Am Samstag tritt das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Den einen geht es zu weit, andere hätten sich noch mehr Regulierung gewünscht. Notfalls auch gegen den Willen der Sexarbeiterinnen, meint Gregor Thüsing.
LTO: Herr Prof. Thüsing, Sie waren Sachverständiger in der Anhörung zum Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG). Sie haben den Entwurf mit sehr deutlichen Worten kritisiert und weitergehende Regelungen zum Schutz der Prostituierten gefordert, wie auch Teile der Union. Sind Sie inzwischen mit dem Gesetz versöhnt, das am Samstag in Kraft tritt?
Prof. Dr. Gregor Thüsing: Nein, nicht wirklich. Die wesentlichen Defizite des Gesetzes bestehen noch heute. Es geht einfach nicht weit genug, wir müssen mehr für den Schutz von Prostituierten tun.
Dabei sind die Lücken erschreckend. So können beispielsweise die Ordnungsbehörden weiterhin nicht einschreiten, wenn z.B. Frauen sich auch noch im achten Monat der Schwangerschaft prostituieren müssen - das Kindeswohl bleibt außen vor.
Da die Mehrheit der Prostituierten als Selbständige gerade nicht dem Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) unterfällt, bedürfte es der expliziten Regelung eines vorübergehenden Beschäftigungsverbotes, Die gesundheitlichen Gefahren einer Prostitution während der Schwangerschaft – für die Frau wie für das Kind – sind offensichtlich. Das kann uns als Gesellschaft und das kann dem Gesetzgeber nicht egal sein.
"Sinnvoll: Zuverlässigkeitsprüfung, strafbewehrte Kondompflicht"
LTO: Wie beurteilen Sie denn die Neuerungen, die das Gesetz bringt?
Thüsing: Einige wesentliche und wichtige Neuerungen gibt es, und sie dienen unzweifelhaft dem Ziel einer besseren Rechtsstellung der weiblichen und männlichen Prostituierten.
Zukünftig soll jeder Betreiber einer Prostitutionsstätte ein Betriebskonzept vorlegen müssen, das einer Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen wird. Damit sollen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, ausbeuterische Geschäftskonzepte wie zum Beispiel Flatrate-Modelle und alle Modelle, die der sexuellen Selbstbestimmung der Prostituierten zuwiderlaufen, ausgeschlossen werden. Das ist gut so. Ebenso gut ist, dass das Gesetz für solche Praktiken ein Werbeverbot vorsieht.
Und wichtiger noch: Prostituierte in Deutschland müssen sich künftig alle zwei Jahre bei den Kommunen anmelden und jedes Jahr eine Gesundheitsberatung absolvieren. Mit einer Geldstrafe müssen künftig auch Freier rechnen, wenn sie gegen die Pflicht zur Benutzung eines Kondoms verstoßen. Dadurch sollen Prostituierte besser vor übertragbaren Krankheiten geschützt werden. Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
"Besser keine Anmeldung ohne Einsichtsfähigkeit"
LTO: Von denen sehen Sie aber weiterhin zu wenige?
Thüsing: Es bleiben tatsächlich viel zu viele Defizite. § 5 Abs. 2 des Gesetzes etwa hätte dahingehend ergänzt werden müssen, dass eine Anmeldebescheinigung dann nicht erteilt wird, wenn einer Prostituierten offensichtlich die zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht fehlt. Die vielfältigen Gefahren, die im Umfeld der Prostitution auftreten können, – wie die gesundheitliche Gefährdung, aber auch die Ausbeutung der Prostituierten sowie der Menschenhandel – erfordern die Einsichtsfähigkeit der Prostituierten hinsichtlich der Tragweite ihrer Tätigkeit.
LTO: Eine solche Regelung sah der Referentenentwurf ja ursprünglich vor. Kritiker sehen darin aber eine Konterkarierung des eigentlichen Gesetzeszwecks, die Selbstbestimmung von Prostituieren zu stärken.
Thüsing: Die Kritiker liegen falsch. Die Prostitution sollte damit nicht durch "diskriminierendes Sonderrecht" abgestempelt werden – wie der Deutsche Juristinnenbund in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf bemängelt hat –, sondern die Rechte der Prostituierten sollen stärker geschützt werden. Eine Diskriminierung gegenüber anderen beruflichen Tätigkeiten wäre das zusätzliche Verlangen der Einsichtsfähigkeit nur dann, wenn es keinen sachlichen Grund für diese unterschiedliche Handhabung gäbe.
Einen solchen gibt es aber: Die Entscheidung zur Ausübung der Prostitution berührt die sexuelle Selbstbestimmung. Die Person, die sich zur Ausübung der Prostitution entschließt, entschließt sich, sich geschlechtlich hinzugeben. Dies kann zugleich auch die sexuelle Selbstbestimmung gefährden – und hat nun einmal eine andere Tragweite als die Entscheidung, einer Tätigkeit als Bankkauffrau nachzugehen.
Um jene Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmung einzudämmen und den eigenen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der Prostituierten sicherzustellen, muss der Staat seiner Schutzpflicht nachkommen und entsprechende Rahmenbedingen für die Ausübung der Prostitution zu schaffen. Es würde kein Sonderrecht zweiter Klasse, keine Diskriminierung geschaffen und es wäre auch keine Diffamierung des Gewerbes. Es ist einfach der Wunsch, diese belastende Tätigkeit nur den Personen zuzumuten, die dazu bewusst "ja" gesagt haben und eben auch bewusst "ja" sagen konnten.
2/2: "Krankenversicherung weiterhin nicht sichergestellt"
LTO: Sehen Sie noch weitere Schutzlücken?
Thüsing: Die Liste ist lang. Ein wichtiger Punkt ist, dass das Gesetz dahingehend hätte ergänzt werden sollen, dass den Betreibern eines Prostitutionsgewerbes die Pflicht auferlegt wird, zu Beginn der Beschäftigung der Prostituierten zu überprüfen, ob die Prostituierten im In- oder Ausland krankenversichert sind.
Ergibt die Überprüfung, dass die Prostituierten nicht krankenversichert sind, ist die Beschäftigung in dem betriebenen Prostitutionsgewerbe zu untersagen, es sei denn die Prostituierte unterliegt den Rechtsvorschriften eines anderen EU-Mitgliedstaates, nach denen sie keine Krankenversicherungspflicht haben muss. In einer Branche, in der durch die Vornahme sexueller Handlungen eine erhöhte Ansteckungsgefahr mit Krankheiten und eine erhöhte Gefahr von psychischen Erkrankungen besteht, ist die Sicherstellung der Versorgung noch entscheidender als für andere selbständige Tätigkeiten.
Eine solche Regelung würde zudem nicht nur den Betreibern eines Prostitutionsgewerbes die Pflicht auferlegen, zu überprüfen, ob die Prostituierten, die bei ihnen beschäftigt werden sollen, krankenversichert sind, sondern auch den Prostituierten selbst. Die Mehrheit der Prostituierten ist ohnehin bereits anderweitig krankenversichert. Diese Pflicht wäre insbesondere für diejenigen von Relevanz gewesen, die weder in Deutschland noch im Ausland versicherungspflichtig sind.
"Schutz des ungeborenen Lebens, notfalls auch gegen den Geschützten"
LTO: Manchen geht das Gesetz aber schon viel zu weit. Der Verein Doña Carmen befürchtet schwere Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, die Regelung schaffe ein System ständiger Kontrollen. Aus diesem Grund wurde bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt. Für wie angreifbar halten Sie das Gesetz?
Thüsing: Ich habe bereits in der Ausschussanhörung gesagt, dass man, wenn man bestimmte Dinge nicht will, sagen kann ‚Ich habe rechtspolitisch eine andere Meinung“ – und dann muss man das diskutieren.
Die Annahme aber, dass unsere Verfassung tatsächlich ausschließen will, dass man zum Schutze legitimer, durch die Verfassung selbst geschützter Rechtsgüter Verfahren einführt, die die Selbstbestimmung in einem ausgewogenen Verhältnis sichern und die besonderen Gefährdungslagen reduzieren, halte ich für schlichtweg nicht nachvollziehbar.
Man sollte vielmehr auf der anderen Seite betonen – und das hat das Bundesverfassungsgericht in vielen Entscheidungen gesagt –, dass es eine Schutzpflicht des Staates zugunsten des Lebens, auch des ungeborenen Lebens gibt. Es gibt eine Schutzpflicht des Staates, die notfalls auch gegen den Geschützten durchgesetzt werden muss.
LTO: Wollen Sie auf die fehlenden Regelungen zum Schutz Schwangerer hinaus?
Thüsing: Absolut, zumindest diese hätte das Gesetz zwingend einführen müssen. Wir haben in der jüngeren Gesetzgebung verschiedene Situationen gehabt, in denen das intensiv diskutiert wurde. Diesen Schutz ernst zu nehmen oder eine ausgewogene Gestaltung im Hinblick auf Kontrolle und Regulierung zu finden, ist eine Frage der rechtspolitischen Sinnhaftigkeit.
Eine Interessenabwägung zwischen dem Wohl des ungeborenen Kindes und der selbstbestimmten Erwerbstätigkeitfällt fällt eindeutig zugunsten der überragend wichtigen Rechtsgüter des Lebens und der Gesundheit – das heißt zugunsten von Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz – aus.
LTO: Herr Prof. Thüsing, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard) ist Leiter des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn und war Sachverständiger in der Anhörung zum Prostituiertenschutzgesetz.
Maximilian Amos, Nicht genug Schutz für Prostituierte?: "Die Gefahren können uns nicht egal sein" . In: Legal Tribune Online, 01.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23339/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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