Im letzten Krieg erweiterte ein unsympathischer Österreicher das Eherecht um standesamtliche Vorgänge zwischen Lebenden und Toten. Das wurde für die Überlebenden zu einer mitunter sehr traurigen, weil nicht sonderlich gut geordneten juristischen Problematik. Freundet man sich aber erst einmal mit rechtlichen Bindungen zur Geisterwelt an, finden sich auch komische Seiten. Von Martin Rath.
In der Scheidungsangelegenheit der Eheleute Ott, die in den späten 1920er-Jahren durch die internationale Presse geisterte, nahm der Glaube an eine postmortale Rechtspersönlichkeit so bizarre Züge an, dass selbst das esoterische "Zentralblatt für Okkultismus" (1930/31, S. 380-381) darüber in einen leicht ironischen Tonfall verfiel: Vor dem Stadtgericht in St. Louis, USA verklagte Mrs. Ott ihren Gatten auf Scheidung. Die Sache war gerade noch neuseeländischen Provinzzeitungen eine Meldung wert: "Im Verlaufe des Gerichtsstreits erklärte der Mann, dass er und seine Frau an Wiederverkörperung glaubten und dass sie fest überzeugt seien, sich bereits vor 5.000 Jahren geliebt zu haben, als sie noch in Ägypten lebten."
Das deutsche "Zentralblatt für Okkultismus", das sich in seiner rund 25-jährigen Geschichte mit großem Ernst und wissenschaftlichem Anstrich zahllosen Fällen von Geisterseherei und dem physikalischen Status frisch ausgehauchter Seelen befasst hatte, berichtete vom US-amerikanischen Scheidungsprozess. Mr. Ott habe 1926 zum "Studium der antiken Kunst" in Ägypten geweilt und dort "seine frühere Geliebte, die Prinzessin Amneris, die Tochter eines vor 5.000 Jahren lebenden Pharaonen, wiedergesehen." In der späteren Mrs. Ott erkannte er die Inkarnation der Prinzessin. Sie heirateten, ließen sich jedoch bald wieder voneinander scheiden.
Die US-amerikanische Ägypten-Manie der 1920er-Jahre, die heute noch in der Popkultur von Las Vegas nachlebt und seinerzeit das Einbalsamieren von Verstorbenen in den USA populär machte, war selbst deutschen Esoterikern nicht ganz geheuer: Zwar attestierte das "Zentralblatt" der scheidungswilligen Mrs. Ott, ihrem Gatten 5.000 Jahre lang treu gewesen zu sein. Als prozessrelevanten Trennungsgrund machte man aber doch lieber die eheliche Gewalttätigkeit des Mr. Ott aus.
Postmortale Eheschließung
Geschult an der harten empirischen Wissenschaft, die sich im rechtswissenschaftlichen Schriftgut deutscher Sprache auftut, und geprägt von der strikten Logik des Kondiktionenrechts im Mehrpersonenverhältnis, könnte der gemeine Jurist (m/w) solche Anekdoten ins Reich der puren Esoterik bannen – dorthin, wo hierzulande schlimmstenfalls ihr Kollege und Astrologe Winfried Noé (ehemals angeblich: Staatsanwaltschaft München) in die Sterne schaut.
Überraschenderweise hat aber auch die deutsche Jurisprudenz ein durchaus umfangreicheres Verhältnis zu postmortalen Figuren, als es der Blick auf die berühmte "Mephisto"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vermuten lässt (BVerfG v. 24.2.1971, Az. 1 BvR 435/68).
Noch 1997 hatte sich beispielsweise das Oberlandesgericht Köln (OLG) mit der Frage zu befassen, ob eine inzwischen ältere Dame im Januar 1941 die Ehe mit einem Mann eingetreten war, der bereits 1940 im Zusammenhang eines als "Frankreichfeldzug" bekannten Aufenthalts deutscher Soldaten im westlichen Ausland dienstlich zu Tode kam (Beschl. v. 7.2.1997, Az. 16 Wx 23/97).
Zunächst kam in diesem Fall eine "Ferntrauung" in Betracht. Dazu konnten Wehrmachtsangehörige ihre Willenserklärung zum Eheschluss z.B. vor einem Militärrichter testieren lassen, die Frau daheim erklärte sich vor dem Standesbeamten. Diese schon etwas gespenstische Lösung lag hier nicht vor, weil die Verlobten erkennbar eine Hochzeit während des Heimaturlaubs geplant hatten und er sich daher nicht förmlich in der Ferne erklärt hatte.
In zweiter Linie prüfte und verwarf das Landgericht Aachen - nach Ansicht des OLG Köln korrekt - die Beweiskraft einer wirklich düsteren Szene: Der "Braut" sei – vermutlich rund ein halbes Jahr nach dem Tod des Verlobten – eine Urkunde überreicht worden, die ihren Ehestatus manifestierte. Kameraden ihres "Gatten" erklärten ihr, von nun an dürfe sie sich Witwe nennen.
"Geheimer Führererlass" zu gefallenen Soldaten
Die rheinischen Richter konnten 1996/97 die Erinnerungen der alten Dame nicht recht würdigen, weil sie nicht mehr wusste, wann die potenzielle "postmortale Ehe" geschlossen wurde – Anfang oder Ende des Jahres 1941. Mit einem "geheimen Erlass" hatte Hitler als Inkarnation der deutschen Legislativgewalt am 6. November 1941 den Reichsinnenminister ermächtigt, "die nachträgliche Eheschließung von Frauen mit gefallenen oder im Feld verstorbenen Angehörigen der Wehrmacht anzuordnen, wenn die ernstliche Eheschließungsabsicht erwiesen sei und bis zum Tode bestanden habe". In der "Juristenzeitung" schätzte der Tübinger Juraprofessor Hans Dölle (1893-1980) die nach dieser Konstruktion amtlich verzeichneten Ehen auf mindestens 3.500 (JZ 1951, S. 291-293).
In den ersten Nachkriegsjahren – postmortal wurden Ehen bis ins Jahr 1946 von Standesämtern eingetragen – entspann sich eine rechtsdogmatische Diskussion über die Auswirkungen solcher "Ehen". Grundsätzlich verweigerte die Justiz den "Führererlassen" durchaus nicht die Anerkennung - nur zu bösartig durften sie nicht sein. An der gespenstischen Ehe-Anordnung haftete - so erklärten verschiedene Professoren und Gerichte - aber der Makel, dass weder der "Führererlass" noch die Ausführungsvorschriften veröffentlicht worden waren, sodass sich das einfache Volk nicht auf diese Normen berufen konnte. Strittig war zudem, ob die postmortal geschlossene Ehe gleichsam nachträglich den Tatbestand einer echten und gelebten ehelichen Gemeinschaft fingierte oder nur gewisse Rechtsfolgen für die Überlebenden anordnen wollte.
2/2: Virtuelle Beamtenwitwen
Nachträglich eine echte eheliche Gemeinschaft zu fingieren, hätte unter anderem Vorteile für jene gehabt, die aus nicht ganz fiktiven Beziehungen entstanden waren: Beispielsweise wäre für Söhne von im Krieg getöteten Soldaten, sofern sie die einzigen Söhne waren, eine Befreiung von der Wehrpflicht in den bundesdeutschen Streitkräften in Betracht gekommen. Das Bundesverwaltungsgericht war noch 1966 mit einem solchen Fall befasst.
Die bloß verwaltungsrechtliche Anordnung einer standesamtlichen Eintragung von rechtlich fingierten Ehen erlaubte dagegen dem Nachkriegsstaat eher, in die Rechte einzugreifen, die bei einer echten Ehe starken Bestandsschutz genießen. Beispielsweise standen Versorgungsbezüge "virtueller" Beamtenwitwen eher zur Disposition. Aus diesem Grund wurde das Thema stärker unter Fiskalvorbehalten diskutiert, als es sich die heutigen Beamtenparlamente ausmalen könnten.
In die unklare Rechtslage hinein trafen Gerichte Entscheidungen, deren Tonfall ebenso gruselig ausfiel wie ihr Tatbestand. Das OLG Hamm verneinte mit Urteil vom 23. Januar 1948 beispielsweise, ganz im Sprachgebrauch der Zeit, dass sich das Institut der nachträglichen Eheschließung zum Gewohnheitsrecht habe verdichten können. Der im Krieg gebliebene Soldat hatte 1942 hatte seine Verlobte zur Alleinerbin eingesetzt, postmortal war aber 1944 eine andere Frau zu seiner Gattin erklärt worden, die 1941 ein Kind von ihm geboren hatte (Az. 6 U 496/47). Nach Ansicht des Gerichts fehlte die "kundgebenden Anerkennung der Volksgenossen".
"Ehrbarkeit" der Witwe
Der Bundesgesetzgeber sortierte mit dem "Gesetz über die Rechtswirkungen des Ausspruchs einer nachträglichen Eheschließung" vom 29. März 1951 den okkulten Führerwillen von 1941 unter anderem dahingehend ein, dass die Witwe den Familiennamen des Mannes und Ansprüche auf Kriegsopferversorgung erhalte und etwaige Kinder als eheliche galten. Im Fall eines "ehrlosen oder unsittlichen" Lebenswandels der "virtuellen" Kriegerwitwe konnten Verwandte des zu Tode gekommenen Soldaten darauf klagen, ihr das Führen seines Namens zu untersagen.
Der letztere Aspekt spricht ein Feld an, auf dem sich die Rechtsfragen des postmortalen Lebens in den nächsten Jahrzehnten abspielen sollten: Mit der Vorstellung des Gesetzgebers, dass die Kriegerwitwe "made by law" sich eines würdigen Lebenswandels befleißigen möge, um dem Mannesnamen Ehre zu bereiten, korrespondierte in gewisser Weise die vom Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht etablierte "Mephisto"-Rechtsprechung zum postmortalen Ehrenschutz: Der Geist des noch nicht verblassten Gustaf Gründgens wurde vor künstlerischen Schmähungen bewahrt. Die Ehre überdauert den Tod. Daran muss man seither von Rechts wegen glauben.
Unernste Rechtsfragen zur Postmortalität
Glücklicherweise bräuchte sich die heutige Rechtswissenschaft, sollte sie die Lust an postmortalen Rechtsfragen packen, nicht mit den schaurigen Figuren des letzten großen Krieges befassen. Interessant wären aber andere Fragen aus der Esoterik- und Sektenwelt:
Welche rechtlichen Wirkungen hätte beispielsweise ein Scheidungsurteil im eingangs zitierten Fall der Eheleute Ott, würde ein ausländisches Zivilgericht ihnen attestieren, – dem Grundsatz formaler Prozesswahrheit folgend – tatsächlich seit 5.000 Jahren nach altägyptischem Recht verehelicht gewesen zu sein?
Welchen Angriff auf die postmortale Bekenntnisfreiheit stellt es dar, dass die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage", besser bekannt als Mormonen, auch die Seelen verstorbener Deutscher nachträglich einer "Totentaufe" unterzieht?
Und wie ist es juristisch zu würdigen, wenn Scientologen von sich behaupten, sie seien als Inkarnationen übermenschlicher Außerirdischer in der Gegenwart unterwegs? Wie kann es sein, dass der deutsche Gesetzgeber seit dem 13. Juli 2013 die inländische Tierwelt vor den Nachstellungen Zoophiler schützt (§ 3 Satz 1 Nr. 13 Tierschutzgesetz), uns Menschen aber, die wir unter den Augen kalifornischer "Thetanen" doch sicher nur Insekten sind, nicht vor den Umtrieben außerirdischer Untoter scientologischer Konfession bewahrt?
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln
Martin Rath, Postmortale Rechtsfragen: Gespensterehen . In: Legal Tribune Online, 24.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12976/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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