Brüderles Brief zur NRW-Landtagswahl war keine so gute Idee: Er war wohl verfassungswidrig und könnte noch teuer werden. Außerdem in der Presseschau: Neues im Kosten- und Außenwirtschaftsrecht, BVerfG und die Regelung der psychiatrischen Unterbringung, Vetter zu sauberem Internet und der Unterschied zwischen zwei und 500 Millionen Datensätzen?
Brüderles teurer Brief: Im Frühjahr 2012 hatte Rainer Brüderle als FDP-Bundestagsfraktionschef eine NRW-weite Briefkampagne zur FDP-Arbeit vor der anstehenden Landtagswahl durchgeführt. In einer nun veröffentlichten Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes sehen die Richter, so berichtet die taz (Pascal Beucker), den Brief als mögliche Überschreitung der "verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenze zwischen der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit einer Fraktion und der unzulässigen Parteienwerbung" an. Im Rahmen einer (erfolglosen) Wahlanfechtungsklage der NPD hätte sich das Gericht auch mit dem Brief befasst. Zu einer beträchtlichen Verfälschung des Wählerwillens habe dieser indes nicht geführt. Weiter weist die taz auf eine "in der Angelegenheit" noch anhängige Klage vor dem Bundesverfassungsgericht hin. Auch drohten von Seiten der Bundestagsverwaltung Strafzahlungen für die FDP, wenn diese zum dem Schluss komme, dass Steuergelder zweckentfremdet wurden.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Neuerungen im Außenwirtschaftsgesetz: In einem kurzen Gastbeitrag für das Handelsblatt erläutert die Rechtsanwältin Julia Pfeil wichtige Neuerungen im Außenwirtschaftsgesetz. So sei die Möglichkeit einer freiwilligen Selbstanzeige für Exporteure eingeführt worden, mit der Folge des Entfallens von Bußgeldern. Die gelte aber nur für Verstöße gegen Formalia. Weiter würden als Straftat nur noch vorsätzliche Gesetzesverstöße verfolgt, Fahrlässigkeiten würden über das Ordnungswidrigkeitenrecht abgehandelt. Eine weitere Neuregelung, die bereits für Kritik gesorgt habe: Für die Umsetzung vom neuen Embargoregelungen hätten Unternehmen nur noch zwei Tage Zeit.
Bestattungen nach muslimischen Riten: Wie die taz knapp meldet, ist mit einer Änderung im Bestattungsgesetz Nordrhein-Westfalen ab dem kommenden Jahr eine Bestattung nach muslimischen Riten einfacher, so etwa eine Beerdigung in Tüchern.
Höhere Notargebühren: Im Recht & Steuer-Teil des Handelsblatts (Heike Anger) findet sich ein Beitrag zum neue Gerichts- und Notarkostengesetz, das am 1. August in Kraft tritt. Mit erhöhten Gebühren für Testamente, Hauskäufe und Beglaubigungen stiegen Notarkosten um etwa 15 Prozent. Auch würden Mindestgebühren für Beurkundungen eingeführt werden. Der Präsident des Deutschen Notarvereins Oliver Vossius meint, so werde auch das Arbeiten auf dem Land für qualifizierte Juristen attraktiver.
NATO zu digitaler Kriegsführung: In einem Gastbeitrag im SZ-Feuilleton stellt der emeritierte Völkerrechtsprofessor Michael Bothe einen von der NATO in Auftrag gegebenen "Leitfaden für die digitale Kriegsführung" vor. Die Frage, ob eine "elektronische Schadensstiftung" Gewalt im Sinne des völkerrechtlichen Gewaltverbotes sein kann und damit ein Selbstverteidigungsrecht des betroffenen Staates auslöse, richte sich laut Leitfaden nach dem Kriterium der "Gleichwertigkeit der Wirkung" im Vergleich zu physischen Gewalthandlungen. Dabei gingen die NATO-Experten von der Rechtsansicht aus, auch nichtstaatliche Akteure könnten einen "bewaffneten Angriff" ausführen und das Recht zur Verteidigung dürfe dann auch auf dem Staatsgebiet ausgeübt werden, auf dem sich die Akteure aufhielten. Zentrales Problem der rechtlichen Regelung des "Cyber-Warfare" sei auf dieser Ebene die Frage der Zurechenbarkeit: Eine Rückverfolgung sei oft unmöglich. Bei der Fragen nach den Grenzen bei der Ausübung militärischer Gewalt würde völkerrechtlich zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden. Auch hier sei das zentrale Kriterium die Gleichwertigkeit der Wirkung mit herkömmlichen Angriffen. Computer-Systeme, "die allein militärischen Zwecken dienen, sind militärische Ziele". Gezielt angegriffen werden dürften nur Kombattanten und Zivilisten, während sie an Kampfhandlungen teilnehmen. Der Leitfaden ziehe den Kreis anzugreifender Personen im digitalen Krieg recht weit: "Hacktivisten" lebten danach jedenfalls "ziemlich gefährlich", so Bothe. Der Leitfaden sei zwar keine offizielle NATO-Doktrin, aber: Solche Dokumente hätten "ihre eigene Wirksamkeit".
Kooperationsverbot: Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) würde gern das grundgesetzliche Kooperationsverbot von Bund und Ländern für eine bessere Förderung der Hochschulen abschaffen, berichtet spiegel.de (Lena Greiner/Christoph Titz). Der bereits vorliegende Gesetzentwurf zur Grundgesetzänderung scheitere aber bislang am Widerstand im Bundesrat. Laut spiegel.de gehe insbesondere SPD und Grünen der Vorschlag nicht weit genug, sie wollten auch eine Kooperationsmöglichkeit im Schul- und Kitabereich.
Weitere Themen - Justiz
BVerfG – Kleine Nadelstiche zum Unterbringungsrecht: Anlässlich der ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Unterbringung Gustl Mollath befasst sich die Wolfgang Janisch (SZ) mit dem Thema: Zwar habe das Bundesverfassungsgericht bereits 1985 Grundsätze zur psychiatrischen Unterbringung formuliert – dass es einer fundierten Begründung der Anordnung bedürfe, dass eine greifbare Gefährlichkeit vorliegen müsse und dass mit der Länge der Unterbringung die Begründungsanforderungen stiegen – daran halte sich aber offenkundig niemand. Heute verfolge es eine "Taktik der kleinen Nadelstiche": Immer häufiger bekomme Karlsruhe Verfassungsbeschwerden von Menschen, die seit vielen Jahren in der Psychiatrie weggesperrt sind. "In aller Regel kassiert" das Gericht dann die oft "lustlosen" und mangelhaften gerichtlichen Anordnungen mit Verweis auf eine Verletzung der Freiheit der Person. Weiter geht es um die Reformpläne der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zum Unterbringungsrecht, die die "späte Erkenntnis" enthielten, dass mit kürzeren von den Krankenkassen finanzierten Behandlungen in der allgemeinem Psychiatrie die Zahl der chronisch an Schizophrenie Erkrankten steige - die immerhin die Hälfte der zwangsweise Untergebrachten ausmachten. Experten rieten ohnehin zu einem flexiblen System mit weiteren Vollzugsmöglichkeiten neben der geschlossenen Psychiatrie.
LG Regensburg zu Mollath: "Im Zweifel für den Richter" - Diesen "Ungeist" atme der Beschluss des Landgerichts Regensburg, das gegen eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Gustl Mollath entschieden hatte, so Albert Schäffer auf dem FAZ-Titel. Im Fall Mollath könne man argwöhnen, es sei eine "Kaste am Werk, die sich nur sich selbst verpflichtet weiß". Vielleicht, so Schäffer, müsse darüber nachgedacht werden, "ob es klug" ist, dass Richter meist ihr gesamtes Berufsleben in der Justiz verbringen. "Im Kern" gehe es in diesem Fall jedenfalls "darum, dass Richter ordentlich arbeiten und nicht zur Lupe greifen, um ein Urteil zu retten" - darüber solle auch nicht die Diskussion um neue Regel für den Maßregelvollzug hinwegsehen lassen.
BVerfG – Solidaritätszuschlag: Bereits zum zweiten Mal wolle das Finanzgericht Niedersachsen dem Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag zur Verfassungsmäßigkeitsprüfung vorlegen, sogar in ein und demselben Verfahren. Die erste Vorlage war 2009 als unzulässig zurückgewiesen worden. Mit den wohl geringen Erfolgsaussichten befasst sich Rechtsanwalt Tibor Schober für lto.de. Die entscheidende Frage für die Beurteilung der Steuer sei, ob es sich noch um eine "ergänzende Abgabe" im Sinne des Artikel 106 Abs. 1 Nr. 6 Grundgesetz handele. Das BVerfG werde wohl auf die bereits 1973 eigens beschriebene Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Finanzplanung verweisen.
LG Hamburg – Angeklagte HSH-Vorstände: Im Prozess um die sechs ehemaligen Vorstände der HSH Nordbank, die sich wegen schwerer Untreue und in zwei Fällen wegen Bilanzfälschung vor dem Landgericht Hamburg verantworten müssen, hielten sich alle Angeklagten für unschuldig. Die SZ (Kristina Läsker) widmet ihnen im Geld-Teil eine halbe Seite und "stellt die Banker und ihre Argumente" einzeln vor. Auch spiegel.de (Stefan Kaiser) berichtet mit Fokus auf Hans Berger, Jochen Friedrich und Dirk Jens Nonnenmacher.
Anja Sturm wechselt Kanzlei: Am Montag hat die Kanzlei Weimann & Meyer das Arbeitsverhältnis mit Anja Sturm beendet, berichtet die taz (Andreas Speit). Sturm war wegen der Übernahme des Mandates im NSU-Prozess - sie verteidigt zusammen mit den Anwälten Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl die Angeklagte Beate Zschäpe - in die Kritik geraten. Nun wechsele sie in die Kanzlei von Heer nach Köln. Ausführlich dazu auch spiegel.de (Jörg Diehl/Gisela Friedrichsen/Julia Jüttner). Focus.de berichtet, Sturm und Heer wollten eine neue Kanzlei gründen, die bereits im August in Köln ihre Pforten öffne.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Großbritannien – Sauberes Internet für alle: Sehr besorgt über die Pläne des britischen Regierungschefs David Cameron, jeden Internetanschluss künftig mit einem eingebauten Filter zu versehen, zeigt sich Udo Vetter (lawblog.de). Der Filter umfasse nicht nur die von Cameron öffentlich thematisierte "Pornografie", vielmehr würden in der Voreinstellung auch Themen wie Essstörungen, Rauchen und Alkohol erfasst. Dass jeder Nutzer die gewünschte Inhalte selbstständig wieder frei schalten könne, beruhigt Vetter nicht: Mache sich künftig nicht jeder "verdächtig", der für ein freies Netz optiere? Dazu auch spiegel.de.
Italien – Berlusconi-Verurteilung: Wie die FR (Regina Kerner) berichtet, will das römische Kassationsgericht am Dienstag im sogenannten Mediaset-Prozess in letzter Instanz gegen Silvio Berlusconi verhandeln. Es drohten eine Verurteilung zu einer vierjährigen Haftstrafe sowie zu einem fünfjährigen Ausschluss von öffentlichen Ämtern. Indes, so erläutert die FR, müsse Berlusconi die Haft keinesfalls antreten: Auf Grund einer Amnestieregelung würden ihm im Falle einer Verurteilung drei Jahre Haft entlassen, die restliche Strafe würde aufgrund seines Alters wohl in Hausarrest umgewandelt. Die Entscheidung werde für Mittwoch oder Donnerstag erwartet. Auch spiegel.de (Fabian Reinbold) berichtet vorab.
Türkei – Kein Spaziergang für Schwangere: Auf dem Titel der SZ (Christiane Schlötzer) wird über die Forderung des "islamischen Mystikers" und Rechtsanwaltes Ömer Tugrul Inancer im türkischen Staatsfernsehen berichtet, Frauen sollten ihre Schwangerschaft nicht öffentlich zeigen. So sollten Frauen, die etwa im siebten Monat sind, nicht mehr spazieren gehen, sondern sich abends von ihren Männern "zum Luft holen" im Auto herumfahren lassen.
USA – Bradley Manning: Über die Militär-Richterin Denise R. Lind im Prozess gegen den Wikileaks-Informanten Bradley Manning berichtet die FR (Thomas Spang): Sie entscheide ganz alleine, "nach ihrem eigenen Fahrplan".
Sonstiges
Kita-Platz-Anspruch: Im Wirtschaftsteil der FAZ erläutert Corinna Budras "Was die Klage auf einen Krippenplatz bringt". Ab dem 1. August gibt es für Kinder ab dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. "Einen Kita-Platz einklagen" geht aber nicht, so Budras: Verwaltungsgerichtlich geltend gemacht werden könne aber Schadenersatz für erhöhte Kosten für eine Unterbringen in einer privaten Kita oder die Betreuung durch eine Tagesmutter. Ob ein elterlicher Verdienstausfall schadenersatzfähig ist, sei umstritten, dafür seien aber die Zivilgerichte zuständig. Erfolgversprechend seien Klagen indes nur, wenn sich die Eltern frühzeitig um einen Kita-Platz bemüht hätten und die Unaufschiebbarkeit des Betreuungsbedarf bewiesen werde. Die Zumutbarkeit alternativer Angebote richte sich nach der Entfernung zum Wohnort, wobei die Grenzen strittig seien; so auch die Frage, ob der behördliche Verweis auf eine Tagesmutter-Betreuung zulässig ist. Das Verwaltungsgericht Köln etwa habe unlängst entschieden, zumutbar sei eine Anfahrt zur Kita nur bis fünf Kilometer vom Wohnort weg und die Wahl zwischen Kita und Tagesmutter läge bei den Eltern.
Deutsche Bank/ Compliance und Datenschutz: Im Rahmen ihres Compliance-System werden bei der Deutschen Bank mit einem Red-Flag-Überwachungsprogramm Verstöße gespeichert und auch bei Entscheidungen zu Gehaltserhöhungen oder Beförderungen beachtet. Die Bank will dieses Red-Flag-System auf die gesamte Belegschaft ausweiten, der Betriebsrat indes hat datenschutzrechtliche Bedenken. Mit diesem "alten Lied: Compliance gegen Datenschutz" befasst sich der Fachanwalt für Arbeitsrecht Jan Tibor Lelley für lto.de.
Das Letzte zum Schluss
Einer oder Alle?: Angeblich holt sich die NSA 500 Millionen Datensätze monatlich aus Deutschland, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) spricht dagegen von zwei an die USA weitergegeben Datensätze. netzpolitik.org (Jan-Peter Kleinhans) wundert sich da ein wenig und stellt "die unglaubliche Diskrepanz" 2:500.000.000 mittels Vergleichen dar.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in den heutigen Printausgaben oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. Juli 2013: Brüderles teurer Brief? - NATO im digitalen Krieg – Kleine Nadelstiche des BVerfG . In: Legal Tribune Online, 30.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9238/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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