Wenn das BMJ demnächst neue Anwälte zum BGH zulässt, wird Volker Römermann nicht darunter sein. Er klagt gegen die Ablehnung seiner Bewerbung durch den Wahlausschuss. Im Interview erklärt er, warum er kandidiert, obwohl er die besondere BGH-Anwaltschaft durchaus kritisch sieht und wieso der Anwaltssenat über seine Konkurrentenklage nicht neutral und unbefangen entscheiden könnte.
LTO: Herr Professor Römermann, warum haben Sie sich um eine Zulassung als Anwalt beim Bundesgerichtshof (BGH) beworben?
Römermann: Es ist eine logische Fortsetzung meiner bisherigen Tätigkeit. Ich trete ja schon seit 15 Jahren vor dem BGH auf, nämlich vor dem Anwaltssenat, wo es keine Zulassungsbeschränkung gibt. Und wissenschaftlich zu arbeiten, wie es vor dem BGH verlangt wird, gehört in meiner Kanzlei zum Standard.
LTO: Bei der letzten Wahlrunde im Jahr 2006 haben Sie einen der Anwälte vertreten, der es nicht auf die Liste geschafft hatte und dagegen erfolglos gerichtlich vorgegangen war. Treten Sie nun selbst an, um die Sache noch einmal durchzufechten?
Römermann: Sicher interessiert mich auch das Wahlverfahren. Beim letzten Mal haben wir eine Menge aufgedeckt, was man sonst nicht erfahren hätte. Die behaupteten Kriterien für die Auswahl der BGH-Anwälte wichen damals von den tatsächlich angewandten ganz offensichtlich krass ab. Primär geht es mir aber natürlich darum, die Zulassung zu bekommen.
"Letztlich eine Entscheidung des Gesetzgebers"
LTO: Sie haben damals die BGH-Anwaltschaft auch ganz grundsätzlich angegriffen. Die Zulassungsbeschränkung sei ein ungerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit. Ist es da nicht widersprüchlich, sich jetzt selbst um eine Zulassung zu bewerben?
Römermann: Wenn bei allen anderen obersten Bundesgerichten jeder Anwalt auftreten darf und auch beim BGH selbst in Berufs- und Strafsachen keine Zulassungsbeschränkungen gelten, ist es schwierig zu rechtfertigen, dass das nur bei Zivilsachen vor dem BGH anders ist. Wenn man das möchte, kann man es nur mit einer echten Qualitätsauswahl begründen. Da darf es dann nicht heißen wer kennt wen. Wenn ich es richtig sehe, sind aktuell von den 16 Bewerbern, die dem BMJ vorgeschlagen werden, mindestens drei Mitarbeiter von BGH-Anwälten.
LTO: Diese wissenschaftlichen Mitarbeiter sind aber doch nicht nur durch Beziehungen mit dem BGH verbunden, sondern haben eben aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit Erfahrung mit den Verfahren und Vorgängen beim BGH. Das ist doch ein sachliches, allgemein anerkanntes Kriterium bei der Auswahl von Bewerbern für einen Job.
Römermann: Einverstanden. Wer lange und im Wesentlichen selbständig BGH-Fälle bearbeitet und sie als Vertreter eines BGH-Anwalts in mündlichen Verhandlungen wahrgenommen hat, verfügt über forensische Erfahrung und vermutlich auch eine wissenschaftliche Befähigung. Ich will doch gar nicht ausschließen, dass sich so jemand bewirbt und dass er mit den anderen Bewerbern verglichen wird. Problematisch wird es, wenn sich der BGH-Anwalt mit seinem Angestellten schon auf den Eintritt als Sozius oder die Übernahme der Kanzlei geeinigt hat und ihn dann aufgrund persönlicher Einflussnahme "durchbringt".
LTO: Einen Widerspruch zwischen Ihrer sehr grundsätzlichen Kritik und Ihrer Bewerbung um eine Zulassung zum BGH sehen Sie nicht?
Römermann: Letztlich ist es eine Entscheidung des Gesetzgebers und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), ob das System aufrechterhalten bleibt. Der Gesetzgeber hat sich 2009 dafür entschieden und die Verfassungsrichter haben gesagt, dass man das beobachten müsse. Im Moment sehe ich keine Anzeichen dafür, dass das BVerfG das System insgesamt kippen wird.
Ein BGH-Richter fragte mich, ob ich denn bei Erfolg der Kandidatur nicht alles, was ich dazu früher geäußert habe, "umschreiben" müsse. Das sehe ich vollkommen anders. Und es hilft dem System doch auch nicht, kritische Punkte totzuschweigen und den Überbringer der ungeliebten Nachricht vor der Mauer stehen zu lassen. Im Gegenteil: Wer berechtigte Kritik unterdrückt und notwendige Reformen verhindert, befördert den Untergang der BGH-Anwaltschaft als Institution.
2/3: "Ein faires Verfahren ist vor dem BGH menschenunmöglich"
LTO: Sie haben Ihre Klage gegen die Entscheidung des Wahlausschusses nicht wie üblich beim BGH eingereicht, sondern beim Verwaltungsgericht Karlsruhe. Warum?
Römermann: Im Gesetz ist die Zuständigkeit des BGH seit 2009 nicht mehr ausdrücklich geregelt. Seitdem heißt es in § 112a Abs. 3 Nr. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) nur noch, dass der BGH für Klagen zuständig ist, die Entscheidungen betreffen, die das BMJ getroffen hat oder für die es zuständig ist. Wenn aber ein Bewerber schon vom Wahlausschuss abgelehnt wird, endet das Verfahren dort. Es kommt nie zum BMJ, das nur über die Zulassung von vom Wahlausschuss vorgeschlagenen Bewerbern entscheidet. Der Wortlaut der Norm ist also durchaus auf meiner Seite.
Außerdem geht es um effektiven Rechtschutz. Ein faires Verfahren mit neutralen und objektiven Richtern ist vor dem BGH einfach nicht möglich. Im Wahlausschuss für die BGH-Anwälte sitzen der BGH-Präsident und alle Vorsitzenden der Zivilsenate. Da die Richter des Anwaltssenates, die für meine Klage gegen den Wahlausschuss zuständig wären, gleichzeitig in einem anderen Senat tätig sind, müssten sie nicht nur gegen ihren Dienstvorgesetzten, sondern auch gegen ihre Senatsvorsitzenden entscheiden. Der BGH-Präsident ist zudem Vorsitzender des Anwaltssenats, auch wenn er in der konkreten Sache vertreten wird.
Ich bin davon überzeugt, dass sich die Richter redlich um Objektivität bemühen. Aber ich glaube auch, dass es schlichtweg menschenunmöglich ist, dem eigenen Dienstherrn und Senatsvorsitzenden gegenüber komplett neutral zu sein, wenn der auf Beklagtenseite steht und selbst – wie das letzte Verfahren im Jahre 2006 deutlich gezeigt hat – mit Verve eine bestimmte Position einnimmt. Die Richter müssen ja auch noch nachher mit ihren Vorsitzenden und dem Präsidenten täglich zusammenarbeiten.
Römermann: Es sind nicht dieselben Personen, das ist richtig. Also der BGH-Präsident ist in dieser Sache nicht gleichzeitig Parteivertreter des Beklagten und sitzt vorne auf der Richterbank, sondern er lässt sich auf der Richterbank vertreten. Aber das Ganze ist ja alles andere als eine emotionslose Sache. Wenn die Richter des Anwaltssenats diese von ihrem Präsidenten und allen Vorsitzenden der Zivilsenate getroffene Wahl oder gar das System insgesamt tatsächlich kippen, würde das die Stimmung beim BGH deutlich verschlechtern. Dass wir hier neutrale Richter eines anderen Gerichts anrufen und die BGH-Richter von vorneherein nicht der Peinlichkeit aussetzen, ihren Präsidenten als Parteivertreter vor sich zu haben, ist sicherlich für jeden gut nachvollziehbar. Mir daraus einen Vorwurf zu machen, ist absurd.
"Ein Heer an Mitarbeitern, deren Qualifikationen niemand kennt"
LTO: Sie hatten selbst schon Verfahren in Zivilsachen, die bis zum BGH gegangen sind. Wie haben Sie da die Zusammenarbeit mit den BGH-Anwälten erlebt?
Römermann: Ich arbeite dort mit einem Kollegen zusammen, dessen Arbeit ich sehr schätze. Ich sage ja auch nicht, dass die BGH-Anwaltschaft per se schlecht ist. Es gibt einfach nicht nur kluge Köpfe dort und umgekehrt gibt es überall in der Republik kluge Köpfe, die davon abgehalten werden, in Karlsruhe aufzutreten.
LTO: Konnte Ihnen der Kollege denn mit den Besonderheiten des Revisionsrechts helfen?
Römermann: Das vom BGH anzuwendende Verfahrensrecht selbst besteht ja nur aus ein paar Paragraphen. In Wirklichkeit geht es auch beim BGH um das materielle Recht und da kennen sich die BGH-Anwälte nicht unbedingt in allen seinen Facetten und Spezialgebieten aus, weil sie ja für alle möglichen Rechtsgebiete zuständig sein müssen. Sie haben dafür deshalb ein Heer an Mitarbeitern. Und damit stellen sie das System eigentlich selbst in Frage. Da wird ein großes Aufhebens um die Auswahl der BGH-Anwälte gemacht - und am Ende machen die eigentliche Arbeit Juristen, die kein Mensch kennt, geschweige denn ausgewählt hat. Über deren Qualifikation wissen wir überhaupt nichts.
Günter Herrmann, der als Rechtsanwalt über zwei Jahrzehnte bei verschiedenen renommierten BGH-Kanzleien gearbeitet hat, berichtet, dass einige BGH-Anwälte die vorinstanzlichen Gerichtsakten zum Teil überhaupt nicht lesen und schon gar nicht bearbeiten, sondern die Rechtsmittelbegründungen bzw. -erwiderungen von juristischem Personal fertigen lassen und keine Kenntnis vom Inhalt der Schriftsätze nehmen, die unter ihrem Namen beim BGH eingereicht werden.
3/3: "Die Filterfunktion war der Kostenvorschuss"
LTO: Hat eine BGH-Kanzlei Ihnen schon mal von einer Revision abgeraten?
Römermann: Das wird ja immer als Filterfunktion angeführt. Ich persönlich habe bisher nur erlebt, dass eine Rechnung für einen Kostenvorschuss kam und wenn die gezahlt wurde, war alles in Ordnung, wenn nicht, dann ging das Verfahren eben nicht weiter. Das war dann die Filterfunktion. Es gibt auch keine Statistik darüber, wie viele Mandate von den BGH-Anwälten abgelehnt werden.
Außerdem halte ich den Grundgedanken dieser Filterfunktion durchaus für problematisch. Das heißt nämlich, dass ein BGH-Anwalt aussucht, ob ein Fall in Karlsruhe verhandelt wird. Aber ist es wirklich Aufgabe eines Anwalts, die Sache wie ein Richter zu entscheiden?
Häufig teilt der BGH-Anwalt einem Mandanten bei angenommener Erfolglosigkeit erst ganz kurz vor Fristablauf mit, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt wird. Der Mandant hat dann faktisch keine Chance, noch einen anderen Anwalt zu finden. Weder zeitlich noch oft finanziell, denn auch ein anderer BGH-Anwalt arbeitet ja nicht gratis. Das Rechtsmittel ist damit tot. Und entschieden hat darüber der BGH-Anwalt.
LTO: Geht es nicht eher darum, den Arbeitsaufwand zu reduzieren, den unnötige Rechtsmittel verursachen? Das BVerfG, wo jeder ohne Vertretung Verfassungsbeschwerde einlegen kann, klagt schon seit einer Weile über eine massive Belastung durch unsinnige Verfassungsbeschwerden.
Römermann: Das stimmt natürlich. Aber wenn man sich mal die Rechtsbeschwerden ansieht, von denen insbesondere der Banken- und der Insolvenzrechtssenat betroffen sind, hat man den Eindruck, dass dieser Filter überhaupt nicht funktioniert. Diese beiden Senate werden überschwemmt von Rechtsbeschwerden, die alle abgeschmettert werden.
Und wenn in den Statistiken nur sehr wenige Rechtsmittel auftauchen, die als unzulässig abgewiesen worden sind, dann verschweigen diese Zahlen, dass viele Rechtsmittel nach einem Hinweis vom Senatsvorsitzenden auf die Unzulässigkeit zurückgenommen werden.
"Der Markt würde eine zuverlässigere Qualitätsauswahl treffen"
LTO: Die Begrenzung der Zahl der BGH-Anwälte wird damit begründet, dass neuen Kollegen die Chance gegeben werden soll, sich am Markt behaupten zu können. Leuchtet Ihnen das ein?
Römermann: Das ist doch eine unsinnige Argumentation. Wer zu schlecht ist, um am Markt zu bestehen, dem können doch nicht Mandate zugeschustert werden, indem man den Markt künstlich klein hält. Wer das will, vernachlässigt völlig die Interessen der Mandanten, optimal vertreten zu werden.
LTO: Auf der anderen Seite verbietet man den BGH-Anwälten aber, vor anderen Gerichten aufzutreten.
Römermann: Ja, aber sie dürfen natürlich weiter beraten. Einige BGH-Anwälte sind außerdem etwa in der Schiedsgerichtsbarkeit unterwegs. Und das ist bei Weitem nicht alles. Der verstorbene BGH-Anwalt Rudolf Nirk saß beispielsweise im Aufsichtsrat von BMW. Es gibt also schon andere Standbeine. Kein Wunder, dass durchaus nicht jeder BGH-Anwalt stets in Karlsruhe anzutreffen ist – allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz. Letztlich sollte der Markt entscheiden, wer als BGH-Anwalt sein Auskommen findet und wie viele benötigt werden.
LTO: Eine Qualitätsauswahl könnte also auch vom Markt getroffen werden?
Römermann: Ich denke, sogar zuverlässiger, als sie momentan stattfindet.
"Ich will die Zulassung der Kollegen nicht weiter blockieren"
LTO: In den nächsten Tagen wird das BMJ wohl über die Bestellung der neuen BGH-Anwälte entscheiden. Sie haben versucht, das mit einem Antrag auf eine einstweilige Anordnung zu stoppen. Der BGH hat dieses Begehren vor einigen Tagen abgelehnt. Zum BVerfG wollen Sie nun trotzdem nicht ziehen. Warum?
Römermann: Meine Befürchtung war folgende: Wenn der Wahlausschuss einen Bedarf von acht Personen definiert und das BMJ diese acht Stellen besetzt, wäre ich auf einen Schadensersatzanspruch verwiesen worden, wenn meine Klage in der Hauptsache Erfolg hat. Die Stellen wären dann nämlich bereits vergeben und wieder wegnehmen kann man einem Anwalt die Zulassung nicht. Ein Schadensersatzanspruch ließe sich aber kaum beziffern.
Deswegen wollte ich erreichen, dass die Stellen offengehalten werden. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war aber nicht bereit, wie beim letzten Mal ein Stillhalteabkommen zu schließen.
Der BGH hat nun entschieden, dass ich in jedem Fall zusätzlich zugelassen werden kann, wenn meine Klage in der Hauptsache Erfolg hat. Damit habe ich kein Interesse mehr daran, Zulassungen zu blockieren. Das finde ich auch viel sympathischer, weil ich ja nicht gegen die anderen Kandidaten vorgehen will. Mir geht es nur darum, festzustellen, ob überzeugende Auswahlkriterien definiert und dann auch korrekt angewandt worden sind und ob es irgendeine Grundlage für die Bedarfsermittlung gibt. Und wenn nicht, dann würde ich gerne zusätzlich eine Zulassung bekommen.
Woher die Zahl acht bei der Bedarfsermittlung kommt, weiß derzeit niemand. Der Wahlausschuss hat sich das ausgedacht, aber soweit ersichtlich ohne jede Analyse der Situation. Ich habe mir einmal die Altersstruktur der aktuellen BGH-Anwälte angesehen. 16 BGH-Anwälte sind 65 oder zum Teil deutlich älter. Das haben wir in der Klage im Einzelnen aufgearbeitet und diese Dokumente sind alle im Internet nachzulesen. Kann man bei 16 Kollegen im Rentenalter wirklich annehmen, der Bedarf an Ersatz sei in den nächsten Jahren insgesamt acht?
LTO: Hat sich in dieser Entscheidung des BGH ihre Befürchtung einer Befangenheit bewahrheitet?
Römermann: Das kann man so gar nicht feststellen. Ich kann nicht behaupten, dass sich einer der Richter mir gegenüber unfair verhalten hätte. Meine Befürchtung ist eher abstrakt. Aber von der Hand zu weisen ist sie angesichts der geschilderten personellen Konstellation sicher nicht.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Volker Römermann ist Rechtsanwalt in Hamburg und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Prof. Dr. Volker Römermann, Abgelehnter Bewerber für BGH-Anwaltschaft klagt: "Es darf nicht heißen, wer kennt wen" . In: Legal Tribune Online, 21.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9849/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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