registration of SUPs in the cross-border context in all cases where a founder uses electronic identification means that are not e-IDAS compliant.” Ob der deutsche Notar, der im Normalfall auch nur den (ausländischen) Ausweis auf Echtheit überprüfen kann, solchen technischen Verfahren überlegen ist, ist zumindest fragwürdig. Immerhin ist es bereits heute möglich, Bankkonten ohne persönliches Erscheinen zu eröffnen, die zur Geldwäsche erheblich leichter eingesetzt werden dürften als offenlegungspflichtige Kapitalgesellschaften. Die mitunter angeprangerte vollständig anonyme Gründung per Webformular und Bitcoin-Zahlung steht jedenfalls nicht zur Debatte.
Zudem: Wer eine in Deutschland tätige Gesellschaft ohne Identitätsnachweis gründen will, kann dies bereits jetzt in Großbritannien tun. Last but not least liegt der Panama-Vergleich neben der Sache: Die dortigen Briefkastengesellschaften sind nicht etwa deshalb so undurchsichtig, weil die Gründer nicht vor einem Notar erscheinen mussten – sondern vielmehr, weil die wahren Berechtigten durch treuhänderische Verwaltung von Beteiligungen (durch Anwaltskanzleien) verschleiert wurden, was auch nach deutschem Recht möglich ist.
Die Bereitschaft zum Gesetzesbruch lässt sich nicht per Gesetz abschaffen
Nun ist eine (reformierte) Einpersonengesellschaftsrichtlinie sicherlich nicht der richtige Rahmen, um treuhänderische Beteiligungen zu regeln. Die EU hat die Problematik aber keineswegs ignoriert: Art. 30 der 4. Geldwäscherichtlinie (RL 2015/849) verpflichtet Gesellschaften, angemessene, präzise und aktuelle Angaben zu ihren wirtschaftlichen Eigentümern einzuholen, aufzubewahren und in einem Register aufzubewahren, das neben dem Staat für alle Personen oder Organisationen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen können, zugänglich sein soll. Auch in einer Einpersonengesellschaft wird völlige Anonymität daher nicht legal umsetzbar sein. Natürlich schließt kein Gesetz aus, dass es trotz Belehrungen und Sanktionsnormen Strohleute und Treuhänder gibt, die ihre Hintermänner nicht offenlegen, obwohl sie dazu verpflichtet wären. Daran können aber weder Technologie noch notarielle Beratung etwas ändern.
Was bleibt also? Ein Plan, Konzernen Risikostreuung unter Verringerung von Gründungs- und Verwaltungskosten zu ermöglichen auf der einen Seite – und das Festhalten am Bewährten um jeden Preis auf der anderen. Angesichts der sich bereits ankündigenden Widerstände im Europäischen Parlament und der Beharrlichkeit insbesondere der Deutschen und Österreicher dürfte das Vorhaben ebenso wie vor ihm die Societas Privata Europaea wenig Erfolgschancen haben. Ein spektakuläres Projekt wäre die SUP aber wohl ohnehin nicht geworden.
Der Autor Prof. Dr. Michael Beurskens ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht an der Universität Bonn.
Prof. Dr. Michael Beurskens, Kritik an der Societas Unius Personae: Dramatisierung des Unspektakulären . In: Legal Tribune Online, 23.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19445/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag