Das OLG München hat gelost – und nun schauen so einige große Zeitungen in die Röhre, was "ihren" Platz beim NSU-Prozess angeht. Die Entrüstung lässt nicht lange auf sich warten. Außerdem in der Presseschau: Selbstanzeige auf dem Prüfstand, OVG Münster stoppt Lebensmittel-Pranger, Streit um Filbinger-Tagebücher – und warum der "Kläger-König" hinter Gitter muss.
OLG München – Presseplätze für NSU-Prozess verlost: Die Presseplätze für den NSU-Prozess sind vom Oberlandesgericht München nun im Losverfahren erneut vergeben worden. "Vier große deutsche Tageszeitungen" sind nach Berichten der SZ (Annette Ramelsberger) und der FAZ (Karin Truscheit) dabei nicht zum Zug gekommen; vier Plätze waren für türkische Medien reserviert worden. Einzelne Medien, die nun keinen Platz mehr haben, wie die taz und die Welt, erwögen nun ihrerseits juristische Schritte. Der SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmidt) veröffentlicht die Liste der akkreditierten Medien.
Im Interview mit lto.de (Claudia Kornmeier) erläutert der Dortmunder Medienrechtler Tobias Gostomzyk, warum sich die betroffenen Medien nicht auf Vertrauensschutz berufen können und warum er die Verfügung des OLG rechtlich für schwer angreifbar hält.
Kurt Kister (SZ) kritisiert das Verfahren scharf: Es regiere "der Zufall", beim Losen gebe es "keine Gerechtigkeit, keine Vernunft". Das "Akkreditierungs-Lotto" habe nun zum Ergebnis, dass etliche Medien mit Plätzen bedacht worden seien, "die sich noch nie mit Rechtsterrorismus oder ernsthafter Gerichtsberichterstattung beschäftigt haben." Die Liste lese sich "in Teilen wie eine Farce", die Art der Kontingentierung sei falsch gewesen. Auch Reinhard Müller (FAZ) hält "die Kontingente, die Beschränkungen des Verfahrens" für "weltfremd und nicht sachgerecht". Ein "verständiges Gericht" hätte, "wenn es schon Kontingente bildet, auch Medien mit einem nationalen Anspruch berücksichtigen müssen." Per Hinrichs (Welt) schlägt in die gleiche Kerbe und bemängelt die "Missachtung nicht nur der großen Medien", sondern auch aller Interessierten durch die "Lottoshow" des Gerichts. Christian Rath (taz) relativiert die Kritik: Das neue Verfahren sei "besser als das alte"; auch die Möglichkeit der "nachträglichen Poolbildung" sei ein Fortschritt. Nachträgliche Klagen hätten dagegen wohl "kaum eine Chance". Auch der Strafrechtler Henning Ernst Müller (blog.beck.de) verteidigt das Losverfahren – und fragt süffisant, wie die selbsternannten "Qualitätsmedien" sich denn eine mit der Pressefreiheit vereinbare Lösung vorstellten, bei der sie garantiert an Plätze kämen.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Union prüft Selbstanzeige: Die Unionsparteien haben eine von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geleitete Arbeitsgruppe eingerichtet, welche eine abermalige Verschärfung der Regeln zur strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung prüfen soll. In der Diskussion sei auch eine "Staffelung nach Höhe der Schadenssummen", so die FAZ (Joachim Jahn).
Heike Göbel (FAZ) kritisiert dieses "Zurückweichen vor den Attacken von SPD und Grünen": Das "geltende Selbstanzeige-Recht" stelle ein "Element der Befriedung" im "spannungsgeladenen Verhältnis zwischen dem immer mehr Geld fordernden Staat und seinen Bürgern" dar. Der Rechtsanwalt Karsten Randt betont in einem Gastbeitrag für den Finanzmärkte und Geldanlage-Teil der FAZ die "lange Tradition" der Selbstanzeige in Deutschland und begründet diese mit praktischen Gründen der Anreizschaffung. Klaus Volk (Handelsblatt) verweist auf andere Strafmilderungstatbestände im Strafgesetzbuch und betont, das die "Rückkehr zur Steuerehrlichkeit" keine "moralische Leistung" sein müsse.
Prioritäten bei der Organtransplantation: In einem Gastbeitrag für die SZ beschäftigt sich der Münchner Oberarzt Andreas Umgelter vor dem Hintergrund des Transplantationsgesetzes und der einschlägigen Richtlinien der Bundesärztekammer mit den Regeln für die Vergabe von Spenderorganen. Angesichts der Knappheit gespendeter Organe bestehe ein "Entscheidungsdilemma" zwischen Dringlichkeit und Erfolgsaussichten der Transplantation; der Gesetzgeber lasse eine Entscheidung zwischen beiden Kriterien bislang offen. Angesichts der Unmöglichkeit, diese Abwägung "medizinisch-wissenschaftlich" zu begründen, müsse diese "ethische Entscheidung" aber "in einer Demokratie demokratisch festgelegt werden".
Die FAZ (Joachim Müller-Jung) berichtet derweil über das "bemerkenswerte Manifest" des Chirurgen Rüdiger Siewert und des Generalsekretärs im Verband der Universitätsklinika Deutschlands, Rüdiger Strehl, zur Reform der Architektur des deutschen Transplantationswesens. Diese forderten die Gründung eines Bundesinstituts für Transplantationsmedizin.
Grüne Steuerpläne verfassungswidrig?: Der Steuerzahlerbund hält die von den Grünen am Wochenende als Teil ihres Wahlprogramms beschlossenen Steuerpläne für "teilweise verfassungswidrig". Die Kritik entzünde sich vor allem an der geplanten allmählichen Abschaffung des Ehegattensplittings und der Rückwirkung der vorgesehenen Vermögensabgabe, so die FAZ (Johannes Leithäuser).
Verzicht auf V-Leute: Der von den Grünen in ihrem Wahlprogramm geforderte Verzicht des Verfassungsschutzes auf V-Leute stößt auf Kritik. Jörg Diehl (spiegel.de) hält die Zusammenarbeit mit Verbindungsleuten beispielsweise im "braunen Sumpf" zwar für "schwer auszuhalten", letztlich aber unverzichtbar. Insbesondere scheide auch ein Rückgriff auf verdeckte Ermittler aus, da Polizeibeamte keine Straftaten begehen dürften. Ähnliche Kritik formuliert Lisa Caspari (zeit.de).
Friedrich will Einreiseregister: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert am Rande seines US-Besuchs für Europa ein zentrales Einreiseregister nach dem US-Vorbild "Esta", wie spiegel.de (Matthias Gebauer) zu berichten weiß.
Weitere Themen – Justiz
StA München – Hoeneß-Selbstanzeige: Die SZ (Hans Leyendecker) erläutert, warum Uli Hoeneß der Staatsanwaltschaft nun erklären muss, "warum er so schnell eine so schlechte Selbstanzeige gezimmert hat". Dies sei entscheidend für die Frage, ob er die "engsten Voraussetzungen" der nachträglichen Heilung einer "verkorksten" Selbstanzeige erfüllen könne.
StA München – Verletzung des Steuergeheimnisses: Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung ist nun bei der Staatsanwaltschaft München Anzeige gegen unbekannte Beamte derselben Behörde erstattet worden – wegen Verletzung des Steuergeheimnisses aufgrund des Bekanntwerdens der Selbstanzeige. Während die SZ meldet, die Strafanzeige sei von Hoeneß selbst erstattet worden, berichten die Welt (Jörg Eigendorf/Martin Greive/Sebastian Jost) und zeit.de von einer entsprechenden Falschmeldung – die Anzeige komme vielmehr von einer von Hoeneß unabhängigen Anwaltskanzlei.
BVerfG zur Verzinsung kartellrechtlicher Geldbußen: Auf dem Handelsblatt-Rechtsboard stellt der Rechtsanwalt Carsten Grave einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Dezember 2012 vor, in dem das Gericht die Verzinsung kartellrechtlicher Geldbußen für verfassungsgemäß erklärt hatte.
OVG Münster zu Lebensmittelpranger: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat den Betrieb des nordrhein-westfälischen "Online-Lebensmittelprangers" einstweilen untersagt. Laut lawblog.de (Udo Vetter) haben die Richter die Website des Landes, auf der Behörden schlechte Hygieneverhältnisse und Grenzwertüberschreitungen veröffentlichen konnten, dabei nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber das Fehlen verbindlicher Vorgaben für die Dauer der Veröffentlichung bemängelt.
BAG zum kirchlichen Arbeitsrecht: Das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) meint in dem jüngsten Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Entlassung eines Sozialpädagogen durch die Caritas wegen Kirchenaustritts eine Abkehr von dessen bisheriger Rechtsprechung zu erkennen. Zwar habe das Gericht die Kündigung bestätigt, für ihre Rechtfertigung aber nicht wie bisher das kirchliche Selbstbestimmungsrecht genügen lassen, sondern auch andere Kriterien herangezogen. Darin liege bereits "die dritte überraschende Entscheidung zum kirchlichen Arbeitsrecht" innerhalb von anderthalb Jahren; die anderen beiden bezögen sich auf eine erneute Eheschließung nach Scheidung und das Streikrecht. Gegen beide Entscheidungen seien Verfassungsbeschwerden anhängig.
LSG Hessen zu Mobbing und Unfallversicherung: Mobbing am Arbeitsplatz stellt weder einen Arbeitsunfall noch eine Berufskrankheit dar, weswegen Ansprüche gegen die gesetzliche Unfallversicherung nicht in Betracht kommen. Das hat laut blog.beck.de (Christian Rolfs) das Landessozialgericht Hessen entschieden.
OLG Hamburg – Anklage wegen Iran-Lieferungen: Vor dem Hamburger Oberlandesgericht ist Anklage gegen vier Männer wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz erhoben worden, meldet die SZ. Der Vorwurf: Lieferung von Ventilen, die "mittelbar" für den Bau eines Schwerwasserreaktors bestimmt gewesen seien, der möglicherweise zur Produktion waffenfähigen Plutoniums genutzt werden solle.
LG Bayreuth – Fall Mollath: Im Fall Mollath hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth nun die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des psychiatrischen Gutachters zur Wiederholungsgefahr verfügt. internet-law.de (Thomas Stadler) berichtet und spekuliert, dass das Gericht "auf Zeit" spiele und die Wiederaufnahmeentscheidung des Landgerichts Regensburg abwarten wolle.
LG Hamburg – Filbinger-Tagebücher: Das Landgericht Hamburg hat über einen Antrag auf einstweilige Verfügung zweier Kinder des verstorbenen ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger zu entscheiden. Diese wollen die Veröffentlichung eines Buches ihrer ältesten Schwester verhindern, das auf von ihr zurückgehaltenen Tagebüchern des Vaters beruht. Die Antragsteller beriefen sich auf das "postmortale Persönlichkeitsrecht" ihres Vaters und wollten als Erben gemeinsam über den Umgang mit den Tagebüchern entscheiden, so die FAZ (Rüdiger Soldt). Auch die Welt (Hannelore Crolly) schildert das "erbitterte Ringen" der Nachkommen um das Erbe des Vaters.
Schienenkartell – Voestalpine zahlt: Der österreichische Stahlkonzern Voestalpine hat sich mit der Deutschen Bahn wegen seiner Beteiligung am sogenannten Schienenkartell auf eine Schadensersatzzahlung im hohen zweistelligen Millionenbereich geeinigt, berichtet die FAZ (Thiemo Heeg). Gegen andere Mitglieder des Kartells, die Preise für Schienen und Weichen abgesprochen haben sollen, laufe ein Schadensersatzprozess vor dem Frankfurter Landgericht. Auch zeit.de (Christian Endt) berichtet.
Im Leitartikel des Handelsblatts erläutert Martin Murphy, wie Voestalpine durch seine Kronzeugenrolle viel Geld sparte und gleichzeitig zur Aufklärung des Kartells beitrug.
Missbrauch von Jugendlichen: In einem ganzseitigen Artikel beschäftigt sich die Welt (Uta Keseling) mit dem Fall eines Missbrauchstäters und dem Schicksal seiner Opfer. Der mittlerweile 70-jährige Mann sei erst vor einem Jahr zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden – zwischen einer ersten Verurteilung in den 60-er Jahren und dieser lägen aber viele Vorfälle, die nie vor Gericht gekommen und mittlerweile verjährt seien.
Weitere Themen – Recht in der Welt
EGMR – Timoschenko: Am heutigen Dienstag verhandelt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Verurteilung der ukrainischen Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko durch ein ukrainisches Gericht wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft. Im Zentrum der Klage beim EGMR stehe Timoschenkos Vorwurf, aus politischen Motiven inhaftiert worden zu sein, so die SZ (Cathrin Kahlweit) in ihrer Vorberichterstattung.
IStGH – Dokumentarfilm: zeit.de (Steffen Richter) stellt den Dokumentarfilm "The Court" vor, für den die Regisseure Marcus Vetter und Michele Gentile den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Luis Moreno-Ocampo, mehrere Jahre mit der Kamera begleitet haben.
Kosovo – Eulex-Gericht zu Organhandel: Ein Gericht der EU-Rechtsstaatsmission in Kosovo hat einen Klinik-Chef und seine Helfer wegen Beteiligung an illegalem Organhandel zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Hintermänner seien bislang von Strafverfahren geschont geblieben – teils, weil sie von der Türkei nicht ausgeliefert würden, teils weil das Ermittlungsverfahren der Eulex-Sondereinheit für die Verstrickung der ehemaligen kosovarischen Rebellenarmee KLA in den illegalen Organhandel noch nicht abgeschlossen sei. Der Fall berge potenziell erhebliche politische Sprengkraft, so die SZ (Florian Hassel).
Malta – Korruptionsaffäre Dalli: Ein bislang geheimer Untersuchungsbericht des EU-Betrugsbekämpfungsamts Olaf zu den Verwicklungen des Ex-Gesundheitskommissars John Dalli in die Korruptionsaffäre seines früheren Wahlkampfhelfers Silvio Zammit ist von einem maltesischen Online-Portal veröffentlicht worden. Danach habe das Amt keine abschließenden Beweise für eine ummittelbare Beteiligung Dallis an dem Bestechungsversuch zur Aufweichung der EU-Tabakregulierung, berichtet die FAZ (Michael Stabenow/Hendrik Kafsack) und ergänzt, dass sich die Diskussion des Falls in jüngerer Zeit auch stark um die Frage gedreht habe, ob das Amt bei seinen Ermittlungen rechtmäßig vorgegangen sei.
Sonstiges
Neues Mietrecht: Ab dem morgigen 1. Mai gelten neue Regeln im Mietrecht, die unter anderem energetische Modernisierungen durch Hauseigentümer erleichtern. Die taz (Barbara Dribbusch) gibt einen Überblick über die Neuerungen.
In einem gesonderten Kommentar erläutert Dribbusch, warum, was theoretisch gut klinge, in der Praxis "zum Schreckgespenst vieler Mieter" geworden sei. Die Modernisierungsgesetze seien dabei "ein Skandal", da nun Eigentümer auf Kosten ihrer Mieter ihren Wohnungsbestand modernisieren könnten.
Glücksspielrecht: Das "weitere Schicksal von Spielbanken und Spielhallen" liegt nach einem Bericht der SZ (Frank Pergande) auf der "Zeitgeschehen"-Seite "bei den Gerichten". Vor dem Hintergrund des vorübergehenden Alleingangs des Landes Schleswig-Holstein und der mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag verbundenen rechtlichen Unsicherheiten seien mehrere Musterverfahren anhängig, darunter auch ein vom Bundesgerichtshof eingeleitetes Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof.
Das Letzte zum Schluss
Kläger-König verurteilt: Der selbsternannte "Kläger-König" Rolf-Dieter K. muss für ein Jahr hinter Gitter. Und zwar nicht wegen seiner – natürlich straflosen – Klagefreudigkeit, die er in hunderten, häufig erfolgreichen Klagen gegen Ämter und Behörden unter Beweis gestellt hat. Sondern wegen Beleidigung – in nicht weniger als 44 Fällen. Die taz (Pascal Beucker) porträtiert "Prozess-Dieter" und berichtet über das Urteil des Düsseldorfer Landgerichts.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Aufgrund des morgigen Feiertags erscheint erst am Donnerstag eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. April 2013: Presse-Lotto am Münchner OLG – Lebensmittelpranger gestoppt – Streit um Filbinger-Tagebücher . In: Legal Tribune Online, 30.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8635/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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