Jedes Jahr treffen sich das Bundesfinanzministerium und die Jewish Claim Conference, um über die Entschädigung von NS-Opfern zu verhandeln. Mitte November 2012 verständigte man sich auf finanzielle Hilfen für bislang ohne Entschädigung gebliebene Verfolgte in Osteuropa und der Ex-Sowjetunion. Matthias Druba erklärt im LTO-Interview die Einmaligkeit der deutschen Bemühungen um Wiedergutmachung.
LTO: Am 10. September 1952 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der damalige israelische Außenminister Moshe Scharett das so genannte Luxemburger Abkommen, das die Entschädigung von NS-Opfern regelt. Wie kann es sein, dass es 60 Jahre später noch immer Verfolgte gibt, die bisher nicht entschädigt wurden?
Druba: Entschädigen konnte man ja nur die Leute, die auch erreichbar waren, und das war in Osteuropa während des Kalten Kriegs nicht der Fall. Die dortigen Staaten hatten auch gar kein Interesse an einer Entschädigung. Ihrer Auffassung nach waren sie selbst Opfer des Nationalsozialismus und waren deshalb nicht in der Pflicht, NS-Unrecht rückgängig zu machen.
Außerdem hat sich der Fokus immer mehr erweitert. Das Luxemburger Abkommen konzentrierte sich noch darauf, umfängliche Pauschalzahlungen zu leisten, um Israel eine Starthilfe zu geben. Später verständigte man sich dann über die Rückgabe von geraubtem Eigentum oder Entschädigungen für Dinge, die nicht mehr zurückgegeben werden konnte. Heute geht es eher um Pflege, Unterbringung und Renten.
Zudem versucht man, diejenigen zu bedenken, die bisher nicht erreichbar waren, weil sie weder nach Israel ausgewandert sind noch in einem der westlichen Länder leben. Meist sind das Überlebende aus Osteuropa.
"Pauschalzahlungen sollten ein neues Leben ermöglichen"
LTO: Wozu hat sich Deutschland mit dem Luxemburger Abkommen verpflichtet?
Druba: Israel eine erhebliche Summe in Raten zu zahlen. Man kann das eine pauschale Starthilfe nennen oder ein Anerkenntnis dafür, dass Israel viele Verfolgte aufgenommen hatte. Außerdem gab es Pauschalzahlungen an die Jewish Claims Conference, um Verfolgte in der restlichen Welt zu versorgen, da ja bei weitem nicht alle Juden nach Israel gegangen sind. Diese Zahlungen waren nie für die Abgeltung konkreter Schäden gedacht, also ein verlorenes Mietshaus oder eine beschlagnahmte Buchhandlung; sie sollten vielmehr ein neues Leben ermöglichen. In Israel wird das Geld für den Bau von Heimen, aber auch für den Straßenbau verwandt worden sein.
LTO: Sie haben eben schon die Jewish Claims Conference erwähnt. Wer ist das, wer steht dahinter?
Druba: Furchtbar viele Einzelorganisationen. Das ist eine Art Dachverband aller jüdischen Wohlfahrtsorganisationen. Ein Gremium, das die Gelder sammelt und dann nach unten weiterreicht.
LTO: Dieser Verband tritt heute auch als Vertragspartner von Deutschland auf? Nicht Israel?
Druba: Ja, da Israel kein Rechtsnachfolger der Verfolgten Juden ist. Israel ist einfach ein Staat, der von sich selbst auch gar nicht sagt, dass er jüdisch ist.
"Abkommen war eine Eintrittskarte für die Rückkehr in die zivilisatorischen Kreise"
LTO: Das BMF hält das Abkommen unter historischen, politischen und völkerrechtlichen Gesichtspunkten für etwas ganz Besonderes. Stimmen Sie dem zu?
Druba: Ja, natürlich. Auch wenn es politisch unkorrekt klingen mag: Kein anderes Land hat für das, was es anderen angetan hat, in dieser Form Wiedergutmachung geleistet. Wobei ich nicht nur von der Rückgabe von geraubtem Eigentum spreche, sondern von Zahlungen, die langfristige Konsequenzen der Verfolgung abdecken sollen.
Selbstverständlich kann man keine direkten Vergleiche ziehen. Dennoch: Wie verhält sich Frankreich gegenüber Algerien oder die ehemaligen Kolonialmächte? Letztere loben sich natürlich dafür, dass sie überall Eisenbahnen verlegt haben. Aber darauf sollen sie sich ja nicht beschränkt haben.
Ich denke, man kann als Deutscher wirklich stolz darauf sein, dass es das einzige Land ist, das gesagt hat, wir haben etwas Furchtbares gemacht, wir erkennen das an und wir wollen das wiedergutmachen oder zumindest die Folgen des Leids zu lindern versuchen. Sicherlich war das Anerkenntnis, dass der Holocaust keine normale Kriegsführung gewesen ist, aber auch so etwas wie eine Eintrittskarte für die Rückkehr in die zivilisatorischen Kreise.
"Sich nicht an NS-Raubgut bereichern zu wollen, ist eine moralisch hochstehende Haltung"
LTO: Die DDR verweigerte Wiedergutmachungsleistungen. Sie sah sich nicht als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches und damit nicht als Anspruchsgegnerin. Erst nach dem Mauerfall konnten NS-Opfer Unrecht geltend machen, das ihnen während der NS-Zeit auf dem späteren Gebiet der DDR wiederfahren war. Wie lief das damals ab?
Druba: Die Volkskammer hat in ihren letzten Tagen das Vermögensgesetz beschlossen. Darauf hat die DDR sehr viel Wert gelegt, dass noch sie selbst dieses Gesetz erlassen hat. Damit wollte sie stalinistisches, kommunistisches, aber eben auch jüdische Unrecht wiedergutmachen.
LTO: Das Luxemburger Abkommen stieß zum Zeitpunkt seines Abschlusses in der Bevölkerung auf geringe Unterstützung. Nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts befürworteten es nur elf Prozent der Bevölkerung vorbehaltlos. Wieso war der Rückhalt so gering?
Druba: Es ging ja letztlich allen schlecht. Ein Drittel des Landes war verloren gegangen. Zwölf Millionen Menschen versuchten, mit ihrem Handwägelchen nur noch ihre nackte Haut zu retten. Deutschland war zerbombt. Unterdessen gingen an die Jewish Claims Conference 3,5 Milliarden Mark. Das waren enorme Summen für die damalige Zeit. Da ist es relativ verständlich, dass sich die, die selbst unter schwierigen Umständen leben, fragen, warum müssen wir auch noch mit anderen teilen. Vor allen Dingen wenn sie nicht vor Ort sind, sondern vermeintlich in Israel unter der Sonne am Mittelmeer liegen, während in Deutschland geheizt werden muss. Es bringen eben nicht immer alle die Weitsicht und auch die moralische Kraft auf, zu sagen, wir dürfen uns auch nicht mittelbar an denen bereichern, denen wir Unrecht getan haben, indem wir sie vergessen.
LTO: Ist das heute anders?
Druba: Nein, das glaube ich nicht. Wenn Sie heute auf die Straße gehen und jemanden fragen, ob genug Wiedergutmachung geleistet worden ist, dann würden neun von zehn sagen, ja. Aber es kommt natürlich auch darauf an, wie Sie die Frage stellen. Wenn Sie fragen, ob es richtig ist, dass Deutschland geraubte Kunstwerke in seinen Museen behält, dann wäre die Antwort nein, Raubgut soll man nicht behalten.
Ich denke, man wird breite Unterstützung finden für den Anspruch, dass wir uns nicht an NS-Raubgut und Untaten der Nationalsozialisten bereichern wollen; wir nicht sagen wollen, man muss die Vergangenheit ruhen lassen. Das ist eine moralisch hochstehende und vorbildliche Haltung.
"Die Kunstwelt ist an den Raub von Werken gewöhnt"
LTO: Sie selbst sind als Anwalt unter anderem auf dem Gebiet des Restitutionsrechts tätig, vertreten also auch Mandanten, die etwa Grundbesitz oder Kunstschätze während der NS-Zeit verloren haben. Gibt es noch viele solche Fälle?
Druba: Ich würde sagen, alles was Grundstücke angeht, ist im Wesentlichen geregelt. Die Kunst ist dagegen noch ein weites Feld. In gewissem Sinne ist man erst jetzt auf die Idee gekommen, sich dieser Frage zu widmen. Die Kunstwelt ist wohl daran gewöhnt, dass Werke geraubt werden. Warum stehen denn Kunstwerke etwa in Paris? Nicht weil französische Könige Geld dafür gezahlt haben, sondern weil ihre Truppen gerade irgendwo durchgelaufen sind und etwas mitgenommen haben. Die Quadriga kam mit Glück wieder auf das Brandenburger Tor zurück. Anderes blieb hängen, wenn man den Krieg verloren hatte.
Der zivilisatorische Bruch der NS-Zeit, als nicht nur Völker wie gewohnt Krieg gegeneinander geführt und sich bereichert haben, sondern eine Bevölkerungsgruppe vernichtet werden sollte, war aber etwas anderes. Das ist in der Kunstwelt erst in den letzten fünf bis zehn Jahren angekommen. Die Umsetzung wird wohl noch eine Weile dauern, weil man auch auf große Widerstände in den Museen stößt. So ein Museumsmensch ist ja aufs Sammeln und Behalten programmiert, und nicht aufs Weggeben. Da will keiner etwas finden. Man ist ja nicht Museumsdirektor geworden, um die Sammlung von 1.000 auf 900 Stück zu erleichtern.
"Kunst wurde als immer konvertible Währung gesammelt"
LTO: Gibt es neben der Kunstwelt noch andere, nach wie vor wichtige Bereiche?
Druba: Ein letztes Feld ist Osteuropa. Da müssen Sie sich folgende Fälle vorstellen: Im Böhmischen besitzt eine jüdische Familie eine große Ölraffinerie, die unter Hitler verstaatlicht wird. Die ČSSR behält die Verstaatlichung später dankend bei. In Polen habe ich etwa die Familie Wertheim betreut, deren Kaufhaus in Breslau verstaatlicht wurde. Polen hat sich auf den Standpunkt gestellt, das Kaufhaus ist doch unter Hitler arisiert worden, wir haben es später ja nur den Deutschen weggenommen.
LTO: Glauben Sie, dass überhaupt jemals eine Zeit kommen wird, zu der die Opfer der NS-Zeit finanziell ausreichend entschädigt sein werden?
Druba: Schon aus biologischen Gründen wird es irgendwann keine unmittelbar Verfolgten mehr geben, denen geholfen werden muss. Daneben bleiben aber Sonderfälle wie die der geraubten Kunstwerke, von denen es übrigens deshalb so viele gibt, weil Juden – von einem Fluchtbedürfnis ausgehend – Kunst als immer konvertible Währung gesammelt haben. Sie konnten ja nicht ahnen, dass Deutschland mal so perfekt sein würde und auch das Mitnehmen der Kunst untersagt.
LTO: Herr Druba, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Matthias Druba, LL.M. (George Washington) ist Rechtsanwalt und Notar bei FPS Rechtsanwälte am Standort Berlin. Einer seiner Tätigkeitsschwerpunkte liegt im Folgenrecht der Wiedervereinigung und Restitutionsrecht.
Die Fragen stellten Claudia Kornmeier und Pia Lorenz.
Matthias Druba, LL.M. (George Washington), Entschädigung für NS-Opfer: "Kein anderes Land hat so Wiedergutmachung geleistet" . In: Legal Tribune Online, 26.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7637/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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