Wer als Marktbetreiber Händlern Stände zur Verfügung stellt, haftet im Falle des Verkaufs von gefälschter Ware auf Beseitigung und Unterlassung, so der EuGH. Markus Hecht zur Entscheidung und welchen Einfluss sie auf die Praxis nehmen wird.
In einer am Donnerstag ergangenen Entscheidung (Urt. v. 07.07.2016, Az. C-494/15) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Position von Rechteinhabern deutlich gestärkt. Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums wie etwa Marken oder Designs können den Verkauf von Produktfälschungen auf Märkten nun dadurch wirksam unterbinden, dass sie nicht nur die Händler als Mieter, sondern gleich den Vermieter der Marktstände in Anspruch nehmen. Dieser muss fortan sicherstellen, dass auf dem Markt keine Fälschungen mehr verkauft werden. So hat der EuGH auf Vorlage des Obersten Gerichtshofs der Tschechischen Republik entschieden.
Ausgangspunkt des Rechtstreites waren die Prager Markthallen (Pražská tržnice), die dafür bekannt sind, dass hier Fälschungen hochpreisiger Markenartikel wie Kleidung, Uhren oder Handtaschen verkauft werden. Da es für Rechteinhaber überaus aufwendig ist, sich gegen die einzelnen, ständig wechselnden Händler zur Wehr zu setzen, hatten sich verschiedene bekannte Modelabels wie Burberry, Lacoste und Tommy Hilfiger dazu entschieden, unmittelbar gegen den Betreiber der Prager Markthallen, die Delta Center a.s., vorzugehen. Zwar vertreibt Delta Center selbst keine gefälschten Waren, stellt den einzelnen Markthändlern aber Marktstände sowie Flächen zum Aufstellen von Marktständen zur Verfügung. Durch die Klage wollten die Markenhersteller sicherstellen, dass Delta Center Maßnahmen gegen deren Mieter ergreifen muss, um den Verkauf von Fälschungen jetzt und in Zukunft zu unterbinden.
Rechtsprechung zu Online-Marktplätzen auf reale Marktplätze übertragen
Der EuGH hat durch die Entscheidung geklärt, dass es die sogenannte Enforcement-Richtlinie (RL 2004/48/EG) Markeninhabern erlaubt, nicht nur gegen die Händler, also die Mieter der Marktstände, vorzugehen, sondern auch ein Vorgehen gegen den Vermieter ermöglicht, der den Händlern gefälschter Waren seine Standfläche vermietet hat. Ausgangspunkt der Entscheidung war Artikel 11 der Enforcement-Richtlinie, wonach Rechteinhaber auch "Anordnung gegen Mittelspersonen beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zwecks Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums in Anspruch genommen werden."
In seinem Urteil stellt der Gerichtshof im Hinblick auf Art. 11 RL 2004/48/EG fest, "dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der Dritten eine Vermietungs- oder Untervermietungsdienstleistung von Flächen auf einem Marktplatz anbietet und so diesen Dritten die Möglichkeit bietet, dort gefälschte Waren feilzubieten, als 'Mittelsperson' im Sinne der Richtlinie qualifiziert werden muss." Folglich, so der EuGH weiter, "kann auch der Betreiber eines physischen Marktplatzes dazu gezwungen werden, von Händlern begangene Markenrechtsverletzungen abzustellen sowie Maßnahmen zur Verhinderung erneuter Verstöße zu ergreifen".
Damit hat der EuGH seine zu Online-Marktplätzen ergangene Entscheidung L’Oreal ./. eBay (Urt. v. 12.07.2011, Az. C-324/09) auf physische Ladengeschäfte übertragen. 2011 hatte der EuGH geurteilt, dass der Betreiber eines Online-Marktplatzes grundsätzlich auf Beseitigung und Unterlassung der von Benutzern dieses Marktplatzes hervorgerufenen Rechtsverletzungen haften. In der nun ergangenen Entscheidung hat der EuGH beschlossen dass eine solche – in Deutschland als "Störerhaftung" bekannte – Haftung auch den Betreiber nicht-virtueller Marktplätze trifft, da der Anwendungsbereich der E-Commerce-Richtlinie nicht auf den elektronischen Handel beschränkt ist. Was online gilt, gilt also auch offline.
Haftung der Vermieter von Marktständen außerhalb der EU
Die Entscheidung des EuGH fügt sich nahtlos in den internationalen Kontext ein, wo – wie von der International Trademark Association (INTA) bereits seit langem gefordert – immer mehr Rechtsordnungen von einer sogenannten "landlord liability" ausgehen. Bereits in der vielbeachteten Silk-Street-Market Entscheidung aus dem Jahr 2006 hatte der Volksgerichtshof Peking auf eine unter anderem von Burberry, Chanel, Gucci, Louis Vuitton und Prada angestrengte Klage hin den Betreiber des Beijing Xiushui Markets, einer der größten Fälschermärkte Chinas, wegen Markenrechtsverletzung verurteilt.
In der Praxis stehen Vermieter damit vermehrt im Fokus der Rechteinhaber. Im Zuge dieser internationalen Entwickelungen stellt die Entscheidung des EuGH einen wichtigen Baustein zum Schutz von Rechteinhaber in der Europäischen Union dar.
2/2: Kontrollpflicht für den Marktbetreiber zumutbar
Die Entscheidung des EuGH ist vor dem Hintergrund der L’Oreal ./. eBay Entscheidung konsequent und führt zu einer deutlichen Stärkung der Position von Rechteinhabern. In der Praxis lassen sich so die Rechte von Markeninhabern effektiver durchsetzen. Diese müssen nicht (wiederholt) gegen jeden einzelnen und oft schwer zu greifenden Händler vorgehen, sondern können unmittelbar den Betreiber des Marktplatzes auf Beseitigung und Unterlassung in Anspruch nehmen, um sicherzustellen, dass keine rechtsverletzenden Waren mehr auf dem Marktplatz gehandelt werden.
Markenrechtsverletzungen auf großen Marktplätzen sind - ob online oder offline - an der Tagesordnung. Daher ist es sachgerecht, die Pflicht zur Überwachung der Marktstände dem Vermieter aufzubürden, da dieser am besten dazu in der Lage ist Rechtsverstößen schnell und effektiv ein Ende zu setzen. So kann er etwa den mit dem Verkäufer der Plagiate geschlossenen Mietvertrag kündigen und diesen aus seinen Markthallen verbannen. Dem Vermieter diese Prüfpflichten aufzuerlegen ist angemessen, um zu verhindern, dass er selbst über die Miete vom Verkauf rechtsverletzender Waren profitiert.
Letztlich führt dies zwar dazu, dass Vermieter von Verkaufsflächen in Zukunft ihre Mieter kontrollieren müssen. Unzumutbaren Überwachungs- und Prüfpflichten können den Vermietern aber nicht abverlangt werden, was der EuGH in seiner Entscheidung noch einmal klargestellt hat. Insbesondere dürfen die dem Vermieter abverlangten Maßnahmen für diesen nicht übermäßig kostspielig sein und keine Schranken für den rechtmäßigen Handel errichten. Zudem wird man fordern müssen, dass der Rechteinhaber den Vermieter dem Gedanken des im online-Bereich etablierten notice-and-takedown-Verfahrens entsprechend über die erstmalige Rechtsverletzung in Kenntnis setzt, um überhaupt Kontrollpflichten auszulösen, da auch im offline-Bereich eine anlasslose präventive Prüfpflicht unzumutbar wäre.
Rahmenbedingungen müssen nationale Gerichte erarbeiten
Die mitunter nicht einfache Aufgabe, die Reichweite der Überwachungs- und Prüfpflichten im Einzelfall zu bestimmen, bleibt den nationalen Gerichten überlassen. Wichtige Hinweise zur Bestimmung zumutbarer Prüfpflichten hat der EuGH aber bereits in seiner Entscheidung L’Oreal ./. eBay gegeben, auch wenn sich diese nicht immer eins-zu-eins von virtuellen auf reale Marktplätze übertragen lassen. Anders als im Internet, lassen sich etwa die Kontrollmaßnahmen auf physischen Marktplätzen nicht technisch-automatisiert durchführen, sondern müssen händisch von Mitarbeitern des Vermieters vorgenommen werden.
Letztlich gilt es - wie immer bei der Haftung von Vermittlern - eine sinnvolle Lastenverteilung zu finden, um sicherzustellen, dass durch Inanspruchnahme des an der Schnittstelle sitzenden Vermieters effektiv gegen Rechtsverletzungen vorgegangen werden kann, ohne diesem uferlose Kontrollpflichten aufzubürden. Diese Gratwanderung wird die Gerichte in Zukunft noch beschäftigten. Schon jetzt lässt sich aber absehen, dass in der Europäischen Union in Zukunft deutlich weniger gefälschte Waren auf Märkten zu finden sein werden. Sehr zum Wohle der Rechteinhaber und letztlich auch der Verbraucher.
Dr. Markus Hecht ist Rechtsanwalt im Bereich des Gewerblichen Rechtschutzes bei Baker & McKenzie.
Markus Hecht, EuGH zur Haftung von Marktplatzbetreibern für Plagiate: Was online gilt, gilt auch offline . In: Legal Tribune Online, 07.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19918/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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