Die Entscheidung, mit der der EuGH das Anleihenprogramm der EZB gebilligt hat, trägt den Bedenken des BVerfG nur vordergründig und oberflächlich Rechnung. Sollte das den Richtern in Karlsruhe nicht genügen, droht die Krise, meint Felix Ekardt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Dienstag in einem wegweisenden Urteil zur Eurokrise die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Herbst 2012, notfalls Staatsanleihen kriselnder Euro-Staaten unbegrenzt aufzukaufen, aus Sicht des Unionsrechts gebilligt. Die EZB wollte mit dieser Ankündigung die Gläubiger von Staaten wie Griechenland beruhigen, damit sie nicht immer höhere Zinsen verlangen und am Ende niemand den Krisenstaaten mehr Kredite gibt. Denn wenn man notfalls Anleihen immer noch an die EZB verkaufen kann, sind auch Staatsanleihen aus Krisenstaaten eine sichere Geldanlage.
Schon diese bloße Ankündigung, die bislang nicht in die Praxis umgesetzt wurde, beruhigte die Finanzmärkte und lenkte den Euro wieder in sichereres Fahrwasser. Nun hat der EuGH entschieden, dass der angekündigte Anleihenkauf europarechtlich zulässig wäre.
Das Urteil erging auf die erste und bislang einzige Vorlage des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hin und wurde nicht zuletzt deshalb mit Spannung erwartet, weil eine deutlich vom Kurs des BVerfG abweichende Entscheidung des EuGH schwierige Kompetenzfragen zwischen den beiden Gerichten aufwerfen würde. An dieser Stelle wurde sie bereits wohlwollend besprochen und als salomonisch bezeichnet – der EuGH habe die Entscheidung der EZB aufrechterhalten und zugleich den Bedenken des BVerfG angemessen Rechnung getragen.
Entscheidung des BVerfG ist keineswegs sicher
Ob das BVerfG dies in seinem noch ausstehenden Urteil genauso sehen wird, ist allerdings absolut offen. Dort waren Klagen unter anderem von Peter Gauweiler gelandet, die die EZB-Politik für einen Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz hielten, weil die EZB eine solch weitreichende Entscheidung nicht ohne Mitwirkung der nationalen Parlamente hätte treffen dürfen. Bisher hatten die Bundesregierung und eine große Bundestagsmehrheit den Kurs in EU und EZB mitgetragen. Formal waren sie an der Ankündigung der EZB, den Krisenstaaten-Gläubigern notfalls ihre Staatsanleihen abzukaufen, allerdings nicht beteiligt. Und im Europarecht steht auch nirgends ausdrücklich, dass die EZB so etwas darf.
Man konnte ahnen, dass der von den Karlsruher Richtern nun angerufene EuGH die EZB gewähren lassen würde. Denn der EuGH stärkt meist die Befugnisse von EU-Institutionen. Das BVerfG sieht die EZB in seinem Beschluss von 2014, mit dem es die Frage an den EuGH weiterreicht, jedoch deutlich kritischer und lässt durchblicken, was es vorhat, wenn der EuGH das Handeln der EZB europarechtlich billigen sollte.
Dann könnte das BVerfG nämlich urteilen, dass die EZB gegen das deutsche Grundgesetz und das Demokratieprinzip verstoßen habe – und der Bundesrepublik untersagen, die EZB-Entscheidungen als Mitglied der EU weiterhin mitzutragen. Denn wenn die EZB keine ausdrückliche Ermächtigung für Anleihenkäufe habe, würde sie sich, so könnte das BVerfG argumentieren, rechtswidrig eine Materie aneignen, die ihr erst einmal von den Mitgliedstaaten demokratisch zuerkannt werden müsste. Das BVerfG würde damit die EuGH-Ansicht zu kassieren versuchen, dass die EZB europarechtskonform gehandelt habe.
2/2: Widersprüchliche Urteile aus Karlsruhe und Luxemburg wären fatal
Das BVerfG wird nun irgendwann sein eigenes endgültiges Urteil fällen. Mit zwei konträren Urteilen von EuGH und BVerfG, die theoretisch beide verbindlich wären, wären die deutschen Organe fatal widersprüchlichen Aussagen aus Luxemburg und Karlsruhe ausgesetzt. Für die Eurokrise wäre die neuerliche Unsicherheit ein Desaster, gerade auch in der aktuellen Situation von Griechenland, das dann womöglich wieder sehr viel höhere Zinsen auf seine Staatsanleihen gewähren müsste.
Die Urteilsbegründung des EuGH wird das BVerfG wohl kaum beruhigen. Dort heißt es nämlich: Die EZB-Ankündigungen seien bloße Währungspolitik, und für die sei die EZB ja wohl eindeutig zuständig. Zwar dürfe die EZB nach dem Europarecht in der Tat nicht faktisch als Finanzier der Mitgliedstaaten tätig werden, das wäre sie hier aber auch nur "mittelbar".
Diese juristisch feinsinnige Unterscheidung ist zwar elegant, wird das BVerfG aber nicht unbedingt von seiner schon klar bekundeten Linie abbringen. Denn in der Sache hat der EuGH dem BVerfG nicht etwa Rechnung getragen, sondern es deutlich in die Schranken gewiesen. Der EZB wurde der Rücken gestärkt. Die allgemeinen Ausführungen des EuGH, dass die EZB natürlich rechtlichen Schranken unterliege und die Haushaltskonsolidierung in den Mitgliedstaaten nicht unterlaufen dürfe, sind banal. Denn das bestreitet ohnehin niemand.
Will BVerfG eigene Macht auf Kosten Europas ausweiten?
Hintergrund des Konflikts ist, wie schon anlässlich der Vorlageentscheidung dargestellt, die vom BVerfG bereits mehrfach abstrakt betonte Bereitschaft, die Zuständigkeitsgrenzen der EU-Institutionen zu prüfen. Denn schließlich habe die EU ihre Zuständigkeiten von den Mitgliedstaaten verliehen bekommen. Der EuGH hat aus der Sicht des Europarechts solche Lesarten bisher nie anerkannt. Und das ist auch gut so. Denn die Mitgliedstaaten haben mit der EU ein eigenes Rechtssystem geschaffen, zu dem eben auch eine eigene Gerichtsbarkeit mit dem EuGH gehört, die genau solche Streitfragen entscheiden soll. Eine solche Entscheidung kann nicht 28 nationalen Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten mit potenziell uneinheitlichen Sichtweisen überlassen bleiben.
Das BVerfG hat in seinem Pochen auf die nationale Entscheidungsmacht auch ein eher traditionelles Bild von Demokratie im Hinterkopf. Dabei tut es zuweilen so, als sei vollwertige Demokratie nur im Nationalstaat möglich und nicht auch auf EU-Ebene. Die EZB handelt schließlich nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Interaktion mit den anderen EU-Organen. Und die nationalen Parlamente haben der Schaffung der EZB und des Euro ausdrücklich zugestimmt.
Bemerkenswert ist, dass das BVerfG seine ausgreifende Selbstermächtigung auch durch die potenziell ganz erheblichen europapolitischen und weltwirtschaftlichen Folgen seiner Sichtweise bislang nicht in Frage gestellt sieht. Das zeigt zugleich, dass in Deutschland vielleicht einmal eine andere Debatte geführt werden müsste, die im großen Ansehen dieses Gerichts zuweilen verpasst wird. Jene nämlich, ob das BVerfG sich nicht selbst allzu viel Macht im Verhältnis zu Bundestag und Bundesregierung zu geben beabsichtigt.
Felix Ekardt leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin und ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock.
Felix Ekardt, Urteil des EuGH zu EZB-Kompetenzen: Eurokrise im Streit der obersten Gerichte . In: Legal Tribune Online, 16.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15888/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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