Was droht einer Person, die von bundesdeutschen Polizeibehörden als "Gefährder" eingestuft worden ist? Eigentlich nichts, sagt die Bundesregierung. Für Michael Jasch ist diese Sichtweise ebenso juristisch korrekt wie kriminalistisch blauäugig.
Wenn eine Person als "Gefährder" oder "Relevante Person" aus dem extremistischen Umfeld eingestuft wird, ergibt sich daraus: nichts. So jedenfalls liest sich die Antwort der Bundesregierung BT-Drs. 18/12196 auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion Die Linke. Weder polizeirechtliche Eingriffsmaßnahmen noch Datenübermittlungen oder aufenthaltsrechtliche Konsequenzen resultierten allein aus dieser Bezeichnung, heißt es dort.
Vielmehr biete die Gefährder-Einstufung nur den "Anlass zur Prüfung der rechtlichen Grundlagen zur Ergreifung eben solcher Maßnahmen nach den Bestimmungen des Gefahrenabwehrrechtes".
Diese Sichtweise ist juristisch ebenso korrekt, wie sie kriminalistisch blauäugig ist. Denn auf der einen oder der anderen Seite der Gleichung offenbart sie logische Brüche und Defizite im Umgang mit so genannten "Gefährdern" und "Relevanten Personen" aus der terroristisch-extremistischen Szene.
Eine Einstufung ohne Konsequenzen?
Wenn wirklich Tatsachen vorliegen, die eine Einstufung als "Gefährder" belastbar rechtfertigen können, dann müsste damit auch zumindest ein Gefahrenverdacht im Sinne des Polizeirechts vorliegen. Wahrscheinlicher ist, dass derartige Tatsachen sogar den Anfangsverdacht der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat gemäß § 89a Strafgesetzbuch, der Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung begründen. Andersherum: Wenn ein solcher Verdacht nicht vorliegt, dann kann die Einstufung als Gefährder nur auf einer sehr dünnen Faktenlage beruht haben, die über ein polizeiliches Bauchgefühl kaum hinausreicht.
Plausibler ist daher die Annahme, dass die polizeiliche Einstufung als "Gefährder" zugleich auch polizeiliche Maßnahmen gegen diese Person auslöst, mögen diese auch auf Befragungen, Informationserhebungen oder Observationen beschränkt sein.
Wie brisant und eingriffsintensiv die Gefährder-Einordnung werden kann, zeigte jüngst die Abschiebung von zwei in Göttingen festgenommenen Männern, denen keine Straftat nachgewiesen werden konnte. Doch auch für solche Fälle kontert die Bundesregierung: Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz seien Sache der zuständigen Landesbehörden. Die Gefährder-Einstufung allein löse keine Abschiebungen aus.
Gefährder & Co.: "Bundeseinheitlich abgestimmt und definiert"?
Die Parlamentarier der Linken machten bereits in ihrer Anfrage deutlich, dass sie den Gefährderbegriff für problematisch und unbestimmt halten. Doch die Bundesregierung hat damit offenbar kein Problem: Die Begriffe seien durch Beschlüsse der Innenministerkonferenz "bundeseinheitlich abgestimmt und definiert" und würden dem "polizeilichen Anwender eine deutliche Zuordnung ermöglichen", meint die Regierung.
Dabei kann von einem einheitlichen Gefährderbegriff nur formal ausgegangen werden. Denn das eigentliche Problem liegt in der auslegungsfähigen Weite dieser "Definitionen". Seit 2004 wird als Gefährder eine Person betrachtet, von der "bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100 a Strafprozessordnung (StPO), begehen wird."
Diese Formulierung geht auf eine Abstimmung der Leiter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes (BKA) von 2004 zurück. Sie lässt völlig offen, welcher Art die "bestimmten Tatsachen" sein sollen und welcher Herkunft der Informationen vertraut werden kann.
Hinzu kommen die "Relevanten Personen", zu denen Führungspersonen, Logistiker und Unterstützer des extremistischen Spektrums gerechnet werden. Bei ihnen muss es zudem objektive Hinweise für eine mögliche Beteiligung an einer erheblichen Straftat mit politischem Hintergrund geben. Aber auch reine "Kontakt- oder Begleitpersonen" eines Gefährders werden dieser Personenkategorie zugerechnet. Auf die Frage, ob auch "bloße Gerüchte" zu einer Einstufung führen könnten, antwortet die Bundesregierung: Grundsätzlich könnten auch "glaubhafte und glaubwürdige Zeugenaussagen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände (...) ein sachlicher Hinweis sein."
2/2: Wer Gefährder ist, bestimmt die Polizei
Der Schriftwechsel zwischen Regierung und Linken-Fraktion macht deutlich, wie Kriminalpolitik in postfaktischen Zeiten funktioniert: Jeder spricht von "Gefährdern", täglich ist von ihnen in den Medien die Rede – aber niemand weiß wirklich zu sagen, welche Menschen damit eigentlich gemeint sind - und welche nicht.
Die Einstufung ist Sache der jeweiligen Landespolizeibehörden. Sie ist vielfach abhängig von deren Erfahrungen, den Ermittlungszugängen und ihren Ressourcen. Die Ungenauigkeit der bestehenden Begriffe führt zu einer schlichen Konsequenz: Wer Gefährder ist, bestimmt die Polizei. Und das kann sich unter Umständen auf eine kleine Gruppe von Beamten in den Staatsschutzabteilungen und Landeskriminalämtern beschränken.
Die Parlamente und Regierungen haben sich bei der Begriffsbestimmung das Heft weitgehend aus der Hand nehmen lassen. Noch unsicherer wird die Lage, wenn man über die deutschen Grenzen hinausblickt. Auf europäischer oder gar internationaler Ebene gibt es gar keine abgestimmte Begrifflichkeit, die den deutschen Ansatz aufgreift.
Dabei sind nicht alle politischen Kräfte so zufrieden mit der Terminologie wie die Bundesregierung. In Brandenburg wird eine europaweite Vereinheitlichung des Begriffes zumindest für "grundsätzlich wünschenswert", wenn auch nur schwer zu realisieren gehalten. Und in Niedersachsen will die Landesregierung künftig nach Angaben des Innenministeriums eine Legaldefinition für terroristische Gefährder in ein reformiertes Polizeigesetz aufnehmen. Vorgelegt hat die niedersächsische Regierungskoalition bereits eine – bundesweit einmalige und längst überfällige – gesetzliche Regelung für so genannte Gefährderansprachen, in der eine präzisere Bestimmung der Voraussetzungen für dieses polizeiliche Alltagsinstrument versucht wird.
Die Länder entscheiden
Zudem macht die Antwort auf die Anfrage der Linken deutlich, dass die Macht bei der Terrorismusprävention klar bei den Bundesländern liegt. "Aus der Vergangenheit sind seit der Einführung präventivpolizeilicher Befugnisse für das BKA keine Fälle bekannt, in denen gefahrenabwehrrechtlich gegen einen 'Gefährder' oder 'Relevante Personen' ermittelt wurde (...)", schreibt die Regierung.
Das überrascht insoweit, als diese Befugnis für das BKA bereits seit 2009 existiert – allerdings beschränkt auf Fälle des internationalen Terrorismus. Auch eigenständige Einstufungen als Gefährder habe das BKA bisher nicht vorgenommen. Bundesweit werden derzeit rund 1.600 Personen dem islamistisch-terroristischen Personenspektrum zugeordnet. Das Bundesamt sieht den Schwerpunkt seiner Tätigkeit vielmehr in der Koordination und dem Datenaustausch.
Der letztgenannte Punkt ist allerdings prekär: In den acht europäischen Staaten, mit denen das BKA regelmäßig Gefährder-Daten austauscht, befinden sich zum Teil Kooperationspartner "mit sowohl polizeilichen als auch nachrichtendienstlichen Befugnissen", jedoch keine rein nachrichtendienstlichen Ämter.
Die Datenübermittlung aus Deutschland erfolge, so die Bundesregierung, mit einer Verwendungsbeschränkung auf die Zwecke der Verfolgung und Verhütung von Straftaten. Darüber hinaus finde eine "regelmäßige" Datenübermittlung an das Terrorist Screening Center in den USA sowie an die Ausrichterstaaten von sportlichen Großereignissen statt. Die Rechtsgrundlage für diesen internationalen Datenaustausch hatte das Bundesverfassungsgericht 2016 für verfassungswidrig erklärt, dem Gesetzgeber aber eine Frist zur Nachbesserung bis zum Sommer 2018 gewährt.
Auf andere Fragen erhielt die Fraktion der Linken keine oder nur eine nichtöffentliche Antwort. Dennoch macht die Antwort auf die Kleine Anfrage eines deutlich: In der Bundesregierung gibt es keine Neigung dazu, den Gefährderbegriff genauer zu bestimmen. Dahinter steht vermutlich die Motivation, der polizeilichen Praxis eine möglichst große Flexibilität zu erhalten.
Der Preis dieser Flexibilität ist, dass es von Zufällen und lokalen Besonderheiten abhängen kann, wer als Terrorgefährder in das Visier der Ermittler gerät. Eine genauere Eingrenzung dieses Begriffes ist daher erforderlich. Allerdings kann auch sie keine Sicherheit vor falschen Zuordnungen bieten. Politik und Gesellschaft müssen sich daran gewöhnen, dass menschliches Verhalten nur sehr eingeschränkt und unsicher zu prognostizieren ist.
Der Autor Dr. jur. Michael Jasch ist Professor an der Polizeiakademie Niedersachsen.
Der Beitrag gibt allein seine persönliche Einschätzung wieder.
Dr. jur. Michael Jasch, Bundesregierung zur Einstufung als Gefährder: Einheitlich, aber folgenlos? . In: Legal Tribune Online, 11.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22883/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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