Der EGMR hat die neue Regelung zur rückwirkenden Sicherungsverwahrung gebilligt. Außerdem in der Presseschau: 2016 wird es vier weitere Auschwitzprozesse geben, Affe Naruto hat kein Urheberrecht und ein Nackter auf einem Winterbalkon.
Thema des Tages
EGMR zu rückwirkender Sicherungsverwahrung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach den Regeln des Therapieunterbringungsgesetzes auch für Altfälle mit der Menschenrechtskonvention (MRK) vereinbar ist. Die nach dem Urteil des EGMR von 2009 geschaffene Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung psychisch Kranker sei Grundlage für einen "rechtmäßigen" Freiheitsentzug "auf gesetzlich vorgeschriebene Weise" und aufgrund der Ausrichtung auf Behandlung liege in diesen Fällen keine Strafe vor. Daher werde weder gegen Art. 5 noch Art. 7 der MRK verstoßen. Es berichten FAZ (Helene Bubrowski), SZ, Tsp (Jost Müller-Neuhof), spiegel.de und lto.de.
Rechtspolitik
Vergewaltigungsstrafrecht: Das Kanzleramt hat – bereits kurz vor Weihnachten – nun doch den Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas zur Verschärfung des Vergewaltigungsstrafrechts an Länder und verbände weitergeleitet. Zwar soll nach dem Entwurf nicht "Nein heißt Nein" strafrechtlich relevant werden, aber einige Schutzlücken geschlossen werden, berichtet die taz (Christian Rath).
Silvesterübergriffe: Hinsichtlich der Übergriffe in der Silvesternacht beschreiben SZ (Wolfgang Janisch), Tsp (Jost Müller-Neuhof) und BadZ (Christian Rath) die geltende Rechtslage zur Ausweisung und Abschiebung straffälliger Asylbewerber und anerkannter Flüchtlinge. spiegel.de und Welt (Robin Alexander) fassen die Forderungen der CDU nach Ausweitung des Strafrechts zusammen, die am Samstag in Mainz verabschiedet werden sollen.
Heribert Prantl (SZ) meint "Abschiebediskussion ist Ablenkungsdiskussion; sie schiebt Verantwortung ab." Thomas Stadler (internet-law.de) kritisiert die mediale Debatte und meint, das Strafrecht bedürfe keiner populistisch gestützten Verschärfung.
Mindestlohn: Die Einführung der von Arbeitgeberseite geforderten Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose hält Bundesarbeitsgerichtspräsidentin Ingrid Schmidt im Hinblick auf den Gleichheitssatz für schwer begründbar, schreibt lto.de. Zur bisherigen, seit einem Jahr gültigen, Mindestlohnregelung seien wenige Klagen anhängig, die Rechtslage sei nicht kompliziert.
Bezuschussung künstlicher Befruchtung: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hat mit sofortiger Wirkung die staatliche Bezuschussung von künstlicher Befruchtung auch auf unverheiratete Paare ausgeweitet, berichten SZ (ada) und zeit.de.
Justiz
BVerfG – Preisanpassung bei Gasgrundversorgung: Im Streit um das Preisanpassungsrecht der Grundversorger versuchen die Kläger über eine Verfassungsbeschwerde eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu erzwingen. Nachdem der Europäische Gerichtshof die per Verordnung geregelte Preisanpassung für unionsrechtswidrig erklärt hatte, hatte der Bundesgerichtshof sie durch ergänzende Vertragsauslegung wieder eingeführt. Die Vereinbarkeit dieser Lösung mit Unionsrecht hätte der BGH aber per Vorlage durch den EuGH entscheiden lassen müssen und habe so das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, argumentieren die Kläger laut derenergieblog.de.
OLG Koblenz zu Werbung "in limitierter Stückzahl": Auch mit dem Zusatz "nur in limitierter Stückzahl" müsse ein beworbenes Angebot für "angemessene Zeit" tatsächlich verfügbar sein, entschied das Oberlandesgericht Koblenz in einem nun veröffentlichten Urteil, melden lto.de und spiegel.de. Der im zu entscheidenden Fall angebotene Staubsauger war vier Minuten nach Beginn des Onlineverkaufs bereits nicht mehr erhältlich und damit die Werbung unzulässig.
OLG Lüneburg – Ethihad/AirBerlin: Im Verfahren um Codesharing Flüge von Ethihad und AirBerlin hat Ethihad eine weitere Verlängerung der bis zum 15. Januar geltenden Erlaubnis beim Oberlandesgericht Lüneburg beantragt, mit dem Argument, es sollten dem Kunden Unannehmlichkeiten erspart werden. In der gleichzeitig eingereichten Begründung für die zu Wochenbeginn eingereichte Beschwerde gegen das Verbot des Codesharings stützt sich Ethihad insbesondere darauf, dass das Bundesverkehrsministerium unberechtigter Weise eine bisherige gemeinsame Auslegung des maßgeblichen Abkommens einfach geändert habe, berichtet das Hbl (Jens Koenen).
LG Leipzig – SachsenLB-Prozess: Vor dem Landgericht Leipzig beginnt am heutigen Freitag der Prozess gegen die ehemaligen Vorstände der SachsenLB, Stefan Leusder und Herbert Süß. Sie sollen dem Aufsichtsrat, den Eigentümern sowie der Bafin Risiken verschwiegen, Jahresabschlüsse gefälscht und einen Schaden im dreistelligen Millionenbereich verursacht haben, berichtet das HBl (Elisabeth Atzler/Volker Votsmeier). Es werde wohl ein "Mammutverfahren" geben, 50 Termine seien bis Ende des Jahres angesetzt.
LG Berlin – Facebook-Erbe: Auch blog.beck.de (Hans Otto Burschel), FAZ (Joachim Jahn) und lto.de schreiben nun zum Urteil des Landgerichts Berlin, nach dem Eltern das Facebookkonto ihres verstorbenen Kindes erben.
LG Frankfurt – Deutsche Bank-Prozess: Zu dem am 15. Februar beginnenden Prozess gegen sieben ehemalige bzw. suspendierte Mitarbeiter der Deutschen Bank, wegen eines Umsatzsteuerkarusells beim Handel mit CO2-Zertifikaten, das die Bänker mutmaßlich unterstützten, schreiben nun auch Hbl (Laura de la Motte) und FAZ (Joachim Jahn). Gegen 15 weitere Deutschbanker – u.a. Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen und Ex-Finanzvorstand Jürgen Krause – wird noch ermittelt.
LG Frankfurt – S&K-Prozess: Der Prozess gegen die Geschäftsführer der Anlagefirma S&K wird am 11. Januar fortgesetzt, schreibt die SZ. Dann sind die letzten 77 Seiten der längsten Anklageschrift der bundesdeutschen Rechtsgeschichte zu verlesen, sie umfasst 1760 Seiten.
Auschwitzprozesse: In diesem Jahr werden wohl vier weitere Prozesse wegen Beihilfe zum Mord durch Tätigkeiten im Konzentrationslager Auschwitz stattfinden. In den Prozessen gegen zwei Männer, vor den Landgerichten Detmold und Neubrandenburg, ist das Hauptverfahren bereits eröffnet. In zwei Prozessen gegen einen Mann und eine Frau, vor den Landgerichten Hanau und Kiel, steht die Eröffnungsentscheidung noch bevor. In beiden Fällen wird vor Jugendkammern verhandelt, weil die Beschuldigten zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt waren, berichtet die taz (Klaus Hillenbrand).
Recht in der Welt
Polen – Verfassungskrise: Mit den Entwicklungen in Polen, insbesondere hinsichtlich des Verfassungsgerichts, befasst sich die Habilitandin Paulina Starski auf juwiss.de. In englischer Sprache vertritt sie die Ansicht, die aktuelle Krise und das Aufbegehren der Bevölkerung sowie des Verfassungsgerichts könne auch eine Chance für Polen sein, die nun umkämpften Verfassungswerte wirksam zu verinnerlichen. Es handelt sich um Teil I eines fortzusetzenden Textes.
Wie u.a. spiegel.de meldet, hat der polnische Präsident das umstrittene Mediengesetz nun unterzeichnet.
USA – tierisches Urheberrecht: Ein US-Gericht hat die von der Tierschutzorganisation PETA erhobene Klage, auf Anerkennung des Urheberrechts des Affenweibchens Naruto an den von ihr geschossenen Selfis, abgewiesen, melden u.a. spiegel.de und FAZ. Der Gesetzgeber könne Rechte auf Tiere erweitern, es bestünden jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass dies beim Urheberrecht geschehen sei, so das Gericht.
USA/GB – Manipulierter Anleihenkauf: Wegen vermutlicher Manipulationen an Preisen für Staatsanleihen und Papieren, die von staatsnahen Banken wie der KfW Bankengruppe und der Europäischen Investmentbank herausgegeben wurden, ermittelt die US-Justiz mit Hilfe der britischen Finanzaufsicht FCA. Die Ermittlungen richten sich primär gegen einzelne Händler, wohl wegen befürchteter Destabilisierung des Finanzsystems durch hohe Bankenbußen, berichtet das HBl (K. Slodczyk/F. Wiebe), was Daniel Schäfer (Hbl) kritisiert. Es müsse weiterhin auch gegen die Banken selbst vorgegangen und Strafen verhängt werden, weil die wiederholten Manipulationen nur mit mangelnder Kontrolle oder gar willentlicher Unterstützung der Institute geschehen könnten.
USA – VW: Wegen unterschiedlicher Grenzwerte, speziell für Stickoxide, könnten deutsche VW-Kunden dort mit Nachrüstungen abgespeist werden, wo US-Kunden ein Rückkauf der Wagen durch VW ermöglicht werde. Je aufwendiger der Umbau, desto eher werde der Rückkauf für den Autobauer die günstigere Variante. Sollte durch den Umbau die Leistung zu stark abfallen oder der Verbrauch steigen hätten Kunden in jedem Fall ein Recht den Wagen zurückzugeben, auch in Deutschland, wo bei 10 Prozent höherem Verbrauch ein erheblicher Mangel vorliegt, der zum Rücktritt berechtigt, schreibt die Welt (Nikolaus Doll/Philipp Vetter).
Sonstiges
BAG-Präsidentin zu Tarifeinheit: Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, äußert sich im Kurzinterview mit nwzonline.de (Annett Gehler) zum Tarifeinheitsgesetz. In manchen Fällen, etwa hinsichtlich der Pilotengewerkschaft Cockpit, könne das Gesetz nicht wirken, weil es zu anderen Gewerkschaften keine Überschneidungen gebe. Die Schwierigkeiten schon bei der Feststellung von Mehrheitsverhältnissen in Betreiben seien "mit den Händen zu greifen". Insofern erwarte die Arbeitsgerichtsbarkeit das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetz mit Spannung.
Datenschutz bei Google: Der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert eine Unterlassungserklärung von Google, sonst werde Klage erhoben, berichtet lawblog.de (Udo Vetter). Ohne spezifische Einwilligung der Nutzer dürfe Google keine E-Mail Inhalte automatisiert scannen, um Werbung besser personalisieren zu können. Auch eine Klausel, nach der nur für die Weitergabe sensibler persönlicher Daten eine gesonderte Einwilligung erforderlich ist, sei unzulässig. Die Unterscheidung in sensible und nicht sensible personenbezogene Daten gebe es nach deutschen Datenschutzrecht nicht.
Online-Streitbeilegung: Ab dem morgigen Samstag tritt die Informationspflicht über die EU-Plattform zur Online Streitbeilegung in Kraft. Unternehmer, die mit Verbrauchern handeln, müssen zu dieser Plattform "leicht zugänglich" verlinken, obwohl die Plattform erst ab dem 15. Februar verfügbar sein wird, berichtet beckmannundnorda.de (Markus Beckmann).
Das Letzte zum Schluss
Einer, der es aushält: Die Polizei in Bad Hersfeld wurde gerufen, weil sich ein Anwohner sorgen machte, dass der nackte Mann, den er auf einen Balkon stehen sah, erfrieren würde. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass es sich um eine Schaufensterpuppe handelte. Der wurde dann etwas angezogen, um weiteren besorgten Anrufen vorzugreifen, schreibt die taz.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. Januar 2016: EGMR zu Sicherungsverwahrung / vier Auschwitzprozesse / kein Affen-Urheberrecht . In: Legal Tribune Online, 08.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18073/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag