Baden-Württemberg zögert mit neuen Kopftuchverboten, nachdem es jüngst von Karlsruhe gerüffelt wurde. Außerdem in der Presseschau: Entwaffnung der Reichsbürger und ein Urteil des LAG Köln zur Entschädigung von wartenden Lohnempfängern.
Thema des Tages
Kopftuch im Gericht: Die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg hat die Entscheidung vertagt, ob Kopftücher bei Richterinnen, Staatsanwältinnen und Schöffinnen per Landesgesetz verboten werden sollen. Während Justizminister Guido Wolf (CDU) das Vorhaben forciert, sind die Grünen skeptisch; jedenfalls soll Baden-Württemberg nicht bundesweit das erste Land mit einem derartigen Gesetz sein. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kündigte weitere verfassungsrechtliche Prüfungen an. Es berichten die FAZ (Rüdiger Soldt) und die BadZ (Roland Muschel).
BVerfG zu Kopftuch in der Kita: Nun berichten auch die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Christian Rath) über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der Kita-Erzieherinnen grundsätzlich das Tragen eines Kopftuchs bei der Arbeit erlaubt. Im baden-württembergischen Kita-Gesetz sei die Klausel, die religiöse Bekundungen verbietet, "verfassungskonform" auszulegen. Das Kopftuch der Erzieherin sei nicht dem Staat zuzurechnen und gefährde auch nicht die Neutralität der Einrichtung, weil Kopftücher in Deutschland inzwischen üblich seien. Rückschlüsse auf das geplante Kopftuchverbot für Richter könne man, so Janisch, aber nicht ziehen.
Sunny Riedel (taz) begrüßt den Karlsruher Beschluss: "Wenn an Elternabenden reihenweise Mütter mit Kopftuch sitzen, in der Kita diese aber maximal als Putzfrau vorkommen, ist das ausgrenzend."
Rechtspolitik
IMK: An diesem Dienstag und Mittwoch tagt in Saarbrücken die Innenministerkonferenz. Die FAZ (Timo Frasch) gibt einen kursorischen Überblick über die anstehenden Themen, ebenso lto.de, mit einem besonderen Augenmerk auf die Frage, ob Verkehrsbußgelder erhöht und nach dem Einkommen gestaffelt werden sollten.
IMK – Gewalt gegen Polizisten: Auf der Innenministerkonferenz soll über eine Ausweitung der Strafen für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Strafgesetzbuch) diskutiert werden. Justizminister Heiko Maas (SPD) will laut SZ noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorlegen. Ronen Steinke (SZ) billigt dies, weil Polizisten den Kopf für andere hinhielten und mutig sein müssten.
IMK – Reichsbürger und Waffen: Bei der Innenministerkonferenz wird auch diskutiert, ob Reichsbürgern, die legal Waffen besitzen, diese generell wieder entzogen werden könnten. Im Gespräch ist zudem eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz, die alle legalen Waffenbesitzer treffen würde. Die taz (Konrad Litschko) stellt das Thema ausführlich dar.
Sozialleistungen für arbeitssuchende EU-Bürger: An diesem Donnerstag soll im Bundestag der fünfjährige Leistungsausschluss für arbeitssuchende EU-Ausländer beschlossen werden. Die Welt (Sabine Menkens) schildert Befürchtungen, dass Osteuropäer dann vermehrt in deutschen Parks campen und Kaninchen jagen werden.
Unterhaltsvorschuss: Die SPD droht nun für den Fall, dass die geplante Ausweitung des Unterhaltsvorschusses nicht beschlossen wird, werde sie nächste Woche auch der vereinbarten Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nicht zustimmen, meldet die SZ (Constanze von Bullion).
BND-Kontrolle: Die Anwältin Heide Sandkuhl kritisiert auf lto.de die frisch beschlossene Novelle des BND-Gesetzes. Deutsche seien nun mit größerer Wahrscheinlichkeit von der strategischen Überwachung des Fernmeldeverkehrs betroffen. Die Kontrolle des BND sei ungenügend. Sandkuhl schlägt vor, dass in das neue Kontrollgremium beim Bundesgerichtshof auch Techniker und ein "Anwalt der Betroffenen" einbezogen werden sollen.
Asyl – Transitzentren: Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster greift im Interview mit focus.de (Martina Fietz) die letztjährige Idee der CSU auf, an den deutschen Außengrenzen Transitzentren einzurichten, in denen Asylbewerber ohne Bleibeperspektive ein Asyl-Schnellverfahren erhalten sollten, ohne dass sie formell als eingereist gelten. Es sei ein historischer Fehler der SPD gewesen, dass sie diesem Vorschlag bisher nicht zugestimmt habe.
Asyl – Anträge im Ausland: Die dänische Regierung schlägt vor, dass Asylbewerber ihre Anträge nicht mehr in der EU, sondern außerhalb stellen sollten. So solle Schleusern der Markt genommen werden. Die taz (Reinhard Wolff) schildert die skeptische Haltung dänischer Menschenrechtler.
Fischer zu Einbruch, Volksverhetzung und Kampfhunden: Bundesrichter Thomas Fischer schreibt in seiner Kolumne auf zeit.de diesmal über drei Themen: den geplanten Wegfall des minder schweren Falls beim Einbruchdiebstahl (Fischer schlägt sarkastisch die Streichung weiterer minder schwerer Fälle vor) und die Zunahme der Volksverhetzungs-Delikte um 230 Prozent (Fischer schlägt sarkastisch Strafverschärfungen vor). Vor allem aber erinnert Fischer assoziationsreich an die mediale und rechtspolitische Aufregung, die Kampfhunde in den 90er-Jahren verursacht haben, wobei sie anschließend wieder aus dem öffentlichen Interesse verschwanden. Fischer fragt: "Wer ist der Kampfhund heute?"
Justiz
VG Aachen zu bewaffneten Rockern: Rockern, die einer Gruppe wie "MC Gremium" angehören, kann der Waffenschein wegen "Unzuverlässigkeit" entzogen werden, auch wenn sie selbst nicht vorbestraft sind und gegen das konkrete "Chapter" nichts vorliegt. Das entschied laut lawblog.de (Udo Vetter) das Verwaltungsgericht Aachen in einem Eilverfahren.
OVG Lüneburg zu Abschiebung nach Ungarn: Deutschland darf Flüchtlinge, die über Ungarn in die EU eingereist sind, nicht nach Ungarn abschieben, obwohl Ungarn nach den Dublin-Regeln für das Asylverfahren zuständig wäre. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg begründete dies laut lto.de mit erheblichen Mängeln des ungarischen Asylverfahrens und drohender unmenschlicher Behandlung.
AGH Hamm zu unwürdigem Anwalt: Der Anwaltsgerichtshof beim OLG Hamm hat laut lto.de gebilligt, dass die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf einem indischen "advocate" die Aufnahme wegen Unwürdigkeit verweigerte. Der Mann sei zwar ausreichend qualifiziert, habe aber immer wieder Straftaten verübt, zuletzt 2007 ein Verkehrsdelikt.
LG Hamburg zu manipuliertem Audi: Die Käuferin eines manipulierten Audi Q3 kann vom Kauf zurücktreten, weil die Straßenverkehrszulassung und die Genehmigungen des Autos auf der Grundlage falscher Werte erteilt worden seien. Dies sei für das Gericht kein geringfügiger Mangel, meldet die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
LAG Köln zu verspäteter Lohnzahlung: Der Arbeitnehmer kann bei verspäteter Lohnzahlung vom Arbeitgeber pauschal 40 Euro als Schadensersatz verlangen. Diese Kostenpauschale, die 2014 eingeführt worden war (§ 288 Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch), gelte auch im Arbeitsrecht, so eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln aus der vergangenen Woche, die communitiy.beck.de (Markus Stoffels) erläutert.
LG München I – künstliche Lebensverlängerung: Das Landgericht München I muss über die Schmerzensgeldforderung gegen einen Arzt entscheiden, dem vorgeworfen wird, er habe den Vater des Klägers zu lange künstlich ernährt. Eine Lebensverlängerung sei im Jahr vor dem Tod angesichts der zahlreichen Leiden des Vaters nicht mehr angezeigt gewesen. lto.de beschreibt den Fall. Mitte Januar soll das Urteil verkündet werden.
VG Frankfurt/Oder – Täuschung durch BAMF-Beamten?: Ein Asylbewerber aus Afghanistan, der seinen Asylantrag in der Anhörung durch das Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge zurückgenommen hatte, ficht diese Rücknahme an und klagt deshalb vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder. Dem BAMF-Anhörer wird vorgeworfen, er habe den Mann getäuscht, zum Beispiel indem er zu niedrige Anerkennungsquoten nannte. Die taz (Ralf Pauli) berichtet vom Fall.
BFH - Grundbesitzkürzung: Der Steuerberater Klaus Bührer stellt in einem FAZ-Gastbeitrag ein Rechtsproblem vor, über das der Große Senat des Bundesfinanzhofs demnächst entscheiden muss. Dabei geht es um die Wirksamkeit von Gestaltungen, mit denen Immobiliengesellschaften versuchen, der Gewerbesteuer zu entgehen.
EuGH – Visum und öffentliche Sicherheit: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof spricht sich für einen weiten Begriff der "öffentlichen Sicherheit" im Visarecht aus. Deutschland habe deshalb einer iranischen Studentin, die in Deutschland ein Promotionsstudium aufnehmen wollte, das Visum verweigern dürfen. Die Sorge der Behörden, dass die Studentin ihr Wissen für militärische Zwecke weitergeben werde, falle unter den Begriff "öffentliche Sicherheit", so der Generalanwalt laut lto.de.
Recht in der Welt
Niederlande – Vollverschleierung: In den Niederlande ist es künftig verboten, sich mit Burka oder Integralhelmen in der öffentlichen Verwaltung, im Bildungs- oder Gesundheitswesen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln aufzuhalten. Bei Zuwiderhandlungen droht eine Geldstrafe bis 400 Euro, ein entsprechendes Gesetz billigte jetzt die Zweite Kammer des niederländischen Parlaments, berichtet die SZ (Thomas Kirchner).
Sonstiges
Wahlrecht – Meinungsroboter: Der Anwalt und Doktorand Jens Milker befasst sich auf juwiss.de mit dem Einsatz von Meinungsrobotern in deutschen Wahlkämpfen. Dieser sei rechtlich unbedenklich und nur ethisch zu missbilligen.
Whistleblower: Der Wirtschaftsprüfer Frank Hülsberg schildert in einem FAZ-Gastbeitrag die Anforderungen an ein unternehmenseigenes Hinweissystem. Dieses solle zum Beispiel nicht nur Mitarbeitern offenstehen, sondern auch Kunden, Lieferanten und ehemaligen Mitarbeitern, die Kenntnisse über Missstände haben. Wichtig sei, transparent zu kommunizieren, wie mit derartigen Hinweisen umgegangen wird.
Verschlüsselung – BND: Patrick Beuth (zeit.de) kommentiert die Nachricht, dass der BND 150 Millionen Euro ausgeben will, um WhatsApp und andere Angebote zu knacken. Dies zeige, dass Verschlüsselung wirksam sei. Die neue End-to-end-Verschlüsselung von WhatsApp und anderen Programmen zwinge die Geheimdienste, sich wieder auf konkrete Verdächtige zu konzentrieren. Gefundene Schwachstellen in der Verschlüsselung solle der BND dennoch den Anbietern mitteilen, statt sie selbst zu nutzen.
Das Letzte zum Schluss
Falscher Zebrastreifen: Ein Zebrastreifen erhöht die Verkehrssicherheit, weil er Fußgängern ein ungefährdetes Überqueren der Fahrbahn ermöglicht. Dennoch wird gegen unbekannte Täter, die in Grassau (Landkreis Traunstein) einen falschen Zebrastreifen auf die Straße malten, wegen "gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr" ermittelt. Den Fall meldet justillon.de (Stefan Maier).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. November 2016: Kopftuch im Gericht und in der Kita / Reichsbürger ohne Waffen / 40 Euro für verspätete Lohnzahlung . In: Legal Tribune Online, 30.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21298/ (abgerufen am: 15.05.2024 )
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