Nach dem Referendum sehen manche die britische Limited und PLC mit Sitz in Deutschland bedroht. Eine reale Gefahr - oder ist der Rat zum Rechtsformwechsel Alarmismus, von Gebühreninteresse getrieben? Antworten von Tim Drygala.
Viele Wirtschaftskanzleien informieren dieser Tage ihre Mandanten darüber, dass sie jederzeit gern zur Verfügung stehen, um über die Folgen des Brexit-Referendums in der vergangenen Woche zu beraten. Ein beliebtes Thema dabei: Was wird aus den Unternehmen, die sich in der Rechtsform der Limited oder der Public Limited Company (PLC) organisiert haben?
Manches davon darf man als gute PR-Arbeit bezeichnen, denn akuter Handlungsbedarf besteht derzeit nicht. Aber schon mittelfristig könnte es sehr wohl gute Gründe geben, in eine inländische Rechtsform zu wechseln.
Entfiele die EU-Niederlassungsfreiheit, wäre die Sitztheorie wieder anwendbar; mit einem Verwaltungssitz in Deutschland gäbe es keine Anerkennung mehr als ausländische Gesellschaft in der Rechtsform der Limited. Rechtsfolge wäre die Umqualifizierung in eine deutsche Rechtsform, allerdings nur als Personengesellschaft. Den betroffenen Gesellschaften droht damit im schlimmsten Fall wenigstens nicht die Gefahr der sofortigen Hinrichtung. Aber der Verlust der Haftungsbeschränkung steht ebenso im Raum wie der der Börsenzulassung bei der PLC.
Nach dem Wirksamwerden des Austritts entfallen außerdem die Erleichterungen des Europäischen Rechts zur Fusion und zum grenzüberschreitenden Formwechsel; zudem ist die Steuerneutralität der Umwandlung nicht mehr gewährleistet. Auch wenn kein Grund zu Panik besteht: Man sollte den Fortgang der Austrittsverhandlungen mit Großbritannien zumindest genau verfolgen.
Keine Limited ohne Niederlassungsfreiheit
Wenn die Limited den Schutz der Niederlassungsfreiheit verliert, wäre die Sitztheorie wieder anwendbar. Deutschland hat bei der Anerkennung von Auslandsgesellschaften den Übergang von der Sitz- zur Gründungstheorie nie endgültig vollzogen. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist die Sitztheorie, die von einem Unternehmen mit Verwaltungssitz in Deutschland die Wahl einer deutschen Rechtsform verlangt, nur europarechtlich überlagert.
Nur für diejenigen Unternehmen also, welche in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR ansässig sind, gilt die Gründungstheorie, nach der eine ausländische Rechtsform mit diesem Status anerkannt werden muss, wenn sie ihren Verwaltungssitz im Inland hat. Auf Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU ist nach wie vor die Sitztheorie anwendbar (BGH, Urt. v. 27.10.2008, Az. II ZR 290/07 - Trabrennbahn), es gibt also keine allgemeine Anerkennung aller ausländischen Gesellschaften in ihrer jeweiligen Rechtsform.
Eine Änderung dieser Rechtslage ist unwahrscheinlich. Der Gebrauch ausländischer Rechtsformen steht von Gewerkschaftsseite her unter dem Verdacht, die Flucht aus der Mitbestimmung zu begünstigen. Dieses Argument hat bisher stets ausgereicht, um den Gesetzgeber vom Handeln abzuhalten. Daran dürfte auch der Brexit nichts ändern. Die Gesellschaft bliebe allerdings rechtsfähig, eine Behandlung als rechtliches Nullum wird heute nicht mehr vertreten. So würde die die Limited wohl als Personengesellschaft nach deutschem Recht eingestuft.
Und während der Verhandlungsphase?
Allerdings besteht der "Brexit" bisher nur aus einem Volksentscheid. Zum Austritt aus der EU bedarf es einer Absichtserklärung der britischen Regierung nach Art. 50 EU-Vertrag. Diese Erklärung ist aufgrund der momentanen politischen Wirren in Großbritannien bisher nicht erfolgt, und es ist auch nicht allzu bald mit ihr zu rechnen.
Danach folgt die zweijährige Verhandlungsphase über die näheren Umstände des Ausscheidens. Es mag in dieser Zwischenphase europarechtlich zweifelhaft sein, ob Großbritannien noch volle Mitentscheidungsrechte in den Organen der EU hat. Dass seine Bürger sich in dieser Zeit nicht mehr auf die Grundfreiheiten der Verträge berufen könnten, wäre aber unvertretbar, da es den vollständigen Austritt vorwegnähme.
Daher können sich auch Gesellschaften britischer Rechtsform während der Verhandlungen weiterhin auf Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) berufen. Aus der Niederlassungsfreiheit folgt zugleich, dass die Neugründung von Ltd. und PLC mit Verwaltungssitz in Deutschland weiter möglich ist und von den deutschen Gerichten akzeptiert werden muss.
2/2: Bilaterales Abkommen: Alles bliebe, wie es ist
Kein Grund zur Panik also? Keineswegs, denn so klar die Rechtslage gegenwärtig ist, so schwer ist es, einen Blick auf die Situation in drei Jahren zu werfen. Hier hängt alles vom Verhandlungsergebnis ab.
Enthält ein Austrittsabkommen eine mit der Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV vergleichbare Regelung, ändert sich jedenfalls nichts. Die Sitztheorie wird nicht nur durch Europarecht verdrängt, sondern auch durch bilaterale Verträge, die Niederlassungsfreiheit gewähren. Das ist etwa bei US-Gesellschaften der Fall aufgrund des Freundschaftsabkommens von 1954. Für ein bilaterales Abkommen zwischen der EU und GB könnte nichts anderes gelten.
Ernst wird es hingegen, wenn keine Einigung zustande kommt. Dann steht am Ende der Verhandlungsphase der vertragslose Austritt, und damit wären für das Vereinigte Königreich alle Grundfreiheiten des Europarechts verloren. Dann wäre die Sitztheorie wieder anwendbar, mit den bekannten Folgen. Ob bei einem drohenden Scheitern der Verhandlungen noch Zeit besteht, die Umwandlung in eine deutsche Rechtsform rechtzeitig zu erreichen, ist alles andere als sicher. Dies gilt besonders für die börsennotierte PLC, die für Gesellschafterbeschlüsse Ladungsfristen zu beachten hat.
Und wenn die Verhandlungen scheitern?
Wenn die Verhandlungen scheitern würden, würde sich die Rechtslage mit Wirkung für die Zukunft verändern. Bis zum Wirksamwerden des Austritts Großbritanniens macht Art. 49 AEUV es unmöglich, die Eigenschaft als ausländische Kapitalgesellschaft abzuerkennen.
Bei Änderungen der Rechtslage für die Zukunft ist der Gesetzgeber aber in seiner Verfahrensweise relativ frei, was belastende Folgen angeht. Er muss lediglich im Rahmen einer Güterabwägung die Interessen der Betroffenen mit berücksichtigen. Das bedeutet, dass neu entstehende Limited und PLC mit Verwaltungssitz im Inland ab dem Austritt jedenfalls nicht mehr anerkannt werden müssten.
Bei den schon bestehenden Gesellschaften wäre der Gesetzgeber aus dem Rechtstaatsprinzip heraus gehalten, eine Übergangsfrist festzusetzen, innerhalb derer dieser Formwechsel vollzogen werden kann. Deutsche Interessen würden nicht beeinträchtigt, wenn die Gesellschaften ihre Rechtsform noch für einen überschaubaren Zeitraum beibehalten können. Zudem wäre ein vorübergehender Wegfall der Haftungsbeschränkung – bis zu einem Wechsel in die GmbH oder AG - nur ein Zufallsgeschenk an die Gläubiger, das alles spricht für eine Lösung mit Übergangsfrist. Ein Anspruch auf Beibehaltung der ausländischen Rechtsform auf Dauer lässt sich jedoch aus Art. 20 Grundgesetz nicht herleiten - vor allem deshalb nicht, weil die Rechtsänderung nicht vom deutschen Gesetzgeber ausgegangen ist.
Rechtsformwechsel nach dem Austritt – nicht mehr steuerneutral
Vermeiden sollte man es, erst nach Wirksamwerden des Austritts die Rechtsform zu wechseln. Dann stellt sich das Folgeproblem, dass die europarechtlichen Instrumente, die einen solchen Wechsel erleichtern, nicht mehr gelten.
Die Bestimmungen über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, die gegenwärtig eine Verschmelzung einer Ltd auf eine GmbH erlauben, wären ebenso wenig mehr anwendbar wie die Vale-Rechtsprechung des EuGH, die den direkten grenzüberschreitenden Formwechsel von der Ltd in die GmbH regelt.
Es bliebe nur die Neugründung einer Gesellschaft deutscher Rechtsform, verbunden mit der Einbringung des bisherigen Betriebs als Sacheinlage und Auflösung der Limited. Das hätte aber eine Liquidationsbesteuerung unter Aufdeckung der stillen Reserven zur Folge. Die Möglichkeit zur Buchwertfortführung besteht nur bei inländischen Kapitalgesellschaften (§ 20 Umwandlungssteuergesetz UmwStG iVm § 1 Körperschaftsteuergesetz) und bei EU-Auslandsgesellschaften (§ 23 UmwStG), aber diese Eigenschaft hätten die betroffenen Gesellschaften nach dem Wirksamwerden des Brexits schon verloren. Ob der Gesetzgeber bereit ist, auch insoweit eine Übergangsregelung einzuräumen, ist alles andere als sicher. Verpflichtet wäre er dazu jedenfalls nicht.
Der Autor Prof. Dr. Tim Drygala ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Leipzig.
Prof. Dr. Tim Drygala, Nach dem Brexit-Referendum: Exit auch aus der britischen Limited? . In: Legal Tribune Online, 05.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19883/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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