Erfahrungsbericht zur Strafstation

Auf Nacht­fahrt mit der Polizei

von Tobias HübnerLesedauer: 5 Minuten

In vielen Bundesländern können Referendare während der Strafstation eine Schicht bei der Polizei miterleben. Tobias Hübner rät dazu, diese Chance unbedingt zu nutzen, schon weil sie den Blick für den Alltag schärfe.

Schon zuvor hatten mir Kollegen aus meiner Arbeitsgemeinschaft bereits von ihren Eindrücken berichtet. Wir alle hatten uns dazu entschieden, eine freiwillige Schicht bei der Polizei mitzumachen. Die Anmeldung hierfür war denkbar einfach, denn im Vorfeld wurden wir durch unsere Dienststelle auf das Angebot aufmerksam gemacht. Diese Möglichkeit besteht für Referendarinnen und Referendare in den meisten Bundesländern.

Meine Schicht bei der Polizei beginnt um 19 Uhr. Ich werde freundlich auf der Wache begrüßt, wo mir zunächst die technische Ausstattung erläutert wird - einschließlich der Kaffeemaschine. Die Polizistinnen und Polizisten wirken routiniert, das Angebot nutzen offenbar viele Referendariatskolleginnen und -kollegen.

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Eine gar nicht mal so wilde Schafherde

Ich lerne Felix und Louisa kennen, die mich heute mitnehmen werden. Die ersten Einsätze dieses Abends lassen nicht lange auf sich warten. Über das Funkgerät erreicht uns die Information, dass in einem nahen Wohngebiet Schafe über Straßen und Gehwege gehen sollen. Der Besitzer sei mit der Herde überfordert.

Wir fahren zügig über Land und erreichen ein dreistöckiges Mehrfamilienhaus in ruhiger Lage. Auf dem großzügigen Rasen um das Haus, der ohne Zaun an den Gehsteig grenzt, springen die Tiere umher. In der Nähe beaufsichtigen drei Männer die Schafe. Die Situation wirkt unter Kontrolle. Nach einem kurzen Gespräch klärt sich auf, dass die Schafe in einem umzäunten Bereich hinter dem Haus übernachten sollen. Zuvor seien die Tiere von der Weide hierher gebracht worden. Womöglich sei hierbei der Eindruck entstanden, der Besitzer habe die Kontrolle verloren.

Die Situation wirkt, als gingen keine Risiken für den Verkehr auf den angrenzenden Straßen aus. Ein kurzer Hinweis darauf, dass die drei Männer die Schafe auch weiterhin unter Kontrolle haben müssen, ist in diesem Fall genug. Es geht weiter.

Rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeit statt Allzuständigkeit

Wieder ein neuer Auftrag. In der Nähe soll ein Mann auf dem Gehsteig kriechen. Beim Eintreffen erkennen Louisa und Felix, dass der Mann - nennen wir ihn Harry - ihnen bestens bekannt ist. Nach einem kurzen Gespräch steht fest, dass Harry zwar stark alkoholisiert, wenig steuerungsfähig, aber dennoch friedlich und unverletzt auf dem Gehsteig sitzt.

Bereits das Preußische Oberverwaltungsgericht schränkte mit seinen Kreuzbergerurteilen die Befugnisse der Polizei ein. In diesen rechtshistorisch bedeutsamen Entscheidungen hob das Gericht seinerzeit Maßnahmen des Berliner Polizeipräsidiums auf, die die Höhe zu errichtender Gebäude im Berliner Stadtteil Kreuzberg betrafen. Die Polizei solle sich auf die Gefahrenabwehr beschränken. Mit diesen Urteilen war der Weg frei für eine moderne Polizei. 

So soll die Polizei auch heute Gefahren abwehren und Straftaten verfolgen und nicht mit Mikromanagement in das Leben der Bevölkerung eingreifen. Und Harry? Der sitzt eben auf dem Gehsteig, gefährdet weder sich noch andere. Ein Eingriff durch eine polizeiliche Maßnahme wäre unverhältnismäßig. Bagatellen und subjektiv empfundene Unannehmlichkeiten überschreiten eben die Gefahrenschwelle nicht. Nach einer freundlichen Ansprache, die Nachbarschaftsruhe auch weiterhin zu wahren, brechen wir wieder auf.

Die Ermittlungsarbeit bringt buchstäblich Licht ins Dunkel

Ein kurzes Knacken des Funkgeräts, wieder ein Auftrag. Ein Streit in einer Wohnung soll eskalieren. Die Anwohner melden eine lautstarke Auseinandersetzung. Diese ist deutlich zu hören, als wir aus dem Fahrzeug aussteigen. Nach lautem Klopfen an der Tür öffnet eine Frau. Der Stimme nach war sie offenbar an dem Streit beteiligt. Die Ermittlungen sollen Licht ins Dunkel bringen - im wahrsten Sinn des Wortes, denn die Beleuchtung in der Wohnung ist ausgefallen. Im diffusen Licht der letzten Lichtquelle und zwei Taschenlampen werden die angetroffenen Personen getrennt befragt. Was war passiert? Ist die Frau hier gemeldet? Weshalb gab es Streit?

Den allwissenden Erzähler juristischer Sachverhalte wie zu Universitätszeiten gibt es nicht. Der Sachverhalt steht nicht fest, er entwickelt sich und muss erforscht werden. Nach und nach wird klar, was passiert ist. Dabei treten aber auch Widersprüche und Gegensätzlichkeiten in den Erzählungen auf. Immer wieder fällt die Frau, die deutlich angetrunken ist, unserer Befragung ins Wort.

Während ich noch versuche, das Geschehene zu verstehen und einzuordnen, trifft Felix eine Entscheidung: Der Dame wird ein Platzverweis erteilt. Andere Schritte ergeben wegen der Alkoholisierung keinen Sinn. Sie darf einige Sachen zusammenpacken. Auch hier reagiert sie immer wieder aufbrausend, schreit und wirkt unkoordiniert. Vor Louisa und Felix hat sie jedoch Respekt und verlässt nach einer zweiten Ermahnung die Wohnung. Vor dem Haus wird ihr nochmals erklärt, dass sie sich der Wohnung bis morgen nicht mehr nähern darf. Danach verschwinden sie und ihr kleiner Koffer in der Nacht.

"Eigensicherung beachten": Es wird ernst

Wir steuern wieder die Station an. Durch die Fahrtgeräusche dringt das Rauschen des Funkgeräts. Was ich verstehe: "Häusliche Gewalt" und "Eigensicherung beachten". Während wir nun "beschleunigt dorthin ziehen", wird mir erklärt, dass ein Hinweis auf einen Fall häuslicher Gewalt vorliegt. Der Verdächtige ist für die Polizei wohl kein Unbekannter. Er soll durch den Ortsteil geflüchtet sein und eine Waffe dabei  haben. An Ort und Stelle stehen bereits drei andere Fahrzeuge: Polizeistreifen, die schneller waren. 

Die Gegend ist ein ruhiger Wohnort mit vielen Einfamilienhäusern. Wir treffen dort auf die Geschädigte. Diese wird befragt, erzählt, der Täter sei durch das Wohngebiet in Richtung eines Supermarktes gelaufen, der etwas entfernt liege. Ein Team soll besondere Schutzkleidung anlegen, um den Täter zu verfolgen. In diesem Moment wird die Miene der Polizistinnen und Polizisten ernster und konzentrierter, einige stürmen an mir vorbei. Offenbar eine Nachricht über Funk: Der Täter wurde aufgefunden.

Jedoch nicht wie vermutet weit entfernt, sondern in einer angrenzenden Straße, direkt ums Eck. Eine Hecke verdeckt den Blick, plötzliche, laute Rufe der Einsatztruppe machen klar: Der Täter wird überwältigt. Sie bringen ihn in eines der Polizeifahrzeuge und anschließend auf das Revier. Die Polizistinnen und Polizisten wirken gelöst, vielleicht auch ein wenig zufrieden. Zwei Studenten der Polizei nehmen mit einem Kollegen letzte Personalien auf und befragen die Anwohner.

Zwölf eindrückliche Stunden

Auf dem Weg zurück zur Wache sprechen wir über die weiteren Maßnahmen. Der Bereitschaftsstaatsanwalt muss kontaktiert werden, um weitere Ermittlungsmaßnahmen zu klären. Es ist 02.15 Uhr. Der weitere Verlauf des Morgens ist für Felix und Louisa geprägt durch das Anfertigen der Berichte. Ich kann daher in einem anderen Streifenwagen mitfahren: Ein erneuter Einsatz wegen häuslicher Gewalt, eine Erkundungsfahrt wegen eines Rehs, ein Betrunkener an einer Bushaltestelle, eine verwirrte Frau vor einem Seniorenheim und ein Streit zwischen Betrunkenen an einer Tankstelle.

Um 06.30 Uhr, nach fast zwölf Stunden, ist die Schicht vorbei. Bei der Heimfahrt kämpfe ich mit der Müdigkeit. Übrig bleiben die Erlebnisse der Nacht und der Eindruck, hier Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Uniform begegnet zu sein, die mit Erfahrung und gutem Judiz vorgehen und dabei die Menschen hinter den Maßnahmen nicht aus dem Blick verlieren.

Der Autor ist Rechtsreferendar in Hessen und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dentons Europe. Er absolviert derzeit seine Strafstation beim OLG Frankfurt(Main). Er dankt der hessischen Polizei für die Möglichkeit der Teilnahme und den Beteiligten Polizistinnen und Polizisten für die freundliche, temporäre Aufnahme in die Dienstgruppe.

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