Keine Drosselung bei Flatrates, Telekom-Klauseln sind nach LG-Urteil unwirksam. Außerdem in der Presseschau: Edward Snowden in Deutschland, Freiheitsbegriff in Europa und den USA, Coffeeshop in Kreuzberg, BSG zu Leistungskürzungen für Asylbewerber, LG Bonn zu Kundus und Sex auf der Dienstreise.
Thema des Tages
LG Köln zu Drosselklauseln: Die Deutsche Telekom wirbt mit Flatrates für den Internetzugang aus dem Festnetz, verwendet aber seit Mai Klauseln, nach denen die Surfgeschwindigkeit eingeschränkt ist. Auf eine Klage der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hin hat das Landgericht Köln dieser Praxis nun ein Ende gesetzt und die Klauseln für unwirksam erklärt.
Der Durchschnittskunde verbinde mit dem Flatrate-Begriff einen Festpreis für eine bestimmte Surfgeschwindigkeit und rechne nicht mit Einschränkungen, zitiert die FAZ (Joachim Jahn) das Gericht. Die Klausel sei überraschend und unwirksam, erklärt Thomas Stadler (internet-law.de). Nach dem Bericht des Handelsblatts (Christoph Schlautmann) wird die Telekom "voraussichtlich" Berufung einlegen. Varinia Bernau (SZ) begrüßt die Entscheidung als "Sieg für den Verbraucher."
Markus Beckedahl (netzpolitik.org) verbindet seinen Bericht mit einem Aufruf zur gesetzlichen Festschreibung der sogenannten Netzneutralität.
Rechtspolitik
PKW-Maut: Nach Darstellung der SZ (Daniela Kuhr/Michael Bauchmüller) steht die EU-Kommission einer PKW-Maut nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. In einem der Zeitung vorliegenden Schreiben des EU-Verkehrskommissars Siim Kallas sei ausgeführt, dass eine Senkung der KfZ-Steuer "bei gleichzeitiger Erhebung angemessener Nutzungsgebühren für alle Nutzer" keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstelle. Auch spiegel.de (Peter Müller) berichtet.
Asyl für Snowden: Die Möglichkeiten, dem Whistleblower Edward Snowden in der Bundesrepublik Asyl zu gewähren, lotet lto.de (Constantin van Lijnden) aus. Experten sähen entgegen bisherigen Stellungnahmen der Bundesregierung durchaus Chancen etwa für eine Aufenthaltserlaubnis, auch ein etwaiger Auslieferungsantrag der USA müsse dem nicht entgegen stehen: Das Bundesamt für Justiz besitze die Möglichkeit, sich über eine gerichtliche Auslieferungsentscheidung hinwegzusetzen. Hierzu bedürfe es aber – bislang noch nicht erwiesenen – politischen Mutes.
In einem Kommentar zur Ladung Snowdens als Zeuge eines Untersuchungsausschusses meint Jasper von Altenbockum (FAZ), dass der angemessene Ort für Aufklärung der von ihm enthüllten Affäre das Parlamentarische Kontrollgremium sei. Die designierten Koalitionsparteien wüssten dies, fürchteten aber, dass Linke und Grüne vor das Bundesverfassungsgericht ziehen würden, um "Minderheitsrechte einzuklagen."
Datenüberwachung: Nach Stefan Ulrich (SZ) bestätigt die Überwachungsaffäre den "derben Pragmatismus", mit dem die USA seit Jahren "vermeintlich beste Freunde brutal vor den Kopf stoßen." Beim Streit über die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs oder dem im Gefangenenlager Guantanamo eingerichteten "Unrechtsregime" - gegen die ein abgehörtes Kanzler-Handy wie eine "Petitesse" erschienen – habe sich erwiesen, dass die Vereinigten Staaten einen anderen Freiheitsbegriff als Europa pflegten. Von der Maxime eines Sicherheitsstaates lasse sich das Land auch nicht durch die aktuelle, internationale Empörung abbringen.
Diesen Befund stützt ein Interview, das Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) mit dem US-amerikanischen Rechtsprofessor Russel Miller führt. In den USA zögerten die Gerichte, staatliche Sicherheitsmaßnahmen für justiziabel zu halten. Dies stehe im eigentümlichen Widerspruch zur dort etablierten verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Gesetzen.
Bernd Pickert (taz) kommentiert, dass auch in Europa über die bei Eingriffen in Grundrechte erforderliche Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen und bürgerlichen Freiheitsrechten nicht in einer offenen Debatte entschieden werde. Regierungen übernähmen diese Aufgabe "im Geheimen."
Vorratsdatenspeicherung: Die NSA-Affäre behindert nach Darstellung der taz (Christian Rath) auch die geplante Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD. In Umsetzung des Bundesverfassungsurteils aus dem Jahr 2010 werde von der neuen Regierung eine Beschränkung der Datenspeicherung nur zum Schutz "überragend wichtiger Rechtsgüter" erwartet, zudem eine Verkürzung der Speicherdauer auf drei Monate.
Coffeeshop: Voraussichtlich im kommenden Monat wird die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg über einen Antrag zur Einrichtung eines Coffeeshops am Görlitzer Park abstimmen. Nach Beratungen mit Anwohnern und Experten könnte dann im nächsten Jahr ein Antrag auf eine bislang noch nie erteilte Ausnahmegenehmigung beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte eingereicht werden, schreibt die taz-Berlin (S. Heiser/A. Lang-Lendorff) und fasst die Argumente Pro (Konrad Litschko) und Contra (Bert Schulz) einer öffentlichen Einrichtung zum Verkauf von Marihuana zusammen.
Justiz
BVerfG zu ZDF: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet nun in ihrem Medien-Teil über die für den 5. November terminierte Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die Klage Hamburgs und Rheinland-Pfalz´ wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Staatsfreiheit bei der Zusammensetzung von Fernseh- und Verwaltungsrat des Zweiten Deutschen Fernsehens. Eine Reform der Aufsichtsgremien sei schon aus tatsächlicher Sicht notwendig, während der Bund der Vertriebenen vertreten sei, hätten migrantische Organisationen keinen Sitz. Das im nächsten Jahr erwartete Urteil biete hierfür Gelegenheit.
BSG zu Asylrecht: Einer abgelehnten Asylbewerberin können Leistungen nicht gekürzt werden, weil sie sich weigert, eine Erklärung zu unterschreiben, nach der sie freiwillig in ihre Heimat zurückkehre. Dies entschied nach Meldung von lto.de das Bundessozialgericht. Die Erklärung sollte gegenüber der Botschaft von Mali erfolgen, sie könne nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht erzwungen werden.
LG Stuttgart zu Doping-Betrug: Rechtsanwalt Johannes Arnhold analysiert für lto.de das Urteil des Landgerichts Stuttgart, mit dem der überführte Doping-Sünder Stefan Schumacher vom Vorwurf des Betruges gegenüber seinem Teamchef freigesprochen wurde. Der Sportrechtsexperte ist der Ansicht, dass das Verfahren gegen den Radsportler die "mangelnde Kompatibilität von Betrugstatbestand und Dopingvergehen" bewiesen habe. Als Konsequenz sei eine Strafnorm zu schaffen, die das Selbstdoping zumindest im Profisport bestraft und damit den freien sportlichen Wettbewerb schützt.
LG Bonn zu Bombenangriff von Kundus: Die taz (Christian Rath) berichtet über einen Musterprozess vor dem Landgericht Bonn, bei dem Hinterbliebene von Opfern des Bombenangriffs von Kundus im Jahre 2009 Schadensersatz von der Bundesrepublik verlangen. Die Sichtung von Bildmaterial habe keine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben, ob der befehlshabende Bundeswehr-Oberst erkannte, dass sich unter den späteren Opfern auch Zivilisten befunden haben. Das Gericht prüfe, ob ihm fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen sei, nur dann werde der Prozess fortgesetzt. Ein weiterer Beitrag der taz (Christian Rath) zeichnet die politischen und strafrechtlichen Konsequenzen des Bombardements nach. Nach dem Bericht der SZ (Bernd Dörries) sei es als Erfolg zu werten, dass der Prozess überhaupt in die Beweisaufnahme eingetreten ist.
LG Frankfurt – Kachelmann: Vor dem Landgericht Frankfurt verklagt der Moderator Jörg Kachelmann seine frühere Geliebte Claudia D. auf 13.000 Euro Schadensersatz. Die Summe soll Kosten von Gutachtern ersetzen, die Kachelmann zur Verteidigung in seinem Strafverfahren wegen Vergewaltigung anfertigen ließ, berichtet die FAZ (Denise Peikert) in ihrem Frankfurt-Teil.
Gustl Mollath: In Frage-und-Antwort-Form gibt die SZ (Olaf Przybilla/Uwe Ritzer) in ihrem Bayern-Teil Auskunft zur Situation Gustl Mollaths. "Akribisch" bereite der sich auf das voraussichtlich im Frühjahr beginnende Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Regensburg vor, bei dem mit einem Freispruch zu rechnen sei, die theoretische Möglichkeit einer erneuten Zwangseinweisung gleichwohl bestehe.
Sportrecht: In einer Petition haben sich mehrere Spitzensportler gegen die sogenannte Schiedsgerichtsvereinbarung ausgesprochen, nach der in Streitfällen, insbesondere Doping-Verfahren die ordentliche Gerichtsbarkeit ausgeschlossen ist. Die Kritik an der für Athleten verpflichtenden Erklärung geht auf eine Initiative der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein zurück, schreibt die SZ (Johannes Aumüller), und könnte von ihr in ihrer vor dem Landgericht München angestrengten Schadensersatzklage wegen einer Doping-Sperre benutzt werden.
Markus Völker (taz) kommentiert, dass die Autonomie des Sports Sportler nicht entrechte, sondern vielmehr dazu beitrage, Rechtsfälle durch international verbindliche Standards zu verhindern. Betroffene Sportler könnten zudem immer noch auf die Unterstützung ihrer Verbände, denen daran gelegen sei, möglichst wenige Doping-Fälle zu produzieren, zählen.
Recht in der Welt
Ägypten – Mursi: In der kommenden Woche soll in Ägypten gegen den gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi wegen Anstiftung zum Mord von Demonstranten verhandelt werden. Das Berufungsverfahren gegen Mursis Vorgänger Hosni Mubarak finde derweil nur noch wenig Aufmerksamkeit, schreibt die Zeit (Andrea Böhm) und berichtet über die Stimmung im Land. Ein Satiriker, der während der kurzen Regentschaft der Muslimbrüder verhaftet wurde, ist erneut wegen Beleidigung angezeigt worden: Er habe den entstehenden Personenkult um den Armeechef des Landes aufs Korn genommen.
USA – Betriebsrat: An jedem der über 100 Produktionsstandorte von VW gibt es eine Arbeitnehmervertretung – bis auf das 2011 eröffnete Werk in Chattanooga/USA. Lokale Politiker, die den Autobauer mit Steuervergünstigungen dorthin gelockt hatten, möchten auch, dass das so bleibt, schreibt die SZ (Nikolaus Piper) in einem längeren Artikel im Wirtschafts-Teil. Das amerikanische Arbeitsrecht sehe zwingend eine vorherige Installierung einer Gewerkschaft vor, die in Frage kommende United Auto Workers gelte aber als besonders militant und werde auch für den Niedergang der Detroiter Autoindustrie verantwortlich gemacht.
Argentinien – Mediengesetz: Der Oberste Gerichtshof Argentiniens hat ein 2009 von Präsidentin Cristina Kirchner eingebrachtes Mediengesetz für rechtmäßig erklärt. Das Gesetz beschränkt die Anzahl der von einem Unternehmen zulässigerweise zu betreibenden Lizenzen für Rundfunk und Fernsehen, schreibt die FAZ (Josef Oehrlein) in einem ausführlichen Bericht. Es gelte als Retourkutsche der Präsidentin für die kritische Berichterstattung eines Medienkonzerns, der nun vor der Zerschlagung stehe.
Honduras – Entwicklung: Die Zeit (Bastian Berbner) berichtet in ihrem Dossier über ein vorerst gescheitertes Entwicklungsprojekt in Honduras. Im Land mit der weltweit höchsten Mordrate sollten sogenannte "spezielle Entwicklungsregionen" geschaffen werden, die als Gemeinschaften außerhalb der existierenden Institutionen mit eigenem Rechtswesen als Entwicklungsvorbild für die gesamte Region dienen sollten. Wegen der Aufgabe nationaler Souveränität stoppte das Verfassungsgericht des Landes diesen anvisierten "Neustart", ob ein neues Gesetz zu den Entwicklungsregionen umgesetzt wird, hinge von der anstehenden Parlamentswahl ab.
Sonstiges
Menschenrechte: In einem Gastbeitrag beklagt der Menschenrechtsaktivist Aaron Rhodes (Zeit) die Existenz einer informellen, antiliberalen Koalition autoritärer Staaten, die sich gegen Kritik an Menschenrechtsverletzungen in ihren Ländern in strategischer und aggressiver Weise zur Wehr setze. Unter Zuhilfenahme loyaler Nichtregierungsorganisationen würden diese Länder "eine neue Art von Menschenrechten" propagieren, die Stabilität über Freiheit setzten, und damit Erfolg haben: es gelte als sicher, dass Staaten wie Kuba, China, Russland und Saudi-Arabien demnächst in den UN-Menschenrechtsrat gewählt werden.
Lorenz Brentano: Die Zeit (Alfred Georg Frei) würdigt den Juristen Lorenz Brentano anlässlich dessen 200. Geburtstages. Der Paulskirchen-Abgeordnete verteidigte März-Aktivisten und wanderte nach dem Scheitern der Revolution von 1848 in die USA aus, wo er später in das Repräsentantenhaus gewählt wurde.
Das Letzte zum Schluss
Dienstunfall: Die Freuden körperlicher Liebe können manchmal schmerzen, als Dienstunfall eignen sie sich jedenfalls nicht. Die FAZ (Corinna Budras) berichtet, dass ein jahrelanger Rechtsstreit einer australischen Beamtin um eben diese Anerkennung vom Obersten Gericht des Landes mit dem Verdikt beendet wurde, dass Sex "nicht zu den normalen Vorkommnissen einer Dienstreise" gehöre.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. Oktober 2013: Flatrate-Drosselung unwirksam – Freiheit in Amerika und Europa – Kundus-Bombardierung vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 31.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9930/ (abgerufen am: 21.05.2024 )
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