Der BGH wird darüber entscheiden, wie weit das Zitatrecht bei Exklusivberichten reicht. Außerdem in der Presseschau: Anklage gegen SS-Funkerin, mit App zu erfolgreicher Strafjustiz und Beihilfe zum Landesverrat künftig straffrei?
Thema des Tages
BGH – Zitatrecht bei Exklusivberichten: Am morgigen Mittwoch wird der Bundesgerichtshof darüber entscheiden, inwieweit Exklusivberichte zitiert werden dürfen. Geklagt hatte der Sender Sat.1 gegen die Produzenten der Vox-Sendung "Prominent", welche Teile aus einem Exklusivinterview mit der Ex-Frau von Lothar Matthäus, Liliana, sendeten, obwohl Sat.1 dies untersagt hatte. Das Urheberrecht schützt grundsätzlich Exklusivberichte. Es verbietet allerdings nicht, Teile dieser Beiträge "zur Berichterstattung über Tagesereignisse" "in einem durch den Zweck gebotenen Umfang" zu nutzen, so § 50 des Urheberrechtsgesetzes. Die Vorinstanzen hatten der Klage von Sat.1 stattgegeben. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet im Ressort Medien und fasst ähnliche Fälle zusammen.
Rechtspolitik
Asylrecht: Die Koalition hat sich am vergangenen Wochenende auf eine Reform des Asylrechts geeinigt und einige Punkte entschärft, so Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). zeit.de stellt kurz den überarbeiteten Entwurf vor. So solle nur noch abgelehnten Asylbewerbern mit definitiver Ausreiseverpflichtung und Flüchtlingen, die nach einem Verteilverfahren in einem anderen EU-Land unterkommen sollen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz versagt und lediglich Reisebedarf zugeteilt werden. Das Grundrecht auf Asyl solle nicht geändert werden. Auch die FAZ (Günter Bannas/Jasper von Altenbockum) berichtet.
Flüchtlingspolitik: Am heutigen Dienstag wollen die EU-Innenminister darüber entscheiden, ob 120.000 Flüchtlinge nach einem speziellen Schlüssel auf die EU verteilt werden sollen. Da einige Staaten sich weiterhin dagegen aussprechen, könnte eine Mehrheitsentscheidung in Frage kommen, welche ihrerseits eine politische Krise herbeiführen könnte, schreibt die SZ (Thomas Kirchner). Strittig sind auch die Ausnahmeregelungen eines solchen Verteilungsmechanismus. Laut spiegel.de (Markus Becker) sei nicht anzunehmen, dass sich die Innenminister auf eine Quote einigen werden. Da allerdings auch eine Mehrheitsentscheidung eher unwahrscheinlich sei, werde die Flüchtlingskrise wohl weiter andauern.
Vergaberecht: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die Bundesländer dazu angehalten, das Vergaberecht zu lockern und so die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zu beschleunigen. Wie das Handelsblatt (Heike Anger) schreibt, sei die Auftragsvergabe derzeit "bürokratisch und langwierig", die Flüchtlinge benötigten allerdings kurzfristig Hilfe. Der Beitrag beschreibt das "Flüchtlingsvergaberecht" verschiedener Bundesländer und mahnt, Beschleunigungen im Vergaberecht könnten Transparenz und Wettbewerb einschränken.
Heike Anger (Handelsblatt) moniert, es sei "über Jahre hinweg versäumt worden, den Beschaffern der Republik ein praktikables Vergaberecht an die Hand zu geben". Ein einheitliches Vergabegesetzbuch wäre ein "echter Fortschritt" – dies würde allerdings regelmäßig durch Auftragnehmer verhindert. Auch das geplante "Vergaberechtsmodernisierungsgesetz" trüge nicht zu einer "Entbürokratisierung" bei.
Prostituiertenschutzgesetz: Verschiedene Verbände üben Kritik an dem geplanten Prostituiertenschutzgesetz – diese reicht von "Warnungen vor einer Stigmatisierung von Prostituierten über hohe Kosten für Kommunen bis zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit". Insbesondere wird die geplante Anmeldepflicht beanstandet. SZ (Constanze von Bullion) und FAZ (Mechthild Küpper) fassen die Kritik zusammen.
"Wer denkt sich solchen Unfug aus?", fragt sich Constanze von Bullion (SZ) angesichts der geplanten Anmeldepflicht und gibt den Verbänden Recht mit ihrer Kritik. Es bestünde die Gefahr, dass kriminelle Zuhälterringe die Prostituierten "brav anmelden", wohingegen Prostituierte, die anonym bleiben wollen, versuchen werden "wegzutauchen".
Straffreie Beihilfe zum Landesverrat: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, die Beihilfe zum Landesverrat künftig nicht mehr unter Strafe zu stellen. Er befürwortet, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen die Betreiber von netzpolitik.org eingestellt hat und setzt sich mit entsprechenden Gesetzesänderungen auseinander, meldet die SZ.
Justiz
BVerfG zu Fraktionsfinanzierung: "Die Angst der Richter vor der Macht" nennt Hans Herbert von Arnim seine Streitschrift gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten "verdeckten Parteienfinanzierung". Die Organklage von ÖDP und von Arnim hatten die Karlsruher Richter als unzulässig abgelehnt. Die SZ (Wolfgang Janisch) greift dessen Kritik auf und erklärt, warum es in eine "verfassungsrechtliche Grauzone" führe, wenn Abgeordnetenmitarbeiter in Wahlkreisen auch Parteipolitiker beim Wahlkampf unterstützen. Das BVerfG hätte sich auch dazu entschließen können, die Klage zuzulassen – fraglich sei allerdings, ob sie auch Erfolg gehabt hätte.
GenStA Schleswig-Holstein – SS-Funkerin: Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein hat eine ehemalige SS-Frau wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 260.000 Fällen angeklagt, meldet zeit.de. Sie soll als Funkerin in Auschwitz bei der systematischen Ermordung der Juden Hilfe geleistet haben – dies könnte der letzte Auschwitz-Prozess sein. Der Beitrag weist zudem darauf hin, dass im Fall Gröning letztlich eine Entscheidung über die Haftfähigkeit aussteht, vorausgesetzt der Bundesgerichtshof bestätigt die Freiheitsstrafe im Revisionsverfahren.
LG Lüneburg – Auschwitzprozess: Wie ndr.de informiert, hat das Landgericht Lüneburg die schriftliche Begründung seines Urteils gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning veröffentlicht. Nebenklagevertreter und Verteidigung haben nun einen Monat Zeit, um ihre Revisionsgründe auszuführen – fünf Anwälte der Nebenklage sowie die Verteidigung hatten Revision gegen die Entscheidung eingelegt.
Wenn der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Lüneburg bestätigt, wäre dies ein Zeichen für ein "Umdenken in der Rechtspraxis", konstatiert zeit.de (Werner Renz), denn dann würden auch Hilfsbedienstete in Auschwitz behandelt, wie Gehilfen in "reinen Vernichtungslagern", etwa Sobibór. Auch die "vermeintlichen kleinen Rädchen in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis" müssten sich dann wegen Beihilfe zum Mord verantworten.
LG Hamburg – Mutter vergiftet Sohn: Vor dem Landgericht Hamburg hat der Strafprozess gegen eine Mutter begonnen, die ihrem Sohn im Jahr 2013 mehrfach verschiedene Stoffe zugeführt haben soll, in der Absicht, ihn krank zu machen. Gemäß § 171a des Gerichtsverfassungsgesetzes wird das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, da in auch in Frage steht, ob die Angeklagte in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden soll, so spiegel.de.
LG Bamberg – Missbrauch durch Chefarzt: Ein ehemaliger Chefarzt des Klinikums Bamberg soll zwölf Frauen betäubt und sexuell missbraucht haben. In dem Strafprozess vor dem Landgericht Bamberg sagte nun die Hauptbelastungszeugin aus. Sie gab an, dem Angebot des Angeklagten, bei einer Studie teilzunehmen, nachgekommen zu sein – bei dem Termin, sei sie durch das von ihm verabreichte Mittel bewusstlos geworden und könne sich nicht mehr an den weiteren Verlauf erinnern. Eine Blutprobe solle ergeben haben, dass sich ein Hypnotikum in ihrem Blutkreislauf befand. Die SZ (Annette Ramelsberger) resümiert die Aussage.
StA Zweibrücken – Tod durch US-Drohne: Ein somalischer Kamelhüter starb im Februar 2012 durch einen US-Drohnenangriff. Die Open Society Justice Initiative wird in den kommenden Tagen im Namen seines Sohnes Strafanzeige gegen amerikanisches und deutsches Personal der Militärstützpunkte Ramstein und Stuttgart bei der Staatsanwaltschaft Zweibrücken stellen. Sie wirft den Verantwortlichen gemeinschaftlich begangenen Mord und eine gemeinschaftliche begangene Sprengstoffexplosion vor, teilt die SZ (Hans Leyendecker/John Goetz – erweiterte sz.de-Fassung) mit. Zudem werde die Initiative eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Bundesrepublik einreichen.
Recht in der Welt
Frankreich – "Recht auf Vergessenwerden": Die französische Datenschutzbehörde CNIL hat eine informelle Beschwerde des Suchmaschinenbetreibers Google abgelehnt; das Unternehmen hatte sich dagegen gewehrt, Löschanfragen auch für google.com stattzugeben. Nachdem der Europäische Gerichtshof das "Recht auf Vergessenwerden" für europäische Google-Versionen manifestierte, meint CNIL, dass Gleiches auch für google.com gelten müsse und drohte Google mit einer Geldstrafe in Höhe von 150.000 Euro, wenn es entsprechenden Löschanfragen nicht nachkomme, melden spiegel.de und FAZ (Joachim Jahn).
Frankreich – Arbeitnehmerdiskriminierung: Die französische Staatsbahn (SNCF) muss an 832 Mitarbeiter eine Entschädigung von je 200.000 Euro wegen Diskriminierung bezahlen. Das Unternehmen hatte in den 70er Jahren marokkanische Mitarbeiter angestellt, ihnen allerdings grundsätzlich keine Aufstiegschancen ermöglicht – zudem blieb den Betroffenen eine Bezahlung nach den Lohnkategorien des öffentlichen Dienstes verwehrt. Die taz (Rudolf Balmer) berichtet über den "historischen Erfolg" der Arbeitnehmer.
Brasilien – verfassungswidrige Parteispenden: Das Oberste Gericht Brasiliens hat Parteispenden von Unternehmen für verfassungswidrig erklärt; sie beeinflussten "den politisch-demokratischen Prozess in negativer Weise". Die taz (Andreas Behn) schreibt über die Bedeutung des Urteils, insbesondere angesichts des Korruptionsskandals um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobas.
Ungarn – Armee zur Grenzsicherung: Das ungarische Parlament hat beschlossen, die Befugnisse der Polizei und des Militärs gegen Flüchtlinge zu erweitern. So sollen Soldaten dazu eingesetzt werden, die Grenze zu sichern. Schüsse seien erlaubt, solange sie nicht tödlich sind. Die Polizei soll Wohnungen durchsuchen dürfen, wenn ein "Notstand wegen massiver Einwanderung" besteht und die Beamten illegale Flüchtlinge vermuten. zeit.de schildert die ungarischen Maßnahmen in der Flüchtlingskrise.
Sonstiges
"Eyewitness-Projekt": Jeder Bürger soll künftig mit einer Smartphone-App in der Lage sein können, Beweismaterial zu erzeugen, das den Anforderungen eines Kriegsverbrecher-Prozesses entspricht. Im "Eyewitness-Projekt" haben die International Bar Association und ein ehemaliger Ankläger der UN-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda eine App entwickelt, die auch die für das Verfahren relevanten Metadaten, wie GPS-Koordinaten und Zeitpunkt der Aufnahme, festhält. lto.de (Benjamin Dürr) informiert.
VW täuscht über Abgaswerte: Der Autokonzern VW hat in den USA Dieselfahrzeuge vertrieben, welche mit einer Software ausgerüstet waren, die bei Tests günstige Abgaswerte vortäuschte. Die SZ (Heribert Prantl) legt dar, dass es sich hierbei um Betrug handelt und schildert, mit welchen rechtlichen Konsequenzen VW zu rechnen hat. So könnten in den USA auch juristische Personen als solche angeklagt werden und müssten mit hohen Geldstrafen rechnen. Im deutschen und EU-Recht komme vorrangig das Ordnungswidrigkeitenrecht zur Anwendung – allerdings erwarteten die Unternehmen hier hohe Bußgelder.
Auch das Handelsblatt (Thomas Jahn) spekuliert über die rechtlichen Folgen für den Autokonzern und verweist auf ähnliche Fälle. Das US-amerikanische Luftreinheitsgesetz sei hier eindeutig und VW müsse mit Sanktionen in Höhe von 18 Milliarden Dollar rechnen. Zudem werde das Justizministerium wohl auch strafrechtlich gegen VW vorgehen.
Das Letzte zum Schluss
Wenn die Wiesn rufen: Ein 17-Jähriger im Jugendarrest der JVA Stadelheim hatte wohl gehörige Lust auf eine Maß, denn selbst die Gefängnismauern schreckten ihn nicht davon ab, sich auf den Weg zum Oktoberfest zu machen. Weit kam er allerdings nicht. Er schaffte es zwar aufs Dach, musste aber, nachdem er sich bis auf die Unterhose ausgezogen hatte, feststellen, dass seine Kleidung nicht reichte, um sich 18 Meter abzuseilen. Zu seinem Glück ändert der Ausbruchsversuchs nichts an der Dauer seines Arrests, also muss sich die Feierlaune "nur" bis zum kommenden Samstag halten. focus.de zeichnet den missglückten Ausbruch nach.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. September 2015: Zitatrecht bei Exklusivberichten – Straffreie Beihilfe zum Landesverrat – letzter Auschwitzprozess? . In: Legal Tribune Online, 22.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16965/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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