Justizminister Maas (SPD) will den Mordparagrafen entnazifizieren und reformieren. Außerdem in der Presseschau: Kritik am geplanten Verbot bloßstellender Bildaufnahmen, BGH bejaht Bankenhaftung für Anlageberatung, Kommunalpolitiker von Pro Köln sollen sich Sitzungsgelder erschlichen haben, Castle-Doctrine erleichtert Notwehr in den USA und warum die Piraten gegen das Filmen von Rehen sind.
Thema des Tages
Reform des Mordparagrafen: Der Mordparagraf soll noch in der laufenden Legislaturperiode überarbeitet werden. Das habe Justizminister Heiko Maas (SPD) auf einer Tagung des Deutschen Anwaltsvereins in Berlin angekündigt, berichtet die taz (Christian Rath). Problematisch sei zum einen, dass die Paragrafen 211 fortfolgende des Strafgesetzbuches – die auf die Zeit des Nationalsozialismus zurückgehen – den Tätertyp anstatt die Tat beschreiben. Außerdem benachteilige das Mordmerkmal der "Heimtücke" körperlich schwache Täter, insbesondere Frauen, weil starke Täter nicht die Arglosigkeit des Opfers ausnutzen müssen. Zur Ausarbeitung einer Reform habe der Minister eine 15-köpfige Expertenkommission eingesetzt, die in einem Jahr Vorschläge vorlegen soll.
Rechtspolitik
Fahreignungsregister: Am 1. Mai wird das Verkehrszentralregister in Flensburg auf ein neues Punktesystem mit dem Namen Fahreignungsregister umgestellt. Punkte soll es nur noch geben, wenn die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet ist. Andere Verstöße werden mit einem Bußgeld geahndet. Das und weitere Änderungen stellt die SZ (Daniela Kuhr) mit einem Schaubild versehen in einem ausführlichen Beitrag vor.
Bloßstellende Bildaufnahmen: Nach der geplanten Reform des Strafgesetzbuchs zur besseren Bekämpfung von Kinderpornographie sollen auch bloßstellende Bildaufnahmen und solche von unbekleideten Personen unter Strafe gestellt werden. In einem Gastbeitrag im Staat-und-Recht-Teil der FAZ stellt der Rechtsprofessor Arnd Koch den Referentenentwurf der bisherigen Rechtslage in Paragraf 201a des Strafgesetzbuches gegenüber. Problematisch sei die Aufhebung der räumlichen Einschränkung des Tatbestands auf einen höchstpersönlichen Lebensbereich und die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Maas Gesetzentwurf sei ein "unausgereifter Schnellschuss".
TTIP – Streit um Abschlusskompetenz: Vor dem Hintergrund der Kritik an Investorenschutzklauseln im geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU ist nun die Abschlusskompetenz des Abkommens strittig geworden. Sollte der Vertrag die Zustimmung einzelner Mitgliedsstaaten erfordern, könnte beispielsweise der Bundestag den Abschluss des Abkommens verhindern. Aus diesem Grund will der Handelskommissar Karel De Gucht den Europäischen Gerichtshof anrufen, um die Frage zu entscheiden, berichten SZ (Silvia Liebrich) und taz.de.
Die SZ (Johannes Brühl) bringt aktuelle Zahlen der Handelsbehörde der Vereinten Nationen zu den umstrittenen Schiedsgerichtsverfahren. Die Zahl der Klagen habe sich in den letzten 20 Jahren verzehnfacht. In einem Gastbeitrag im Handelsblatt stellt der General Electric-Lobbyist Hendrik Bourgeois die Vorteile der Investitionsschutzklauseln in den Vordergrund.
Justiz
BVerfG zu Flashmobs: Der Professor Thomas Lobinger kritisiert in einem Gastbeitrag in der FAZ den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts im Fall von Supermarkt-Flashmobs. Der Arbeitgeberverband hatte Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erhoben, das die Rechtmäßigkeit von Flashmobs als Arbeitskampfmittel bestätigte, solange ein tarifliches Ziel zu erkennen sei. Lobinger befürchtet die Einkehr des Faustrechts in den Arbeitskampf. "Dann würde der Arbeitskampf tatsächlich zum Klassenkampf."
BGH zu fehlerhafter Anlageberatung: Am gestrigen Dienstag bejahte der Bundesgerichtshof in einem Urteil die Haftung von Banken bei fehlerhafter Anlageberatung. In dem Fall ging es um Anteile an Immobilienfonds, deren Rücknahme durch Anleger bei Liquiditätsengpässen ausgesetzt werden kann. Davon hatten Immobilienfonds in der Finanzkrise Gebrauch gemacht. Die Kläger machten Schadensersatz gegen die beratenden Banken geltend, weil sie unzureichend aufgeklärt worden seien. Es habe ein Liquiditätsrisiko bestanden, über das die Anleger hätten informiert werden müssen, zitiert die SZ (Wolfgang Janisch) den Senatsvorsitzenden Ulrich Wiechers. Auch lto.de berichtet.
BGH zu "gebrauchter" Software: Der Rechtsanwalt Hauke Hansen stellt in der FAZ eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur "Secondhand-Software" vor. Die Parteien stritten in dem Fall um die Frage, ob Softwarelizenzen gebraucht weiterverkauft werden können, was normalerweise in den Verträgen ausgeschlossen wird. Der Bundesgerichtshof sprach den Erwerbern ein gesetzliches Nutzungsrecht unter bestimmten Gesichtspunkten zu; der Fall wurde zur weiteren Sachverhaltsermittlung an die Vorinstanz verwiesen.
VG Berlin zu rechtsextremer Wahlwerbung: Das Verwaltungsgericht Berlin erlaubte dem RBB in einer Eilentscheidung, einen fremdenfeindlichen Werbespot von Pro NRW nicht auszustrahlen, weil er den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle. Die Ausstrahlung könne jedoch nur bei "Evidenz" des Verstoßes gegen Strafgesetze verweigert werden, so dass der Spot nun in abgeschwächter Variante gesendet wurde, berichtet sueddeutsche.de (Carolin Gasteiger).
EuGH – Abschiebungshaft: Anlässlich der mündlichen Verhandlung des Europäischen Gerichtshofs Anfang April in den Fällen "Bero" und "Pham" hinsichtlich der Vereinbarkeit der Durchführung von Abschiebungshaft in Deutschland mit EU-Recht, arbeitet der wissenschaftliche Mitarbeiter Carsten Hörich auf juwiss.de die problematischen Aspekte der Abschiebungshaft heraus. EU-rechtswidrig sei auch die in Deutschland mögliche ausnahmsweise Unterbringung in Justizvollzugsanstalten, weil die Abschiebungshaft anderen Zwecken diene. "Sie beinhaltet einen rein präventiven Zweck und trägt keinerlei Straf- oder Sühnecharakter".
LG Köln – bandenmäßiger Betrug bei Pro Köln: Der Vizechef der Ratsfraktion und weitere Ratsmitglieder der rechtsextremistischen Wählervereinigung Pro Köln stehen wegen bandenmäßigen Betrugs vor dem Landgericht Köln. Ihnen wird vorgeworfen, hunderte von Fraktions- und Arbeitskreistreffen vorgetäuscht zu haben, um Sitzungsgeld zu erhalten, berichtet die taz (Pascal Beucker).
Kritik des BVerfG: In der FAZ geht der Professor Uwe Volkmann den in letzter Zeit vorgebrachten Kritikpunkten am Bundesverfassungsgericht nach. Dabei macht er vier wesentliche Argumente der Kritiker aus: Kompetenzüberschreitung, politische und moralisierende Argumentation und die Stärkung des Ressentiments gegen den politischen Prozess. Volkmann weist die Vorwürfe zurück und benennt als Aufgabe eines Verfassungsgerichts, "die Grundprinzipien des gesellschaftlichen Lebens in periodischen Abständen in den politischen Diskurs einzuspeisen".
Recht in der Welt
USA - "Castle doctrine": Im Bundesstaat Montana in den USA wurde gegen einen Mann Anklage wegen vorsätzlicher Tötung erhoben, der am Montag einen deutschen Austauschschüler erschossen hatte. Der Mann beruft sich dabei auf die sogenannte "Castle-Doctrine", die dem Eigentümer erlaubt, auch tödliche Schüsse auf Einbrecher abzugeben. Es berichten unter anderem FAZ (Christiane Heil/Sebastian Mayr), taz (Henriette Löwisch) und spiegel.de (Hendrik Ternieden).
USA – Zugriff auf E-Mails: Die FAZ (Patrick Bahners) beschreibt eine Entscheidung eines Bezirksgerichts in New York, das den Zugriff amerikanischer Ermittlungsbehörden auf E-Mails amerikanischer Internetdienstleister gestattet, auch wenn sie auf Servern außerhalb der USA liegen. netzpolitik.org (Anna Biselli) berichtet, Microsoft wolle gegen die Entscheidung vor ein US-Bundesgericht ziehen.
London – Leipzig gegen Großbank: Der High Court of Justice – das höchste britische Zivilgericht – begann am gestrigen Dienstag die Verhandlung über den Streit zwischen der Stadt Leipzig und der Großbank UBS, bei dem es um geplatzte Finanzdeals zwischen den Leipziger Wasserwerken KWL und der Bank geht. Das meldet lto.de.
Sonstiges
Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken: Der Anwalt Carl Christian Müller unterzieht auf lto.de das vor einem halben Jahr verabschiedete Gesetz gegen unlautere Geschäftspraktiken einer ersten Bilanz. Aufgrund der Neuregelung des Gerichtsstandes im Gesetz und der neuesten Entscheidungen zur Störerhaftung und zu Streaming-Diensten sei eine Stärkung des Verbraucherschutzes zu erwarten. Man müsse abwarten wie die Rechtsprechung mit der Deckelung der Gegenstandswerte umgeht, die die Abmahnkosten begrenzen soll. Laut Gesetz kann diese Deckelung im Einzelfall unbillig sein.
Ausstellung zu Fritz Bauer: Im Jüdischen Museum in Frankfurt wurde eine Ausstellung über den früheren Staatsanwalt und Naziankläger Fritz Bauer eröffnet. Die SZ (Volker Breidecker) porträtiert den herausragenden Juristen, der sich in der Nachkriegszeit für die Aufklärung und strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen einsetzte. Er war der Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse in den 60er-Jahren.
Bundesligalizenzen: Der Fußballverein RB Leipzig steht vor dem Aufstieg in die zweite Bundesliga. Die Deutsche Fußball-Liga hat dem Verein nun eine Zweitligalizenz unter Auflagen erteilt. Der Rechtsanwalt Johannes Arnhold kommt auf lto.de zum Schluss, dass die Auflagen wegen fehlender Rechtsgrundlagen teilweise unzulässig sind.
Hilfsangebote für Missbrauchsopfer: Der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, hat am Dienstag ein Arbeitsprogramm vorgelegt, das die Hilfsangebote und Präventionsmaßnahmen in Fällen von sexuellem Missbrauchs an Kindern stärken soll. Vorgesehen ist die Einsetzung eines Betroffenenrates, verstärkte Aufklärung an Schulen und der Ausbau von Beratungsdiensten. Auch soll die Zusammenarbeit mit Glaubensgemeinschaften gestärkt werden. Es berichten unter anderem die taz (Simone Schmollack) und die FAZ (Johannes Leithäuser).
Das Letzte zum Schluss
Videoüberwachung im Wald: Weil Kameras immer billiger werden, nutzen Jäger sie auch vermehrt zur Wildbeobachtung im Wald. Eine Anfrage von Piraten-Abgeordneten an die Landesregierung von Schleswig-Holstein thematisiert jetzt die Datenschutzprobleme. Immerhin haben solche Kameras in Österreich schon einmal ganz zufällig ein Liebespaar beim Wald-Rendezvous gefilmt. Den Vorschlag mit Hinweisschildern auf die Kamera-Überwachung hinzuweisen, lehnen die Jäger laut SZ (Marlene Weiss) ab. Solche Schilder könnten Diebe anlocken.
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Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. April 2014: Maas will "Mord und Totschlag" reformieren – Pro Köln wegen bandenmäßigem Betrug vor Gericht – Videoüberwachung im Wald . In: Legal Tribune Online, 30.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11827/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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