Das aktuelle Cover des Nachrichtenmagazins Der Spiegel steht in der Kritik. Das Blatt titelte mit der Aufforderung "Stoppt Putin jetzt!", hinterlegt mit Fotos von getöteten Passagieren des Flugs MH017. Die Bilder hatte sich die Redaktion offenbar aus dem Internet besorgt. Damit spannt das Magazin die Verstorbenen in eine politische Kampagne ein und verstößt gegen Presse- und Urheberrecht, sagt Markus Kompa.
Das Verbreiten und Zur-Schau-Stellen von Abbildungen, auf denen Gesichter zu erkennen sind, bedarf nach deutschem Recht der Einwilligung der Betroffenen, so bestimmt es § 22 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KunstUrhG). Nach deren Tod sind für zehn Jahre die Angehörigen zuständig.
Eine solche Einwilligung ist in bestimmten Ausnahmefällen entbehrlich, etwa dann, wenn die Presse über ein zeitgeschichtliches Ereignis berichtet und das Interesse der Öffentlichkeit hieran höher wiegt als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, vgl. § 23 KunstUrhG. Es muss dann immer im Einzelfall geprüft werden, ob das unter anderem aus dem Grundrecht auf Menschenwürde hergeleitete Persönlichkeitsrecht schwerer wiegt als die ebenfalls als Grundrecht geschützte Pressefreiheit.
Berichtsinteresse der Öffentlichkeit?
Auf dem besagten Titel des Spiegel wurde jedoch nicht über den Vorfall berichtet, sondern lediglich gegen Putin agitiert. Der Absturz selbst wird auf dem Cover nicht einmal direkt thematisiert. Mit der Frage, inwiefern Putin dafür verantwortlich sein könnte, setzt sich der Spiegel jedenfalls auf dem Titel nicht auseinander, mag dies im Heft auch geschehen. Die meisten Rezipienten werden nur das Titelbild wahrnehmen. Auch im Internet kann man nur das Cover sehen, der eigentliche Artikel bleibt hinter einer Paywall versteckt. Daher spricht vieles dafür, dass ein solches Titelbild auch für sich alleine presserechtlich bestehen muss.
Die Frage kann offen bleiben, denn ein gewichtiges Berichtsinteresse an der konkreten Identität der 298 Insassen, das deren Persönlichkeitsrechte überwiegen könnte, gibt es ohnehin nicht. So sieht denn auch der von den großen Verlagen freiwillig respektierte Pressekodex des Deutsche Presserats in Richtlinie 8.2 eigens den besonderen Schutz der Identität von Opfern vor: "Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt." Nach Richtlinie 11.3 findet die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen: "Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden."
Identität der Opfer irrelevant
Politisch spielt es keine Rolle, wer konkret an Bord von Flug MH017 gewesen ist. Auch die Täter werden dies mangels Kenntnis nicht in ihre Motive einbezogen haben. Während die durchaus bekannten AIDS-Experten unter den Passagieren vielleicht noch als Personen des öffentlichen Lebens gewertet werden könnten, ist dies für die getöteten Kinder ausgeschlossen. Auch für diese greift eine eigene Vorschrift im Pressekodex: Richtlinie 8.3 sieht vor, dass Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr grundsätzlich nicht identifiziert werden sollen.
Diese Richtlinien des Deutschen Presserats sind zwar kein unmittelbar anwendbares Recht, entsprechen aber im Großen und Ganzen den Wertungen der Gerichte.
Die Spiegel-Redaktion rechtfertigte die provokante Aufmachung gegenüber dem medienkritischen Bildblog wie folgt:
“Wir halten die Optik für angemessen, denn es handelt sich um Opfer der ruchlosen Machtpolitik des russischen Präsidenten Putin. Dies rechtfertigt nicht nur eine so starke, emotionale Optik, es macht sie geradezu notwendig – und zwar im Interesse der Opfer und ihrer Angehörigen.”
Unabhängig davon, ob man dem inhaltlich folgen mag, so rechtfertigt diese "Geschäftsführung ohne Auftrag" keinen eigenmächtigen Eingriff in Persönlichkeitsrechte. Die Opfer haben niemandem etwas getan und müssen sich auch von keiner Seite politisch vereinnahmen lassen.
Nicht alles, was online ist, ist vogelfrei
Entgegen einer weit verbreiteten Fehlvorstellung bleiben Bilder auch dann urheber- und persönlichkeitsrechtlich geschützt, wenn sie jemand ins Internet stellt. Bleibt also die Frage, ob eine hinreichende Einwilligung vorliegt. Die Einwilligung in die Veröffentlichung eines konkreten Bildnisses muss nicht gegenüber dem Endnutzer erklärt werden; ausreichend ist eine Erklärung gegenüber Fotografen oder Bildagenturen etc., die entsprechende Bilder gegenüber Dritten lizensieren. Eine solche Einwilligung muss nicht ausdrücklich erklärt werden und kann aus den Umständen folgen, bei bezahlten Models wird sie etwa vermutet, § 22 Satz 2 KunstUrhG.
Eine Einwilligung könnte durch Anbieter von Social Media vermittelt worden sein. So sehen etwa die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook vor, dass die Nutzer den Betreiber ermächtigen, einem Unternehmen bzw. einer sonstigen Organisation die Erlaubnis zu erteilen, Namen und/oder Profilbild zusammen mit den Inhalten oder Informationen der Nutzer zu veröffentlichen. Weiterhin will Facebook nur dem kalifornischen Recht und auch nur der dortigen Jurisdiktion unterliegen. Für den Datenschutz allerdings, der eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt, hat das Berliner Kammergericht entschieden, dass auch gegenüber Facebook hierzulande deutsches Recht von deutschen Gerichten anzuwenden ist.
Urheberrecht vorrangig - und verletzt
Über die Reichweite einer Einwilligung nach § 22 KunstUrhG wird vor Gerichten häufig gestritten. Sie muss im Zeitpunkt der Einwilligung im Großen und Ganzen absehbar sein. Während sich eine kommerzielle Nutzung auf Facebook durchaus im Rahmen der dortigen Gepflogenheiten bewegen dürfte, werden die wenigsten blind einwilligen, sich in eine beliebige politische Kampagne einspannen zu lassen. Problematisch ist ferner die gesetzlich nicht geregelte Zuständigkeit bei der Einwilligung von Minderjährigen im Persönlichkeitsrecht.
Die Fotografen bzw. deren Lizenznehmer genießen Urheber- bzw. ausschließliche Nutzungsrechte. Nach gegenwärtiger deutscher Rechtslage geht das Urheberrecht dem Presserecht vor. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar angedeutet, dass in Fällen von überragendem Berichtsinteresse auch das Urheberrecht überwunden werden kann, aber im vorliegenden Fall spricht nichts dafür.
Der Autor Markus Kompa ist Rechtsanwalt und berät investigative Journalisten.
Markus Kompa, MH017-Opfer auf dem Titelbild - Rechte verletzt?: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12762 (abgerufen am: 31.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag